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Rinder-Vernichtungsprogramm

    DLF: Am Telefon bin ich verbunden mit Bärbel Höhn, der nordrhein-westfälischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerin. Guten Morgen Frau Höhn.

    Höhn: Guten Morgen Frau Simon.

    DLF: Frau Höhn , EU-Kommissar Franz Fischler wird nun wohl das von ihm propagierte Schlacht- und Vernichtungsprogramm im Verwaltungsverfahren durchsetzen. Gibt das eigentlich nicht den Bauern das falsche Signal - nach dem Motto: ‚Ihr braucht die Rinderproduktion nicht drosseln, im Zweifel springt ja die EU ein'.

    Höhn: Ja, die entscheidende Frage ist ja, dass man sich nicht unbedingt in der letzen Nacht sich einigen musste, sondern dass man einfach versuchen muss, jeden Weg zu wählen, zu einer Agrarwende zu kommen, zu einer neuen Agrarpolitik. Und da hat Renate Künast ja genau die richtigen Konzepte. Deshalb würde ich auch sagen - sie hat es selbst gesagt -: Das ist ein Bohren dicker Bretter, und ich glaube, man muss das so nehmen, dass man immer versucht, das Beste aus den Entscheidungen zu machen und durch den Einfluss auf die Entscheidung beim nächsten mal zu gucken, ob man nicht wieder ein Schrittchen weiterkommt.

    DLF: Aber ganz konkret noch einmal zum Schlacht- und Vernichtungsprogramm. Ist das ein Weg, um die BSE-Krise in den Griff zu kriegen nach Ihrer Meinung?

    Höhn: Also, es gibt in der Tat diese zwei Philosophien, wobei man sagen muss, dass auch Fischler in seinem 7-Punkte-Programm ja schon einiges auch zur Veränderung der Prämien gesagt hat. Und man müsste eben versuchen, an diesen Punkten, wo er da Veränderungen will, an diesen Punkten zu stützen und eben auch jetzt schon versuchen, Änderungen herbeizuführen. Und der zweite Punkt ist: Auch bei dem Schlachtprogramm ist er uns ja ein Stück entgegengekommen, indem er gesagt hat, er biete diesmal an, dass man das Fleisch nicht vernichten muss, sondern dass man es auch einlagern kann. Beim letzten mal haben sich die zwei Länder Niederlande und Dänemark an dem Aufkaufprogramm nicht beteiligt. Die Frage ist natürlich, ob das jetzt bei diesem zweiten mal auch der Fall sein kann, ob also Deutschland sagen kann: ‚Nein, wir beteiligen uns nicht daran'. Also, insofern muss man dann versuchen, andere Wege zu wählen, die einen doch im eigenen Sinne ein Stück nach vorne bringen.

    DLF: Aber Stichwort ‚Einlagerung' zur Preisstabilisierung: Wäre das nicht für die Produktion insgesamt nicht sinnvoller, einfach den Preis mal so weit fallenzulassen, dass auch Konsequenzen gezogen werden, also weniger Rinder produziert werden?

    Höhn: Nun, der entscheidende Punkt ist natürlich: Was machen diese Rinder haltenden Betriebe in der Zwischenzeit? Und da sage ich: Wenn man das zu lange macht, dann geben diese Rinder haltenden Betriebe auf, und zwar in ganz bestimmten Regionen - das wird ja dann nicht durchschnittlich verteilt sein, sondern gerade in Regionen, wo danach auch keiner mehr in die Landwirtschaft hineingeht. So, und wenn dann wieder der Rindpreisfleisch steigt, was meinen Sie? Es kommen sozusagen wieder andere Strukturen, die wir als Verbraucherinnen und Verbraucher vielleicht nicht unbedingt brauchen . . .

    DLF:. . . also Großbetriebe . . .

    Höhn: . . . ja, zum Beispiel. So, und die setzen sich dann fest. Das heißt, in dem ganzen Prozedere hat man einen Strukturwandel, einen Strukturbruch gehabt, der massive Konsequenzen in der Landwirtschaft hat und für bestimmte Regionen sowieso. Also, gerade Mittelgebirgsregionen, wo sich die Viehhaltung eigentlich anbietet, wo es aber durchaus auch nicht so ganz einfach ist, über die Runden zu kommen - die würden uns vollkommen wegbrechen. Und da ist natürlich die Frage: Wollen wir das? Auch das hätte natürlich massive - ich sage auch negative - Konsequenzen für die Verbraucher.

    DLF: Wie stehen Sie denn zu der Frage der Prämien für Höfe, die mehr als 90 Rinder im Stall hatten? Renate Künast hat sich ja vehement dafür eingesetzt, dass auch Großbetriebe, wie zum Beispiel in Ostdeutschland, weiter die Förderung über das 90. Rind hinaus bekommen. Sind Sie auch dafür?

    Höhn: Also, wenn man an das Prämiensystem ran will und eigentlich ganz weg davon will, ist erst einmal ein erster Schritt, eine Deckelung zu machen - wo auch immer, bei 90 Tieren oder woanders -, nicht ganz falsch. Man muss mindestens dann gucken, ob man nicht in diese Prämien reinbekommt eine Qualität, also anstatt man die Tiere fördert, dass man das Grünland durch eine Grünlandprämie fördert, denn in diesen großen Ställen sind die Tiere ja nicht auf der Weide, es handelt sich um reine Mastbetriebe. Und dass man einfach sagt: Es ist im Prinzip auch für einen Betrieb gut, der zwar groß ist, aber seine Tiere auf der Weide hat. Aber es ist nicht unbedingt sinnvoll, wenn er sie sozusagen alle im Stall mästet. Und wir sehen in der jetzigen Diskussion um die ganzen Seuchen, dass natürlich auch diese großen Betriebe auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus Risikobetriebe sind. Bei der letzten Schweinepest in den Niederlanden mussten dort aufgrund der Viehdichte 9 Millionen Schweine töten. Die haben daraufhin ihr gesamtes System umgestellt, und wir sehen natürlich auch jetzt an der Maul- und Klauenseuche, dass große Betriebe - auch international agierende Betriebe - eben sehr viel mehr Risiken ausgesetzt sind. Und von daher müssen wir auch gucken, wo die optimale Betriebsgröße liegt, und daran sollte die Prämie angeglichen werden.

    DLF: Sie hatten das Stichwort ‚Grünlandprämie' angesprochen, also auch eine Bindung in irgendeiner Form von Förderung - ob es eine Prämie ist oder eine andere Förderung - an das Weidenlassen von Tieren. Mit der Grünlandprämie und zum Beispiel auch dem Vorschlag eines niedrigen Schlachtgewichts für Bullen - das reduziert natürlich auch die Tierproduktion auf lange Sicht - hat sich Renate Künast in Brüssel ja nicht durchsetzen können. Was kann denn von solchen Vorschlägen in Deutschland ohne die EU verwirklicht werden?

    Höhn: Also wir können auch bestimmte Sachen der EU jetzt schon umsetzen, die die EU jetzt schon zulässt. Die lassen also zum Beispiel jetzt schon zu, dass man die Prämien, die an Hektar und an Viehzahl gebunden sind, dass man die auch an soziale, also an Arbeitsplatzkriterien, binden kann und dass man sie auch an ökologische Kriterien binden kann. Und auch Richtung Grünlandprämie können wir hier schon versuchen, zwar keine Prämie durchzusetzen, aber die Förderung von Grünland. Wir machen das in Nordrhein-Westfalen auch. Und diese Wege sollten wir nutzen in Zukunft auch in Deutschland. Also, alle Spielräume, die die EU jetzt schon lässt, sind ja in der Vergangenheit von Deutschland nicht optimal ausgeschöpft worden, und da müssen wir versuchen, diesen Weg zu gehen.

    DLF: Stichwort ‚Maul- und Klauenseuche': In Großbritannien nimmt die Seuche immer bedrohlichere Ausmaße an. In Nordrhein-Westfalen sind ja bereits Bestände vernichtet worden, die Schafe aus betroffenen Farmen in England gekauft hatten. Das geschieht jetzt noch anderswo in Deutschland, auch in den Niederlanden. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung: Wie beurteilen Sie die Chance, dass man bald aufhört, wie bisher immer die Tiere von einem Hof zum anderen zu karren? Wozu braucht man diesen Viehtourismus?

    Höhn: Ja, der entscheidende Punkt ist, dass gerade diese internationalen Viehtransporte aus meiner Sicht zu recht jetzt noch einmal wieder in die Diskussion gekommen sind, weil sie natürlich die Ausbreitung von Seuchen blitzschnell über ganz Europa zulassen. Von daher sind sie auch ein wirtschaftliches Risiko. Auch unter Tierschutzgesichtspunkten ist das nicht sinnvoll, was da gemacht wird. Es ist also unter vielen Gesichtspunkten negativ. Ich bin der Meinung, wir sollten da, wo die Bauern eben in regionalen Kreisläufen arbeiten, geschlossene Systeme auch am Hof haben - da sollten wir versuchen, die Bauern zu belohnen. Wir machen das in Nordrhein-Westfalen dahingehend, dass Bauern, die zum Beispiel bei Schweinen ein geschlossenes System haben - also Ferkelaufzucht und Mast in einem Betrieb -, dass die weniger Geld in die Tierseuchenkasse zahlen müssen. Die Tierseuchen-kasse ist ja die Versicherung, in die Bauern und das Land einzahlt. Und in einem Seuchenfall werden daraus die Entschädigungen gezahlt, wenn ein Bauer seine Herde verliert. Also, insofern muss man eigentlich positive Anreize für die bieten, die eben sich an diesen internationalen Viehtransporten nicht beteiligen.

    DLF: Können Sie sich so etwas auch vorstellen in Nordrhein-Westfalen für Rinder zum Beispiel, dass eben derjenige belohnt wird, der sich nicht spezialisiert nur auf Kälberzucht, sondern der dann auch seine Kälber im Stall lässt bis sie groß sind?

    Höhn: Ja, wir müssen versuchen, überall da, wo die Haltungsform oder die Betriebsform des Bauernhofes stärker regionale Kreisläufe stärkt und diese internationale Verflechtung ein Stück zurückgehalten wird - da müssen wir versuchen, über positive Anreize diese Form zu unterstützen.

    DLF:Haben Sie den Eindruck, dass es auch bei den Kollegen in anderen Ländern der Bundesrepublik so verbreitet ist, diese Einstellung, die Sie uns da gerade schildern?

    Höhn: Also, das ist ein bisschen schwieriger. Das hat sich auch herausgestellt auf dem Sondertreffen, das die Staatssekretäre gestern auf Bundesebene gemacht haben. Da hatten wir auch vorgeschlagen, das Thema ‚Viehtransporte' jetzt anzugehen, und das ist nochmal auf größere Vorbehalte gestoßen. Aber wir haben auch hier festgestellt - und das ist schon mal ganz wichtig in der Agrarpolitik -, dass, wenn sich die Maul- und Klauenseuche sich stärker ausbreiten sollte, wir das in den nächsten Tagen nochmal aufgreifen müssen. Also, insofern ist das noch nicht vom Tisch, sondern es ist erst einmal um ein paar Tage vertagt worden. Aber ich habe festgestellt: Wenn man immer hart an der Sache bleibt und eben auch deutlich macht, wo die Nachteile sind, dass man im Laufe der Zeit seine Kollegen da auch hinbekommt.

    DLF: Aber es sieht so aus, als dass Sie erst eine Seuche brauchten und die BSE-Krise, um da Zustimmung zu finden.

    Höhn: Ja, das ist ganz oft so im Leben, dass man erst eine Katastrophe braucht, um auf einen anderen Weg zu kommen.

    DLF: Danke, Bärbel Höhn. Das war die Umwelt- und Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen.

    Link: Interview als RealAudio