Dienstag, 16. April 2024

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Ringstorff: Viele ostdeutsche Leistungsbezieher werden besser gestellt

Müller: Herr Ringstorff, macht es in diesen Zeiten noch Spaß, in der SPD zu sein?

Moderation: Dirk Müller | 11.08.2004
    Ringstorff: Es ist tatsächlich schwierig für alle SPD-Mitglieder. Es hat in Deutschland 20 Jahre lang einen Reformstau gegeben. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass es scheinbar ein Naturgesetz ist, dass es immer Zuwächse zu verteilen gibt. Diese Zeit ist vorbei. Populisten links und rechts machen es der SPD nicht gerade einfach. Viele, die im Vermittlungsausschuss Hartz IV mitgetragen haben, machen jetzt dagegen Front. Das ist teilweise pure Heuchelei, denn die Einschnitte, die gefordert worden sind von der CDU, waren ja viel härter als das, was letzten Endes im Hartz-IV-Gesetz steht. Man wollte die Leistungen für Arbeitslosengeld beispielsweise auf das reine Sozialhilfeniveau absenken. Man wollte bei den Vermögensanrechnungen nur viel niedrigere Beiträge akzeptieren als das jetzt der Fall ist. Auch die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen gehen auf das Konto der CDU. Man wollte dort sicherlich noch etwas weitergehen. Wenn Herr Milbradt jetzt sogar erwägt, sich mit an den Montagsdemonstrationen zu beteiligen, dann ist das für mich Heuchelei hoch drei, und mir kann speiübel werden bei einem solchen Verhalten.

    Müller: Sie sagen, es ist schwierig, derzeit bei der SPD zu arbeiten. Wie sozialdemokratisch ist die SPD?

    Ringstorff: Hartz IV wird ja nichts aus Jux und Tollerei gemacht, sondern Hartz IV ist ein Gesetz, um statt der Arbeitslosigkeit immer konsequent wieder Arbeit zu finanzieren. Wir wissen, dass unsere Sozialsysteme nicht über eine bestimmte Grenze hinaus belastbar sind. Wenn ich hier die Leistung erhöhen will, muss ich gleichzeitig anderen etwas wegnehmen, und dann muss der kleine Arbeitende unter Umständen noch mehr Steuern bezahlen, was sich negativ auf die Beschäftigung auswirken wird. Noch sind die Hartz-Reformen ja noch gar nicht umfassend in Kraft, und man spricht schon von ihrem Scheitern. Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen wird, mehr Menschen in Arbeit zu bringen, sehe allerdings deutliche Unterschiede zwischen West und Ost. In Ostdeutschland gibt es viel weniger Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt, und auch wenn ich das Verhältnis Arbeitslose - vermittelnde Personen in den Arbeitsagenturen verbessere, wird es hier nicht gelingen, im größeren Umfang Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen.

    Müller: Dann müssten Sie ja auch dagegen sein.

    Ringstorff: Nein, hier greift etwas anderes. Hier greift die Möglichkeit, über Mehrarbeitsentschädigungen Menschen dann gemeinnützige Tätigkeiten verrichten zu lassen. Es gibt sehr viel zu tun, das nur nicht finanziert werden kann. Über mehr Aufwandsentschädigungen kann ich Arbeitslosengeld-II-Empfänger dann in Arbeit bringen. Sie sehen noch einen Sinn im Leben. Sie haben vernünftige Aufgaben. Es sind ja beispielsweise die Wohlfahrtsverbände schon auf den Plan getreten und haben deutlich gemacht, dass in ihrem Bereich eine Menge von Arbeitsplätzen zu schaffen sind. Auch in den Kommunen gibt es weitere Möglichkeiten. Also ich gehöre nicht zu denen, die die Hartz-Reformen verteufeln und sagen, es ist Teufelszeug und diese Reform muss weg.

    Müller: Aber, wenn ich Sie unterbrechen darf, wenn wir nach vorne blicken - und Sie denken ja natürlich täglich und stündlich, nehme ich an, über die potentiellen Konsequenzen der Hartz-Reformen nach -, bekommen Sie da Bauchschmerzen?

    Ringstorff: Also ich gehe davon aus, dass sich ein Teil der Aufregung legen wird, wenn vernünftig über die Hartz-Reformen aufgeklärt wird. Ich lese in vielen Zeitungen haarsträubende Beispiele von der Alleinerziehenden, die zwei Kinder hat, die nur 600 Euro zur Verfügung hat, davon ihre Miete bezahlen muss usw., wie soll sie dann, wenn die Reformen in Kraft treten, noch leben? Wenn man aber sich das Hartz-IV-Gesetz ansieht, weiß man, dass gerade diese Alleinerziehende mit Kindern bessergestellt wird als sie vorher gestellt war, sämtliche Sozialhilfebezieher werden durch die Hartz-Reformen bessergestellt, also die arbeitsfähigen. Sie werden krankenversichert, sie werden rentenversichert - was es vorher nicht gab -, sie werden in die Vermittlungsprozesse mit einbezogen. Sie haben auch ein Anrecht auf Weiterbildung, Fortbildung. Das sind erhebliche Verbesserungen für einen beträchtlichen Teil derer, die jetzt von Sozialhilfe leben, aber auch für einige, die jetzt von Arbeitslosenhilfe leben.

    Müller: Darüber wird ja immer diskutiert. Also es gibt ja nicht nur die Veränderung an sich, sondern für viele wird es besser, für einige wird es auch schlechter. Wird es denn für mehr schlechter als besser?

    Ringstorff: Da gibt es, glaube ich, zwischen Ost und West einige Unterschiede. Im Osten sind ja viele in die Arbeitslosenhilfe gekommen, die früher sehr niedrige Verdienste hatten. Für die wird es besser. Für diejenigen, die relativ hohe Verdienste hatten, wird es Einschränkungen geben. Dort werden die Zahlungen zurückgehen, und es werden natürlich eine Reihe - bei uns im Land rechnet man bis zu 20 Prozent - aus den Zahlungen herausfallen, wenn in der Bedarfsgemeinschaft ein genügend hohes Einkommen vorhanden ist.

    Müller: Aber unter dem Strich sagen Sie klipp und klar, die Mehrheit wird profitieren?

    Ringstorff: Ich glaube, dass es im Osten durchaus so ist, dass hier eine beträchtliche Zahl profitieren wird. Auf den Pfennig genau kann man das nicht ausrechnen, aber es ist nicht so wie auf den Demonstrationen glauben gemacht werden soll, dass das nun die wahre Katastrophe ist. Die Bedarfe, die da sind, werden durch das Arbeitslosengeld II finanziert werden können. Der Staat ist allerdings nicht dafür verantwortlich und kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, den hohen Lebensstandard aufrecherhalten zu müssen. Das ist das Problem der Verlierer.

    Müller: Sie sind Chef in Schwerin einer rot-roten Koalition, also die PDS ist ja daran beteiligt. Sie wollten damals - nicht nur Sie, sondern viele andere auch - die PDS mit in die Regierungsverantwortung nehmen, um die PDS dann, wie es damals so schön hieß, zu entzaubern. Nun profitiert die PDS nachhaltig von der aktuellen Diskussion, das heißt, dieses Projekt, die PDS nach unten zu korrigieren, ist gescheitert?

    Ringstorff: Das können Sie nicht mit dem Einbeziehen der PDS in die Regierungsverantwortung in Zusammenhang bringen. Tatsache ist, dass die PDS profitiert von der Hartz-IV-Reform. Das liegt aber auch daran, dass viele Menschen nicht genug aufgeklärt sind und dass die PDS teilweise mit billigen Populismus, wie ja übrigens auch Teile der Union, gegen Hartz IV vorgeht. Sie wissen, Populisten haben auf alles eine Antwort, aber keine Lösung.

    Müller: Und mit diesen Populisten können Sie weiter regieren?

    Ringstorff: Trotzdem ist es so, dass ich sehr große Unterschiede auch in der PDS sehe. In Regierungsverantwortung werden gerade PDS-Minister diese Reformen mit umzusetzen haben und werden auch versuchen, sie zu einem Erfolg zu führen. Denn auch ein PDS-Minister will es sich nicht nachsagen lassen, dass er nicht alle Chancen, die auch in diesem Gesetz für Arbeitslose stecken, ausgenutzt hat. Aber ich gebe Ihnen Recht, es ist so, dass die PDS zur Zeit von diesen Protesten, die sie ja teilweise selbst mit organisiert, profitiert. Was mich etwas stört, ist, dass man versucht, an die Montagsdemonstrationen anzuknüpfen. Das ist eine Herabwürdigung der Montagsdemos, die seinerzeit stattgefunden haben, eine Beleidigung für viele dieser Montagsdemonstranten. Damals ging es darum, eine Diktatur zu beseitigen und Mauer und Stacheldraht endgültig abzuschaffen, mit der Bespitzelung der Menschen Schluss zu machen. Das Demonstrationsrecht, das heute ausgeübt wird, wurde seinerzeit erkämpft.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.