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Riester (SPD)

DLF: Herr Minister, Ihr Vorgänger im Amt, Norbert Blüm, hat sich immer wieder vor die Öffentlichkeit gestellt damals und hat mit dem Brustton der Überzeugung gesagt: 'Die Rente ist sicher', obwohl relativ dunkle Wolken am Rentenhorizont aufgetaucht sind. Wie ist Ihre Einschätzung heute, wie sicher ist die Rente?

Jörg Münchenberg |
    Riester: Also, wir müssen eine ganze Menge reformieren; einen großen Teil haben wir schon gemacht. Wir haben beispielsweise die ganzen versicherungsfremden Leistungen im letzten Jahr korrigiert. Die einigungsbedingten Lasten der Rentenversicherung sind herausgenommen, die haben wir jetzt über Steuer abgedeckt, die Kindererziehungszeiten auch. Damit ist eine Entlastung bei der Rentenversicherung eingetreten. Wir haben auch die Rentenanhebung der nächsten beiden Jahre begrenzt auf den Preisanstieg. Das ist auch eine große Entlastung für die Rentenversicherung. Trotzdem stehen wichtige Punkte an. Wenn wir die alle korrigiert haben, dann werde ich vielleicht auch mit dem Brustton der Überzeugung sagen: Ja, es stimmt, was Blüm damals gesagt hat. Aber Sie sehen, es muss eine ganze Menge gemacht werden.

    DLF: Diese Woche fand die zweite Konsensrunde statt über eine Rentenreform. Das wichtigste Ergebnis dieser zweiten Runde war wohl, zu sagen: Wir machen eine Reform bis zum Jahr 2030. Sie haben vorher immer gesagt: Wir brauchen eine Reform; es reicht, wenn die bis 2015 – sage ich jetzt mal – geht, obwohl viele Experten ja sagen, ab dem Jahr 2020 kommen wieder schwierige Zeiten auf die Rentenversicherung zu. Was hat Sie jetzt von dieser langfristigen Konzeption überzeugt?

    Riester: Zunächst einmal, weil wir die langfristige Konzeption immer angelegt hatten. Wir haben immer gesagt: Wir gehen eine Rentenreform an, die die Daten bis 2030 berücksichtigt. Ich habe das sehr früh, schon im Frühjahr, im Bundestag auch gesagt – im Gegensatz zu den kurzfristigen Ansätzen der Vergangenheit. Ich habe nur gesagt: Auf der Grundlage der Beschlüsse des Jahres 1999, die große Entlastungen gebracht haben, auf der Grundlage der Ökosteuer, die wir zur Entlastung der Rentenversicherung einsetzen, können wir bis zum Jahr 2015, evtl. auch ein paar Jahre länger, jetzt schon sagen, wie die Beitragsstabilität ist. Das heißt aber nicht, dass wir nur den Betrachtungszeitraum 2015 nehmen. Also, da liegt ein Missverständnis vor. Wir haben immer gesagt, die Rentenversicherungsreform muss – anders als in der Vergangenheit – langfristige Zeiträume einbeziehen, denn wenn Sie das Jahr 2030 nehmen, das sind 30 Jahre, das heißt: Die jetzt 35jährigen werden zu diesem Zeitpunkt in die Rente gehen.

    DLF: Kommen wir zu einem anderen Punkt, der wohl der wichtigste ist bei der Diskussion um die Rentenreform, die zukünftige Ausgestaltung der Rentenformel. Sie sagen bislang, verkürzt ausgedrückt: Wir können zurück zur Nettolohnformel, das heißt, die Rente steigt wie die Nettolöhne. Die Grünen und auch die Opposition sagen: Wir brauchen einen sogenannten demografischen Faktor, das heißt: Je länger die Lebenserwartung, desto langsamer sollen die Renten steigen. Jetzt nach den Rentenkonsensgesprächen haben Sie erklärt, man könnte auch über diesen Punkt offen diskutieren. Heißt das, Sie können sich einen Generationenfaktor oder demografischen Faktor in der Rentenformel jetzt auch vorstellen?

    Riester: Ich bin der Auffassung, dass wir im Jahr 2002 wieder die Renten anheben wie die Entwicklung der Nettolöhne und –gehälter. Ich halte das nicht nur für das sachgerechteste, sondern auch für das gerechteste Verfahren, weil die Entlastungen, die wir jetzt – im übrigen auch durch die Beiträge der Rentner – eingebracht haben, unbestritten viel höher sind, wie durch den von der Union eingebrachten Demografiefaktor. Das ist unstrittig. Und nun muss die Union sagen, warum sie darüber hinaus noch von den Rentnern weitere Zusatzeinschnitte fordert ab dem Jahr 2002. Ich kann die Notwendigkeit nicht sehen. Aber natürlich in solchen Gesprächen – es kann ja gar nicht anders sein – werden keine Tabus aufgebaut. Ich werde für die Regierung unsere Position vertreten, und wenn die Union oder auch die Grünen überzeugende Argumente über die Notwendigkeit weiterer Einschnitte bringt, wird man darüber reden müssen. Ich sehe sie so nicht.

    DLF: Aber das heißt – andersherum gesagt –, Sie können nicht garantieren, dass es 2002 eine Rückkehr zur Nettolohnformel gibt?

    Riester: Ich bin davon überzeugt und ich werde mich dafür einsetzen. Das habe ich immer gesagt. Ich sehe keinen Punkt, der mich veranlassen könnte, im Moment auf der Grundlage der Daten und Fakten, die eigentlich unbestritten vorliegen, der Schritte, die wir gemacht haben, dass wir das nicht erfüllen können. Ich bin überzeugt davon, wir können das erfüllen. Dafür werde ich mich auch einsetzen. Aber diese Frage werden wir am Schluss klären, nachdem alle Punkte, die zur Be- und Entlastung der Rentenversicherung – und damit auch der Rentner – beigetragen haben, zusammengefasst werden. Und dann wird bewertet.

    DLF: Haben Sie auch Angst vor dem Vorwurf der 'Rentenlüge'?

    Riester: Nein, ich habe da überhaupt keine Angst davor, weil ich mich in diesen Fragen glücklicherweise nie korrigieren musste. Ich habe die Notwendigkeit, demografische Probleme zu berücksichtigen, nie bestritten. Schon vor Jahren habe ich sie in aller Schärfe gefordert. Die Form allerdings, über diesen Weg des demografischen Abschlages - Jahr für Jahr und auf Dauer angelegt - habe ich immer für falsch gehalten, halte ich heute auch für falsch. Der Einschnitt, den wir jetzt beschlossen haben in den nächsten beiden Jahren, geht bis zum Jahr 2019 über das hinaus, was die alte Regierung vorhatte, hat aber auch die angenehme Wirkung, dass wir zu einer Beitragssenkung kommen.

    DLF: Nun sagen trotzdem viele Experten, genau ab dem Jahr 2019/2020 kommen dann wieder die neuen Probleme, mit denen wir dann umgehen müssen. Und Sie haben ja vorher gesagt: 'Lasst uns doch erst einmal eine Reform machen' und 'wir können nicht schon jetzt etwas regeln, was vielleicht erst im Jahr 2020 auf uns zukommt'.

    Riester: Also wissen Sie, über manche Experten könnte ich mich auch 'kringeln', die das gleiche gesagt haben vor drei Jahren - für einen Zeitraum von fünf Jahren. Also, da wundere ich mich manchmal. Ich will Sie vielleicht mal daran erinnern, dass ich im letzten Jahr einen Aufschrei der Republik gehört habe, als ich am Rosenmontag des letzten Jahres in einer Boulevardzeitung gesagt habe, auch diese Frage der Nettoanpassung müsse auf den Prüfstand. Da haben ein Teil dieser Experten, die heute sich zu Wort melden, gesagt: Wie kann der Riester nur, das muss unbedingt Bestand behalten, das ist ein unverrückbarer Bestandteil des deutschen Rentenwesens. Die gleichen sogenannten Experten kommen heute und sagen: Nein, es muss verändert werden. Jeder, der dort was verändern will und der dem Rentner zumuten will, dauerhafte Kaufkraftverluste hinzunehmen, der muss bei mir belegen, warum das so ist.

    DLF: Kommen wir auf einen anderen Punkt zu sprechen: Die Zwangsrente – oder freundlicher formuliert vielleicht, dass jeder Arbeitnehmer verpflichtet wird, einen bestimmten Anteil seines Einkommens in die private Altersvorsorge zu stecken. Viele sagen – oder Experten sagen ja auch wieder –, das wäre eine Möglichkeit, den demografischen Faktor zu umgehen – Punkt a, das ist eben auch sehr viel Charme, und zum andern ist ja auch allgemeiner Konsens, dass man sagt: Wir brauchen sowieso die Stärkung der privaten Altersvorsorge.

    Riester: Zunächst zu dem Begriff 'Zwangsrente', das will ich gern aufgreifen. Die Sozialversicherungsrente bezeichnet man doch auch nicht als Zwangsrente, obwohl jeder verpflichtet ist, in die Sozialversicherungsrente zu gehen. Die Tatsache, dass der Staat sagt – und zwar verbindlich sagt –: 'Bürger, mach Vorsorge für Dein Alter', ist richtig. Und in allen Ländern Europas trifft das nicht nur für die Arbeitnehmer zu, sondern auch für die Selbständigen. Nur in Deutschland haben wir es nur bei den Arbeitnehmern. Nur – dass wir diesen Begriff 'Zwang' mal in die richtige Linie stellen. Und das, was Sie gerade sagen, dass es Experten gibt, die aus einer solchen verbindlichen Eigenvorsorge Entlastungen für die Rentenanstalt sehen, das kann ich dick unterstreichen, weil es von mir nämlich entwickelt ist. Es hat nicht jeder erkannt, aber zwischenzeitlich ist auch erkannt, dass das natürlich auch eine Entlastungswirkung für die Rentenversicherung hat.

    DLF: Ist das wohl der Königsweg quasi aus diesem Konflikt? Auf der einen Seite will man keinen demografischen Faktor, dann geht man eben in die Zwangsrente – ich sage es einfach noch mal so plakativ, und dann hätte man eben auch das Problem der zukünftigen Rentensteigerung gelöst.

    Riester: Ich warte erst einmal, wie die Gespräche verlaufen. Wir haben ja diesen Punkt als zweiten angesetzt, die Frage der Eigenvorsorge. Und wenn wir damit fertig sind mit den Gesprächen, dann nehmen wir das noch mal auf und dann können wir das bewerten. Ich kann den Gesprächen jetzt nicht vorgreifen, aber in den Gesprächen hat das sicherlich mit ein Punkt, über den man redet.

    DLF: Sie haben diese Idee ja schon mal vorgeschlagen, letztes Jahr. Da ist die Presse dann wüst über Sie hergefallen. Hat diese Idee jetzt heutzutage bessere Realisierungschancen, hat sich die Stimmung gewandelt?

    Riester: Ja, zumal ja über die Parteigrenzen hinaus immer mehr sich positiv dazu äußern. Wir haben ja erlebt: Der Erste, der gesagt hat, er möchte eine verbindliche Einführung der Eigenvorsorge, war der bayerische Ministerpräsident. Er hat es dann wieder korrigiert, nachdem es auch in der Union offensichtlich dort Stimmen gab, die gesagt haben: So forsch darfst Du nicht vorgehen. Dann kam Seehofer. Der nächste, der dann kam, war Wulff. Sie sind dann immer wieder von der eigenen Partei korrigiert worden. Dann kam der Herr Westerwelle. Der ist von der Partei nicht korrigiert worden. Sie sehen: Ein Gedanke wird langsam mehrheitsfähig.

    DLF: Ob Zwang oder nicht: Die Stärken der privaten Altersvorsorge wird in jedem Fall kommen, das ist wohl sicher. Sie selber haben mal den Vorschlag gemacht: 250 Mark pro Jahr schießt der Staat zu bei einem bestimmten Bruttoeinkommen - 60.000 Mark . . .

    Riester: . . . unter 60.000 Mark, und er schießt prozentuell bei den Geringverdienenden damit mehr zu . . .

    DLF: . . . aber ist es nicht trotzdem nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, zumal die Union ja auch sagt: Wir müssen mehr fördern, wir müssen Steuerbegünstigungen anbieten, wir müssen vor allem auch die Familien stärker fördern?

    Riester: Nein. All das, was Sie jetzt gesagt haben, haben wir auch schon. Das darf man nicht vergessen. Wir haben heute die Möglichkeit der Gehaltsumwandlung für Altersvorsorge, die steuerbegünstigt ist. Wir haben heute die Direktversicherung als Äquivalent zu Gehaltserhöhungen, die steuerbegünstigt ist. Das haben wir alles. Manchmal wird vergessen, welche Begünstigungsmöglichkeiten das jetzige Steuerrecht für Altersvorsorge bietet. Im Moment ist mir nicht bekannt, dass jemand daran denkt, diese Dinge einzuschränken. Also es gibt viel mehr, als bekannt ist. Und wir haben jetzt gesagt: Einen weiteren Baustein möchten wir für diejenigen entwickeln, die geringere und mittlere Verdienste haben – Sie haben es ausgewiesen – bis zu 60.000 Mark, und zwar im Rahmen einer Umwandlung der bisherigen Vermögensbildung. Das halten eigentlich alle für sachgerecht. Wir haben das als erstes mit den Sozialparteien besprochen, also mit der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, die es beide sehr begrüßt haben. Also ich denke, es ist ein richtiger Ansatz, an dem aber weiter gearbeitet werden kann.

    DLF: Gibt es denn Vorgaben vom Finanzminister, dass er sagt: Soundsoviel darf eine Rentenreform nur kosten?

    Riester: Ja natürlich. Es ist zwar nicht so, dass er sagt: Soundsoviel darf eine Rentenreform kosten -, aber der Finanzminister hat zu recht natürlich das Interesse, dass nicht Belastungen ohne Absprache mit ihm letztendlich getroffen werden. Und das ist auch absolut richtig. Wir haben ja einen wahnsinnigen Kraftakt gemacht mit der Haushaltskonsolidierung, die weitergetrieben wird. Wir machen insgesamt als Regierung unter der Federführung des Finanzministers einen großen Kraftakt der Steuererleichterungen. Und das sind Rahmenrichtlinien, innerhalb denen auch die Reformen der Sozialversicherungssysteme stehen. Das ist ganz verständlich.

    DLF: Eine andere Möglichkeit, um die Rente in Zukunft sicher zu gestalten, wäre, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Ist das aus Ihrer Sicht auch eine Option?

    Riester: Nicht eine Option, sondern das ist Fakt. Häufig wird vergessen, dass das Rentenzugangsalter jetzt Monat für Monat angehoben wird. Das hat die alte Regierung noch beschlossen. Im Jahr 2004 werden sowohl Männer – bei den Männern ist es schon früher – aber dann auch Frauen eine ungeschmälerte Altersrente ab 65 erhalten.

    DLF: Eine Lebensarbeitszeit bis 70 Jahre – wäre so etwas gesellschafts-konsensfähig?

    Riester: Ich bin überzeugt, dass das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht konsensfähig ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist auch diese Verlängerung, die ich eben beschrieben habe, nicht auf ungeschmälerte Zustimmung gestoßen, zumal sie eingreift in die Lebensplanung bei den Menschen, die vorhatten, mit 63 oder 60 auszuscheiden. Wir haben das auch nicht korrigieren können, weil in der Tat dies Alterssicherungssystem diese Verlängerung braucht, die Rentenversicherung. Und das löst auch oft Probleme am Arbeitsmarkt, das wird man sehen. Wir haben jetzt ein durchschnittliches Rentenzugangsalter, das liegt bei 59,7 Jahren. Das wird sich anheben. Und wenn nicht im gleichen Maße das Beschäftigungsvolumen ausgeweitet wird, dann wird diese Maßnahme zu entsprechenden Engpässen am Arbeitsmarkt führen, also beim Zugang von arbeitslosen und jungen Menschen. Und an dem Punkt arbeiten beispielsweise die Gewerkschaften in ihrer Tarifpolitik.

    DLF: Herr Minister, die CDU ist ja derzeit mehr mit sich selbst beschäftigt als mit Sachthemen. Hat man von der Parteispendenaffäre auch etwas bei diesen Rentenkonsensgesprächen gespürt, gemerkt?

    Riester: Nein, glücklicherweise nicht. Und ich denke auch, das muss man sehr sauber auseinanderhalten, denn ich möchte mit der Union auf einer produktiven rationalen Ebene mich über die besten Lösungen unterhalten, und sie lässt sich auch finden, und da passt es nicht rein, wenn diese Frage darunter leiden würde.

    DLF: In dieser Woche hat ja eine Krisensitzung bei der CDU die andere gejagt. Wolfgang Schäuble blieb am Ende jetzt doch im Amt, obwohl er ja selber gesagt hat, er stand kurz vor einem Rücktritt. Halten Sie diesen Schritt für richtig, oder wäre es nicht doch besser gewesen, der gesamte CDU-Vorstand wäre zurückgetreten?

    Riester: Da ich der Auffassung bin, dass das ausschließlich eine Sache ist, die – wenn die Union es kann – sie selbst lösen muss, und die Chance sehe ich immer noch, dass sie es lösen kann. Da werde ich von außen keine Ratschläge geben. Ich denke, im Moment hat die Union noch die Chance. Einige Punkte ist sie – meine ich – viel zu spät angegangen, was die Transparenz, die Klarheit der Offenlegung betrifft, auch von Personalentscheidungen. Aber sie muss es selber machen. Und der Bürger wird es ihr nur abnehmen, wenn sie es selber macht. Und das ist die Schwierigkeit, dass man im Moment zu wenig sieht, dass sie es selber macht. Aber sie muss es selber lösen.

    DLF: Die Parteispendenaffäre ist ja noch lange nicht ausgestanden, fast täglich gibt es neue Enthüllungen, kommen neue Informationen ans Tageslicht. Was – glauben Sie – hat dieser Skandal, diese Finanzaffäre, für eine Bedeutung für die politische Landschaft in Deutschland?

    Riester: Leider eine große Bedeutung, weil der Bürger auch dokumentiert bekommt, dass Spitzenrepräsentanten - bis hinein zum Gesetzgeber und zur ehemaligen Regierung - eigene Gesetze nicht mehr ernst nehmen. Machterhaltung und Machterreichung geht vor der Einhaltung eigener Rechte, Normen und Gesetze. Und da haben wir leider auch eine Parallele zur Entwicklung, die ich in anderen Bereichen sehe. Ich habe es damals als fatal angesehen, als BDI-Präsident Henkel erklärt hat, den Tarifvertragsbruch, der in Ostdeutschland ist, solle man auch auf Westdeutschland übertragen. Ich habe es auch als fatal im letzten Jahr angesehen, dass Kommunen ungeachtet des Sonntagsöffnungsverbotes breit geduldet haben, dass Kaufhäuser einfach aufgemacht haben. Der Bürger erlebt Rechtsbruch, und ich frage mich, was ich jemanden sagen soll, warum es notwendig ist, beispielsweise keine Schwarzarbeit zu machen. Und da hat das schon Auswirkungen. Das, was jetzt von der Union hochkommt, bewegt sehr viele Menschen, und zwar nicht im positiven Sinne.

    DLF: Kann man sagen, die Koalition hat derzeit eine gewisse politische Narrenfreiheit, weil die CDU so sehr mit sich selbst beschäftigt ist?

    Riester: Nein, das kann man nicht sagen, vor allem deswegen nicht, weil wir keine Narreteien machen, sondern wir haben hinter uns eine Haushaltskonsolidierung, die wir machen mussten auf der Grundlage dessen, was wir übernommen hatten, die sehr, sehr schwer war. Das hat noch keine Regierung in der Kürze der Zeit mit der Dimension hinbekommen. Wir haben vor uns weitere große Etappen der Steuerentlastung, die alles überschreiten, was jemals in der Republik in einem solchen Zeitraum gemacht worden ist. Wir stecken mitten drin in der Reformierung unserer großen Sicherungssysteme. Und dort hätten wir eigentlich produktive Opposition zwingend notwendig.

    DLF: Nun gehört ja zu einem der wichtigsten Projekte dieser rot-grünen Bundesregierung das Bündnis für Arbeit. Vor zwei Wochen noch hat Kanzler Schröder nach dem letzten Treffen einen großen Durchbruch gefeiert – Stichwort hier: Die Tarifpolitik soll sich in Zukunft nur noch am Produktivitätseinkommen orientieren. Dann – zwei Tage später – kam der 'Hammer', sage ich mal: Die IG Metall empfahl Lohnforderungen von 5,5 Prozent. War das nach Ihrer Einschätzung nicht ein gewisser Widerspruch zu den Bündnisvereinbarungen?

    Riester: Nein. Der Kanzler hat auch nicht einen Sieg gefeiert, die Tarifpolitik auf die Produktivitätsentwicklung zu verpflichten, sondern der Kanzler hat zu recht den großen Durchbruch darin gesehen, dass sich alle Parteien darauf verständigt haben, eine langfristige, an Beschäftigungsentwicklung orientierte Tarifpolitik anzulegen. Und im Rahmen dieser Anlage ist die Frage von Produktivitätsentwicklung ein wichtiger, wahrscheinlich auch der zentrale Baustein. Messen werden wir’s, wenn die Abschlüsse vorliegen und wie die Abschlüsse gestaltet sind. Das ist der entscheidende Punkt, und daran wird man es dann messen.

    DLF: Aber hat Sie diese Lohnforderung von 5,5 Prozent nicht doch ein bisschen enttäuscht?

    Riester: Schauen Sie, ich war bis vor eineinhalb Jahren selbst zuständig für die Tarifpolitik der IG Metall. Eine Sache, die ich immer gelernt habe in jeder Tarifrunde ist, dass die Forderung und der Abschluss zwei ganz unterschiedliche Dinge sind.

    DLF: Nun ist aber in dieser Woche das Grumeln lauter geworden bei den Arbeitgebern. Die Bauindustrie klagt über das Bündnis für Arbeit, über die Folgen auch der 5,5 Prozent der IG Metall; Arbeitgeberpräsident Hundt ist zunehmend in die Kritik geraten. Ist damit nicht auch das Bündnis letztendlich gefährdet durch diesen immer heftiger werdenden Widerstand?

    Riester: Ich glaube nicht. Wir haben ja immer wieder folgende Abläufe gesehen, die nicht förderlich waren – dass das Bündnis laufend mit Forderungen belastet wird, von den unterschiedlichsten Seiten, statt gemeinsame Lösungen einzuleiten, und zwar durch eigene Beiträge. Wir haben immer wieder erlebt, dass einzelne das Bündnis auch benutzt haben, um mit Drohungen zu operieren. Das ist nicht förderlich, das ist sehr belastend. Aber daran ist das Bündnis nicht kaputtgegangen.

    DLF: Aber das Bündnis braucht doch den Konsens, die Konsensbereitschaft auf jeden Fall. Und im Augenblick scheint es ja so zu sein, als wenn dieser Konsens immer brüchiger wird, immer kleiner. Ohne Konsens hat ein Bündnis aber auch wenig Zukunft.

    Riester: Da haben Sie recht, aber Konsens muss erarbeitet werden. Konsens ist nicht etwas, das von Anfang an da ist. Konsens braucht aufgebautes Vertrauen, braucht Erfahrung auch, das sich dieses Vertrauen auszahlt. Und das sind längerfristige Prozesse.

    DLF: Mit dem Bündnis sollte ja nicht zuletzt die Voraussetzung zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen geschaffen werden. Gerade in diesem Punkt fällt die Bilanz der rot-grünen Koalition doch eher mager aus. Die Arbeitslosenzahlen gehen zwar zurück, aber die Gründe liegen ja eher in der demografischen Entwicklung sowie in dem Anziehen der Konjunktur.

    Riester: Völlig falsch, völlig falsch. Ich will Ihnen das auch gleich belegen. Wir hatten im letzten Jahr einen Rückgang der Arbeitslosigkeit von 180.000. Wir hatten im Bereich der 55jährigen und älteren – und darauf zielt ja dieses Demografie-Argument ab, wir hätten also viele Alte, die jetzt automatisch ausscheiden – bedauerlicherweise gar keinen Rückgang. Die blieben stabil, weil sie schwer zu vermitteln sind. Wir haben den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit im Bereich der unter 25jährigen. Dort haben wir einen Rückgang der Arbeitslosigkeit von 23 Prozent. Also, der Rückgang der Arbeitslosigkeit im letzten Jahr war nicht demografiebedingt, sondern war genau auf der Grundlage der Anstrengungen, die die Regierungspolitik gemacht hat, insbesondere mit den Sonderanstrengungen, die wir im Jugendbereich gemacht haben, die jungen und mittleren Generationen, aber auch mit den Sonderanstrengungen, die die Bundesanstalt für Arbeit eingebracht hat. Wir hatten noch nie so hohe Vermittlungsergebnisse der Bundesanstalt für Arbeit wie im letzten Jahr. Über 3 ½ Millionen Menschen sind aus Arbeitslosigkeit in Arbeit vermittelt worden. Also der Eindruck, den Sie geschildert haben, den ich öfter schon höre, steht diametral zur Wirklichkeit, die da ist.

    DLF: Herr Minister, Sie begannen Ihre Amtszeit als der große Hoffnungsträger. Diese Erwartung hat sich nach gut einem Jahr Amtszeit doch etwas gewandelt. Zeitweise waren Sie der Buhmann der Nation. Es gab das Hickhack um die Scheinselbständigkeit, den Rückzieher bei der Zwangsrente, den Umfaller-Vorwurf bei der Rente mit 60. Wie fällt Ihre eigene Bilanz nach gut einem Jahr Amtszeit aus?

    Riester: Sehr gut. Man muss sich fragen: Hoffnung auf was? Wenn die Hoffnung beim Riester darauf begründet war, dass beispielsweise die geringfügigen Arbeitsverhältnisse – und das sind immerhin etwa 5 Millionen –, die bar jeder sozial-rechtlichen Unterstützung waren, dass wir die in die sozialrechtliche Unterstützung bringen, dann ist die Hoffnung gut eingelöst. 3,7 Millionen ausschließlich 630-Mark-Arbeitsverhältnisse sind zwischenzeitlich in der Rentenversicherung und bekommen Rentenansprüche und Rentenleistungen, 1 Mio. zusätzliche Nebentätigkeiten auch. Über ½ Mio. zusätzliche Selbständige haben jetzt Ansprüche in der Rentenversicherung. Also: Hoffnung eingelöst.

    DLF: Sie werden mir aber trotzdem zustimmen: Sie hatten im letzten Jahr doch teilweise einen schweren Stand, gerade was die Berichterstattung anging. Wurden da vielleicht auch Konzepte falsch verkauft, hat man sie falsch der Öffentlichkeit präsentiert?

    Riester: Zuerst einmal stimme ich Ihnen absolut zu, dass ich einen schweren Stand hatte und möglicherweise auch zukünftig habe, weil ich in einem Bereich arbeite, der wie kein anderer in der innenpolitischen Veränderung natürlich schwierige Prozesse angehen muss, die lange, lange Jahre verschleppt worden sind. Da habe ich mir nie Illusionen gemacht, das habe ich erwartet. Zweiter Teil der Frage, ob das immer in der Öffentlichkeit richtig wahrgenommen worden ist: Ganz offensichtlich nicht. Das mag ein Stück auch an uns liegen, aber vielleicht nicht nur an uns.

    DLF: Sie sind ja ein 'Quereinsteiger'. Sie haben es vorhin selber schon gesagt, Sie kommen aus der IG Metall. War es von vornherein nicht ein Nachteil, dass Sie quasi in der SPD keine eigene Hausmacht haben?

    Riester: Das ist auch ein Vorurteil, das mit der Realität gar nichts zu tun hat. Ich war sechs Jahre im Präsidium der SPD in Baden-Württemberg. Ich bin jetzt im Vorstand der SPD in Hessen-Süd. Ich war natürlich schon lange SPD-Mitglied. Ich kenne aus dem gewerkschaftlichen Bereich alle aus diesem Bereich sich entwickelnden Abgeordneten und die ihnen nahe stehen. Also, ich kann da eigentlich nicht eine geringe Verankerung sehen.

    DLF: Hatten Sie im letzten Jahr einmal daran gedacht, die Brocken hinzuschmeißen?

    Riester: Nein.

    DLF: Stehen Sie im Augenblick, was die Rentenreform angeht, die ein sehr wichtiges Projekt ist – da unter Druck, zumal ja die Regierung in vielen anderen Bereichen derzeit Oberwasser hat, Stichwort 'Sparpaket', Stichwort 'Steuerreform' . Spüren Sie da einen besonderen Druck, der jetzt auf Ihren Schultern lastet, dass man sagt: Der Riester, der muss jetzt auch – was die Rente angeht – Erfolg haben?

    Riester: Zuerst einmal: Wir haben schon eine ganze Menge Erfolg. Einiges habe ich Ihnen aufgezählt. Wir haben die Rentenversicherung entlastet – allein in diesem Jahr um 25 Milliarden DM. All das ist schon geschehen. Und die Punkte, die nun noch vor uns liegen, die eigentlich leichteren Punkte, machen wir gemeinsam mit der Opposition.

    DLF: Wie groß sind die Chancen?

    Riester: Ich denke, sie sind gut – gerade nach dem Gespräch, das wir Mitte der Woche hatten. Da zeichnet sich ab, dass wir in sehr konstruktive Gespräche herein gehen. Aber das kann man natürlich erst bewerten, wenn man die Ergebnisse vorliegen hat. Da liegen sehr viele komplizierte Punkte, die man angehen muss, aber ich hatte aus dem ersten Gespräch den Eindruck, dass eigentlich alle ein Lösungsinteresse haben.