Lange: Frau Künast, Sie wollten sich vor der Sitzung mit Ihren EU-Kollegen nicht festlegen, ob Sie dieser Massentötung zustimmen würden. Nun sind die Beratungen abgeschlossen. Sie haben noch eine kurze Nacht darüber geschlafen. Steht für Sie jetzt fest, dass dieses EU-Programm auch in Deutschland umgesetzt wird?
Künast: Also, eines steht jetzt fest, dass Druck sehr groß ist seitens der Europäischen Union und seitens der anderen Länder. Wir haben eine Markteinschätzung gestern bekommen, die wirklich horrend ist; eine Markteinschätzung, die klar zeigt, wie schwierig die Situation auf EU-Ebene jetzt ist -angesichts einer ungeheuren Überproduktion, Ergebnis alter Agrarpolitik und verschlechterter Verbraucherpolitik, weil alle tatsächlich jetzt so misstrauisch sind, dass sie kein Rindfleisch essen. Die Einschätzung ist die, dass bei verschiedenen Marktmaßnahmen die EU 3,4 Milliarden wird ausgeben müssen zur BSE-Bekämpfung - im positivsten Fall, im negativsten 6,8 Milliarden. Wo dies Geld herkommen soll, weiß im Augenblick noch niemand. Ich muss das jetzt schlicht und einfach - da reicht die eine Nacht nicht aus, da brauche ich schon noch eine zweite, Herr Lange - auswerten. Aber es wird eng, und Solidarität ist eingefordert.
Lange: In Prozentsätzen ausgedrückt: Wie groß ist der Prozentsatz, dass man um so eine Entscheidung doch noch rumkommt?
Künast: Dieser Prozentsatz ist extrem klein. Ich sehe im Augenblick sogar, dass, wenn man die Tiere in den Ställen lässt, man nicht nur ein neues Tierschutzproblem schafft, weil die Ställe überfüllt sind und diese Tiere ja kein Schlachthof dem Bauern abnimmt. Dadurch entsteht ein ganz neues Tierschutzproblem durch die Frage, warum die Bauern die Tiere eigentlich füttern sollen - weil sie eben gar nicht absetzbar sind. Und über allem steht dann, Herr Lange, der Punkt: Wie kriegen wir eigentlich eine neue Landwirtschaftspolitik hin? Es ist also ein Stück so, dass man den Versuch unternehmen muss, einen Strich unter die alte zu ziehen, bevor die neue anfängt.
Lange: Aber das ist doch eine absurde Situation: Ausgerechnet jetzt, wo mit den flächendeckenden Tests ein viel höherer Schutz vor BSE erreicht ist, ausgerechnet jetzt bricht dieser Markt zusammen. Muss da die Politik auch nicht mal gegensteuern und sagen: 'Liebe Leute, nun lasst aber auch mal die Kirche im Dorf'?
Künast: Ja, aber was ist denn das Gegensteuern an der Stelle, Herr Lange? Auf der einen Seite ist der Markt so zusammengebrochen, dass die Leute eben das Rindfleisch nicht abnehmen. Also stehen die Tiere dort. Auf der anderen Seite: Wenn Sie sagen, 'lasst mal die Kirche im Dorf' - Sie müssen ja das Problem dieser horrenden Überproduktion irgendwann lösen. Das heißt, es geht nicht nur um Aufkaufaktionen, sondern wir haben ganz klar gestern auch besprochen, der nächste Agrarrat im Februar muss ein Agrarrat der Produktionsreduzierung werden. Also, das ist etwas, was uns auch innerhalb Deutschlands rein national beschäftigen wird. Wie hören wir endlich auf mit dieser Politik, Überproduktion zu machen und uns am Ende genau in solche Marktmaßnahmen reinzutreiben. Und dann muss ich ja immer noch eines gegenrechnen: Die Politik muss so sein, dass die Gelder, die zur Umstrukturierung da sind, für eine andere Agrarpolitik am Ende auch übrigbleiben und nicht durch Marktbereinigungsmaßnahmen aufgefressen werden. Also, es ist fast wie die Quadratur des Kreises im Augenblick.
Lange: Man hat den Eindruck, wir reden nicht über Landwirtschaft, sondern über Kohlebergbau.
Künast: Ja, das haben Sie gut angetippt. Das ist durchaus ein richtiger Aspekt, Herr Lange, weil jetzt tatsächlich Jahrzehnte überproduziert wurde, nicht auf Qualität gesetzt wurde, sondern auf 'billig, billig'. Das kann man gar nicht über Nacht abstellen, weil in den Ställen sozusagen noch etwas anderes passiert. Es wird eine ganz schwierige Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass Politik an der Stelle bei der Landwirtschaft anders passiert.
Lange: Frau Künast, Frankreich und Irland haben zugesagt, sich an dieser Aufkaufaktion der EU zu beteiligen. Was ist mit den anderen Ländern? Wird das da einfach so durchgewunken, wird das abgelehnt? Wie ist da die Haltung?
Künast: Nein, auch bei den anderen Ländern passiert so etwas, zum Beispiel hat Spanien längst mit einer solchen Aufkaufaktion begonnen, auch wenn sie noch in den Anfängen ist. Ansonsten wird diese Aufkaufaktion ja immer da erwartet, wo das Problem - auch durch positive BSE-Tests - so ist, dass die Verbraucher das Fleisch nicht abnehmen, wo also diese Überproduktion auf dem Markt ist und dadurch die Preise gesenkt werden. Wir zum Beispiel haben in Deutschland ein ganz besonderes Problem, stärker noch als andere Länder, weil bei uns der Markt so weit zusammengebrochen ist, dass wir in den Preisen sozusagen unter 60 Prozent sind. Deshalb gibt es auch einen massiven Druck auf Deutschland.
Lange: Angenommen, es kommt zur Tötung von 400.000 Rindern in Deutschland. Sind denn überhaupt die Kapazitäten da, dann diese Kadaver zu beseitigen? Also bei der Massentötung einer Herde in Sachsen-Anhalt gab es gestern Probleme.
Künast: Nun ja, wir reden von der Zahl 400.000. Ob die Zahl so wäre, weiß ich noch gar nicht. Die Frage ist ja, in welchem Ausmaß die Bauern dieses Angebot überhaupt annehmen. Es ist eine Maßnahme, die so strukturiert ist, dass sie bis Ende Juni passieren kann. Also, das ist - glaube ich - eine andere Situation. Außerdem ist das, was in Mücheln passiert ist, ganz anders. Da wird auf einmal ein Stall geleert wegen des positiven BSE-Falls, und dann gibt's die Demonstration der Bauern dagegen. Hier ist es ja so, dass - wenn die Bauern das nutzen - es so ist, dass sie diese Maßnahme wollen und dann auch die Tiere anbieten. Also, es ist eine ganz andere Struktur. Da gibt es keine Kapazitätsprobleme.
Lange: Haben Sie denn den Eindruck, dass diese ganze BSE-Problematik in den anderen EU-Ländern inzwischen ähnlich beurteilt wird wie in Deutschland, oder gibt es da immer noch welche, die das auf die leichte Schulter nehmen?
Künast: Na ja, wir haben jetzt positive Fälle, Herr Lange, und insofern haben wir im wahrsten Sinne des Wortes das Problem. Die anderen Länder sehen es auch; sie gehen unterschiedlich stark ran. Aber ich merke eines, dass der Markt so zusammengebrochen ist und alle sozusagen die Auswirkungen der positiven BSE-Fälle aus anderen Ländern mittlerweile mitbekommen, weil deutsche Bauern zum Beispiel ihre Tiere in andere Länder bringen, um sie dort schlachten zu lassen, weil auch bei denen die Preise sinken. Eines ist auf alle Fälle klar: Sie merken alle, dass die Agrarpolitik umgebaut werden muss. Und da wird Deutschland eine ganz wichtige Rolle spielen - Deutschland als ein Land, das zwei Drittel der Gelder zahlt. Von uns wird auch der Druck ausgehen müssen: Jetzt raus aus der alten Politik - wo Sie selber gerade gesagt haben, dass erinnert Sie sozusagen an Kohlepolitik - und rein in eine andere Landwirtschaftspolitik, damit nicht nur dieses Marktproblem beseitigt wird, sondern als Verbraucherinnen und Verbraucher haben wir doch alle ein Interesse, Essen zu haben, von dem wir das Gefühl haben: Dies ist gesund.
Lange: Aber mit Ihrer Forderung, jetzt EU-weit diese BSE-Tests auch auf jüngere Tiere auszudehnen, haben Sie sich nicht durchsetzen können. Ist das dann nicht doch wieder die alte EU, die nur die paar Schritte geht, die gerade erforderlich sind?
Künast: Ein Agrarrat auf europäischer Ebene, mit so vielen Ländern zusammen, ist natürlich auch ein Stück wie das Bohren dicker Bretter. Das kriegen Sie nicht verändert aufgrund einer Agrarratssitzung, aber die nächste kommt ja schon am 19. Februar.
Lange: Also, Sie machen sich da Hoffnungen, dass da auch ein Umdenken einsetzt als Prozess, auch wenn er länger dauert?
Künast: Ich weiß - schlicht und einfach -, dass Sie dieses Umdenken nicht über Nacht hinkriegen. Im Agrarrat sind viele, die lange Zeit auch eine andere Agrarpolitik vertreten haben und das mehr verstanden haben als Lobbypolitik für die Landwirtschaft. Deshalb ist ja diese Situation auch zustande gekommen. Wir werden auf der Ebene des Agrarrats mit Druck auf die Kommission wirklich Monat für Monat auf den Agrarratsitzungen versuchen müssen, auch die Verteilung der Gelder, die es gibt, ganz anders zu strukturieren. Wissen Sie, Sie müssen sich mal ansehen, wie die Gelder verteilt sind, wo die hingehen. Es ist so, dass über 30 Milliarden geplant sind ständig für Maßnahmen des Marktes, Subventionen der Landwirte und - glaube ich - 4,5 Milliarden für strukturelle Maßnahmen. Das müssen wir nach und nach umlenken. Ich möchte hier Monat für Monat, Jahr für Jahr mehr Geld aus dem einen Topf rein in den Strukturtopf nehmen. Das ist der Topf, der sich kümmert um die Finanzierung einer anderen Agrarpolitik, die den ländlichen Raum finanziert - also eine Landwirtschaft, die Fläche braucht, die auch etwas tut für die Natur, und nicht nur danach berechnet wird, wie viel sozusagen hinten aus dem Stall an - egal, ob Qualität - an Masse rauskommt. Das kriegen Sie nicht über Nacht geändert. Aber Sie können sicher sein: Ich habe den längeren Atem und bin da beharrlich.
Lange: Frau Künast, es sind gestern ja auch noch Entscheidungen gefallen, die den Verbraucherschutz direkt betreffen, was die Verwendung bestimmter Rinderteile und -materialien angeht. Inwiefern wird das denn dann eine Modernisierung dieser ganzen Betriebe erfordern, die mit Schlachttechnik und Fleischverarbeitung zu tun haben?
Künast: Das wird auf alle Fälle eine Veränderung bedeuten, aber nicht nur dort. Wenn es darum geht, dass Separatorenfleisch von Wiederkäuern verboten wird, dass hier gesagt wird, dass flüssiges Fett von Wiederkäuern auf eine bestimmte Art und Weise sterilisiert werden muss, sogar darüber hinaus geprüft wird, ob alle Fette verboten werden und inwiefern sie eingeschränkt werden auf Essen für Menschen - also, da gibt es auch schon erste Schritte, die in eine andere Richtung weisen. Und dann muss ich sagen, Herr
Lange: Wir haben auch andere Punkte angesprochen, bei denen es - sage ich mal - eine ganz interessante veränderte Diskussion gibt - wo mir wirklich gestern Nacht noch einige gesagt haben: Das war zwar die erste Sitzung von mir mit dem Druck einer anderen Politik, aber man habe es schon gemerkt. Wir haben über die weiteren Arbeiten an anderen Richtlinien über Tiertransport und Schweinehaltung gesprochen, gerade wichtig wegen der Antibiotikaskandale in Bayern, was ja heißt: Wenn man will, dass Antibiotika nicht mehr benutzt werden, dann muss man Tiere auch anders artgerecht halten, damit es nicht nötig ist. Wir haben diskutiert über ein Verbot dieser antibiotischen Leistungsförderer in der Tiermast, und es hat auch andere Punkte gegeben - zum Beispiel eine Debatte um genveränderte Rebsorten . . .
Lange: . . . also, mit einem Wort: Ein frischer Wind im Agrarministerrat, auch dank Ihrer Teilnahme. Wir müssen es an dieser Stelle abbrechen, Frau Künast. Danke für das Gespräch heute Morgen in den 'Informationen am Morgen'. Renate Künast war das, die Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Künast: Tschüs.
Link: Interview als RealAudio