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Rheinisches Braunkohlerevier
Ein Gotteshaus weicht dem Tagebau

Im Tagebaudorf Manheim im Rheinischen Braunkohlerevier muss die katholische Kirche St. Albanus und Leonhardus den Braunkohlebaggern weichen - wie der Rest des Ortes. Zwar hatte sich die Kohlekommission für einen Erhalt des Hambacher Forstes ausgesprochen, doch für die umliegenden Dörfer kommt diese Hilfe zu spät.

Von Vivien Leue | 20.05.2019
Innenraum der Kirche St. Albanus und Leonhardus in Manheim
Die Kirche St. Albanus und Leonhardus in Manheim wird abgerissen - Reliquien wie der Altar, die Fenster oder der Taufstein sollen in der neuen Kirche eingesetzt werden (Deutschlandradio / Vivien Leue)
Es ist ein bizarres Bild. Vor dem Eingang der Kirche St. Albanus und Leonhardus in Manheim bei Kerpen stehen Dutzende Menschen in der warmen Nachmittagssonne beisammen, schick gemacht für die Messe, die gleich beginnt. Auf der Straße vor der Kirche ein ganz anderes Bild: Hier stehen Polizeihundertschaften und etwa 150 Demonstranten.
Die Protestierenden halten Transparente hoch, auf denen steht: "Ich schäme mich für meine Kirche".
Denn der Gottesdienst, der gleich beginnt, ist kein gewöhnlicher Gottesdienst. Es ist der letzte, der in dieser Kirche gefeiert wird.
"Jetzt ist endgültig Schluss. Das absolute Ende."
Eine Frau im Rentenalter steht vor dem Kirchentor und blickt wehmütig auf das 120 Jahre alte Gebäude. Die Kirche muss dem Tagebau weichen, auch wenn noch nicht klar ist, wann genau sie abgerissen wird.
"So, und jetzt läutet es noch ein letztes Mal, das wollten wir ja noch erleben. Ist schon alles sehr traurig. Aber wir können es nicht ändern."
Ihr Mann streichelt ihr den Arm. Ein paar Schritte weiter steht ein Mann, der alte Bekannte begrüßt.
"Wenn die Kirche entweiht wird und das Dorf stirbt schon langsam, dann ist das wie der Stich ins Herz."
Hambacher Forst könnte bleiben, aber die Kirche soll weichen
Manheim, der Ort, in dem diese Kirche steht, liegt tatsächlich schon lange im Sterben. Seit 2011 ist klar, dass das einstige 1.600-Seelen-Dorf dem Tagebau Hambach weichen muss, ein Jahr später begann die Umsiedlung – in den eigens dafür errichteten Ort Manheim-neu, zehn Autominuten entfernt. 2018 lebten nur noch etwa 180 Menschen im alten Manheim, viele Häuser sind schon abgerissen.
Seit aber die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission Anfang des Jahres ihre Vorschläge zum Braunkohle-Ausstieg vorgelegt hat, ist plötzlich unklar, ob dieses Dorf wirklich abgerissen werden muss. Denn neben der Empfehlung, weitaus früher aus der Braunkohle auszusteigen, heißt es in dem Vorschlag: Es sei wünschenswert, dass der Hambacher Wald stehen bleibe. Und der liegt sogar noch etwas näher am Tagebau als der Ort Manheim.
Menschen versammeln sich zur letzten Messe in der Kirche in Manheim - Demonstranten protestieren gegen den baldigen Abriss
Die Demonstranten hätten sich eine klare Position der Kirche gegen den Abriss gewünscht (Deutschlandradio / Vivien Leue)
Deshalb kritisieren die Aktivisten vor der Kirche, dass dieser Wunsch hier in Manheim bisher keinerlei Konsequenzen hatte.
"Ich bin sehr traurig, dass die Kirche hier entweiht wird, weil RWE scheinbar hier vorhat, weiter alles abzureißen."
"Man muss sich mal vorstellen, wie viel Macht die Kirche hat. Es wäre total wichtig, da Position zu beziehen."
Viele Demonstranten hätten sich das gewünscht: dass die katholische Kirche ein Zeichen gesetzt hätte, nach dem Motto: Seht her, wir bleiben. Wir stellen uns gegen den Braunkohle-Abbau und die damit verbundene Zerstörung der Dörfer.
Kirche im umgesiedelten Ort muss erst noch gebaut werden
In der Kirche St. Albanus und Leonhardus hat mittlerweile der Gottesdienst begonnen. Statt einer Predigt lässt der Pfarrer Gemeindemitglieder sprechen. Sie erzählen, was sie mit dieser Kirche verbindet.
"Es war mir sehr schwer, Abschied zu nehmen. Aber überall ist Gott, überall ist Kirche", sagt diese Frau und spricht dann die Proteste an.
"Meine lieben Menschen, warum denn noch. Warum muss denn dieser Zirkus nicht zu Ende werden."
So empfinden es einige hier. Zwar tut der Abschied weh und als am Ende der zweistündigen Messe die Reliquien wie das ewige Licht entfernt und der Altar geräumt werden, fließen auf den Kirchenbänken viele Tränen. Aber: Die Manheimer haben schon lange vor diesem Tag Abschied genommen von ihrem Dorf, wie diese Manheimer nach der Messe erzählen:
"Es war sehr emotional. Gerade zum Schluss, wie die Reliquien entnommen wurden, war es schon sehr traurig. Gut, wir sehen nach vorne, es muss weiter gehen. Wir machen am neuen Ort weiter."
Viele Reliquien, wie der Altar, die Fenster oder der Taufstein will die Kirchengemeinde in der neuen Kapelle aufstellen, die in Manheim-neu noch gebaut werden muss.
"So ein Gotteshaus stehen lassen … immer das, was nicht genutzt wird, das zerfällt und geht kaputt. Also daher ist das nicht sinnvoll, so eine Forderung dieser Leute, dass diese Kirche hier bestehen bleibt."
Der Kohle-Kompromiss, der Protest, die öffentliche Aufmerksamkeit, all das kommt für Manheim vielleicht einfach zu spät.
"Ist einfach eine endgültige Sache jetzt, ne?"