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Ringer Rabbia Khalil
Der "kölsche Palästinenser" will nach Tokio

Aus Köln für Palästina nach Tokio - das ist der Traum des Ringers Rabbia Khalil. Der 35-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen, trägt das palästinensische Nationaltrikot aber mit großem Stolz. Nun trainiert er mit höchster Konzentration, um einen Startplatz bei den Olympischen Spielen zu erringen.

Von Jessica Sturmberg | 04.04.2021
Rabbia Khalil lächelt in die Kamera.
Ein Ringer mit zwei Heimatorten - Rabbia Khalil lebt in Köln und tritt für Palästina an (Sturmberg/Dlf)
Rabbia Khalil trainiert derzeit täglich, seinen Job als Versicherungskaufmann hat er reduziert, um bestmöglich vorbereitet zu sein für das Qualifikationsturnier am kommenden Wochenende in Almaty, Kasachstan. Seine deutschen Ringerkollegen waren bereits vor zwei Wochen beim europäischen Qualifikationsturnier in Budapest im Einsatz und haben zwei Tickets gelöst. Rabbia Khalil nimmt als Mitglied der palästinensischen Mannschaft bei der Asienqualifikation teil. Wobei Mannschaft nach mehr klingt, als es tatsächlich ist:
"Seit vielen Jahren bin ich der einzige Athlet, der Palästina international vertritt. Gott sei Dank ist noch ein weiterer Athlet dazu gekommen, der allerdings nicht in Palästina lebt, sondern in Palästina geboren ist. Der lebt jetzt in der Türkei und studiert dort. Und wir sind die Beiden, die zu dem Turnier fliegen werden."
Rabbia Khalil liegt in Bauchlage auf der Matte, sein Gegner hinter ihm.
Rabbia Khalil (links) bei einem Vereinskampf (2005) (IMAGO / Eduard Bopp)
Ein Turnier, das bei steigenden Corona-Infektionszahlen nicht ohne Risiko ist für den 35-Jährigen. Aber ob die Hygienevorschriften auch noch für die Mutationen ausreichend sind, darüber zerbricht er sich nicht den Kopf.
"Ich versuche mich gar nicht so lange mit dem Gedanken zu befassen. Es reicht ja schon, dass wir mit Covid-19 zu tun haben und wenn man noch sagt, 'ja dann kommt noch das dazu und das dazu', dann geht das wirklich auf die Psyche und das sollte man ein bisschen vermeiden."

Nur zwei dürfen zu den Spielen

Er will den Kopf frei haben für die Chance, die er hat. Rabbia Khalil kämpft im griechisch-römischen Stil, Gewichtsklasse bis 77 kg. Nur die beiden Finalisten dürfen nach Tokio, sein größter Konkurrent ist der Südkoreaner Kim Hyeon-woo, Olympiasieger von 2012 und Bronzemedaillengewinner von 2016, von dem er hofft, ihm erst im Finale zu begegnen.
Allerdings ist Khalil im Gegensatz zu den anderen Ringern allein auf sich gestellt. Kein Trainer, kein Physio, kein Arzt stehen an seiner Seite. Dafür gibt es beim palästinensischen Verband nicht genug Geld.
"In Palästina wird einfach nicht gerungen. Die Qualifikation fehlt auch. Ich kann mich auch nicht von jemanden coachen lassen, der dazu nicht geeignet ist und der auch nicht die gewisse Qualifikation hat, weil ich im Endeffekt sowieso nicht auf den hören werde."
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In Palästina "nicht mal eine eigene Halle"

Es fehlen ganz einfach professionelle Strukturen und ein Umfeld, das Profisport überhaupt möglich macht: "Der Verband ist noch nicht bereit, richtig zu sagen, wir bilden hier Leistungssportler aus. Das können die zurzeit nicht, Die Umstände erlauben es ohnehin nicht. Wir haben keine Kampfrichter, wir haben nicht mal eine eigene Halle, die zum Verband gehört, auch nicht mal eine offizielle Matte, Trainer. Da fehlt es vorne und hinten an allem."
Bedingungen, die Rabbia Khalil nur aus Erzählungen kennt. Denn er selbst war noch nie in dem Land, für das er startet. Seine Großeltern fliehen einst aus Palästina, seine Eltern werden in einem Flüchtlingscamp im Libanon geboren und ziehen weiter nach Deutschland, wo Rabbia Khalil zur Welt kommt. Seitdem er ein Jahr alt ist, hat er in Köln gelebt, in der Grundschule hat ihn damals ein Freund zum Ringen mitgenommen.
"Ich bin eine kölsche Palästinenser durch und durch. Köln ist meine Heimat. Palästina ist meine Heimat, heißt jetzt nicht, weil ich nicht dort geboren bin, dass dort meine Wurzeln nicht liegen. Meine Wurzeln liegen da. Ich habe mich mit dem Thema sehr oft befasst, 'woher komme ich?'"
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Die Entscheidung für Palästina zu starten, ist für ihn nicht einfach nur ein Weg gewesen, in die internationalen Wettkämpfe zu kommen. Es ist für ihn auch eine Art Weg zurück in das Land seiner Vorfahren, in das sie nicht mehr zurückgelangen, aber immer die Sehnsucht danach hatten.

"'Rabbia Khalil - Palestine', das war ein sehr schönes Gefühl"

"Also ich vertrete eigentlich meine Heimat, die ich nie gesehen und kennengelernt habe, nur aus dem Fernsehen kenne, nur aus der Erzählung kenne. Mir bedeutet das einiges, für Palästina an den Start zu gehen, die Flagge auf der Brust. Wenn ich aufgerufen werde auf den Turnieren: Rabbia Khalil für Palästina. Ich kann mich ganz genau noch daran erinnern, als ich es das erste Mal gehört habe: 'Rabbia Khalil, Palestine', das war ein sehr schönes Gefühl."
Eines, das er wiederum nicht gehabt hätte, wenn er dort groß geworden wäre, weil ihm dann eine professionelle Sportkarriere wohl verwehrt geblieben wäre. So kann er seine Heimat nur vertreten, weil er in Deutschland die Möglichkeiten hat. Ob er das Olympiaticket in Kasachstan allerdings löst, ist völlig offen.
"In der Geschichte haben wir es bisher zwei Mal geschafft uns direkt zu qualifizieren ohne Wildcard. Das war 2012 im Judo und 2016 auch eine Deutsch-Palästinenserin, die in Berlin lebt, Maja, da Sajat und ich wäre gerne der Dritte."