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Rentenversicherung

DLF: Am Telefon ist nun der Arbeits- und Sozialminister Walter Riester. Schönen guten Morgen, Herr Riester.

    Riester: Guten Morgen, Frau Durak.

    DLF: Sie haben die Rentendiskussion wiederbelebt, sage ich mal, und haben gestern abend versprochen, ein Versprechen abgegeben, ein voreiliges, vielleicht sogar ein leichtfertiges. Sie haben gestern gesagt: Die Rentenversicherungsbeiträge werden unter Ihrer Ägide nicht steigen. Wie können Sie so etwas versprechen, Herr Riester?

    Riester: Ich habe das schon im Bundestag gesagt: Weil wir nicht mehr eine Entwicklung machen können, die in der Vergangenheit betrieben worden ist – einerseits zu sagen, die Lohnnebenkosten müssen stabilisiert und abgesenkt werden - in der Koalitionsvereinbarung haben wir auch klar definiert, wir möchten unter 40 Prozent kommen - und andererseits über Renten- oder auch über Arbeitslosenversicherung die Beiträge hochtreiben zu lassen. Das wird mit mir nicht passieren.

    DLF: Diese Rechnung, Herr Riester, hat aber sehr viele Unbekannte noch. Da gehören dazu die Wirtschaftsentwicklung im Inland, im Ausland, die Steuerreform, die noch nicht unter Dach und Fach ist. Der Glaube fehlt ein wenig, daß Sie es tatsächlich garantieren können, daß die Beiträge niedrig bleiben.

    Riester: Also, zuerst mal muß man sich Ziele setzen und muß zu denen auch stehen. Das ist der erste Punkt. Die wirtschaftliche Entwicklung hat in dieser Frage unmittelbar keine Auswirkungen beim Rentenversicherungsbeitrag. Allerdings – und da haben Sie recht – die Steuergesetzgebung, die hat Auswirkungen. Und deswegen muß man darüber offen sprechen. Und ich bin nicht gewillt, mich einfach auszuschweigen und irgendwann mal zu sagen: Jetzt muß der Rentenversicherungsbeitrag wieder um 1 – 2 Prozent angehoben werden. Und ich denke, man muß der Öffentlichkeit offen und ehrlich sagen, um was es geht. Ich sage gleichzeitig auch: Ich werde mich dafür einsetzen, daß die Anhebung der Renten – wie in der Vergangenheit auch – in dem Maße erfolgt, wie die Löhne und Gehälter angehoben werden und sich netto dann in der Kaufkraft widerspiegeln. Das halte ich für eine sehr faire Linie. Dann werden die Rentner genau so gestellt wie die Beschäftigten auch.

    DLF: Es bleibt also bei der Nettolohnanpassung der Renten. Das ist auch Ihr Versprechen?

    Riester: Wir werden auch dieses Jahr die Nettoanpassung machen, und wie die Nettoanpassung in Zukunft läuft, ist einer von – im übrigen - fünf Eckpunkten, die wir in der Frage der Strukturreform der Rentenversicherung besprechen müssen.

    DLF: Sie selbst aber, Herr Riester, haben den Stein ja ins Rollen gebracht und haben gesagt, die System der Anpassung muß geändert werden. Das hat zu erheblicher Verunsicherung beigetragen. Wie soll es denn nun werden?

    Riester: Wir sind in einer Zeit, wo jeder sagt: 'Es muß sich ändern', und beim ersten Vorschlag alles schreit: 'Wir sind verunsichert'. Wie muß es sich ändern? Es gibt zwei Ziele, auch die habe ich im Deutschen Bundestag sehr offen formuliert. Zuerst: Die Rente muß zukunftssicher machen. Es darf nicht sein, daß laufend Rentenerhöhungen gemacht werden und laufend die Menschen verunsichert werden. Ich sage: Die Rentenansprüche, die die Menschen bisher erworben haben, die müssen sie auch bekommen und die müssen sie auch in Zukunft einlösen können. Das heißt, die Rente muß, und zwar bis zum Jahr 2020/2030 mindestens – wir haben im Jahr 2015 eine starke demographische Entwicklung, also es sind mehr Leute Rentenbezieher, das ist ein Problem, das ist bekannt, das muß man regeln. Zweiter Punkt: Die Rente muß armutsfest werden. Wie haben heute eine Situation, daß viele Menschen, die keine Vermögen haben, keine Zusatzeinkommen haben und Renten haben, die sehr niedrig sind, diese Renten aufstocken müssen beim Sozialamt. Diese Sache möchten wir ändern, wir möchten eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Rentensystem einbauen, daß Sie im Rentensystem eine Mindestsicherung bekommen. Das sind zwei Ziele . . .

    DLF: Habe ich, Herr Riester - pardon, daß ich Sie unterbreche - herausgehört, daß Sie sich doch dem Gedanken einer Grundrente nähern?

    Riester: Nein, wir bewegen auf einem komplizierten Feld in der Sprache im Moment. Es geht nicht darum, daß alle Renten Grundrenten werden. Das wäre ein fataler Weg. Es geht darum, daß wir eine Mindestsicherung für diejenigen haben, die Bedarf haben, während sonst, insbesondere Frauen – es sind ja viele ältere Frauen, die nur kurzzeitig beschäftigt oder teilzeitbeschäftigt waren – die dann Renten bekommen mit 300, 400, 500 Mark – die Durchschnittsrente liegt bei etwas über 800 Mark – und dann zum Sozialamt marschieren müssen. Viele der Frauen haben auch Scheu oder Scham oder auch Unwissenheit – man spricht da so schön im Soziologenchinesisch von 'Verschämter Armut'. Da müssen wir ran. Daß das auch zunehmen wird zukünftig, das ist abzusehen. Es muß dort die Regelung im Rentensystem rein.

    DLF: Sie haben, Herr Riester, Hilfe bekommen von einem Mann, den Sie sehr gut kennen, Winfried Schmähl, der Vorsitzende des Sozialbeirates Ihrer Regierung. Er berät Sie auch in Sachen Renten. Von ihm ist heute zu lesen in einer Zeitung, daß er die Umstellung des Prinzips der Rentenanpassung von netto auf brutto sich durchaus denken kann. Er will das koppeln an die Entwicklung durchschnittlicher Bruttoarbeitsentgelte und zugleich den Beitragssatz bei der Rentenversicherung, diese beiden miteinander koppeln. Ist das eine Idee, die Sie befürworten könnten?

    Riester: Darüber wird man erst sprechen können, wenn man mehr weiß. Im Moment sind wir ja wieder in dieser sehr unangenehmen Situation, daß das Verfassungsgericht sich mit der alten Gesetzgebung der alten Regierung beschäftigt, und zwar in der Frage, ob zukünftig Renten höher besteuert werden. Das ist eine völlig offene Frage. Aber wenn das Verfassungsgericht entschieden hat, dann wird man sich dieser Frage, die der Herr Schmähl einbringt, auch widmen müssen. Sie wird ein Vorschlag unter anderen sein. Schauen Sie, das ist ja gerade der Punkt: Ich lade nächste Woche sozusagen die Koryphäen in der Rentendiskussion ein und werde sie auch bitten, diesen Prozeß der Strukturreform laufend mit ihren Vorschlägen zu begleiten. Man wird über diesen und andere Vorschläge sprechen. Aber ich garantiere Ihnen: Man wird darüber auch sprechen, und das Problem liegt einfach auch in der Vergangenheit.

    DLF: Herr Riester, Sie werden sich doch aber innerlich – gedanklich, theoretisch sozusagen – vorbereiten müssen auf den Karlsruher Richterspruch, was die Besteuerung der Renten angeht. Angenommen, es wird so kommen, daß die Renten versteuert werden müssen: Welche Modelle schweben Ihnen dann vor?

    Riester: Ja, die werde ich nicht vorbereiten, bevor Karlsruhe überhaupt gesprochen hat, denn ich bin nicht daran interessiert, daß sich Karlsruhe an Vorüberlegungen von Politikern informiert, sondern Karlsruhe soll frei entscheiden. Und dann werden wir entsprechend darauf reagieren, so wie wir es jetzt bei der Steuer auch gemacht haben oder machen müssen. Denn von dem Steuergerichtsurteil ging offensichtlich die alte Regierung nicht aus, sonst wäre es unverantwortlich gewesen, bei ihrer Politik so weiter zu verfahren, wie sie es gemacht hat.

    DLF: Denken Sie denn, daß das Karlsruher Gericht sich von Politikerentscheidungen vorab schon hat sich mal beeinflussen lassen?

    Riester: Das weiß ich nicht. Das Verfassungsgericht ist so konstruiert, daß es nicht beeinflußt werden kann. Und das ist gut.

    DLF: Also können Sie uns doch schon in etwa darlegen, wie Sie sich das Modell vorstellen.

    Riester: Das war der zweite Versuch. Nein, ich bin sehr dafür, daß wir offen und transparent in der Gesellschaft auch diskutieren, Vorstellungen einbringen. Deswegen nervt mich auch ein bißchen eine aufgeregt heiße Diskussion, wenn wir überhaupt mal eine Überlegung reinbringen, die eigentlich gut nachvollziehbar ist. Andererseits ist es so, daß ich der Diskussion der Fachleute nicht vorgreifen will. Sie dürfen davon ausgehen, daß ich schon Vorstellungen habe. Die bringe ich aber auch dort ein. Ich habe sehr früh gesagt, bis Ende dieses Jahres möchte ich, daß die Probleme, die sich in der Rentenversicherung stellen, daß wir die mit Lösungen der Gesellschaft vorstellen. Es muß jetzt endlich mal diese Rentendebatte, die sich ja über 10 – 15 Jahre zieht und die Leute verunsichert, die muß aufhören. Wir müssen die Sicherheit in die Rentenfrage reinbekommen. Und das möchte ich machen.

    DLF: Herr Riester, Ihr Koalitionspartner in Bonn treibt Ihnen womöglich die Angstperlen schon wieder auf die Stirn. Wenn wir an Karlsruhe denken, ist es zu hören, daß die sozialpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Frau Dückert, erklärt hat, der Anstieg höherer Renten soll gekappt werden. Was halten Sie denn davon?

    Riester: Das wird die Frau Dückert einbringen. Im übrigen drückt mir die Frau Dückert überhaupt keine Schweißperlen auf die Stirn. Die Frau Dückert bringt sehr qualifizierte Überlegungen ein. Es wird eine Überlegung sein neben anderen. Es ist im übrigen auch nicht neu von der Frau Dückert. Ein Bremer Sozialwissenschaftler hat diese Vorstellung vor – ich glaube – 2 ½ - 3 Monaten schon in die Diskussion eingebracht. Es werden – wenn es notwendig ist – verschiedene Überlegungen eingebracht und dann wird der Öffentlichkeit das Gesamtkonzept dargestellt, aber jetzt nicht mit Einzelpunkten.

    DLF: Und was Sie davon halten, sagen Sie uns auch noch?

    Riester: Ich kann Ihnen nur so weit sagen: Was ich für zwingend erforderlich halte an dieser Frage 'Armutssicherung' ist, daß wir nicht, wie die alte Regierung beschlossen hat, die unteren und mittleren Renten laufend unterhalb der Nettoentwicklung erhöhen. Hätten wir das nicht korrigiert, würden wir schon in diesem Jahr die Anhebung der Renten unter 50 Prozent von dem machen, wie wir es tatsächlich ab dem 1. Juli machen. Und das schiebt das Problem nachher sofort in die Sozialhilfe rein. Die Sozialhilfe, das heißt die Kommunen müßten in immer größerem Maße bei Bedürftigkeit Kleinrenten aufstocken. Das ist nur ein Verschieben des Problems und im übrigen sehr unwürdig für die Menschen. Das wäre mit mir nicht zu machen.

    DLF: Dankeschön bis hier her. Walter Riester, Arbeits- und Sozialminister. Herzlichen Dank, Herr Riester.

    Riester: Bitte schön.