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Rhetorik in der Flüchtlingsdebatte
"Gegenseitiges Diffamieren ist nicht der Weg"

Die Schriftstellerin Juli Zeh hat einen sachlichen Ton in der Flüchtlingsdebatte angemahnt. Beschimpfungen wie "Pack" oder "Dunkeldeutschland" würden nur weitere Aggressionen schüren, sagte sie im DLF. Krawallmacher müsse man strafrechtlich verfolgen, sie aber nicht öffentlich diffamieren.

Juli Zeh im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.08.2015
    Die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh in einer Talkshow.
    Juli Zeh verlangt weniger Emotionen in der Flüchtlingsdebatte. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Zeh forderte von der Politik mehr Zurückhaltung in der Flüchtlingsdebatte. "Das gegenseitige Diffamieren ist nicht der Weg, weil man dadurch nur immer weiter Aggressionen schürt", sagte sie im DLF. Konkret bezog sie sich auf die Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck und SPD-Chef Sigmar Gabriel. "Mir wäre es lieber, man würde das Problem sachlicher betrachten."
    Die Emotionalität müsse möglichst aus der Sprache genommen werden. Manche Formulierungen seien ein Teil des Problems, wie Deutschland mit Flüchtlingen umgehe. Zugleich betonte Zeh: "Es ist unsere moralische und rechtliche Pflicht, Menschen zu helfen." Eine Bedrohung durch Flüchtlinge gebe es überhaupt nicht.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, der stellt schon klar: Er fährt trotzdem nach Heidenau, obwohl ab heute Mittag ein Versammlungsverbot in dem sächsischen Ort gilt und auch das Willkommensfest für Flüchtlinge gestrichen ist.
    Wir bleiben bei der Diskussion um steigende Flüchtlingszahlen, um die jüngsten rechtsextremen Krawalle, und wir wollen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Debatte schauen und jetzt erst mal auf eine Vokabel, nämlich auf das Wort "Dunkeldeutschland". Das war einmal eine verächtliche Bezeichnung für die DDR, nach der Wiedervereinigung auch für die neuen Bundesländer. "Dunkeldeutschland" - das Wort war 1994 Kandidat für das Unwort des Jahres. Und gestern stand das Wort "Dunkeldeutschland" auf den Titelseiten der meisten großen Zeitungen. Bundespräsident Joachim Gauck hat sich an das Wort erinnert und jetzt in einen anderen Zusammenhang gestellt. Er meint mit "Dunkeldeutschland" die rechtsextremen Ausfälle gegenüber Flüchtlingen und stellt sie in Kontrast zu einem, wie er sagt, hellen Deutschland, und damit meint er das Engagement und die Hilfsbereitschaft für die Asylsuchenden.
    Die Schriftstellerin Juli Zeh habe ich vor der Sendung gefragt, wie glücklich sie diese Metapher "Dunkeldeutschland" in diesem Fall findet.
    Juli Zeh: Als ich das im Radio gehört habe, bin ich regelrecht ein bisschen zusammengezuckt, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass Gauck das absichtlich in dieser Zweideutigkeit verwendet. Was er eigentlich sagen will ist: Da kommen die dunklen Seiten der deutschen Seele ans Tageslicht. Aber Dunkeldeutschland ist nun mal ein Begriff, der ist mit der DDR und mit der Ex-DDR verbunden, und das würde ja so ein bisschen implizieren, er wollte sagen, das sei vor allem ein ostdeutsches Problem, und so schätze ich den Präsidenten eigentlich nicht ein, dass er jetzt quasi wieder Sündenböcke sucht, indem er eine neue Spaltung zwischen Ost und West aufmacht und sagt, hier im Osten leben die ganzen Fremdenfeinde und im Westen sind dann die Guten, das ist dann das helle Deutschland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das so gemeint hat. Deswegen bin ich, ehrlich gesagt, ein bisschen erschrocken.
    "Das ist mir alls zu verschwurbelt"
    Schulz: Das wäre in der Tat eine Neuigkeit, wenn der Bundespräsident das so gemeint haben sollte. Aber insgesamt diese Metapher, mit hell und dunkel zu arbeiten in einer Diskussion, in der wir über Flüchtlinge sprechen, finden Sie das glücklich?
    Zeh: Mir ist das alles so ein bisschen zu dräuend. Wir müssen einfach ein bisschen da unsere Rhetorik, glaube ich, ins rechte Licht rücken. Dunkel und hell sind auch Begriffe, die wir einerseits für Hautfarben verwenden. Da kann man ganz schnell auch was mit implizieren, was man eigentlich meint. Zum anderen hat das so ein bisschen eine romantische Attitüde von Tag und Nacht, von so einer Art schizophrenen Betrachtung des Menschen.
    Der Mensch hat eine Tagseite und eine Nachtseite und auf der Nachtseite wohnen dann die Dämonen, die irgendwie rauskriechen. Das ist mir alles viel zu verschwurbelt.
    Mir wäre es lieber, man würde das Problem sachlicher betrachten und auch auf diese sachliche Weise darüber sprechen, weil wir müssen schon wissen, hier herrschen viele Ängste in der Bevölkerung und auch viele Unklarheiten, und je mehr rhetorisch geschwurbelt wird, desto mehr bedient man einfach auch diese Empfindlichkeiten.
    "Gegenseitiges Diffamieren ist nicht der Weg"
    Schulz: Ganz unschwurbelig war ja der SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der spricht von den Krawallmachern als Pack. Die Kanzlerin, die hat die Proteste in dieser Woche abstoßend und beschämend genannt. Ist die Rhetorik in dieser Flüchtlingsdiskussion, ist die jetzt ein Teil des Problems oder Teil der Lösung?
    Zeh: Teil der Lösung kann ich da bislang nicht sehen, weil so sehr es einerseits ja auch immer erfrischend und befreiend ist, wenn einer mal so ein klares Wort spricht, Pack oder so, dann haut man auch wieder auf den Tisch und denkt, endlich sagt es mal einer. Man muss aber sich klar machen, dass die Leute, über die Gabriel da spricht, wiederum die Flüchtlinge als Pack bezeichnen würden. Das ist genau die Rhetorik von Leuten, deren Tun und Denken wir jetzt eigentlich ja nicht gutheißen, und wenn man quasi das gleiche Vokabular benutzt und jetzt sagt, na jetzt sind aber die Fremdenfeinde das Pack, weil die die Ausländer als Pack bezeichnen, weiß man hinterher eigentlich gar nicht mehr so richtig, wer jetzt wen beschimpft, und ich finde einfach, dieses gegenseitige Diffamieren ist nicht der Weg, weil man dadurch nur immer weiter Aggressionen schürt und die Rhetorik und der Diskurs müssten alles daran setzen, eine Sprachregelung klingt zu streng, aber ein Sprachverhalten zu finden, was eher dazu beiträgt, die Sache als ein politisches tatsächliches Problem zu zeichnen und nicht so sehr als was Psychologisches, als was Paranoides.
    Wir müssen es als eine Realität betrachten, mit der wir umgehen, und wenn jemand "Krawall" macht, dann kann es sein, dass das Kriminelle sind. Dann muss man die strafrechtlich verfolgen und man muss die auch so behandeln. Aber man muss sie nicht öffentlich dann wiederum diffamieren.
    "Das ganze Thema ist hoch emotional"
    Schulz: Aber das würde ja auch bedeuten, dass in dieser Diskussion Emotionen überhaupt keinen Platz haben. Ist das realistisch?
    Zeh: Das ist eben gerade der Punkt. Dieses ganze Thema ist so hoch, so höchst emotional, dass man meines Erachtens gut daran tut, aus dem sprachlichen Umgang, aus dem sprachlichen Zugriff dieses Emotionale wenn möglich rauszuhalten. Weil wir Menschen sind nun mal Wesen: Wenn wir von unseren Emotionen gepackt werden, dann sind wir schwerlich in der Lage, noch vernünftige Entscheidungen zu treffen.
    Die Fremdenfeindlichkeit an sich, das Grundgefühl, dass uns in Europa von außen irgendwelche Flüchtlingshorden bedrohen, die jetzt wie eine Sintflut über uns schwappen werden und uns alle wegspülen - das ist ja das Gefühl -, das ist schon hoch irrational und eine völlig emotionale Angelegenheit, was nichts mit den Tatsachen zu tun hat. Und wenn wir weiter auf dieser Welle surfen, machen wir das eben schlimmer.
    "Niemand stirbt daran, wenn er ein Flüchtlingsheim in seiner Nachbarschaft hat"
    Schulz: Jetzt setzen Sie selbst diese Wasser-Metaphorik fort: Flüchtlingsströme, die Menschen haben Angst, wird immer wieder gesagt, dass alle Dämme brechen. Aber sind wirklich Formulierungen das Problem?
    Zeh: Formulierungen sind ein Teil nicht des Flüchtlingsproblems, sondern ein Teil des Problems, wie wir mit diesen Flüchtlingen umgehen. Wenn wir so darüber sprechen, dass Menschen den Eindruck bekommen, es stünden tatsächlich die dunklen Horden vor der Tür in Form von Wogen oder in Form von, wer ganz böse Rhetorik benutzt, manchmal auch Metaphern aus der Parasitologie, irgendwelche Ungeziefer würden bei uns eindringen, Parasiten würden uns befallen, wenn wir auf so eine Weise darüber sprechen, werden wir uns immer, immer schwerer tun, sachliche Lösungen zu finden, weil dann ist nämlich irgendwann gar niemand mehr bereit, für eine Flüchtlingsunterkunft zu stimmen und die Sachen einfach so zu sehen, wie sie sind. Es gibt Flüchtlinge, es ist unsere moralische und rechtliche Pflicht, diesen Flüchtlingen zu helfen, und wir können das auch.
    Das ist nicht schlimm. Niemand stirbt davon, wenn er ein Flüchtlingsheim in seiner Nachbarschaft hat, und diese Menschen werden uns keinesfalls die Butter vom Brot nehmen. Es gibt diese Bedrohung überhaupt nicht und das muss man erst mal vermitteln, damit man dann sachlich damit umgehen kann. Solange diese Angstrhetorik herrscht, ist es schwierig, die Leute zum Mitmachen zu bewegen.
    "Wir müssen Wörter auf die Goldwaage legen"
    Schulz: Aber wer benutzt denn, vielleicht mal abgesehen von der rechtspopulistischen AfD, wer benutzt denn solche Rhetorik?
    Zeh: Zum Teil unabsichtlich fließt das auch außerhalb der Rechtspopulisten in den Diskurs mit ein. Sie selbst haben gerade dieses Wort "Flüchtlingsströme" zitiert. Das ist jetzt ein Wort, das finden wir auch bei der normalen Medienberichterstattung. Ein Journalist oder ein Redakteur, der dieses Wort benutzt, will jetzt überhaupt nicht Angst schüren und der merkt das vielleicht gar nicht, der denkt da gar nicht drüber nach. Aber ein Flüchtlingsstrom, wenn wir uns das bildlich vorstellen, dann sehen wir sofort eine Straße, auf der sind Millionen von Menschen, bewegen sich strömend in eine Richtung. Das ist es, was wir sehen. Das ist, was dieses Wort evoziert.
    Wir müssen da einfach tatsächlich die Wörter auf die Goldwaage legen. Es geht mir jetzt nicht um so eine abstrakte Political Correctness, sondern es geht einfach darum, dass wir uns klarmachen, dass wir schon jahrzehntelang, nicht erst seit einigen Wochen mit diesem Problem rhetorisch falsch umgehen, und wir erleben jetzt gerade, was das bedeutet und was daraus resultiert, nämlich die fehlende Bereitschaft, die fehlende Fähigkeit der Menschen im Land, mit dem Problem fertig zu werden, weil sie rhetorisch schon völlig falsch darauf vorbereitet worden sind.
    "Diese Art der Metaphorik ist nicht sachlich"
    Schulz: Aber gerade diese Political Correctness oder die Forderung nach einer Political Correctness, die werfen uns - das sind die Reaktionen, die wir von vielen Hörern bekommen - die Hörer gerade auch vor. Da wird gesagt, es müssten die Flüchtlinge begrüßt werden und da würden gar keine anderen Meinungen daneben geduldet werden, was natürlich dann auch Vorbehalte durchaus wieder schürt und dazu führt, dass sich auch Menschen vom Rechtsstaat abwenden. Die Sorge haben Sie nicht?
    Zeh: Es ist eine schwierige Diskussion, beziehungsweise es ist eine scharfe Keule, wiederum zu sagen, man dürfte ja in Deutschland nicht mehr dieses und das sagen, die Political Correctness würde einen ja mundtot machen. Das sagen gerne Leute oder behaupten gerne Leute, die eine Meinung vertreten, die in Deutschland Gott sei Dank nicht mehrheitsfähig ist, nach wie vor nicht. Das ist aber nicht wahr. Man darf in Deutschland alles sagen. Man darf Flüchtlingsströme sagen, man darf auch Pack sagen, man darf auch sagen, schmeißt die Ausländer raus. Das ist weder strafrechtlich verboten, noch wird man verfolgt oder sonst wie bestraft, wenn man so spricht.
    Wir haben die Meinungsfreiheit, das ist erlaubt, wir machen solche Leute nicht mundtot. Sondern worum es geht ist einfach, dass die Menschen, die die Mehrheitsmeinung vertreten - und die Mehrheitsmeinung ist nach wie vor die, dass politisch Verfolgte, die in Not sind, bei uns willkommen sind. Das ist unsere Kultur, so wollen wir das haben. Und wenn wir das jetzt vermitteln wollen und das politisch umsetzen wollen, dann müssen wir einfach aufpassen, wie wir das darstellen.
    Wenn wir versehentlich mit unserem Sprechen über das Problem, ich sage jetzt mal, auf die andere Seite diffundieren, indem wir von der "Festung Europa" reden und von "Flüchtlingsströmen" und von "brechenden Dämmen" - das machen die Medien halt gerne, wenn sie skandalmäßig berichten wollen, wenn sie Aufmerksamkeit und Schlagzeilen wollen; dann schreiben die solche Sätze -, dann geht es nicht mehr um Political Correctness oder was man sagen darf, sondern es geht einfach um die Frage, was ist vernünftiges sachliches Sprechen, und diese Art der Metaphorik ist eben nicht sachlich.
    Schulz: ... sagt die Schriftstellerin Juli Zeh hier bei uns im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.