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Richtungswechsel in der Türkeipolitik der Union?

In der CDU wird nach Einschätzung von Vorstandsmitglied Emine Demirbüken-Wegener, Ausländerbeauftragte im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg, nicht mehr darüber debattiert, ob die Türkei kulturell oder religiös in die EU passe oder nicht. Es gehe vielmehr um die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Und bei mir am Telefon ist nun Emine Demirbüken-Wegener, sie ist CDU-Vorstandsmitglied und Ausländerbeauftragte im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Die CDU und die Türkei, sicher kein einfaches Verhältnis in der Vergangenheit - wir haben es gerade noch einmal gehört. Glauben Sie nun an den Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

    Emine Demirbüken-Wegener Wissen Sie, die Freundschaft als solches hat es an der Basis immer gegeben. Daran habe ich nie gezweifelt. Die Frage ist nur, in welche Richtung man geht und wie man dahin kommt. Das Ziel ist das Gleiche. Denn vor einem Monat wurde der Beschluss gefasst, dass Türkei ein Beitrittskandidat sein soll und auf dem Weg dahin, ob es wirklich auch ein Beitrittskandidat werden kann und beitreten kann, werden wir erst in zehn, 15 Jahren erleben. Und es gilt, diese zehn, 15 Jahre ohne Hast, ohne Ungeduld zu begleiten und dieses auch freundschaftlich zu pflegen.

    Heinlein: Freundschaft zur Türkei an der Basis Ihrer Partei, haben Sie gesagt. Trifft das denn auch im gleichen Maß auf die Spitze Ihrer Partei zu, speziell auf Angela Merkel?

    Demirbüken-Wegener Aber selbstverständlich. Denn Frau Merkel hat auch vor der Wahl und auch nach der Wahl immer wieder gesagt: Wir werden uns an die gefassten Beschlüsse halten, daran gibt es nichts zu rütteln. Auch wenn die Union eine privilegierte Partnerschaft in ihrer Mehrheit bevorzugt oder auch fordert, an den Beschlüssen wird nicht gerüttelt.

    Heinlein: Aber die Türkei will ja eine Vollmitgliedschaft und nicht wie Ihre Partei, wie Angela Merkel, eine privilegierte Partnerschaft.

    Demirbüken-Wegener Dann wiederhole ich noch mal: An den gefassten Beschlüssen gibt es keine Zweifel, daran wird auch eine Angela Merkel, unsere Bundesvorsitzende, sich halten. Auch die zukünftige Kanzlerkandidatin wird sich dran halten.

    Heinlein: Liegt das an der großen Koalition, die jetzt ja besiegelt wurde vor wenigen Augenblicken, oder gibt es in Ihrer Partei einen grundsätzlichen Stimmungswandel zugunsten der Türkei?

    Demirbüken-Wegener Da würden Sie unserer Bundesvorsitzenden Unrecht tun, wenn Sie sagen, gibt es jetzt einen Stimmungswandel nach diesen Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Frau Merkel hat auch schon davor - ich habe gesagt: im Wahlkampf - gesagt: An den gefassten Beschlüssen in Helsinki und Brüssel wird sich nichts ändern.

    Heinlein: Also Äußerungen aus Ihrer Partei in der Richtung: Ein moslemisches Land habe in der EU nichts zu suchen, das trifft nicht mehr die Stimmung in Ihrer Partei?

    Demirbüken-Wegener In unserer Partei wird schon längst nicht mehr darüber debattiert, ob die Türkei kulturell oder religiös nicht reinpasst. Es geht vordergründig um wirtschaftliche Fragen. Und da sage ich, dass im Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei man sehen muss, wo die Türkei in zehn bis 15 Jahren steht. Und wenn sie ihrem Entwicklungsprozess folgend in der Rasantigkeit sich entwickeln wie jetzt, denke ich mir, können wir alle irgendwie entspannt die ganze Situation beobachten und begleiten.

    Heinlein: Nun war die EU-Kommission in ihrem jüngsten Türkei-Fortschrittsbericht ja sehr, sehr skeptisch. Glauben Sie denn, dass das Reformtempo, das Sie gerade beschrieben haben, ausreichend ist, um in zehn bis 15 Jahren dann tatsächlich in Brüssel anzukommen? Oder muss hier noch einmal Gas gegeben werden?

    Demirbüken-Wegener Ich bin kein Hellseher, aber ich bin froh, dass die Türkei eine faire Chance bekommt wie alle anderen Beitrittsländer und unter Beobachtung steht. Denn das wird den demokratischen Reformprozess selbstverständlich auch ein bisschen in die richtige Bahn leiten.

    Heinlein: Bemängelt von der EU-Kommission wird ja vor allem die Menschenrechtssituation am Bosporus. Hat sich da aus Ihrer Sicht etwas zum Besseren gewandelt?

    Demirbüken-Wegener Ich denke mir, man muss wirklich der Türkei ein bisschen Zeit lassen. Die Gesetze, die in den letzten drei Jahren verabschiedet worden sind - das sind an der Zahl über 350 Gesetze -, müssen sich zunächst einmal auch in der Realität widerspiegeln. Und das kann nicht binnen drei Jahre geschehen. Gesetze brauchen auch im Einklang mit der Realitätsumsetzung seine Zeit.

    Heinlein: Wenn wir in dieser Woche über die Türkei sprechen, kommen wir nicht vorbei an den hässlichen Bildern vom WM-Qualifikationsspiel gegen die Schweiz. Glauben Sie, dass dies noch einmal dem Renommee der Türkei geschadet hat in Europa?

    Demirbüken-Wegener Ich denke mir, man macht einen gravierenden Fehler, wenn man das, was in der Türkei passiert ist - was ich außerordentlich bedauere -, ethnisiert und nur auf die Türkei reduzierend diskutiert. Die Angelegenheit Fußball und Hooligans, da brauche ich nicht auf Länder wie England oder auch teilweise in Deutschland zu zeigen, sind Ausschreitungen, die, denke ich mir, auf der EU-Ebene gesondert behandelt werden muss. Und dazu gehört mittlerweile jetzt auch die Türkei.

    Heinlein: Nun, es waren nicht die Hooligans, sondern die Sicherheitskräfte und die türkischen Spieler, die sich dort geprügelt haben.

    Demirbüken-Wegener Unter anderem auch. Unter anderem auch. Aber Fußball ist immer ein Metier, was ich mit Kopfschütteln beobachtet habe, wenn es um Gewaltausschreitungen ging.

    Heinlein: Ist denn die türkische Gesellschaft, aus Ihrer Sicht, schon reif für Europa - nehmen wir mal Fußball außen vor?

    Demirbüken-Wegener Ich denke mir, dass selbstverständlich. Im Herzen sind sie schon längst in Europa angekommen - im Kopf muss noch natürlich noch vieles aufgearbeitet werden. Und in der Türkei muss sich auch noch eine ganze Menge entwickeln. Die Türkei weiß selber und das vom Ministerpräsidenten angefangen bis hin zum Außenminister, sie weiß selber, dass sie für die EU noch nicht in Gänze reif ist.

    Heinlein: Wie wird denn die Türkei reagieren, wenn die FIFA in den kommenden Tagen tatsächlich beschließt: Die Türkei wird gesperrt, vielleicht sogar für die WM 2010? Ist das dann vielleicht ein Argument, dass man sagt: Die Europäer, die Welt will uns überhaupt nicht?

    Demirbüken-Wegener Ich denke, wir dürfen zwei Dinge hier nicht vermischen. Wenn in einem Land, was sich auf diese WM-Fußballangelegenheit solche Ereignisse tun, dann muss auch das Land die Konsequenz dafür tragen. Aber dieses vermischt mit der EU-Diskussion zu führen in der Öffentlichkeit, wäre fatal und wäre eine zusätzliche Emotionalisierung des Themas nach dem Motto: Die Türken, die Muslime, gehören nicht dazu. Davor müssen wir uns schützen. Wir brauchen hier eine allgemein fassende Debatte und die Konsequenz muss selbstverständlich die Türkei tragen, wenn so eine Entscheidung fallen sollte. Und sie muss es auch nüchtern aufnehmen und im Land dafür sorgen, dass so etwas auch aufgearbeitet und nicht wieder vorkommt.

    Heinlein: Und da sind Sie zuversichtlich, dass dies auch geschieht? Denn die Stimmung, die sich dann auch in den Zeitungen widergespiegelt hat, ging ja in eine ganz andere Richtung.

    Demirbüken-Wegener Das muss so in der Richtung gehen, wenn wir sagen: Türkei gehört zu Europa und ist ein Teil Europas, dann müssen wir uns auch an Vorgaben halten, wo auf der Prioritätsskala Menschenrechte wirklich an oberster Stelle stehen.