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Rentenpolitik
"Ein einheitliches Rentenrecht ist überfällig"

Mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung könne es nicht sein, dass die Rentenbeiträge in Ost- und Westdeutschland weiter zu unterschiedlichen Leistungen führten, sagte Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände im DLF. Ostrentner würden nicht benachteiligt - im Gegenteil.

Alexander Gunkel im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.07.2016
    Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), spricht an einem Mikrofon
    Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) (imago stock&people)
    "Es gibt heute faktisch keinen Rentennachteil der Ostrentner und keine systematische Benachteiligung der Ostversicherten", sagte Gunkel im DLF. Tatsächlich habe die Rente im Osten im Jahr 2014 etwa 20 Prozent höher gelegen als in den alten Bundesländern. Gunkel verwies auf eine Besonderheit im Zusammenhang mit dem aktuellen Rentenwert. Dieser werde auf Grundlage der aktuellen Löhne berechnet, die im Osten wiederum hochgerechnet würden. Im Ergebnis bedeute dies, dass ein ostdeutscher Versicherter für den gleichen Lohn etwas mehr Rente bekomme, als ein Westdeutscher. "Das sollten wir 25 Jahre nach der Wende beenden", so Gunkel.
    Er plädierte dafür, den Vorschlag des Sachverständigenrates der Bundesregierung umzusetzen und mit einem Schlag ein einheitliches Rentensystem herzustellen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat zu sogenannten Rentendialogen eingeladen, um ein Meinungsbild zu den nötigen Reformen einzuholen.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Die Riester-Rente sei gescheitert, sagt CSU-Chef Seehofer, und das Niveau der gesetzlichen Rente darf nicht weiter sinken, das hat der SPD-Chef Gabriel schon gefordert. Ein Teil der Sozialdemokraten tritt jetzt sogar dafür ein, das Rentenniveau wieder auf 50 Prozent des Durchschnittslohnes anzuheben, und Sozialministerin Nahles steht in diesen Wochen unter Druck, die immer noch niedrigeren Renten im Osten möglichst schnell an die im Westen anzugleichen. Doch ist das machbar? Das kann ich jetzt Alexander Gunkel fragen vom BDA, von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ((sagt nur Arbeitgeber)), und als Vertreter der Arbeitgeber ist er auch im Vorstand der Deutschen Rentenversicherung. Guten Morgen, Herr Gunkel!
    Alexander Gunkel: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Gunkel, ist es im dritten Jahrzehnt jetzt nach der Wiedervereinigung nicht höchste Zeit für gleiche Renten in Ost- und Westdeutschland, also ist diese Forderung nicht mehr als berechtigt?
    Gunkel: Ja, das sehe ich auch so, ein einheitliches Rentenrecht in Ost- und Westdeutschland ist überfällig, mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. Es kann nicht mehr sein, dass die Rentenbeiträge in Ost und West weiter zu unterschiedlich hohen Leistungen führen. Es gibt dazu auch einen guten und einfachen Vorschlag des Sachverständigenrats der Bundesregierung, wie ein solches einheitliches Rentenrecht hergestellt werden kann. Der läuft darauf hinaus, kurz gesagt, dass alle West- und Ostanwartschaften beziehungsweise Renten auf einen einheitlichen gesamtdeutschen Wert umgerechnet werden können. Meines Erachtens ist dieser Vorschlag der einzig konsistente und sollte möglichst bald umgesetzt werden. Lassen Sie mich aber auch sagen, es gibt heute faktisch keinen Rentennachteil der Ostrentner, und es gibt auch keine Benachteiligung der Ostversicherten. Die durchschnittliche Versichertenrente in den neuen Ländern lag nach den letzten Zahlen um etwa 20 Prozent höher als die in den alten Bundesländern, konkret war das im Jahr 2014, dafür liegen die letzten Zahlen vor. Es lag eine monatliche Versichertenrente in den alten Ländern bei 766 Euro, in den neuen Ländern bei 921 Euro. Und es ist auch heute so, dass ein Ostversicherter für einen Beitrag mehr Rente etwas mehr Rente zu erwarten hat als im Westen. Insofern gibt es da keine systematische Benachteiligung.
    "Dafür sorgen, dass West- wie Ostversicherte für den gleichen Beitrag die gleiche Rente bekommen"
    Zagatta: Aber nach der offiziellen Statistik, die sieht doch so aus, dass die Ostrenten noch, ich glaube, bei 94 Prozent etwa, also unter denen im Westen liegen im Vergleich.
    Gunkel: Was Sie meinen, ist der aktuelle Rentenwert.
    Zagatta: Genau.
    Gunkel: Das ist der Wert, der einem Versicherten für einen Durchschnittslohn in Ost und West jeweils gutgeschrieben wird. Dazu muss man allerdings wissen, dass der aktuelle Rentenwert berechnet wird auf der Grundlage der jeweils erzielten Löhne, und die Löhne werden im Osten hochgerechnet – um rund 15 Prozent werden sie im Osten noch nach wie vor hochgerechnet, und der aktuelle Rentenwert liegt da nur um 6 Prozent niedriger im Ergebnis. Das bedeutet, dass ein ostdeutscher Versicherter für den gleichen Lohn, für den gleichen Beitrag etwas mehr Rente bekommt als ein Westrentner. Insofern sollten wir diesem Zustand 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Ende bereiten und dafür sorgen, dass West- wie Ostversicherte für den gleichen Beitrag die gleiche Rente bekommen.
    Zagatta: Herr Gunkel, das klingt ja etwas kompliziert, aber lässt es sich denn so vereinfachen: Also wenn das jetzt so kommt, wie es die Bundesregierung unter Umständen vorhat, wie Sie es befürworten, kann man dann sagen, dann werden die Rentner im Osten bessergestellt, aber diejenigen, die einen Job derzeit haben, die erwerben weniger Anwartschaften, die werden etwas schlechter gestellt im Osten. Stimmt das so?
    Gunkel: Ich plädiere für den Vorschlag des Sachverständigenrats, mit einem Schlag ein gesamtdeutsches Rentenrecht zu einem Stichtag herzustellen, in dem die bisherigen West- und Ostanwartschaften auf einen gesamtdeutschen einheitlichen Wert umgerechnet werden.
    Akzeptanz der Westrentner nicht überstrapazieren
    Zagatta: Das hätte aber diese Auswirkungen, die ich eben beschrieben habe, oder?
    Gunkel: Den Vorschlag, den Sie beschrieben haben, das ist der, der in dieser Woche in der "Bild"-Zeitung kolportiert worden ist, der angeblich eine Überlegung der Bundesregierung ist, der läuft auf eine Stufenlösung hinaus, und diese Stufenlösung bedeutet, dass es einen deutlich überproportionalen Anstieg der Ostrenten geben soll bei einer schrittweisen Rückführung dieser sogenannten Höherwertung der Löhne, die ich gerade angesprochen habe. Das würde in der Tat bedeuten, dass die Ostrentner, dass es ihnen in den nächsten Jahren besser ginge als nach dem Status quo, weil sie zusätzliche Rentenanpassung erfahren würden, perspektivisch würden aber die Ostversicherten den Vorteil, den sie heute im Rentenrecht haben, schrittweise verlieren. Der Nachteil dieser Stufenlösung ist meines Erachtens, dass er zwar ein teurer Vorschlag ist, er bedeutet, dass über viele Jahre die Rentenversicherung zusätzlich belastet wird – zunächst wären das etwa drei bis vier Milliarden im Jahr –, und außerdem ist es meines Erachtens schwer nachvollziehbar, wenn die Ostrenten ohnehin rechtlich wie faktisch heute besser und höher sind als die Westrenten, noch eine zusätzliche Anhebung der Ostrenten vorzunehmen. Das könnte meines Erachtens die Akzeptanz der Westrentner dann auch etwas überstrapazieren.
    Zagatta: Das heißt, was Sie vorschlagen, käme billiger. Wie ist denn das insgesamt – es gibt ja jetzt den Vorschlag aus der SPD, also der SPD-Chef hat das ja sogar mal gefordert, die gesetzliche Rente, das Niveau dürfe nicht weiter sinken, jetzt heißt es, man müsse wieder ein Rentenniveau von 50 Prozent des Durchschnittslohns hier stellen. Ist das aus Ihrer Sicht machbar?
    Gunkel: Nein, ich halte solche Vorschläge nicht für finanzierbar. Wenn wir allein das Rentenniveau, das wahrscheinlich von aktuell 47 bis 48 Prozent auf rund 44 Prozent im Jahr 2030 senken, das sind die aktuellen Annahmen, wenn wir nur einen einzigen Prozentpunkt jetzt höher gehen würden, also beispielsweise statt 44 45 Prozent, dann würde das allein bedeuten, dass das die Rentenversicherung sechs Milliarden Euro zusätzlich belasten würde. Wir müssen ja sehen, dass ja nicht nur das Rentenniveau etwas sinkt, sondern tatsächlich werden ja vor allem die Beitragszahler in den nächsten Jahren zusätzlich belastet werden. Wir haben heute einen Beitragssatz von 18,7 Prozent, der würde, wenn das Rentenniveau so sinkt, wie es vorgesehen ist, bereits auf 22 Prozent steigen. Und wenn wir jetzt noch zusätzlich das Rentenniveau höher ansetzen würden, als das derzeit geplant ist, dann kämen noch mal zusätzliche Belastungen auf die Beitragszahler zu. Ich glaube, es war eine richtige Entscheidung des Gesetzgebers vor einigen Jahren, die Belastung des demografischen Wandels, die wir nun mal nicht wegreformieren können, gleichmäßig auf die Versicherten, die Beitragszahler zu verteilen, die ja eine höhere Beitragsbelastung haben werden, und auf die Rentner, indem die Renten etwas weniger stark steigen werden als die Löhne. Sie werden ja trotzdem auch in Zukunft steigen, nach den Erwartungen der Bundesregierung, der Rentenversicherung, bis 2030 etwa um gut 2 Prozent.
    "Natürlich ist die Gefahr der Altersarmut ernst zu nehmen"
    Zagatta: Gleichzeitig wird aber da auch nicht mehr sonderlich viel übrig bleiben für viele, weil ja auch die Steuern erhöht werden. Aber eine andere Frage noch, die ich Ihnen unbedingt stellen wollte: Die Mehrheit der Deutschen, die fürchtet ja ganz offensichtlich, auch einer jüngsten Umfrage zufolge, Altersarmut. Da gibt es Studien, die zu dem Ergebnis kommen, jedem Zweiten droht wegen des sinkenden Rentenniveaus eine gesetzliche Rente unterhalb der Armutsgrenze. Das sind doch düstere Aussichten, die müssten doch auch Ihnen zu denken geben, dass man da irgendetwas ändern muss.
    Gunkel: Natürlich ist die Gefahr der Altersarmut ernst zu nehmen, aber zunächst: Altersarmut ist in Deutschland erfreulicherweise heute die große Ausnahme, gerade einmal 3 Prozent aller Bürger im Rentenalter …
    Zagatta: Heute, aber wir sprechen ja von der Zukunft, wenn die Rente da noch weiter absinken soll in den nächsten 15 Jahren.
    Gunkel: Ja – ja. Wobei die Rente wird nicht absinken, die Rente steigt – und das ist mir ganz wichtig –, die Rente wird, wie ich es eben gesagt habe, bis 2030 um etwas mehr als 2 Prozent pro Jahr ansteigen. Das heißt, allein aus dem sinkenden Rentenniveau entsteht keine höhere Altersarmut. Mehr als 2 Prozent Rentensteigerung bedeutet, dass die Renten wahrscheinlich auch real steigen werden. Wir haben insofern vielerlei Gründe, davon auszugehen, im Gegenteil, dass Altersarmut auch in Zukunft erfreulicherweise kein Problem sein wird. Wir haben eine Prognose des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium der hat vor drei Jahren ermittelt, dass selbst unter pessimistischen Annahmen der Anteil der Älteren, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird, bis etwa Mitte des Jahrhunderts von 3 auf 5 Prozent steigen wird. Natürlich wäre das nicht schön, aber man muss doch sehen, dass 5 Prozent immer noch deutlich weniger sind – Betroffenheit von Armut und Angewiesenheit auf Grundsicherung – als in allen anderen Altersgruppen. Bei den unter 65-Jährigen sind gut 10 Prozent auf Grundsicherung angewiesen, und bei Kindern sind es übrigens 15 Prozent, in einigen Städten noch deutlich mehr. Insofern: Auch nach den Veränderungen, die wir sicherlich im Altersicherungssystem zu erwarten haben, wird Armut bei den Älteren deutlich weniger verbreitet sein als bei anderen Altersgruppen.
    Zagatta: Sagt Alexander Gunkel vom BDA, von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Herr Gunkel, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Gunkel: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.