Durak: Wie können Sie denn mit einem 80 Prozent Vorsitzenden und einem Generalsekretär mit schwachen 50 Prozent leben?
Riester: Mit der Zustimmung von 80 Prozent bei den schwierigen Aufgaben die Gerhard Schröder schultert, kann ich sehr gut leben, aber er kann auch sehr gut leben und er sagt, das ist ein ehrliches Ergebnis, denn zuvor bei seiner Rede gab es stehend Beifall. Das muss man vielleicht so ernst nehmen und ich glaube, das hat er auch nicht so ernst genommen doch ich glaube, er kann damit sehr gut weitermachen.
Durak: Er kann aber mit einem anderen Ergebnis offenbar nicht so gut leben, der Herr Schröder, denn er hat das schwache Ergebnis für Scholz auf dem Parteitag als Ergebnis kollektiver Unvernunft bezeichnet. Also, wenn ich Parteitagsdelegierte wäre, ich hätte mich darüber schön geärgert. Wie geht der mit mir um, würde ich da denken, und Sie?
Riester: Na, wissen Sie, das sind ja nicht Kollektivabsprachen, sondern ich hatte im Vorfeld auch von vielen gehört, an irgendeinem Punkt wird ein Unmut, der sich aufgestaut hat, durchschlagen. Und dieser Punkt war beim Generalsekretär - mir tut das leid für den Generalsekretär. Ich halte solches Durchschlagen auch nicht für sehr politisch - ich habe ihn gewählt, weil ich denke, wir brauchen eine starken Generalsekretär und das Ergebnis hat ihm natürlich nicht gut getan. Damit tut es aber auch nicht der Partei gut.
Durak: Aber wie geht man dann mit Erwachsenen Menschen, Delegierten, um, wenn man ihre Entscheidung als unvernünftig bezeichnet? Ist das nicht respektlos?
Riester: Nein, man muss es ja zuerst einmal hinnehmen. Ich würde es auch nicht als unvernünftig bezeichnen. Kollektiv stellt es sich dann so dar, aber das ist ja nicht eine kollektive Absprache, sondern, dass ist nun mal bei solchen Parteitagen so, ich habe das auch auf Gewerkschaftstagen erlebt, es stauen sich bestimmte Dinge an und es entlädt sich dann in einer Person. Das kann sehr ungerecht sein. Manchmal ist es auch sehr ungerecht und deswegen – ich mag so ein Stimmverhalten nicht.
Durak: Vielleicht ist es ja aber auch richtig, dass man diejenigen bestraft, die die Verantwortung haben, Herr Riester. Ist Schröder vielleicht realitätsfern, wenn er von einer Arbeit für alle träumt, anspruchsvolle Arbeit, die auch noch sozial abgesichert ist, von einem Land der Familien und das ganze schon 2010?
Riester: Na also, wenn der realitätsfern ist… Schauen Sie, ich komme doch viel in der Welt rum. Ich hatte immer das Privileg auch die Sozialsysteme zu kennen. Ich kann Ihnen eins sagen: es gibt kein Land auf der ganzen Welt, wo wir einen höheren Grad an Sicherheit haben. Und Deutschland ist wahrscheinlich das Land mit dem breitestem Massenwohlstand, bei aller einzelnen Not, die es hier gibt. Und bei diesem hohen Wohlstand und bei der Sicherheit davon zu sprechen, dass man das Land nicht weiterentwickeln kann, das ist absurd.
Durak: Das aber in sieben, in ganzen sieben Jahren? Oder kann ich nicht rechnen?
Riester: Ich spreche von dem heutigen Deutschland. Und das kann weiterentwickelt werden. Wenn wir das nicht schaffen, ja wer soll es denn dann schaffen? Also ich muss mich doch nur in der Welt umschauen. So günstige Voraussetzungen wie in Deutschland sehe ich sonst nirgends. Im Übrigen merke ich das auch, wenn ich mit den Leuten spreche. Ich habe vor kurzem ein Gespräch gehabt mit einem österreichischen Botschafter. Der sagt, in Österreich wird ja auch gejammert, aber da gibt es ein Stück Kultur, wir leiden sozusagen und freuen uns darin. In Deutschland leidet man und glaubt es auch noch dazu.
Durak: Na dann könnten wir uns ja hinlegen und weitermachen wie bisher und gar nichts tun, wenn es denn wirklich so wäre.
Riester: Genau das machen wir nicht, genau deswegen wird mit einem hohen Tempo und mit einer hohen Gründlichkeit der Veränderungsprozess, Notwendiges, gemacht. Das hat doch das Land noch nie erlebt, dass in dem hohen Maße verändert wird, auch verändert werden muss.
Durak: Herr Riester, ein Parteichef muss handeln, nicht nur träumen, träumen kann er eigentlich auch daheim am Kamin. Er weckt doch aber unter Umständen unerfüllbare Erwartungen, wenn er diese Visionen bemüht. Er weckt doch auch zugleich den Verdacht, durch so schöne Worte nur die sozialdemokratische Seele verbal pflegen zu wollen. Gewinnt man so die Linken zurück?
Riester: Das ist nicht die Frage, ob man die Linken zurückgewinnt, aber es besteht ein berechtigter Anspruch in der Bevölkerung auch zu benennen, wo möchte ich hin. Und Gerhard Schröder sagt: "Ich sage Euch, wie ich mir das vorstelle, wie das Land 2010 sein sollte" und hat dieses in seinen Reden auch ausgeführt. Jetzt zu handeln ist das eine. Das ist wichtig und notwendig und hart. Manchmal trifft das auf Unverständnis. Aber das muss verbunden werden mit einem Ziel, das der Bevölkerung aufgezeigt wird. Da wollen wir hin. Die Veränderung ist ja kein Selbstzweck. Und das hat er in seinem Referat aufgezeigt. Das erwarte ich von ihm auch und das hat er eingelöst.
Durak: Herr Riester, die SPD steht hinter ihrem Vorsitzenden nicht aber hinter seiner Politik. Das haben unsere Hörer eben in unserer internationalen Presseschau aus einem Nachbarland gehört. So sehen also andere die SPD. Wie sehen Sie das Verhältnis Vorsitzender – SPD?
Riester: Ich glaube, ich habe das sehr deutlich gemacht schon mit dem was ich Ihnen gesagt habe. Ich stehe ja nicht nur hinter diesem Vorsitzenden, sondern ich finde es toll, dass er sich in so einer schwierigen Phase - ich kann mich an keine schwierigere erinnern in Deutschland - wirklich nicht auf die Seite macht, wie das andere in Deutschland gemacht haben, sondern sich der Aufgabe stellt, auch dann, wenn es nicht populär ist. Er stellt sich der Aufgabe und es ist von ihm zu erwarten, er ist auch über die SPD hinaus als deutscher Bundeskanzler gewählt und da verhält er sich, glaube ich sehr gut und ich bin froh, dass er eine Zustimmung von 80 Prozent in seiner eigenen Partei bekommt.
Durak: Stellen allein genügt ja nicht, man muss ja auch einen Weg aufzeigen und auch beschreiten können, den andere mitgehen. Da ist ja die SPD, sind die Grünen, nicht allein. Also die Zusammenarbeit mit der Union. Glauben Sie, dass die SPD unbeschadet mit der Union zusammenarbeiten kann in der Reform unserer Sozialsysteme, unbeschadet, was sozialdemokratische Positionen angeht?
Riester: Nein, das glaube ich nicht und es zeigen uns auch Entscheidungen, die wir eingehen mussten. Wir mussten beispielsweise beim Gesundheitswesen wichtige Veränderungen, die in den Strukturen erfolgen müssen wieder ein Stück zurücknehmen. Das hat uns sehr geschmerzt. Nur die Alternative wäre gewesen, über den Bundesrat alles gestrichen zu bekommen. Man ist häufig in der Politik unter dem Zwang Kompromisse machen zu müssen. Nicht weil man es gerne macht. Und da erfolgen dann auch teilweise Beschädigungen und insofern sage ich Ihnen, das ist ein Teil der Härte von realer Politik, dass Sie das mitmachen müssen. Wenn Sie es nicht mitmachen, dann ist es noch katastrophaler, dann bewegt sich gar nichts.
Durak: Herr Riester, sie gelten ja und sind bekannt auch als praktischer Mann, aus der Gewerkschaft kommend. Können Sie uns sagen, wie viele Kurven dieser Parteitag nehmen wird?
Riester: Ich hoffe, weder Links- noch Rechtskurven. Ich wünsche mir einen geradlinigen Weg. Und dieses immer nach links oder rechts schauen und abwägen, das ist etwas, was die Bevölkerung, glaube ich, auch nicht will. Die Bevölkerung möchte wissen: Für was stehen wir jetzt, in welche Zukunft wollen wir und was wird von mir verlangt, dorthin zu gehen.
Durak: Dann können wir nur empfehlen, nachzulesen, zuzuhören. Dankeschön Walter Riester, ehemaliger Bundesarbeitsminister.
Riester: Ich bedanke mich auch.