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Rinke

DLF: Frau Rinke, der Deutsche Evangelische Kirchentag feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Im Gründungsjahr 1949 hat man den Kirchentag ganz bewußt als eine Laienbewegung eingerichtet, die von der verfaßten Kirche unabhängig sein sollte. Man wollte also neben der sogenannten traditionellen Pastorenkirche das Engagement der Laien stärken. Haben fünf Jahrzehnte Kirchentagsbewegung die Laien im deutschen Protestantismus in ihrem Selbstbewußtsein gestärkt?

Rüdiger Achenbach |
    Rinke: Das würde ich unumwunden mit ‚ja‘ beantworten, natürlich muß man das noch untersetzen. Ich kann für mich sagen – meine Geschichte liegt ja in der Zeit der DDR-Kirche –, daß die Laienbewegung die DDR-Kirchen ein Stück mit hindurchgetragen hat. Und ich weiß auch, daß die entscheidenden gesellschaftlichen Anstöße aus der Laienbewegung des Deutschen Evangelischen Kirchentages in die bundesdeutsche Gesellschaft hineinkamen.

    DLF: Wie würden Sie denn heute das Verhältnis beschreiben, in dem auf der einen Seite die verfaßte Kirche steht und auf der anderen Seite die Kirchentagsbewegung, die protestantische Laienbewegung?

    Rinke: Ich glaube, daß die Kirchentagsbewegung für sich mehr Freiheit in Anspruch nehmen kann, da sie Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft zusammenbringt im Dialog, und daß sie insbesondere über die Jahre hin eine Streitkultur entwickelt hat und dem Streit nicht ausgewichen ist, sondern bewußt auch sich über den Glauben auseinandergesetzt hat, aber eben auch entscheidende gesellschaftspolitische Fragen angestoßen hat. Und da ist der Kirchentag sehr viel freier, weil die Amtskirche natürlich auf viele kirchlich verfaßte Dinge Rücksicht nehmen muß.

    DLF: Das heißt: Kirchentagsbewegung auch als Ergänzung zur verfaßten Kirche, und kein Konkurrenzunternehmen?

    Rinke: Kein Konkurrenzunternehmen – ich denke, eine wichtige Ergänzung, aber auch so ein bißchen eine Voraustruppe vielleicht.

    DLF: 50 Jahre Deutscher Evangelischer Kirchentag: Das bedeutet auch, daß die Kirchentagsbewegung in Ost und West – Sie haben es bereits angesprochen – nach 1961 für 30 Jahre getrennt waren. Wie sah denn nun die Kirchentagsbewegung im Osten aus, in der damaligen DDR? Welche Möglichkeiten gab es dort für die protestantischen Laien?

    Rinke: Also, erst mal will ich sagen, daß wir sehr dankbar waren, daß es auch zu DDR-Zeiten möglich war, Kirchentage durchzuführen. Es waren ja fast die einzigen alternativen Veranstaltungen überhaupt, die die Gesellschaft oder der Staat zuließ. Das hat natürlich an manchen Stellen viel Arbeit gekostet. Ich sage immer wieder, wenn ich so an früher denke: Die Kirchentage waren ein viel gefährlicheres Unternehmen. Man mußte viele Dinge im Vorfeld sehr genau planen: Was durften wir uns erlauben, um unsere Gesamtplanung nicht aufs Spiel zu setzen – und an welcher Stelle soll es keine Kompromisse geben. Das war ein ganz schmaler Pfad, auf dem die DDR-Kirchentagsbewegung sich wirklich bewegt hat, soviel wie möglich Offenheit in die Gesellschaft hinein und auch so viel wie möglich Risikobereitschaft, aber dann auch ganz klar zu sagen: ‚Hier sind unsere Grenzen, sonst werden wir den Kirchentag nicht mehr durchführen können‘.

    DLF: Wie war das Verhältnis zur Kirche, zur verfaßten Kirche? War es ein engeres Zusammenrücken?

    Rinke: Es war sehr viel enger. Ich habe überhaupt erst nach 1990 mitgekriegt, daß zum Beispiel dieser Deutsche Evangelische Kirchentag ganz anders – auch strukturell – verfaßt ist, zum Beispiel in einem Verein. Das gab es zu DDR-Zeiten überhaupt nicht. Da hat man sich über solche juristischen Dinge gar keine Gedanken gemacht, sondern unsere damalige Kirchentagsbewegung setzte sich zusammen aus Theologen und Laien. In der Regel waren schon Laien auch in den Führungspositionen, aber die Theologen hatten sehr viel mehr Mitwirkungsmöglichkeiten, und da gab es nicht so eine starke Unterscheidung.

    DLF: In Westdeutschland hat es ab den siebziger Jahren eine zunehmende Politisierung des Kirchentags gegeben. Es gab bestimmte Themen, wie Friedenspolitik, Atomenergie, die dort in heftigen Kontroversen behandelt wurden. Wie sah es in dieser Zeit in der DDR aus?

    Rinke: Also, ich erinnere mich sehr deutlich an den 83-er Kirchentag mit dem Motto ‚Schwerter zu Pflugscharen‘, und wir hatten dann hier in Thüringen einen Kirchentag – das will ich noch hinzufügen: Wir hatten ja diese regionalen Kirchentage, also nicht diesen einen großen, sondern diese regionalen Kirchentage, ganz bewußt auch, weil die sehr viel dichter an den Menschen dran waren und wir auch so eine große Organisation gar nicht hingekriegt hätten unter DDR-Bedingungen. Aber ich denke eben an diesen Kirchentag, der damals in Thüringen war unter dem Motto ‚Vertrauen wagen‘, den ich als einen sehr politischen empfunden habe, weil die Themen von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung damals so richtig in den Vordergrund kamen – also daß auch Umweltprobleme in der DDR nicht mehr in dem Maße verschwiegen werden konnten, wie man das vorher vorgenommen hatte. Dazu kam, daß wir uns auch bewußt gemacht haben, daß wir ein Stück der Ostgesellschaft damals mit zum Aufbruch verhelfen wollten. Also, da war so für mich so eine erste Aufbruchstimmung, daß alle sahen: Wir wollen, daß sich hier was tut. Das war noch mehr ein Gefühl, als ganz klare Ziele. Und es gab auch Überlegungen zu diesen Fragen der Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West. Das waren so erste Anregungen. Wir waren ja immer sehr froh und lebten auch davon, daß viele Besucher aus dem damaligen Westen das auf sich genommen haben, um zu uns zu kommen und uns auch einen bestimmten Horizont dann zu erweitern, als wenn man ihn immer nur in seinem eigenen Saft schmorte.

    DLF: Wie hat die DDR-Gesellschaft im allgemeinen auf dieses Engagement der Kirchentage reagiert?

    Rinke: Es sind auch viele Kirchenferne, Kirchenfremde zum Kirchentag gekommen, insbesondere Gruppen, die auch andere Themen bei sich eigentlich besprochen haben und bearbeitet haben. Das ist ja schon oft besprochen worden, daß insbesondere Friedensgruppen und Umweltgruppen unter dem Dach der Kirche und auch unter dem Dach des Kirchentages Veranstaltungen mitgemacht haben; das war auch so gewünscht. Und ich denke, das war eine gegenseitige Hilfe und auch eine gegenseitige Befruchtung, durchaus mit Leuten in Kontakt zu sein, die auch aus dem atheistischen Bereich kamen.

    DLF: Das hat sich ja dann nachher auch bei der Wende gezeigt, daß der Zuspruch dort war – gerade im kirchlichen Umfeld.

    Rinke: Ja, auf jeden Fall.

    DLF: Wie sah es mit den DDR-Medien aus? Hat man die Kirchentage wahrgenommen? Wurde dargestellt, was dort geschah?

    Rinke: Natürlich in den Kirchenzeitungen, selbstverständlich. Wir hatten ja glücklicherweise ‚Glaube und Heimat‘ und die Kirchenzeitungen. Dort wurde natürlich darüber informiert und auch ausführlich. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob im NEUEN DEUTSCHLAND etwas über den Kirchentag gestanden hat - das muß ich einfach jetzt zugeben . . .

    DLF: . . . also, es scheint nicht besonders auffällig gewesen zu sein . . .

    Rinke: . . . auf jeden Fall war es nicht besonders auffällig. Ich könnte mir denken: Es gab damals eine Zeitung, die hieß ‚Die Neue Zeit‘, die war von der CDU, daß da mal einzelne Ausschnitte eventuell erwähnt worden sind, aber sicher nicht die kritischen.

    DLF: 1991 haben sich dann die beiden Kirchentagsbewegungen Ost und West wieder im Deutschen Evangelischen Kirchentag zusammengeschlossen, nachdem man 30 Jahre getrennte Wege gehen mußte und auch eigene Formen entwickelt hatte, den Kirchentag zu gestalten. War dieser Zusammenschluß einfach?

    Rinke: Ich glaube, er war nicht einfach, aber er war fällig. Wir wollten ja gemeinsam etwas neues tun. Das habe ich – denke ich – im Vorfeld schon so ein bißchen erzählen können, daß wir eine sehr viel enger zusammengehörige Bewegung waren, wo es manchmal schon fast privat zuging. Man kannte sich einfach untereinander . . .

    DLF: . . . im Gegensatz zu den Massenbewegungen im Westen . . .

    Rinke: . . . ja, im Gegensatz zu den riesigen Bewegungen. Und das war uns eigentlich ein/zwei Nummern zu groß und auch sehr wenig überschaubar, das muß ich schon sagen. Und so ein bißchen hat man ja auch Angst, daß man dann in dem Großen dann doch so ein bißchen allgemein auf dieses Zusammenwachsen zwischen Ost und West. Und ich bin ja dann erst etwas später so als ‚Seiteneinsteigerin‘ in den großen Kirchentag mit hineingekommen, und ich hatte schon mitunter so Gefühle, daß ich mir so ein bißchen verloren vorkam. Aber ich bin ein Typ, der dann etwas dagegen tut, und ich denke, das ist auch das, was ich vielen gerne vermitteln würde, also das sich einfach aktiv einmischen. Und ich glaube, daß der Kirchentag jetzt so wie er ist auch für diese Gesellschaft, in der wir leben, das Richtige ist.

    DLF: Hat man vom Osten her, das heißt, aus den neuen ostdeutschen Ländern auch programmatisch etwas einbringen können in die große Veranstaltung Kirchentag?

    Rinke: Es war unser besonderes Anliegen, dieses Zusammenwachsen zwischen Ost und West immer wieder zu thematisieren. Ich denke, sehr deutlich ist uns das in Leipzig auf dem Kirchentag gelungen, wo wir auch noch mal versucht haben, ein Stück der DDR-Vergangenheit – ich vermeide immer das Wort ‚aufzuarbeiten‘, aber es ist schon eine schwierige Arbeit. Und das wird auch ein Thema sein, was uns von Leipzig mit nach Stuttgart jetzt begleitet, zu gucken: Wie geht das Zusammenwachsen zwischen Ost und West weiter, und zwar nicht nur in großen Reden von Politikern aus Ost und West zu hören, sondern daß wir uns gegenseitig Biographien erzählen. Da haben wir in Leipzig gute Erfahrungen gemacht, und das wollen wir jetzt so mit ganz normalen Leuten auch in Stuttgart probieren, also zum Beispiel eine Landfrau aus Baden-Württemberg und ein LPG-Vorsitzender aus Sachsen oder so, also daß wir sehr dicht die Probleme der Menschen da einbringen. Das – denke ich – ist ein ostdeutsches Anliegen gewesen und das will ich auch selber gern weiter vertreten.

    DLF: Vom 16. bis 20. Juni findet nun der 28. Deutsche Evangelische Kirchentag in Stuttgart statt. Es ist, wie immer wieder betont wird, ein Kirchentag vor der Jahrtausendwende. Welche Bedeutung hat für Sie in diesem Zusammenhang das Motto des Stuttgarter Kirchentages: ‚Ihr seid das Salz der Erde‘?

    Rinke: Ja, dieses Motto ist – denke ich – ein spannender Satz, der nicht nur Christinnen und Christen ansprechen möchte, sondern vor allen Dingen eigentlich allen Menschen am Ende dieses Jahrtausends noch einmal sagen will: Wir haben hier eine Botschaft, und die wollen wir von diesem Kirchentag in die Welt hinaussagen, aber natürlich auch an alle eingeladenen Christinnen und Christen, die dahin kommen. Wir haben im Vorfeld, als wir nach einem Thema gesucht haben – das ist ja ein Prozeß, der schon lange vor dem Kirchentag beginnt, also so eineinhalb Jahre im Vorfeld – da haben wir danach gesucht: Was wird das sein, was die Menschen am Ende dieses Jahrtausends bewegt? Es waren vor allen Dingen die Fragen der Zukunft; das war also in vielen Gesprächen deutlich und bei vielen Befragungen. Und dieser Satz: ‚Ihr seid das Salz der Erde‘ soll eigentlich sagen: So wie Ihr seid, Christen, könnt Ihr die Zukunft mitgestalten, Ihr müßt Euch nicht verbiegen oder verändern, sondern so, wie Ihr seid, seid Ihr angenommen und könnt was tun, daß diese Zukunft eine gute Zukunft wird.‘ Und das hoffe ich, daß der Kirchentag das ein Stück herüberbringt.

    DLF: Der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock hat gerade in diesen Tagen im Blick auf die Konfessionslosigkeit in Ost- und zunehmend auch in Westdeutschland von einer ‚Epochenwende‘ gesprochen, einer ‚Epochenwende im kirchlichen Leben‘. Wie reagiert der Kirchentag auf diese Bewegung, denn es geht ja auch nicht spurlos an der Kirchentagsbewegung vorbei?

    Rinke: Das ist richtig. Ich bin jetzt im Vorfeld immer wieder gefragt worden: Was sind eigentlich die Schwerpunkte dieses Kirchentages? Und ein Schwerpunkt für mich ist die Sache, daß wir den Unglauben in der Gesellschaft ernst nehmen müssen – oder positiv formuliert, daß wir unsern Glauben einfach in die Gesellschaft hineinsprechen lernen müssen. Also, das Buchstabieren, was heißt das für mich heute, evangelischer Christ zu sein, oder vielleicht auch nur Christ zu sein? Das ist eine spannende Frage. Für mich an erster Stelle Christ zu sein – das muß ich ganz deutlich sagen. Und ich wünsche mir, daß der Kirchentag diese Frage des Unglaubens der Gesellschaft, der sich ja im Westen auch langsam dahin entwickelt, wo wir im Osten schon mal waren und wo wir ganz wichtige Erfahrungen – denke ich – schon gemacht haben; ich würde einfach denken: Im Osten ist es ja inzwischen so, daß nach dem Glauben kaum noch jemand fragt. Wir haben früher immer gesagt: Wir müssen Antworten haben. Aber jetzt müssen wir erst einmal gucken, aus den Menschen die Fragen herauszulocken, daß es neben Geld und – vielleicht – Karriere noch etwas anderes gibt, was da Leben lebenswert macht. Und ich beobachte bei jungen Menschen, daß die kaum noch Träume haben. Das ist ganz traurig, und ich hoffe, daß der Kirchentag so ein Stück zwischen Traum und Vision und realistisch Machbarem auch vermitteln kann - und das auch in Glaubensfragen, also daß wir unsere Träume und Visionen nicht aufgeben, nämlich die, die in der Bibel stehen und schon 2.000 Jahre uns durchgetragen haben, und daß wir aber gucken: Wie können wir die realistisch heute herüberbringen?

    DLF: Nun wird die Zukunft der kirchlichen Arbeit ja ganz entscheidend davon abhängen, wie man die heranwachsende Generation mit christlichen Wertvorstellungen konfrontiert. Das heißt: Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, um die Jugend auf diesem Weg einzubinden?

    Rinke: Ich denke erst einmal, wir müssen sehr viel angstfreier damit umgehen. Die Kirche sieht jetzt sehr darauf, daß sie ihre Besitzstände im Bereich der Erziehung und im Bereich der Schulen, daß sie das bewahrt. Wir hatten ja einen langen Streit zum Beispiel über die Frage des Religionsunterrichtes an den Schulen. Ich glaube schon, daß der Streit ein fruchtbarer Streit war, weil auf allen Seiten – hoffe ich – wichtige Akzente deutlich geworden sind. Ich will das mal konkreter sagen: Ich erlebe jetzt bei meiner kleinsten Tochter, die ist 16 Jahre und die letzte, die noch an der Schule ist. Da sind nach wie vor nur 5 Kinder im christlichen Religionsunterricht von einer Klasse von 30 Kindern. Und das ist eigentlich traurig, weil die Fragen, die Glaubensfragen schon in den Kindern lebendig sind - und man muß noch eine andere Möglichkeit finden, die zu thematisieren. Das kann nicht nur die Schule sein, und das kann nicht nur der jetzt so vorgefaßte Religionsunterricht sein, sondern ich wünschte mir da einfach mehr Offenheit und mehr Modelle, ganz verschiedene Modelle. Da kann ich jetzt nicht in Einzelheiten was zu sagen, weil ich da nicht Spezialistin in diesem Bildungsbereich bin.

    DLF: Es wird immer wieder der Vorschlag gemacht, kirchliche Jugendarbeit stärker auszubauen.

    Rinke: Das ist ein Feld, und das fände ich auch sehr wichtig. Ich kann nur sagen: Bei uns hier im Osten haben das schon lange andere besetzt, andere Jugendverbände, und da ist es sehr schwierig, wenn man einmal Terrain verloren hat, das wieder zurückzuerobern. Aber das ist natürlich eine wichtige Frage. Und die ganze Situation: Bei uns war gerade gestern in Nordhausen eine große Jugendweihe-Feier – an einem Tag mit drei verschiedenen Veranstaltungen im Theater, wo jeweils 700 Eltern gesessen haben, also ein großer Bereich, wo dieser Ritus vom Kindsein zum Erwachsenenalter ja von vielen gewünscht wird, oder ein Ritus – und das ist nicht der, der mit der alten DDR zu tun hat, sondern das ist einer, wo viele sagen: ‚Mit der Kirche haben wir Berührungsängste‘ oder ‚wir können damit nichts anfangen, und deshalb wählen wir diese Jugendweihe‘ - zum Beispiel. Da wünsche ich mir, daß wir da überlegen, was wir anbieten können.

    DLF: Das heißt auch, in den Dialog mit diesen Menschen zu treten . .

    Rinke: . . . auch in den Dialog mit den Menschen. Wir brauchen keine Angst zu haben, denke ich.

    DLF: Kirchentage sind immer auch ein Ort, an dem gesellschaftliche Fragen angesprochen werden, die die Menschen beschäftigen. Dazu gehört heute zweifellos der Themenkomplex ‚Arbeit und Existenzsicherung‘. Wird man sich mit diesen Fragen auch auf dem kommenden Kirchentag ist Stuttgart beschäftigen?

    Rinke: Das war eines meiner Hauptanliegen, daß dieses Thema der Frage der Gerechtigkeit von Leipzig, wo sich ja diese Gerechtigkeit für die Menschen, die sich auch über Arbeit ja dokumentiert gezeigt hat, daß wir dieses mit nach Stuttgart nehmen. Und wir haben einen großen Komplex zur Zukunft der Arbeit, und hier haben wir dieses Mal einen Theoretiker gewählt, der hoffentlich auch auf dem Kirchentag mit streitbaren Thesen auftritt. Also, wir haben nicht versucht, zwei Politiker unterschiedlicher Parteien miteinander reden zu lassen, sondern wir wollten eigentlich einen anderen Anstoß geben. Und Professor Ulrich Beck wird dort zur Zukunft der Arbeit – hoffentlich in eine vollen Halle – den Menschen entsprechende Anstöße geben. Wir haben einen zweiten wichtigen Punkt, daß wir das erste Mal in eine große Werkhalle gehen. In einem großen bekannten Stuttgarter Unternehmen wird der Kirchentag zu diesem Thema ‚Globalisierung‘ hoffentlich fünf- oder sechstausend Leute ansprechen können. Das ist für mich auch etwas neues, daß Kirchentag in einer Werkhalle stattfindet, und das, was ich mir schon immer gewünscht habe. Ich hoffe, daß wir Leute ansprechen, die einfach dann dort ihre ‚Schwellenangst‘ noch ein Stück mehr überwinden und sich mit uns über die Zukunft der Arbeit werden unterhalten können.

    DLF: Wo sollte – nach Ihrer Meinung – die christliche Verantwortung in der sozialen Marktwirtschaft wahrgenommen werden?

    Rinke: Ja, sie sollte bewußt machen einerseits, daß wir den Wandel in der Gesellschaft, der sich insbesondere in dem Feld der Arbeit ja ganz deutlich macht, daß wir den bewußt annehmen, daß wir als Christen auch Besitzstände aufgeben können. Ich denke, vom Glaubenshintergrund ist uns das einfach aufgegeben, auch ein Stück mutig da in die Zukunft zu gehen und nicht angstvoll zu sagen: ‚Wir müssen alles festhalten, was wir jetzt bewahrt haben‘, was sicher ganz gut war. Aber ich habe in der DDR gelernt, daß es mitunter schmerzhaft sein kann, was loszulassen – also nach der Wende, und daß sich aber dann ganz neue Wege eigentlich auftun. Und das wäre für mich ein wichtiger Anstoß auf dem Kirchentag, daß Christen bereit sein sollen, auch auf dem Sektor ‚Zukunft der Arbeit‘ bewußt neue Wege zu gehen - ja, und dann, daß wir sagen: Geld ist nicht alles in dieser Gesellschaft und nicht die einzig entscheidende Frage., und als Kirche immer wieder darauf dringen, daß eigentlich das Geld und all das, was man heutzutage darüber realisiert, nämlich daß gesagt wird – zum Beispiel in dem aktuellen Streit zur Gesundheitsreform, da spielt ja nur das Geld eine Rolle. Daß es Werte gibt, die über dem stehen sollten und wo man auch klar praktisch den Mammon unterordnen muß.

    DLF: Nun gehört oft auch immer das konkrete Vorbild oder Beispiel dazu. Die Kirchen gehören mit all ihren Einrichtungen nach dem Start zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Können Sie sich vorstellen, daß gerade auch von den Kirchen neue und beispielhafte Impulse für den Arbeitsmarkt ausgehen könnten?

    Rinke: Ich könnte mir das vorstellen, ich wünsche mir das auch. Ich bin ja auch in der EKD-Synode, wo es hin und wieder Diskussionen zu solchen Fragen schon gegeben hat. Die Kirche hat ja auch ein großes diakonisches Werk, und dort habe ich durchaus interessante Ansatzpunkte zu diesem Thema schon gehört. Und da wünsche ich mir, daß dort auch beispielhaft etwas getan wird.

    DLF: Viele Fragen der Politik können heute angesichts der Globalisierung längst nicht mehr auf nationaler Ebene beantwortet werden. Diesmal wird auch parallel zum Kirchentag in Köln der Weltwirtschaftsgipfel zusammenkommen. Gibt es dort eine Art Botschaft, die man vorbereitet - man hat das ja an früheren Kirchentagen auch gemacht, ähnlich zu reagieren auf aktuelle Ereignisse -, um parallel eine Botschaft nach Köln zu geben von Stuttgart aus?

    Rinke: Das ist der Fall, und ich kann nur klar sagen: Es gibt diese Erlaßjahr 2000-Kampagne, die ja auch durch viele Medien inzwischen schon geht und das auch im europäischen Maßstab an vielen Stellen zu dieser Zeit wichtige Veranstaltungen stattfinden . . .

    DLF: . . . die von katholischen und evangelischen Christen mitgetragen werden . . .

    Rinke: . . . die glücklicherweise von katholischen und evangelischen Christen mitgetragen werden, aber auch von vielen anderen Initiativgruppen, und wir wissen schon, daß in Stuttgart auch eine große Anzahl von Menschen, die sich bei diesem Gipfel für dieses Erlaßjahr einsetzen - da gibt es ja ganz prominente Namen darunter aber auch ganz viele normale Menschen -, daß eine Botschaft mit zum Stuttgarter Kirchentag genommen wird. Und das wird dort thematisiert werden in verschiedenen Gruppen auch, aber sicher auch auf großen Veranstaltungen. Und ich denke, es wird eine wichtige Rolle spielen.

    DLF: Wir haben davon gesprochen, daß der Kirchentag in Stuttgart unter dem Leitmotiv ‚Zukunft‘ stehen wird. Dazu gehört auch die Ökumene mit der katholischen Kirche. Für das Jahr 2003 ist ja ein gemeinsamer - also ein ökumenischer – Kirchentag in Berlin geplant. Wird Stuttgart schon ein erster Schritt in diese Richtung sein?

    Rinke: Selbstverständlich wird das ein erster Schritt in diese Richtung sein - ich glaube nicht der erste, wir sind schon mehrere gegangen dazu - aber es wird ein wichtiger Schritt sein. Wir haben einen ganzen Tag, wo wir gemeinsam mit dem ZDK Veranstaltungen geplant haben. Wir wollen die Frage nach dem Amtsverständnis thematisieren. Wir haben im Vorfeld der Kirchentagsvorbereitung für das Jahr 2003 eigentlich sehr deutlich festgestellt, daß die Frage nach dem katholischem Verständnis vom Amt und dem evangelischen Verständnis vom Amt doch sehr unserer gemeinsamen Idee im Wege stehen, und wir glauben, daß es ein heißes Eisen ist, was wir einfach anfassen müssen. Und das sollten vor allem Laien anfassen, weil die diesen Ämtern gegenüber doch etwas distanzierter und etwas freier gegenüberstehen können.

    DLF: Mit diesem Verständnis vom Amt, vom kirchlichen Amt hängt auch ein anderes Problem zusammen, und zwar ist es die Eucharistiefeier katholischerseits und die Abendmahlsfeier. Also, bisher ist es noch nicht möglich, daß evangelische und katholische Christen eine gemeinsame Abendmahlsfeier haben können. Deutet sich da etwas an? Denken Sie, daß man für das Jahr 2003 damit rechnen kann, daß man sich etwas näher kommt? Denn viele Laien können es heute nicht mehr verstehen.

    Rinke: Das ist richtig und ich will es eigentlich auch nicht mehr. Wir können nicht und wir wollen es auch nicht mehr verstehen, und da ist die Übereinkunft zwischen evangelischen Christen und katholischen Christen aus der Laienbewegung eigentlich ganz klar auch formuliert worden. Wir haben bloß jetzt einen Stand, der aussagt: Wir halten an dieser gemeinsamen Hoffnung fest bis zuletzt. Und wir wollen gucken, wieviel Schritte wir auf diesem Weg gehen können. Wir werden den Kirchentag 2003 nicht daran scheitern lassen wenn wir immer noch nicht soweit sind, das sage ich auch ganz deutlich. Aber wir wollen nicht im Vorfeld diese Hoffnung in irgendeiner Weise eingrenzen. Wir gehen immer noch davon aus, daß wir sagen: Wir gucken, wie weit uns das wirklich gemeinsam trägt. Aber es gibt eben – wie gesagt – viele andere Bereiche, die uns auch Hoffnung machen, an der Stelle weiterzugehen. Das sind insbesondere eben die kirchlichen Laienbewegungen, Basisbewegungen, die uns auch immer wieder Mut machen dazu.