Freitag, 29. März 2024

Archiv

Retro-Gaming
Tausendmal neu aufgelegt

Retro-Gaming – das war einmal eine Szene für Bastler, die an alten Commodore und Amiga-Rechnern herumlöteten. Seit einiger Zeit bedienen aber auch die Hersteller selbst die Nostalgie ihrer Fans – mit Neuauflagen alter Konsolen und Spiele. Was hat es mit der Sehnsucht nach der Vergangenheit auf sich?

Von Tim Baumann | 18.04.2019
Die Hauptfigur des Videospiels "Super Mario". Super Mario Bros. ist ein Jump-_n_-Run-Videospiel des japanischen Unternehmens Nintendo.
Der Klempner Mario ist schon in vielfachen Variationen aus dem Jenseits der Pixel wiederauferstanden (picture alliance / Patrick Pleul)
Mario legt sich hart in die Kurve – der Vorsprung zum stacheligen Erzrivalen Bowser ist klein, jeder gesparte Meter Strecke Gold wert. Kurz vor der Ziellinie platzt der Traum vom Sieg – ein von hinten heransausender Schildkrötenpanzer bringt unseren motorisierten Klempner aus der Spur, der Gegner zieht höhnisch lachend vorbei.
Eine Erfahrung, die inzwischen mehrere Generationen von Gamern machen durften, denn die Mario Kart-Reihe wird von Nintendo regelmäßig erweitert. Welcher der Fun Racer um Super Mario und seine Freunde aber das "Original Retro-Erlebnis" bietet, dafür gebe es kein objektives Kriterium, so Medienwissenschaftler Benjamin Beil:
"Es ist in der Tat schwierig, das Phänomen zu fassen, weil es schon mit der Frage losgeht: Was ist denn retro? Also: sind Spiele aus den 80ern retro oder aus den 90ern retro? Oder vielleicht jetzt auch aus den 2000er-, 2010er-Jahren? Das heißt, das verschiebt sich permanent."
Im Grunde gebe es für retro nur ein eher vages Kriterium – eine Ästhetik, die eindeutig der Vergangenheit angehört. Heute wäre das die Pixelgrafik der 80er und 90er-Jahre. Der Retro-Blogger Axel Teichmann hingegen definiert das Phänomen ganz individuell:
"Für mich sind Retrospiele Spiele, die mich an meine Kindheit und Jugend erinnern, die mich geprägt haben, die mittlerweile halt obsolet sind, weil die werden nicht mehr verkauft."
Schwelgen in Nostalgie
Neben dem Schwelgen in Nostalgie gebe es aber auch andere gute Gründe, sich alten Spielen zuzuwenden: Aktuelle Titel wie das opulente Open World-Spiel "Red Dead Redemption 2" haben für ihn nämlich nicht nur positive Seiten:
"Manche Spiele sind halt auch durchaus so umfassend, dass ich schon glaube, dass das gewisse Spieler auch abschreckt, der Umfang, dass es ja fast schon wirkt für manche wie Arbeit und nicht mehr nur wie Spielspaß."
Retrotitel hingegen könnten auch heute noch in kürzester Zeit begeistern.
"Ich habe das auch auf Ausstellungen und Messen immer wieder gesehen, nehmen wir mal das Beispiel Pong."
Die Besucher hätten dort gerade einmal eine Viertelstunde zum Spielen des 1972 erschienenen Pixel-Tennis-Spiels gehabt...
"...und sind mit einem Grinsen im Gesicht gegangen. Und mit ganz minimalistischer technischer Umsetzung doch so viel Spielspaß zu produzieren ist faszinierend."
Ein mobiler Markt für Arcade-Spiele
Dass die Spieleindustrie derzeit auf retro setzt, das sieht der Kölner Medienwissenschaftler Benjamin Beil aber nicht nur als Zugeständnis an die Nostalgie – vielmehr hätten die Entwickler erkannt...
"...dass es auf einmal mit Mobile Gaming, mit Gaming auf Smartphones, wieder einen Markt für Arcade-Spiele gibt."
Die Entwicklung des Smartphones als Spielemedium stieß bei Fans der Diablo-Reihe allerdings auf wenig Gegenliebe, als Chefdesigner Wyatt Cheng für den Release von "Diablo Immortal" ankündigte, dass es keine PC-Version geben werde. "Diablo Immortal" wird nur fürs Smartphone erscheinen.
Für die PC-Spieler war das wohl nur ein erster Vorgeschmack auf eine Zeit, in der klassische Heimrechner ein Retro-Accessoire sein werden. Viel weniger innovationsfreundlich hat sich Spieleentwickler Blizzard indes gezeigt, als er für dieses Jahr eine Reforged-Edition für den Strategiespielklassiker "Warcraft III" von 2002 ankündigte – anstelle eines langersehnten vierten Teils der Reihe.
Großer Nutzen für die Gesellschaft
Dem kann man durchaus kritisch gegenüberstehen – denn Wiederveröffentlichungen und Portierungen sind für Spielentwickler in der Regel mit geringem Arbeitsaufwand und hohem Profit verbunden. Dennoch sieht Retro-Fan Axel Teichmann in diesem Aufwärmen alter Spiele auch einen großen Nutzen für die Gesellschaft:
"Denn wenn es keine Systeme mehr gibt, auf denen die Spiele laufen, dann ist der kulturelle Beitrag, den das Spiel geliefert hat – und das hat ja mitunter auch ganze Generationen geprägt! - ja natürlich dann verloren."
Selbst wenn aber einzelne Spiele ganz aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden – das Erbe der Klassiker wird von der florierenden Indie-Game-Szene weitergetragen, die in Spielen wie "Super Meat Boy" oder "Terraria" die Pixelgrafik vergangener Tage mit cleveren Spielideen kombinieren – und es manchmal schaffen, ihre Retrovorbilder trotz des gemeinsamen Looks ganz schön alt aussehen zu lassen.