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Rheinromantik und Judenpogrome

Heinrich Heine (1797-1856) hat mit seinem berühmten Gedicht von der Loreley das romantisch verklärte Bild des Rheins und seiner Landschaft nachhaltig mitgeprägt. Mit seinem Roman "Der Rabbi von Bacharach" hat er auch an die besondere jüdische Geschichte am Rhein erinnert.

Von Kirsten Serup-Bilfeldt | 11.10.2013
    "Man sagt ja immer, das Jahr 1802, als Clemens Brentano und Achim von Arnim ihre Rheinfahrt unternommen haben und auf dieser Fahrt dann Märchen, Sagen, Lieder, Geschichten vom Rhein gesammelt haben, das sei so eine Art Geburtsstunde der Rheinromantik. Von da ausgehend hat sich das dann relativ schnell zu einem breiten Strom von Texten, Bildern, Geschichten, Musik entwickelt, die sich natürlich dann in zunehmendem Maße trivialisiert haben."

    Der Dichter Heinrich Heine hat, darauf weist Bernd Kortländer, stellvertretender Direktor des Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf hin, mit seinem berühmten Loreley-Gedicht das romantische Bild des Rheins ganz wesentlich mitgeprägt. Des deutschen Rheins, wie Kortländer betont:

    "Ein deutsches Arkadien, eine deutsche zentrale poetische Landschaft. Und damit verband sich immer auch eine Art nationaler Impetus; es sollte dadurch natürlich eine Art deutsche Identifikationslandschaft geschaffen werden – etwas, was es eben nicht gab. Deutschland gab es politisch nicht zu dieser Zeit; es gab eine Ansammlung von 36 selbstständigen politischen Einheiten, die nur durch Sprache und Kultur zusammengehalten wurden. Und dieser Versuch, die Einheit Deutschlands zu symbolisieren, das war dann die Rheinlandschaft. Das Herz Deutschlands sollte dort schlagen."

    Doch hier schlug auch das Herz der deutschen Juden. An den Ufern des Rheins siedelten Juden schon in römischer Zeit und ihr Schicksal hier ist ein Spiegel ihrer vielhundertjährigen Geschichte in Europa.

    Und so schreibt der Rheinländer Heinrich Heine, 1797 in Düsseldorf geboren, im Jahr 1840 einen historischen Roman, der an den Ufern des Rheins spielt. Er nennt ihn "Der Rabbi von Bacharach" und kontrastiert darin die liebliche Rheinlandschaft mit einer schauerlichen Begebenheit des 15. Jahrhunderts:

    "Natürlich war ihm klar, wie diese Landschaft aufgeladen war, durch christliche und nationale Elemente bestimmt war, und er versuchte jetzt, die Geschichte der deutschen Judenschaft am Beispiel einer jüdischen Gemeinde in Bacharach am Rhein zu beschreiben."

    Die Erzählung beginnt mit dem festlichen Sederabend, dem Vorabend des Pessachfestes im Haus des Rabbiners Abraham und seiner Frau Sara:

    "Im ersten Kapitel sitzt man dann zusammen mit den Ritualen, die dazu vorgeschrieben sind, mit der Lektüre der Haggadah. Man ist freundlicher und sehr aufgeheiterter Stimmung."

    Der zweite Becher war schon eingeschenkt, die Gesichter und Stimmen wurden immer heller, da öffnete sich die Türe und herein traten zwei große blasse Männer in sehr weite Mäntel gehüllt, und der eine sprach: "Friede sei mit euch. Wir sind reisende Glaubensgenossen und wünschen das Passiahfest mit euch zu feiern." Und der Rabbi antwortete rasch und freundlich: "Mit Euch sei Frieden. Setzt euch nieder in meiner Nähe"

    Eine verhängnisvolle Entscheidung, denn nun nimmt das Schicksal seinen Lauf. Die beiden Fremden nämlich haben unter ihren Mänteln eine Kinderleiche verborgen, die sie heimlich unter den Tisch legen, um so dem Rabbiner und seinen Glaubensgenossen einen Mord unterzuschieben.
    Hier greift Heine die alte Ritualmordlegende des Knaben Werner von Bacharach auf, dessen übel zugerichtete Leiche 1287 im Rhein angeschwemmt wurde und für dessen Ermordung man die jüdische Gemeinde verantwortlich machte. Diese alte Ritualmordverleumdung verknüpft er jetzt mit seinem Roman, in dem er den Schrecken und die Todesangst des Rabbiners schildert, als der als Einziger das untergeschobene tote Kind entdeckt:

    "Der Rabbi weiß in dem Moment: Das ist das Ende der Gemeinde. Das wird dazu führen, dass wir alle umgebracht werden. Er steht auf, ruft seine Frau, nimmt sie an der Hand und ohne auch nur rechts und links zu gucken, stürzt er aus dem Haus in die dunkle Nacht in Richtung Bingen davon."

    Bei der Fluchtgeschichte des Rabbiners, die später im Getto von Frankfurt endet, spitzt sich das Thema "Rheinromantik" zu, wird die Todesangst der Fliehenden immer wieder mit der Schönheit und dem nächtlichen Frieden der Rheinlandschaft kontrastiert:

    Es war eine jener Frühlingsnächte, die zwar lau genug und hell gestirnt sind, aber dennoch die Seele mit seltsamen Schauern erfüllt. Leichenhaft dufteten die Blumen... der Mond warf heimtückisch gelbe Streiflichter über den dunkel hinmurmelnden Strom... Der Turmwächter auf Burg Stahleck blies eine melancholische Weise und dazwischen läutete das Sterbeglöckchen der Sankt-Werners-Kirche.

    "Die Vermischung von rheinisch-deutscher und jüdischer Tradition zu einer Einheit unter dem Signum des Rheins: 'Es war, als murmelte der Rhein die Melodien der Haggadah und die Bilder derselben stiegen daraus hervor – lebensgroß und verzerrt'. Also, der Rhein, der deutscheste aller Flüsse, singt die jüdischen Gesänge. Das ist der Versuch, diese beiden Traditionen auch hier zu überblenden."

    Wobei Heine ganz deutlich macht: der von Burgen umsäumte Fluss, die Ruine der gotischen Werner-Kapelle sind "schön" und "romantisch" – allerdings nur für den, der die Hintergründe nicht kennt. Denn hinter den mächtigen Monumenten deutscher Vergangenheit verbirgt sich der ganz alte Judenhass. Zu Ehren des angeblichen Ritualmordopfers Werner von Bacharach wurden am Rhein unzählige Juden verfolgt, misshandelt und getötet, und so ist Heines Werk immer auch eine Aufforderung zum kritischen Blick hinter die romantische Rheinkulisse.

    Im "Rabbi von Bacharach", so Bernd Kortländer, mache Heine die Unmöglichkeit jüdischen Lebens am Rhein zum kritischen Maßstab, an dem sich der romantische Blick auf Strom und Landschaft messen lassen müsse. Ein Vorfall aus Damaskus, der sich 1840 zutrug und von dem Heine Kenntnis bekam, mag ihn zusätzlich beeinflusst haben:

    "Das dritte Kapitel hat er dann geschrieben gerade unter dem Eindruck eines solchen Ritualmordvorwurfs: 1840 im Sommer waren in Damaskus zwei Mönche umgebracht worden und die Leichen in der Kanalisation gefunden. Das wurde sofort von den örtlichen Behörden den Juden in die Schuhe geschoben und – was Heine besonders empörte – einige christliche Gesandtschaften, vor allem die französische, haben sich diesen Vorwürfen mehr oder weniger angeschlossen. Das führte zu einem Aufschrei in Paris und Heine hat dazu mehrfach auch in der deutschen Presse Stellung genommen."

    Natürlich spielen hier auch autobiografische Aspekte hinein: Heines Verwurzelung im Judentum, dann die langsame Ablösung – 1825 hatte er sich taufen lassen, um das "Entreebillett" in die Gesellschaft zu erlangen und – zum Schluss die bittere Erkenntnis:

    Der Jude wird nie abzuwaschen sein.

    "Das war Heine ja klar, dass dieser Traum von einer Verschmelzung von Deutschem und Jüdischem eine Illusion war, weil der herrschende Antisemitismus so stark war, dass dagegen nicht anzukommen war."

    Der "Rabbi von Bacharach" sei, so der Literaturwissenschaftler Jost Hermand die Geschichte des in der Diaspora verfolgten und sich emanzipierenden Judentums par excellence:

    "Sie spielt zwar im Jahr 1489, aber sie spielt zugleich in den folgenden Jahrhunderten, wenn nicht gar in Heines eigener Zeit. Sie zeigt nur allzu deutlich, dass die Juden in der Diaspora seit Jahrhunderten der Ungleichzeitigkeit von Unterdrückung und Emanzipation ausgesetzt waren und deshalb ihre Geschichte immer wieder aufs Neue durchleben mussten."