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Risikobewertung
Von richtigen Umgang mit Unsicherheiten

Das Bundesinstitut für Risikobewertung kümmert sich um resistente Keime, Vergiftunge und gefährliche Chemikalien. In den meisten Fällen reicht die Datenlage nicht aus für eine klare Risikobewertung. Um dennoch Entscheidungen treffen zu können, ist der richtige Umgang mit Unsicherheiten besonders wichtig.

Von Volkart Wildermuth | 21.02.2019
Mikroskopische Ansicht der Listeria monocytogenes. Listeria monocytogenes ist der Erreger der bakteriellen Infektion namens Listeriose.
Erreger der Listeriose (imago / StockTrek Images)
Finnen essen gerne Lachs und anderen Fisch. Nicht nur frisch, auch geräuchert, eingelegt, gesalzen. Leider enthalten die Produkte im Supermarkt in seltenen Fällen Listerien, Bakterien, die gerade bei älteren Menschen schwere Lebensmittelvergiftungen verursachen können. Ungefähr zwölf Fälle gibt es jedes Jahr in Finnland, und die Zahlen steigen langsam.
Jukka Ranta von der finnischen Lebensmittelbehörde möchte hier etwas unternehmen. Aber noch ist gar nicht klar, worauf der Anstieg zurückzuführen ist.
"Es könnte an der wachsenden Zahl älterer Menschen liegen, die einfach empfindlicher auf Listerien reagieren. Vielleicht verhalten sich ältere Menschen aber auch anders, sind zum Beispiel nicht so sorgfältig, wenn es darum geht, Fisch kühl zu lagern. Es ist nicht klar, welcher Effekt größer ist."
Leider gab es keine Studie, die direkt das Verhalten alter Menschen mit der Listerieninfektion verglich. Also sichtete Jukka Ranta bereits vorhandene Datenbanken: zur Bevölkerung Finnlands, zur Belastung von Fisch mit Listerien, sogar Ernährungstagebücher und kombinierte die Informationen in einem Modell im Computer.
"Ältere Finnen kaufen etwas mehr Fisch, vor allem aber essen sie ihn dann über mehr Tage, als das jüngere Menschen tun. Das erhöht das Risiko, dass sich die Bakterien vermehren."
Widersprüche und Lücken: Unsicherheit als normaler Teil der Wissenschaft
Daten clever kombinieren, das ist ein Weg, Unsicherheit zu verringern. Manchmal gibt es aber noch gar keine Daten zu einer Frage. Wenn Pharmaunternehmen nach neuen Wirkstoffen suchen, dann wollen sie oft wissen, ob bestimmte Substanzen gut verträglich sind, und zwar noch bevor sie sich überhaupt die Mühe machen, sie auch wirklich zu synthetisieren.
Hier kann James Rathman weiterhelfen. Der Chemieingenieur an der Ohio State Universität entwickelt mathematische Modelle, die komplexe Eigenschaften von Molekülen vorhersagen, etwa ob sie hautreizend sind.
"Im Grunde suchen wir nach ähnlichen Molekülen, die schon untersucht wurden. Und hier kommt die Unsicherheit ins Spiel: Denn woher wissen wir, auf welche Art der Ähnlichkeit es ankommt? Und wie schätzt man ab, wie ähnlich Moleküle sind?
Zumal auch die Rohdaten oft in sich widersprüchlich sind. James Rathman füttert sein mathematisches Modell mit Informationen zu tausenden von Substanzen. Am Ende der komplexen Analysen kann er dann Aussagen treffen wie:
"Ich sage voraus, diese Substanz wird die Haut reizen. Und ich bin mir zu 80 bis 90 Prozent sicher, oder auch nur zu 60 bis 80 Prozent."
Für Entscheidungen die Unsicherheiten von Alternativen vergleichen
Dieses Maß an Sicherheit reicht für Unternehmen aus, eine konkrete Substanz eher nicht weiterzuverfolgen. Bevor ein anderer Wirkstoff dann am Ende tatsächlich zugelassen wird, müsst er seine Ungefährlichkeit in echten Experimenten belegen. Die nebenbei natürlich auch mit Unsicherheiten behaftet sind. Und die müssen die Regulierungsbehörden natürlich bei ihren Entscheidungen mit einbeziehen, so Jukka Ranta.
"Man muss die Unsicherheiten der verschiedenen Alternativen kennen, um sie vernünftig abwägen zu können. Aber wenn man eine Entscheidung gefällt hat, dann sollte man der Öffentlichkeit klare Handlungsanweisungen geben."
Im Fall der Listerien denkt Raka Jukka, sind seine Analysen verlässlich genug, um gezielte Aufklärungskampagnen für ältere Finnen über die sichere Aufbewahrung von Fisch zu starten.