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Rentenpaket
Teure Geschenke

Die Mütterrente, die Rente mit 63 und Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner - das sind die Rentenpläne der Bundesregierung. Nach Jahren schmerzhafter Einschnitte öffnet Schwarz-Rot damit die Geldschleusen. Die zahlreichen Kritiker sprechen von klassischer Klientelpolitik.

Von Gerhard Schröder und Stefan Maas | 29.01.2014
    Iris Grüner schließt die Tür zu einem kleinen ruhigen Zimmer auf. Im Café des „Hauses des älteren Bürgers“ sei es ein wenig zu laut, sagt sie. Dort sitzen ein paar ältere Damen beim Mittagessen zusammen. Einmal in der Woche kommt die Berlinerin in das Zentrum. Sie arbeitet hier ehrenamtlich als Spaziergangs-Patin. "Das sind Spaziergänge, die mache ich seit drei Jahren. Spaziergänge für Senioren. Jeden Mittwoch hier von zehn bis zwölf. Spaziergänge durch Neukölln."
    Drei Tage in der Woche engagiert sich die 68-Jährige außerdem im Verein „Lesen und Schreiben“. Sie könne ja nicht nur zuhause sitzen oder Kaffee trinken gehen, sagt sie und zieht ihren Schal zurecht. Dafür reiche ihre Rente nicht. 710 Euro bekommt sie, netto. 400 Euro zahlt sie allein für die Miete. Hätte sie nicht privat vorgesorgt, dann würde es vorne und hinten nicht reichen.
    Grüner hat Einzelhandelskauffrau gelernt, anschließend die Ausbildungseignungsprüfung gemacht und die mittlere Reife nachgeholt: "Ich habe ziemlich spät angefangen, damals Geld zu verdienen. Ich glaube, ich war einundzwanzig Jahre schon wie ich aus der Lehre war. Und habe dann glaube ich auch gerade nur die Jahre voll, die man haben muss, um die Rente mit 65 dann auch zu bekommen."
    Ab 1968, als ihr Sohn zur Welt kam, hat sie sieben Jahre ausgesetzt. Nicht nur Iris Grüner findet, dass ihre Erziehungsleistung nicht ausreichend honoriert wird. Auch die Große Koalition – vor allem CDU und CSU - sieht hier Nachholbedarf. Die Aufwertung der sogenannten Mütterrenten ist deshalb ein zentraler Punkt im Rentenpaket, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) heute dem Kabinett vorgelegt hat.
    Kampf der Frauenunion
    Bislang wird Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, bei der Rente nur ein Erziehungsjahr angerechnet. Für nach 1992 geborene Kinder dagegen sind es drei. Der Grund für die Ungleichbehandlung: Die schwarz-gelbe Koalition, die die Regelung Ende der 80er-Jahre einführte, wollte Geld sparen – und stellte die älteren Mütter schlechter. "Ob das damals leichter war oder die Mütter heute es schwieriger haben mit ihren Kindern? Also, das verstehe ich eigentlich nicht, wo da ein Unterscheid gemacht werden sollte. Denn ich habe ja auch mein Kind großgezogen und gewickelt und gemacht und getan. Und dafür meinen Beruf ja auch liegen lassen.
    Die Große Koalition will diese Ungerechtigkeit nicht aufheben, aber doch abmildern. Durch die Anrechnung eines zweiten Erziehungsjahres für ältere Kinder bekommen Mütter wie Iris Grüner im Westen 28 Euro monatlich mehr Rente, in Ostdeutschland sind es knapp 26 Euro. Kostenpunkt insgesamt: 6,7 Milliarden Euro pro Jahr.
    Die Frauenunion hat lange für Verbesserungen bei der Mütterrente gekämpft. Politisches Gewicht bekam die Forderung aber erst, als CSU-Chef Horst Seehofer sie im vergangenen Bundestagswahlkampf für sich entdeckte. Er werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht die Mütterrente fest vereinbart sei, tönte der Bayer, der mit dieser sanften Drohung auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf seine Seite ziehen konnte: "Und das ist ein wichtiger Akt der Gerechtigkeit, aber es ist auch ein wichtiges Zeichen gegen Altersarmut, und deshalb werden wir das durchsetzen."
    Auch die anfangs skeptischen Sozialdemokraten sind inzwischen eingeschwenkt auf den von der CSU vorgegebenen Kurs: "Hier sind Menschen, die profitieren, die das verdient haben. Hier wird nichts verschenkt. Das sind die Generationen, die dieses Rentensystem über Jahre stabil gehalten haben, die Beiträge eingezahlt haben. Oder Frauen, die keine Kita hatten, keine Kindergärten. Und trotzdem eine sehr große, für uns alle wichtige Erziehungsarbeit gemacht haben."
    Sagt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Das Lob auf die Mütterrente ging der Sozialdemokratin – wegen der hohen Kosten - nicht immer so leicht von den Lippen. Doch in den Koalitionsverhandlungen wurde den Unterhändlern der SPD schnell klar: Nur wenn sie das Milliardengeschenk für die Mütter akzeptieren, können sie ihr eigenes Vorzeigeprojekt durchbringen: die abschlagsfreie Rente mit 63.
    Fundamentale Wende in der Rentenpolitik
    Die höheren Mütterrenten und die abschlagsfreie Rente mit 63 sowie Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner, Beschäftigte also, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden müssen – das sind die wichtigsten Punkte des Rentenpakets der neuen Regierung. Zum 1. Juli dieses Jahres soll es in Kraft treten.
    Ein Paket, mit dem Arbeitsministerin Andrea Nahles eine fundamentale Wende in der Rentenpolitik einleitet. Nach Jahren der schmerzhaften Reformen, der Einschnitte und Leistungsbegrenzungen, die darauf abzielten, die Finanzlage der Rentenversicherung nachhaltig zu stabilisieren, öffnet die Große Koalition nun die Geldschleusen und verteilt milliardenschwere Wohltaten. Alexander Gunkel, der Rentenexperte der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hält das für einen fatalen Irrweg. "Die Hauptprofiteure des Rentenpakets sind diejenigen, die schon in Rente sind oder in nächsten Jahren in Rente gehen. Die heutigen, die jungen Beitragszahler, werden dagegen wenig davon haben. Sie müssen die Maßnahmen aber über höhere Beiträge finanzieren. Und sie werden in der Folge dadurch betroffen sein, dass in den nächsten Jahren die Rentensteigerungen geringer ausfallen werden. Insofern ein klares Paket zu Lasten der jungen Generation.
    160 Milliarden Euro wird das Rentenpaket bis 2030 kosten, hat die Bundesarbeitsministerin berechnet. Größter Ausgabenposten ist die Mütterrente, die allein über zwei Drittel der Summe verschlingen wird. Nicht nur Gunkel hält das für falsch. Die meisten Mütter dieser Generation seien über ihre Ehemänner gut abgesichert, sagt er. Was ihn aber noch mehr stört: Die Bundesregierung will die Finanzierung allein den Beitragszahlern aufbürden. Das hält auch Mathias Birkwald, der Rentenfachmann der Linkspartei, für grundverkehrt. "Da sage ich: Das ist sozial ungerecht, das ist grottenfalsch und durch nichts zu rechtfertigen."
    Arbeitgeber, Gewerkschaften, Sozialverbände und auch die Sozialdemokraten sehen das im Prinzip ähnlich. Die Erziehungsleistung der Mütter zu honorieren, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein den Beitragszahlern aufgebürdet werden dürfe, kritisiert auch die Deutsche Rentenversicherung. Heißt im Klartext: Die Mütterrente müsste aus Steuergeldern bezahlt werden.
    Das aber will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nicht. Der CDU-Politiker will im nächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Milliardenschwere Zusatzausgaben würden dieses Ziel gefährden. Deshalb greift die Bundesregierung nun in die gut gefüllte Rentenkasse, kritisiert Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionschefin der Grünen: "Sie plündern die Rentenkasse. Und dann werden ab 2019 Beiträge wie Steuern steigen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen. Draußen sind bei Ihren Geschenken die Beamten, die Politiker und die Selbstständigen. Ich kann mir das nicht erklären: Das ist der Gipfel der Ungerechtigkeit."
    Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles macht eine andere Rechnung auf. Die Rentenkasse ist gut gefüllt, sagt die einstige SPD-Generalsekretärin, deshalb sei es gerechtfertigt, die Mütterrente zumindest in den nächsten vier Jahren aus Beitragsgeldern zu bezahlen: "Wir haben eine wirtschaftlich gute Lage, wir haben eine sehr gute Situation in Rentenversicherung. Ich denke, das ist solide berechnet, das ist übrigens auch über das Jahr 2018 berechnet."
    Tatsächlich ist die Finanzlage der Rentenversicherung derzeit glänzend. Die Konjunktur läuft gut, viele Menschen sind in Lohn und Brot – das sorgt für üppige Überschüsse. Zur Zeit verfügt die Rentenversicherung über Reserven in Höhe von 31 Milliarden Euro. Davon wird in drei, vier Jahren nicht mehr viel übrig sein, wenn die Große Koalition ihre Pläne umsetzt, kritisiert die Grünen-Politikerin Göring-Eckardt: "Welches Heu wollen Sie eigentlich zu Gold spinnen, um das alles am Ende bezahlen zu können, wenn Sie nicht die Beitrags- und Steuerzahler belasten wollen."
    Bis 2018, so kalkuliert Arbeitsministerin Nahles, wird der Rentenbeitrag stabil bei 18,9 Prozent liegen, bis 2030 soll er nicht über 22 Prozent steigen. Gelingen kann das nur, wenn sich die Beschäftigungslage nicht verschlechtert. Und wenn der Bund künftig mehr Steuermittel dazu gibt. Das räumt inzwischen auch Volker Kauder, der Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, ein. "In dieser Legislaturperiode brauchen wir keine neuen Steuern, auch keine Beiträge. Aber selbstverständlich in nächster Legislaturperiode wird der Steuerzuschuss erhöht werden müssen."
    Folgende Generationen haben das Nachsehen
    Die Auswirkungen der Rentenpläne spüren die Beitragszahler aber schon jetzt. Eigentlich hätte der Beitragssatz – wegen der guten Finanzlage – Anfang des Jahres auf 18,3 Prozent gesenkt werden müssen. Das haben Union und SPD verhindert, um ihr Milliardenpaket zu finanzieren. Beschäftigten und Arbeitgebern entgehen dadurch Entlastungen von rund sechs Milliarden Euro pro Jahr. Die Richtung ist damit vorgegeben. Es wird teuer für die nachrückenden Generationen, die die zusätzlichen Ausgaben schultern müssen.
    Nachmittags, halb zwei. Auf dem Betriebsgelände der Berliner Stadtreinigungsbetriebe am Ostpreußendamm. Frank Küßner zeigt auf eine Reihe von hohen Tanks auf Stelzen. Streusalz: "Erstmal der erste, das ist so eine Mischanlage. Da sind so 'ne Prils drin, und dann wird das Feuchtsalz gemischt. Und dahinter ist das Trockensalz."
    Um zwei beginnt seine Schicht. Seit 37 Jahren ist er jetzt bei der BSR. Mit 20 hat er hier angefangen: "Bin ganz normal hier angefangen als Handreiniger damals. Straßenfegen, praktisch. Sauberhalten, auch Winterdienst, sag ich mal, auch Ecken abstrullen. Und dann hatte ich damals den Zweier Führerschein gemacht bei der BSR. Und bin dann Kraftfahrer geworden."
    Immer noch fährt der 57-Jährige täglich raus. Arbeitet im Zweischichtsystem. Die frühe beginnt um vier Uhr morgens, die späte endet abends um zehn. Ein anstrengender Job. "Na einmal das frühe Aufstehen. Dann ist es ein Schichtbetrieb. Wir arbeiten eine Woche früh, eine Woche Nachmittag. Bei Wind und Wetter draußen, sag ich mal. Ob es regnet, ob es kalt ist oder schneit. Ja, wir sind immer vor Ort draußen. Und das ist sehr anstrengend. Im Alter merkt man das auch."
    Küßner arbeitet seit seinem fünfzehnten Lebensjahr. Deshalb will er auch mit 63 in Rente gehen, wenn das zukünftig abschlagsfrei geht. Rund 1.700 Euro netto wird er dann bekommen. Inklusive der Zusatzrente des Öffentlichen Dienstes. Ohne die wäre es viel weniger. Die 45 Beitragsjahre, die man dafür in die Rentenkasse eingezahlt haben muss, hat er dann locker zusammen. "Besseres Geschenk kann man zur Zeit nicht kriegen, sag ich mal. Und jedes Jahr, das man weniger arbeiten muss, ist ein geschenktes Jahr. Und wenn man sein Leben lang gearbeitet hat, sag ich mal, und harte körperliche Arbeit gemacht hat, dann reicht das, glaube ich. Dann will man sich auch zur Ruhe setzen."
    Wer 45 Jahre gearbeitet hat, soll mit 63 Jahren ohne die sonst üblichen Abschläge in Rente gehen dürfen – das war neben dem Mindestlohn die Kernforderung der Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen. Arbeitsministerin Nahles hat sie nun in einen Gesetzentwurf gegossen. Es ist der Versuch, die tiefen Wunden zu heilen, die die von der SPD einst eingeführte Rente mit 67 gerissen hat. IG Metall-Chef Detlev Wetzel: "Menschen, die mit 16 angefangen haben zu arbeiten, 45 Jahre ihre Pflicht getan haben und in die Sozialsysteme eingezahlt haben, die müssen auch eine entsprechende Rentenleistung haben, die können nicht bis 67 arbeiten, die müssen früher ausscheiden."
    Bis 2030 soll der Renteneintritt schrittweise auf 67 erhöht werden. Für Gewerkschafter wie Wetzel ist das schlicht ein Rentenkürzungsprogramm. Viele Beschäftigte könnten schon heute aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zum 65. Lebensjahr arbeiten, sagt er. Andere gingen vorzeitig in Rente, weil sie im Alter keinen Job mehr fänden. Die Folge: Die Rente wird gekürzt, um bis zu 14,4 Prozent. Annelie Buntenbach, die Rentenexpertin des Deutschen Gewerkschaftsbunds, DGB: "Deshalb drohen viele Arbeitnehmer am Ende ihres Arbeitslebens abzustürzen. Und dann wird Lebensleistung durch die hohen Abschläge komplett entwertet. Deshalb brauchen wir bessere Absicherung am Ende des Arbeitslebens. Und die Rente mit 63 ist hier ein wichtiges Element."
    Das sieht auch Frank Küßner so. Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe bieten ihren Mitarbeitern zwar auch an, durch Altersteilzeit früher in Rente zu gehen. Das aber sei für ihn nicht in Frage gekommen, sagt der kräftige Mann. Denn wegen der Abzüge wären ihm dann nur 80 Prozent geblieben. Aber auch die Rente mit 63 hat einen Haken, findet er. "Dass es wieder gestaffelt wurde nach Baujahr."
    Vor allem Männer profitieren
    Denn weil der reguläre Rentenbeginn bis 2030 schrittweise um zwei Jahre auf 67 verschoben wird, wird auch aus der abschlagsfreien Rente mit 63 Schritt für Schritt die Rente mit 65. Für den 57-Jährigen Küßner heißt das: Er kann erst mit 63 und zehn Monaten in den Ruhestand wechseln.
    Es sind vor allem Männer, die von der Rente mit 63 profitieren. Darunter viele Facharbeiter, die jahrzehntelang bei Industriekonzernen wie Mercedes oder Siemens gearbeitet, gut verdient haben und deshalb auch eine ordentliche Rente beziehen werden. Wer 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, bekommt im Alter sowieso doppelt soviel Geld wie ein Durchschnittsrentner, hat die deutsche Rentenversicherung berechnet. Ist es gerecht, wenn die nun auch noch ohne Abschläge vorzeitig in Ruhestand gehen dürfen? Der Christdemokrat Peter Weiß sagt: Ja: "45 Beitragsjahre, das ist eine großartige Leistung. Auch eine großartige Leistung, in denen diese Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen das Rentensystem stabilisiert haben. Und ich finde, ein bisschen Dankeschön kann man den Arbeitnehmern durchaus sagen."
    Wie viele Beschäftigte das Angebot annehmen werden, ist schwer vorauszusehen. 2011 kamen nach Berechnungen des Ministeriums immerhin 31 Prozent der Rentner im Alter von 63 bis 65 auf 45 Versicherungsjahre. Zahlen, die bei Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer die Warnlampen aufleuchten lassen: "Das macht alles kaputt, was an Einsparungspotenzial in der Rente mit 67 eingeführt worden war, um überhaupt die Rente finanzierbar zu halten, wenn die großen, geburtenstarke Jahrgänge raus gehen aus der Beschäftigung."
    Ähnlich sieht das auch Franz Müntefering, der Sozialdemokrat, der 2007 die Rente mit 67 auf den Weg gebracht hat. Ziel war es, die Alterssicherung zukunftssicher zu machen, die Lasten der Demografie gerecht auf Junge und Alte zu verteilen. Keine einfache Aufgabe: Denn immer weniger Beschäftigte müssen in Zukunft immer mehr Rentner finanzieren. Gleichzeitig steigen die Lebenserwartung und damit auch die Dauer des Rentenbezugs. Wir müssen länger arbeiten, folgerte Müntefering daraus. Und sieht auch heute noch keinen Grund, diese Gleichung zu korrigieren: "Was wir beschlossen haben in rot-grüner Zeit und auch in der Großen Koalition, das war nicht böser Wille, sondern wir wollen, dass es Gerechtigkeit zwischen Generationen gibt. Und daran muss man auf jedem Fall festhalten."
    Auch in der Union regt sich Widerstand. Und das nicht nur wegen der hohen Kosten. 3,1 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt die Arbeitsministerin für die Rente mit 63. Viele Unternehmen könnten die Regelung nutzen, um auf Kosten der Beitragszahler ihre Belegschaften zu verjüngen, fürchtet der Christdemokrat Christian von Stetten, der Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand in der CDU: "Das ist ein gigantisches Frühverrentungsprogramm, was hier die Bundesarbeitsministerin plant. In Zukunft könnte dann jeder Betroffene mit seinem Arbeitgeber vereinbaren, dass er mit 61 24 Monate in Arbeitslosigkeit geht und anschließend mit 63 abschlagsfrei in die Rente. Ich glaube, das können wir so nicht akzeptieren."
    Arbeitsministerin Nahles wies die Kritik zurück. Wir wollen keine Brücke in die Frühverrentung bauen, versicherte die Sozialdemokratin: "Aber eine fertige Lösung, die verfassungskonform ist und wirkt, das ist ja das entscheidende, kann ich Ihnen heute hier nicht präsentieren."
    Unklar ist auch noch, wie eng der Kreis der Anspruchsberechtigten gezogen wird. Ursprünglich hieß es: Zeiten der Arbeitslosigkeit werden bei den 45 Versicherungsjahren unbegrenzt mitgezählt. Nahles will dies nun begrenzen auf jene Zeiten, in denen Arbeitslosengeld 1 bezogen wurde. Damit blieben Langzeitarbeitslose außen vor. Das Problem: Der Rentenversicherung fehlen die Daten, um diese Unterscheidung zu treffen. Die DGB-Rentenexpertin Annelie Buntenbach: "Die Stellungnahme der Rentenversicherung zeigt deutlich, dass das so nicht gehen wird. Denn da kann nur unterschieden werden zwischen Beitragszeiten und Nichtbeitragszeiten. Das heißt, diese Unterscheidung, die die Bundesregierung hier vorschlägt, ist so offensichtlich nicht umsetzbar. Die logische Folge ist, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit insgesamt anerkannt werden müssen, wenn es um 45 Versicherungsjahre geht."
    Dann aber würde die Rente mit 63 noch teurer, warnt Katrin Göring-Eckardt. "Schauen Sie sich an, welchen Tropfen auf heißen Stein Sie vorlegen bei Erwerbsminderungsrente, die nur für Neurentner gelten soll. Nein, um die geht es Ihnen nicht, die brauchen anständige Erwerbsminderungsrente. Und dann wäre Ihnen geholfen, aber nicht mit Ihrem Vorschlag."
    Wer aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig ausscheidet, bekommt meist nur eine kleine Rente ausgezahlt, im Schnitt waren es zuletzt 610 Euro. Union und SPD wollen hier gegensteuern und zwei zusätzliche Jahre bei der Berechnung anerkennen. Dadurch erhöhen sich die Erwerbsminderungsrenten im Schnitt um 45 Euro pro Monat. Auch die Gewerkschafterin Annelie Buntenbach hätte sich hier mehr gewünscht: "Wir werden weiterhin dafür eintreten, dass Erwerbsminderungsrenten ohne Abschläge ausgezahlt werden. Denn hier gibt es keinen logischen Grund dafür, warum diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr können, dann auf ihre Rente auch noch Abschläge in Kauf nehmen sollen."
    Schwere Bürde für die Rentenversicherung
    Fazit: Richtig gut finden die Rentenpläne nur Union und SPD. Die Partner in der Großen Koalition betreiben klassische Klientelpolitik, monieren dagegen die Kritiker. CDU und CSU beschenke die Mütter, die Sozialdemokraten die Industriearbeiter.
    Das mag parteipolitisch nicht unklug sein, für die Rentenversicherung dagegen ist es eine schwere Bürde. Die entscheidenden Herausforderungen habe die Große Koalition noch gar nicht angepackt, kritisiert Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Die drohende Altersarmut zum Beispiel. Was ist mit den Geringverdienern, die jahrzehntelang in die Rentenkasse einzahlen und am Ende doch nur eine Minirente knapp über Sozialhilfeniveau herausbekommen? "Unser Rentensystem wird nur dann Akzeptanz finden, wenn die, die jetzt einzahlen, auch wissen, ich bekomme auch was raus, wovon ich leben kann. Das ist noch nicht der Fall. Da müssen noch Reformschritte, weitere wichtige Reformschritte kommen."
    Fragt sich nur, wie die dann finanziert werden sollen – nach der teuren Milliarden-Reform, die jetzt stattfindet.