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Riesenstrohhalm bringt neue Hoffnung

Umwelt.- Um das Öl zu stoppen, das noch immer unaufhaltsam im Golf von Mexiko ins Meer strömt, wurden bereits die verschiedensten Versuche unternommen. Jetzt gab es offenbar einen ersten Erfolg, wie die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich im Interview mit Monika Seynsche erläutert.

17.05.2010
    Monika Seynsche: Seit vier Wochen fließen aus einem 53 Zentimeter dicken Rohr jeden Tag Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko, und jeder Versuch, das Loch zu stopfen, ist bislang fehlgeschlagen. Dagmar Röhrlich beobachtet das Treiben im Golf für uns. Frau Röhrlich, jetzt hat es anscheinend einen ersten Erfolg gegeben, oder?

    Dagmar Röhrlich: Den Experten von BP war die Erleichterung auch sehr deutlich anzumerken. Der Test eines Hilfssystem, das Entlastung bringen soll, ist gelungen. Was ist nun gelungen? Man hat ein 1,6 Kilometer langes Rohr mit ferngesteuerten Unterwasser-U-Booten in dieses bei der Explosion der "Deep Water Horizon" zerrissenes Steigrohr hineinbugsiert. Und jetzt will man wie mit einem Strohhalm das Öl absaugen, was dort ausquillt. So ganz einfach ist das nicht, denn dieses Absaugrohr hat einen Durchmesser von zehn Zentimetern, das Steigrohr 53. Man hat also da vorne große Manschetten aus Gummi angebracht, die verhindern sollen, dass seitlich irgendetwas rausfließt und das Öl dann da reinleiten soll. Und gleichzeitig wird dieses neue Absaugrohr dann auch noch erwärmt, damit es zum einen nicht zur Eisbildung kommt und alles verstopft und das Öl auch leichter fließt. Das Ganze soll in ein Schiff reingepumpt werden und dann entsorgt werden.

    Seynsche: Hat das denn auf Anhieb geklappt?

    Röhrlich: Nein, zweimal ist das schiefgegangen, weil sich diese ganze Konstruktion in dem großen Steigrohr verschoben hat. Und jetzt ist man einfach glücklich, endlich mal irgendetwas geschafft zu haben. Es ist ja alles bislang schiefgegangen. Aber gelöst ist das Problem damit überhaupt nicht. Denn man wird diese Bohrung wahrscheinlich erst dann zubekommen, wenn man die Entlastungsbohrung abgeteuft hat, die ein paar Monate dauern wird.

    Seynsche: Wie sieht es denn mit den Entlastungsbohrungen aus? Das ist ja schon länger die Hoffnung, dass man jetzt endlich bohren könnte.

    Röhrlich: Die erste ist jetzt kurz davor, dass sie beginnen kann. Bei der zweiten ist man noch dabei, die Installation am Meeresboden anzubringen. Also die erste wird in nicht allzu ferner Zukunft losgehen.

    Seynsche: Seit vergangenen Freitag darf BP ja auch Chemikalien, die das Öl auflösen sollen, direkt unter Wasser einsetzen. Klappt das und was sind das für Chemikalien?

    Röhrlich: Diese Chemikalien sind giftig. Sie gelten für den Menschen als gefährlich, sie können, wenn sie mit der Haut in Berührung kommen, den Augen oder den Atmungsorganen wirklich große Probleme bereiten. Das wird natürlich auch bei Fischen, bei Säugetieren, bei allem, was im Meer lebt, auch Probleme bereiten, nur sind die nie erforscht worden. Es heißt, man setzt dort ein unerprobtes System ein – vor allen Dingen in der Tiefsee unerprobtes System. Denn diese Genehmigung ist jetzt erstmals erteilt worden, es in großen Mengen der Tiefsee auszubringen. Denn es soll damit verhindert werden, dass das Öl aufsteigt und an der Meeresoberfläche in diese empfindlichen Küstenregionen hineindriftet. Man opfert also quasi in Anführungsstrichen die Tiefsee, um die Küsten zu retten. Und da ist ein bisschen unklar, ob das wirklich eine gute Idee ist.

    Seynsche: Riskiert man damit nicht sehr viel mit ganz unklarem Ausgang?

    Röhrlich: Man kann sehr viel riskieren, denn diese Chemikalien sind mit großer Wahrscheinlichkeit giftiger als das Öl selbst. Also man könnte ein durchaus dauerhafteres Problem schaffen. Man weiß, dass sich Ökosysteme im Meer relativ schnell erholen, wenn nur Rohöl hineinkommt. Diese Rechnung, dass das Öl unten bleibt, scheint aufzugehen. In einer Wassertiefe zwischen 700 und 1200 Metern haben Wissenschaftler jetzt mehrere Ölteppiche übereinander gefunden, die jeweils ein paar Quadratkilometer groß sind. Und sie sehen von der Konsistenz aus merkwürdig aus. Es scheint da wirklich Emulsion zu sein, also Öl-Wasser-Gemische, so als hätte dieses System funktioniert. Und man hat gemessen, dass der Sauerstoffgehalt in der Nähe dieser Ölteppiche im Wasser abnimmt. Er liegt bereits 30 Prozent unter dem, was dort für das Wasser üblich ist. Man vermutet deshalb, dass die Bakterien genau das tun, was man hofft, dass sie tun: nämlich das Öl angreifen und abbauen. Das Problem ist natürlich: Wenn der Sauerstoffgehalt im Wasser zu weit absinkt, haben alle Organismen, die da leben, ganz schlechte Chancen und könnten ersticken. Also das ist die Gefahr, die da jetzt erwächst.

    Seynsche: Lässt sich diese Ölkatastrophe jetzt schon historisch einordnen? Also, ist es die größte oder wie lässt sie sich mit anderen historischen Ölkatastrophen vergleichen?

    Röhrlich: Es ist etwas unklar, wie viel Öl da rauskommt – die Spanne ist sehr breit. Man sagt 800.000 Liter, acht Millionen Liter – irgendwo dazwischen. Gesetzt den Fall, es sind acht Millionen Liter, die am Tag dort heraussprudeln, dann hat man bereits die Exxon Valdez erreicht, von der Menge an Öl, die ausfließt. Aber natürlich ist das Ökosystem der Arktis viel empfindlicher. Wenn man jetzt sagt, man nimmt die acht Millionen Liter am Tag und vergleicht es mit anderen Öl-Unfällen, dann müsste es zwei Jahre lang sprudeln, um einen Ölunfall von 1979 im Golf von Mexiko zu erreichen, die Ixtoc I. Und natürlich ist man noch weit davon entfernt, die Ausmaße der Ölkatastrophe des Ersten Golfkriegs zu erreichen.
    Seynsche: Kann man denn abschätzen, wie lange da noch Öl raussprudeln wird oder ist dieses Reservoir irgendwann erschöpft und man kann sagen, wir lassen es einfach sprudeln?

    Röhrlich: Je nachdem wo man dieses Reservoir getroffen hat und wie stark das dort unter Druck steht, kann das jahrelang auslaufen. Das weiß man nicht. Also Ixtoc I, dieses Feld, das 1979 angebohrt worden ist, hat ein Jahr lang Öl raussprudeln lassen und man konnte es erst durch die Entlastungsbohrungen stoppen.

    Seynsche: Vielen Dank. Dagmar Röhrlich war das über den Ölunfall im Golf von Mexiko.