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Ringen mit den Ringen des Saturns

Die Arbeitsweise der englischen Regisseurin Katie Mitchell ist speziell: Ihre Inszenierungen sind Live-Hörspiele mit Videoeinblendungen. Auf diese Weise adaptierte sie nun für das Schauspiel Köln W.G. Sebalds "Ringe des Saturn" – ein Text, der bis dato als komplett untauglich für die Bühne galt.

Von Dina Netz | 12.05.2012
    W.G. Sebalds Text "Die Ringe des Saturn" ist ein formales Experiment: Sebald war 1992 einige Tage zu Fuß in der ostenglischen Grafschaft Suffolk unterwegs, und die Erlebnisse und Gedanken bei dieser Wanderung durch die weite, spärlich besiedelte Landschaft hat er ein Jahr später niedergeschrieben:

    "Jedenfalls beschäftigte mich in der nachfolgenden Zeit sowohl die Erinnerung an die schöne Freizügigkeit als auch die an das lähmende Grauen, das mich verschiedentlich überfallen hatte angesichts der selbst in dieser entlegenen Gegend bis weit in die Vergangenheit zurückgehenden Spuren der Zerstörung. Vielleicht war es darum auf den Tag genau ein Jahr nach dem Beginn meiner Reise, dass ich, in einem Zustand nahezu gänzlicher Unbeweglichkeit, eingeliefert wurde in das Spital der Provinzhauptstadt Norwich."

    Wo er mit dem Schreiben beginnt. Die Form der "Ringe des Saturn" nun ist schwer zu fassen – das Buch besteht aus Reisenotizen, erweitert um philosophische und historische Betrachtungen. Sebald erzählt, was er auf seiner Wanderung sieht und erlebt; immer wieder bleibt sein Interesse an etwas hängen, und er schweift ab in die Geschichte oder zu Geistesgrößen, in deren Leben die Gegend eine Bedeutung hatte. Besonders interessieren ihn eben die "Spuren der Zerstörung" - abbrechende Klippen, versinkende Friedhöfe, aber auch das menschliche Eingreifen durch Krieg oder Umweltverschmutzung. Sebald besucht die heruntergekommene Herrschaft Somerleyton, ein verarmtes früheres Seebad, imaginiert anhand eines Gemäldes eine Seeschlacht vor der Küste. Er lässt seine Gedanken aber auch weite Kreise ziehen bis in die chinesische Geschichte oder zu eigenen Reisen nach Amsterdam und Irland. "Die Ringe des Saturn" ist also eine sehr locker geknüpfte und weit ausgreifende Assoziationskette. Sebald flitzt wie ein Wiesel durch seine Gedanken, und über die Gelenkigkeit seines Geistes, sein ungeheures Wissen und den Glanz seiner Beschreibungen kann man nur staunen.

    Regisseurin Katie Mitchell hat an den "Ringen des Saturn" nach eigener Aussage die "hohe dramatische Intensität" interessiert: die Spannung zwischen der Ruhe und der Gewalttätigkeit der Landschaft. Deshalb hat sie den 350 Seiten starken Text reduziert auf die Beschreibungen von Suffolk und einige wenige Abschweifungen. Mitchell versucht den ungewohnten Text wiederum in eine ungewohnte Form zu bringen – die für sie selbst allerdings nicht so ungewöhnlich ist: Sie inszeniert in Köln ein Live-Hörspiel mit Video-Einblendungen, ergänzt durch einige Schauspielszenen. Drei Schauspieler tragen wenig modulierend den Text vor, alle zehn Darsteller machen dazu auf der Bühne Geräusche. Die Geräuschemacherin Ruth Sullivan zum Beispiel tritt fast die gesamten zwei Stunden auf verschiedenen Untergründen auf der Stelle, um zunächst die Ankunft, dann die Wanderung des Erzählers hörbar zu machen.

    "An der nächsten, zu dem Landschloss von Somerleyton gehörenden Station, stieg ich aus. Der Triebwagen ruckte gleich wieder an und verschwand, eine schwarze Rauchfahne hinter sich herziehend, in der leicht geschwungenen Kurve ein Stück weit voraus."

    Auf die bewusst mit Patina überzogene hintere Wand werden Videos projiziert, die entweder den Text illustrieren – weite Marschlandschaften, rollende Meereswogen, heruntergekommene Ortschaften. Manchmal kontrastieren die Bilder auch mit dem Erzählten, wie der tote Vogel, der zu sehen ist, als Sebald von der Begegnung mit einem Mann erzählt, der seit Jahrzehnten ein Modell des Jerusalemer Tempels baut.

    An dieser Geschichte zeigt sich besonders deutlich das Problem von Katie Mitchells Inszenierung: Zwar kommt die Episode im Stück vor, aber sie ist zu stark verkürzt und rauscht durch die vielen Ebenen von Ton, Bild und Text, denen man gleichzeitig Aufmerksamkeit schenken muss, zu schnell vorbei. Von Sebalds zugleich bewundernder und amüsierter Beschreibung dieses eigenartigen Mannes kriegt man fast nichts mit.

    Katie Mitchells Ansatz ist ehrenvoll: Die Regisseurin verneigt sich vor der literarischen Meisterschaft Sebalds ihrerseits mit meisterlichem Einsatz der Theatermittel: Den Darstellern, die Text, Geräusche, Bilder, Musik koordinieren müssen und dabei Beachtliches leisten, gebührt aller Respekt. Aber nach anfänglichem Staunen über die elaborierten Bühnenmittel stellt sich beim Publikum bald sinnliche Überforderung ein. Sebalds mäandernden Gedankengängen mit all ihren Abschweifungen und verblüffend präzisen Beschreibungen kann man nicht mehr folgen. "Die Ringe des Saturn" verlieren in der Kölner Bühnenmaschinerie ihr Strahlen.