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Resümee und Zukunftsaussichten der rot/grünen Bundespolitik

    Ensminger: Der Bundeskanzler zieht Bilanz des vergangenen Halbjahres und blickt auf die noch vor ihm liegenden Monate vor den nächsten Bundestagswahlen im Herbst des kommenden Jahres. Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und Fraktionschef Friedrich Merz wollen sich mit ihrer Bilanz der rot/grünen Bundespolitik heute an die Presse wenden. Wie der Koalitionspartner die vergangenen Monate sieht und was von der Regierungspolitik zu erwarten ist, das wollen wir vom Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen wissen. Schönen guten Morgen Fritz Kuhn!

    Kuhn: Guten Morgen!

    Ensminger: Herr Kuhn, hätten Sie gedacht, dass es bis zur Sommerpause noch so viel Diskussionsbedarf gibt?

    Kuhn: Es ist klar, dass es einen Haufen Themen gibt, die sehr, sehr wichtig sind. Ich glaube trotzdem, dass die rot/grüne Regierung in den allermeisten Bereichen eine sehr, sehr gute Bilanz hat. Die Bedingungen zum Beispiel für Investitionen sind durch die Steuerreform, auch durch die Rentenreform und die Haushaltskonsolidierung wesentlich verbessert worden. Ich glaube, wir würden die Konjunkturdelle, die wir gerade haben, viel schwerer durchstehen, wenn das nicht alles geschaffen worden wäre. Ich sage das deswegen, weil man ja festhalten muss, dass die Opposition, die CDU, gegen diese investitionsfördernden Maßnahmen war und auch gegen die Rentensicherung. Ich finde auch, dass wir beim Bereich Energiepolitik gerade auch aus grüner Sicht eine sehr, sehr positive Bilanz haben, weil wir richtigen Boom bei den neuen Energietechnologien geschafft haben. Man kann jetzt mit der Sonne Geld verdienen und Arbeitsplätze schaffen. Das ist schon ein positiver Teil der Bilanz.

    Ensminger: Bleiben wir mal bei der Konjunkturprognose, die das DIW jetzt erst nach unten korrigiert hat und dem Kanzler damit seitens der Union viel Kritik eingebracht hat. Trotzdem hält Schröder an der Politik der ruhigen Hand fest, will nicht einschreiten. Ist Ihrer Meinung nach abwarten die richtige Entscheidung?

    Kuhn: Abwarten ist mit Sicherheit nicht die richtige Entscheidung. Ich glaube aber auch nicht, dass dies die Haltung der Bundesregierung ist. Ich sage, die Politik der ruhigen Hand ist richtig, aber die ruhige Hand muss auch zupacken. Ich glaube, dass wir insbesondere bei der Arbeitsmarktpolitik, also bei der Frage, wie wir Arbeitslose, Dauerarbeitslose doch über Strukturveränderungen in Qualifikation und in Arbeit bringen können, noch zulegen müssen. Sie haben das in dem Beitrag auch zitiert. Wir brauchen Lohnsubventionen von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt, jedenfalls ein Stück, also eine gewisse Zeit lang. Wir müssen darüber nachdenken, wie man, wenn man in Sozialhilfe ist, doch dazuverdienen kann, damit die Grenze zwischen nicht arbeiten und arbeiten fließender wird. Ich glaube auch, dass das Thema Lohnnebenkosten und deren Höhe in der Summe für Investitionen wichtig ist. Deswegen sage ich, man muss in so einer Zeit nicht die billigen Konjunkturprogramme machen, die die CDU oder die FDP vorgeschlagen haben, aber man muss deutlich machen, dass strukturelle Reformen des Standorts Deutschland und unserer Gesellschaft weiterhin notwendig und wichtig sind.

    Ensminger: Sie haben gerade Ihren Parteikollegen Rezzo Schlauch unterstützt, der eine Forderung nach aktiverer Arbeitsmarktpolitik aufgestellt hat. Damit hat er aber auch den Bundeskanzler kritisiert. Unterstützen Sie diese Kritik ebenfalls?

    Kuhn: Ich meine, dass wir in der Koalition ganz in Ruhe auch im Zusammenhang mit dem Bündnis für Arbeit darüber sprechen sollten, was man in Verbindung mit einer aktiveren Arbeitsmarktpolitik noch tun kann. Im Herbst steht das "Job-Aktiv-Gesetz" ja auf der Tagesordnung und ich glaube, dass wir dort noch mal überlegen müssen, was wir zusätzlich tun können. Unsere Haltung von Bündnis 90/Die Grünen ist nicht, jetzt einfach mal abzuwarten und schauen, bis die Konjunktur wieder besser wird, sondern schon auf der Seite der Arbeitsmarktpolitik einzugreifen und mehr zu tun. Das wird kein Konflikt mit dem Koalitionspartner, sondern in dem üblichen konstruktiven Gespräch zu klären sein, was man dort zusätzlich noch tun kann.

    Ensminger: Glauben Sie denn, dass das Ziel, die Arbeitslosenzahl bis 2002 auf 3,5 Millionen zu drücken, überhaupt noch erreicht werden kann?

    Kuhn: Das Erreichen solcher Ziele hängt natürlich in der Summe schon von der Konjunkturentwicklung ab. Ich bin nicht so skeptisch, dass wir zum Ende des Jahres wieder eine bessere Entwicklung bekommen und fürs nächste Jahr. Die Preise sowie die Inflation sinken ja schon etwas. Da wir in der Konjunktur ja viel vom US-amerikanischen Markt abhängig sind, der sich aber wieder positiv entwickelt, muss man nicht so skeptisch sein, wie dies manche tun. Ich rate übrigens sowieso, weil Konjunktur auch immer psychologische Elemente hat, dass wir jetzt nicht wieder in das Schlechtreden des eigenen Standorts verfallen, sondern mit einem gewissen Optimismus die Dinge angehen. Dann muss man sehen, ob solche Ziele erreichbar sind, aber das hängt natürlich im wesentlichen auch von externen Faktoren ab.

    Ensminger: Kommen wir mal zur gemeinsamen Zukunft der rot/grünen Koalition. Gerhard Schröder hat sich zur Fortsetzung dieser Koalition bekannt, aber wie sicher können Sie sich dieser Zusicherung eigentlich sein?

    Kuhn: Ich gehe aus vielen Erfahrungen und Gesprächen mit dem Kanzler und führenden Sozialdemokraten davon aus, dass beide diese ökologische und soziale Reformregierung - das ist ja der Kern von rot/grün, dass man ökologische Modernisierung und wirtschaftliche Erneuerung sowie soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden will - fortsetzen wollen. Es muss natürlich im Wahlergebnis auch fortsetzbar sein. Das heißt wir brauchen eine Mehrheit. Dafür kämpfen wir. Wir werden klar machen, dass die Alternative, nämlich eine Regierung unter FDP-Beteiligung, wieder ein Rückfall in den alten Klientelismus der 16 Jahre schwarz/gelb ist. Das wollen in Deutschland die Leute glaube ich nicht mehr, weil sie wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze und Gerechtigkeit sowie ökologische Modernisierung verbinden wollen. Ich will Ihnen mal ein Beispiel sagen. Die FDP würde ja das neue Energiengesetz abschaffen wollen. Damit wäre es aus mit dem Boom bei der Sonne und das wäre schlecht für Deutschland.

    Ensminger: Also schließen Sie die Ampelkoalition aus?

    Kuhn: Davon halte ich überhaupt nichts. Das passt nicht zusammen. Ich bin dafür, dass eine rot/grüne Regierung fortgesetzt wird.

    Ensminger: Herr Kuhn, Gerhard Schröder hat Populismus vor den Sommerferien vorgeworfen bekommen, weil er gesagt hat, Kinderschänder sollen lebenslang in Sicherheitsverwahrung bleiben, was Innenminister Otto Schily jetzt auch unterstützt hat. Was halten Sie vom Populismus?

    Kuhn: Ich halte überhaupt nichts davon, dass man bei diesem schwierigen Thema in eine politische Auseinandersetzung dieser Art verfällt, ob die Meinungsäußerung von Bundeskanzler Schröder populistisch wäre oder nicht. Das hilft der Sache überhaupt nicht. Ich glaube, dass wir ganz kritisch und ruhig sowie unter Hinzuziehung der Experten, die davon wirklich im Detail etwas verstehen, die anstehenden Fragen überprüfen sollen, in welchem Sinne Therapien sinnvoll sind, was man bei Straftätern tun muss, die nicht in Therapien gehen wollen oder wo die Therapieergebnisse fraglich sind. Dann muss man rasch eine Bilanz ziehen, weil es geht ja um eines: Man muss die Eltern und die Kinder schützen. Ich glaube, bei dem Themenfeld, über das wir reden, kann dies nur mit Ruhe geschehen und mit einer vernünftigen Analyse dessen, was los ist.

    Ensminger: Vielen Dank! - Fritz Kuhn war das, Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.

    Link: Interview als RealAudio