Archiv


Richard von Weizsäcker: Sicherheit ist globale Aufgabe

Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat den Vorschlag der Union zur Schaffung eines nationalen Sicherheitsrates kritisiert. Sicherheitspolitik sei "eine im hohen Maß gemeinsame Aufgabe" und müsse in enger Abstimmung mit den europäischen und transatlantischen Partnern angegangen werden. Wichtigstes Thema dabei ist laut von Weizsäcker die nukleare Abrüstung.

Moderation: Philipp Krohn |
    Philipp Krohn: Die vergangene Woche war bestimmt von Themen aus dem Ausland. Die Naturkatastrophen in Birma und China haben Zehntausenden von Menschen das Leben gekostet. Noch immer versuchen die Hilfskräfte, Herr über die Lage zu werden. Gleichzeitig war die Spitze der Bundesregierung auf wichtigen Auslandsreisen. Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier trat zu seinem Antrittsbesuch beim neuen Staatspräsidenten Medwedew in Moskau an und Bundeskanzlerin Merkel weilt noch immer auf dem EU-Lateinamerikagipfel.

    Durch diese Ereignisse traten die innenpolitischen Diskussionen zuletzt etwas in den Hintergrund, darunter auch die über einen Vorschlag der CDU, einen nationalen Sicherheitsrat zu errichten. Über diese Idee habe ich vor der Sendung mit dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gesprochen, der sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Sicherheitspolitik befasst, unter anderem vor acht Jahren als Vorsitzender der Wehrreformkommission, die der damalige Bundeskanzler Schröder eingesetzt hatte. Ich habe Richard von Weizsäcker zunächst gefragt, ob er den Vorschlag eines nationalen Sicherheitsrates begrüße.

    Richard von Weizsäcker: Ich fand das kein sehr wohlgelungenes Papier, was da bekannt wurde, weil nicht recht klar war, worum geht es. Inhaltliche, notwendige Programme in der Sicherheitspolitik, die natürlich die Koalition, das heißt die Regierung, braucht, oder geht es um Zuständigkeiten, die nun wiederum vielleicht innerhalb der Koalition etwas umstritten sein können.

    Krohn: Wenn Sie nun an eine Sicherheitsstrategie denken, welche Fragen sollten dann erörtert werden?

    Weizsäcker: Es geht meiner Meinung nach bei der Sicherheitsstrategie um mehreres, erstens unsere Hauptaufgabe besteht darin, in Europa in Bezug auf eine Sicherheitsstrategie enger zusammen zu wachsen. Natürlich sind die Voraussetzungen in den verschieden europäischen Mitgliedsländern unterschiedlich. Wir in Deutschland haben aufgrund unserer Geschichte, die jedermann kennt, so etwas wie Parlamentsstreitkräfte. Derartiges findet sich natürlich weder in Frankreich noch in Großbritannien oder anderen Ländern.

    Aber immerhin eine Sicherheitsstrategie von Europa ist notwendig, sowohl im fortdauernden und für uns notwendigen und von uns begrüßten transatlantischem Verhältnis, wie aber auch in Bezug auf die globalen Aspekte. Mit anderen Worten, im Hinblick darauf, dass wir natürlich auch zum Beispiel mit Russland gemeinsame sicherheitspolitische Interessen haben. Es ist ja gut, dass auf diesem Gebiet auch manches geschieht, gerade jetzt ist es zum ersten Mal zu einer Art Abkommen über nukleare Zusammenarbeit zwischen Amerika und Moskau gekommen. Das ist dringend notwendig.

    Wir leben in einer Zeit, in der wir die eigentliche Rüstungskontrolle in einer gefährlichen Weise etwas aus dem Blickfeld verloren haben. Wir haben den Nichtverbreitungsvertrag der Atomwaffen, aber was tun denn die Atommächte? Die folgen den Verpflichtung dort nicht. Die Verabredung über die konventionellen Streitkräfte harrt noch immer auf die Ratifizierung. Ich will nur sagen, die Sicherheitsstrategie ist eine im hohen Maß gemeinsame Aufgabe und dafür müssen wir vor allem auch als Europäer lernen, endlich gemeinsam aufzutreten.

    Krohn: Sind denn deutsche automatisch deckungsgleich mit europäischen Interessen?

    Weizsäcker: Na ja, in Bezug auf das, was uns hinsichtlich der Sicherheit in der Welt wirklich bedroht, würde ich ohne weiteres sagen, ja. Sehen Sie mal, gerade jetzt hat zum Beispiel in der amerikanischen Presse ein doch durchaus aufsehenerregendes Papier seine Öffentlichkeit gefunden. Da haben also Henry Kissinger und George Schultz und Sam Nun und andere zusammen gearbeitet, die Überschrift trägt den wahrhaft nicht bescheidenen Titel "Einer nuklearfreien Welt entgegen". Wir sind davon wirklich weit entfernt.

    Aber wenn innerhalb Amerikas wirkliche bewährte Sachverständige in dieser Form parteiübergreifend sich zu Wort melden, dann zeigt sich doch daraus deutlich, dass eben auch in Amerika die Einsicht wächst, die Sicherheit lässt sich nicht reduzieren auf einzelne Ereignisse, auch nicht auf einzelne Aspekte dessen, was wir gelernt haben den Terrorismus zu nennen, sondern es ist eine globale Aufgabe. Und inwieweit sollten gerade wir Deutschen uns dabei aus europäischen Interessen absondern, mit besonderen nationalen Aspekten? Das sehe ich wirklich nicht.

    Es ist gut, dass gerade in Bezug auf die Zusammenarbeit der Innenressorts auch in diesem von Ihnen eingangs erwähnten Papier die Rede ist, also das, was wir herkömmlicher Weise die Innenpolitik nennen, muss natürlich gut und vernünftig zusammenarbeiten können. Aber dass wir in erster Linie in Europa zu Hause sind, dass wir zum atlantischen Bündnis gehören und dass wir uns auch wirklich deutlich zu Wort melden müssen, wozu eigentlich die NATO in der Zukunft da ist. Das allerdings vereint uns doch im Westen und trennt uns nicht.

    Krohn: Welche Aufgaben sollte die NATO künftig übernehmen?

    Weizsäcker: Es ist ja nicht ganz einfach, also die NATO war ein Verteidigungsbündnis zum Schutz des eigenen Territoriums gegen Gefahren von außen. Nun könnte man etwas zugespitzt sagen, die NATO hat das Pech, diesen Feind verloren zu haben, denn immerhin hat ja das atlantische Bündnis den Konflikt aus dem Kalten Krieg gut überstanden. Das, was wir unter dem Sowjetsystem kennen gelernt haben, existiert in dieser Form nicht mehr, gleichzeitig hat aber die Sicherheit nicht zugenommen. Nun, neuerdings ist gelegentlich die Rede davon, die NATO müsse nun etwas dafür tun, dass in Nachbarländern sich Verhältnisse durchsetzen, die hier also in erster Linie demokratisch oder mit unseren Werten verbunden oder Ähnliches sein könnten, aber die NATO ist ja nicht dazu geschaffen, um in anderen Ländern dortige Ordnungen durchzusetzen, sondern die NATO ist für die Sicherheit da.

    Krohn: Muss denn eine künftige Sicherheitsstrategie, die auch die NATO mit einbezieht, Fragen des Klimawandels, der Zuwanderung und auch der Energiesicherheit stärker berücksichtigen?

    Weizsäcker: Also gegenwärtig hat sich ja zum Beispiel gerade unser Außenminister zu einer Art ersten Kontaktaufnahme mit der neuen und zum Teil auch noch alten russischen Führung zusammengesetzt. Da geht es also um eine Modernisierungskooperation. Dazu zählt, dass wir natürlich ein Interesse daran haben, dass Russland nicht alleine nur aufbaut und sich stark und abhängig fühlt von Gas- und Ölvorräten, sondern dass es sich in einer Form zur Modernisierung weiß, die auch dazu führt, dass dort Rechtssicherheit herrscht, dass also, in anderen Worten, auch Investitionen des Westens in Russland auf einen Boden stoßen, der gesichert ist und dessen innere Ordnung mit der inneren Ordnung übereinstimmt, aus denen solche Investitionen kommen.

    Wir haben doch gerade in der globalisierenden Welt ein Bündel von wirklich zusammenhängenden, globalen Aufgaben. Und dazu gehört die Sicherheit ganz weit vorne auch und dazu gehört dann auch die Energiesicherheit, die im Übrigen ja sowohl Abnehmer, wie auch Lieferanten brauchen, aber zunächst und vor allem geht es doch darum, die ganz gefährlich abrutschende Frage der Sicherheit in Bezug auf die Verbreitung von Kernenergie zu Waffenzwecken zu bremsen und das muss unter Führung von Amerika vor sich gehen und das kann, wenn überhaupt, dann nur zusammen mit den Russen Erfolg haben und dazu gehören wir Europäer als drängende Stimme dazu.

    Krohn: Eine zweite Dimension der internationalen Sicherheit haben Sie ja angesprochen, den Terrorismus. Ist angesichts der Erstarkung des internationalen Terrorismus eine Trennung von innerer und äußerer Sicherheit noch gegeben?

    Weizsäcker: Also bitte, was der internationale Terrorismus ist, das ist ein Begriff, mit dem wir so umgehen, als ob wir es mit einer bestimmten Nation oder einer Religion oder mit irgendetwas klar Bestimmbaren gegenüber zu tun haben. Nein, wir haben natürlich Kräfte, die sich außerhalb jeder rechtlich geordneten Form brutal und mit Gewalt Geltung verschaffen, und selbstverständlich können und müssen wir das auch Terror nennen und um diesem Terror besser Herr werden zu können, dazu ist eine enge Zusammenarbeit notwendig.

    Das ist ja gerade das, was ich darunter verstehe, dass eben unsere verschiedenen Innenministerien in der Tat gut daran tun, hier einander immer näher gekommen zu sein und wirklich eng zusammenzuarbeiten. Aber wir dürfen nicht glauben, es gibt irgendwo auf der Welt oder irgendwo unter Menschen einen zentralen Ort, und Begriff und der heißt Terror und nun führen wir den Krieg gegen den Terror. Nein, wir führen gegen eine rechtlose Gewalt unsere Anstrengungen und das gilt sowohl innerhalb, wie innerhalb unserer Bündnisse, wie auch auf der ganzen globalen Welt.

    Krohn: Herr von Weizsäcker, Sie haben vor rund 20 Jahren gesagt, in einer Demokratie gibt es keine Sicherheitspolitik hinter dem Rücken der Bevölkerung. Wie muss die Politik darauf reagieren, wenn ein Großteil der Bevölkerung sein Land nicht am Hindukusch verteidigen will?

    Weizsäcker: Ich möchte darauf hinweisen, dass die Traditionen, aus denen die verschiedenen europäischen Länder zusammengekommen sind, sich natürlich auf das gegenwärtige Bewusstsein weiterhin auswirken. Deutschland hat jetzt Parlamentsstreitkräfte, das Parlament bestimmt darüber, ob und in welcher Weise und in welcher Form das eingesetzt werden darf. Und das kann man nicht auf den Begriff Verteidigung von Freiheit am Hindukusch, es kann sich aber sehr wohl darauf beziehen, dass wir zur Freiheit in der Welt, zum Schutz der Mehrheit der Weltbevölkerung vor Verfolgung und vor Not und Krankheiten uns so weiter unseren Beitrag globaler-, verantwortlicherweise auch leisten und in welcher Form auf dem Gebiet machen wir Erfahrung und auf dem Gebiet leisten wir auch unseren Anteil.

    Krohn: Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, vielen Dank.
    Weizsäcker: Bitte schön.