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Revolution im Vorort

Die nördlichen Vororte von Paris waren lang triste Orte großer Hoffnungslosigkeit und Abends sogar gefährlich. Doch die Kommunen arbeiten an der Resozialisierung. Unternehmen wurden wieder angesiedelt, Bibliotheken sind wieder geöffnet - ein Lichtblick für die Problemviertel.

Von Ursula Welter | 21.11.2011
    Patrick Braouezec ist ein Schlachtross, manche nennen ihn einen linken Rebellen, den kommunistischen Lokalpolitiker, Braouezec ist eine Institution in den Vororten nördlich von Paris. Bürgermeister von Saint-Denis, Abgeordneter des Departements Seine-Saint-Denis in der Nationalversammlung, Braouezec, der Bretone, ist sturmerprobt - an diesem Morgen spricht er als Präsident des Kommunalverbandes "Plaine Commune", vor ihm ein gewaltiges Modell der acht Pariser Vorstädte:

    "Was Sie hier sehen, war einst das größte Industriebecken Europas, etwa wie das Ruhrgebiet und nicht weniger geschunden durch die Deindustrialisierung."

    Alle sind damals gegangen, Maschinenbauer, Chemie, Metall verarbeitende Betriebe, Autofirmen, so war das, sagt Braouezec, ein Trauma für die Wirtschaft, ein Trauma für die Menschen hier im Norden der französischen Hauptstadt. Kein Wunder, dass hier die Armut besonders groß, die Arbeitslosigkeit lange besonders hoch war.
    Aber nicht dieser Niedergang ist Braouezecs Thema. Die Erfolge der letzten Jahre treiben ihn um, ihn und den Kommunalverband, der eigens geschaffen wurde, um die Gegend wieder nach vorne zu bringen. Anfang der neunziger Jahre haben die acht Gemeinden ihre Kompetenzen gebündelt, auch das Geld, und Projekte an Land gezogen. Am Anfang stand das große Stadion, Stade de France. Wir wurden gefragt, wollt Ihr das bei Euch haben, das Fußball- und Rugbystadion, zur Weltmeisterschaft '98?

    "Wir haben zunächst weder Ja noch Nein gesagt, wir haben Bedingungen gestellt. Abdeckung der Autobahn, die die Gegend hier so brutal durchschnitten hatte, und zwei neue Bahnhöfe. Das war der Anfang. Das Stadion wurde gebaut, die Leute waren stolz, darauf ließ sich aufbauen."

    Heute – gut zehn Jahre später – sind 28.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Nach und nach kommen die Unternehmen in den Norden von Paris, hier ist Platz zum Bauen, hier sind die Quadratmeterpreise niedriger, die digitale Welt vor allem hat sich für die Gegend entschieden:

    An allen Orten Baustellen, eine große Telefongesellschaft hat gerade ihren Grundstein gelegt, 8500 Arbeitsplätze wird allein das bringen. Wenige Hundert Meter entfernt entstehen die Film-Studios von Star-Regisseur Luc Besson, alles noch recht geheim, auf dem Gelände ist Fotografieren verboten, aber einen Blick auf die prächtigen Rohbauten ist schon möglich.

    In wenigen Monaten wird Luc Besson hier die "Cité de Cinéma" eröffnen, eines der größten europäischen Filmstudios, auch das ein Prestigegewinn für die Vorstädte von Paris. Hochschulen, Nationalarchiv, Theaterbühnen, Großflächen für Künstler – all das gibt es bereits.

    Die Gegend rund um die Kathedrale mit den Sarkophagen der französischen Könige boomt, auch deutsche Investoren erzählen, dass sich die Ansiedlung hier für sie gelohnt habe. Die Gegend hat ihr Gesicht an vielen Stellen markant verändert, moderne Bürobauten, propre Straßenzüge – aber es gibt nach wie vor die anderen Ecken, die, in denen die Armut nach wie vor mit Händen zu greifen ist. Sind die brennenden Vorstädte also wirklich Vergangenheit? Patrick Braouezec, der Präsident des kommunalen Entwicklungsverbandes sagt, "Nein", noch nicht. Die Gegend sei immer Einwanderungsland gewesen, beim Pro-Kopf Einkommen liege sie an der vorletzten Stelle in ganz Frankreich, die schwache Bevölkerung lebe hier:

    Aber genau um die gehe es bei diesem Projekt, das sich seit zehn Jahren entfaltet. Restrukturierung am Rande der großen Städte, das habe immer Verdrängung geheißen. Hier, nördlich von Paris, laufe das anders. Mit den Firmen werden deshalb Verträge geschlossen, damit sie auch Leute aus der direkten Umgebung ausbilden und beschäftigen. Und jedes Unternehmen, das sich ansiedele, schaffe indirekt weitere Arbeitsplätze.

    Hausmeister, Reinigungskräfte, Arbeitsplätze in der Gastronomie – all das komme - und wenn nur einer von zehn Arbeitslosen erzähle, er habe einen Job gefunden, bringe das Schwung für die anderen, ist der Kommunalpolitiker überzeugt.

    Finanzkrise in der Hauptstadt und Aufbruchsstimmung direkt hinter der Stadtgrenze? Wie passt das zusammen und kann das gut gehen, werden wirklich alle Schienen verlegt, die zur besseren Verkehrs-Anbindung der Gegend noch geplant sind, wird alles Geld fließen? Die Frontleute des Kommunalverbandes sind allesamt optimistisch: 8000 Euro koste der Quadratmeter in Paris. In Saint-Denis, wenige Hundert Meter Luftlinie weiter nördlich, seien es nur 3500 Euro - das sei ein wichtiges Argument. Vor allem aber wachse das Selbstbewusstsein der Region, eines ziehe das andere nach sich, auch deshalb, sagt der sturmerfahrene Patrick Braouezec , sei der Aufschwung für die nördlichen Vorstädte von Paris unumkehrbar.