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Risikoforscher: Wir fürchten uns mehr vor der Unsicherheit als vor der Gefahr

Der Risikoforscher Professor Ortwin Renn hält die Gefahr einer Pandemie in Zusammenhang mit der Neuen Grippe für gering. Dennoch seien Vorsorgemaßnahmen angebracht, damit sich das Virus nicht weiter ausbreiten könne. Dabei müsste man allerdings die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten, betonte Renn.

Ortwin Renn im Gespräch mit Jochen Spengler | 29.04.2009
    Jochen Spengler: Töne von vor drei Jahren. Wie sich die Töne gleichen: Das waren Berichte und Reportagen, damals, als in den Medien die Vogelgrippe das Thema Nummer 1 war. Die Menschen waren besorgt, sie versuchten, sich mit dem Medikament Tamiflu einzudecken, das bald ausverkauft war in den Apotheken. Panik, obgleich es am Ende laut Weltgesundheitsorganisation keinen einzigen Toten, noch nicht einmal einen Erkrankten in Europa gegeben hat. Die Vogelgrippe blieb im Wesentlichen auf Südostasien beschränkt.

    Inzwischen ist die Vogelgrippe out, vom Waldsterben gar nicht zu reden, obgleich beides nach wie vor existiert. Als Risiko, als Bedrohung wird jetzt eher der Klimawandel wahrgenommen, die Finanzkrise verdrängt den Klimawandel und nun sorgt die Schweinegrippe für Besorgnis. Aus Bayern wurde soeben der erste deutsche Fall einer Erkrankung an Schweinegrippe bestätigt. Anlass für uns zu fragen, wie wir Bedrohungen wahrnehmen, wie umfassend oder wie selektiv, ob wir mit Risiken angemessen umgehen, und dabei soll uns der Risikoforscher Professor Ortwin Renn helfen, Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Risikoforschung und nachhaltige Technikentwicklung an der Universität Stuttgart. Guten Morgen, Herr Renn.

    Ortwin Renn: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Renn, wie ist Ihr Eindruck? Reagieren die staatlichen Stellen derzeit Ihrer Ansicht nach angemessen auf das Risiko Schweinegrippe?

    Renn: Sie reagieren durchaus angemessen. Das Problem ist halt, dass wir uns mehr vor Unsicherheit fürchten als vor Gefahr, wie das Bertrand Russell mal gesagt hat, und bei den Möglichkeiten von Pandemien kann es sein oder es ist sogar das Wahrscheinliche, dass es an uns schonungslos oder ohne große Probleme vorbeiläuft, aber es gibt immer die Möglichkeit, dass es doch zu einer größeren Ansteckung kommt und dann ist natürlich besser, man irrt auf der Vorsichtseite, als hinterher Nachsicht üben zu müssen. Also ich glaube schon, dass das sinnvoll ist, nur ich denke, es ist auch wichtig, dass den Menschen deutlich wird, die Wahrscheinlichkeit, dass es hier zu einer großen Pandemie kommt, ist relativ gering.

    Insofern brauchen wir also nicht in irgendeiner Weise übermäßig besorgt zu sein, aber dennoch: Die Wahrscheinlichkeit ist nicht null. Das ist ja immer beim Risiko so. Es gibt also die Möglichkeit und es ist halt auch so, dass Pandemien - das wussten wir von der Spanischen Grippe, von dem Ersten Weltkrieg, wo Millionen Menschen an Influenza gestorben sind - durchaus die Kraft haben, die zu einer menschlichen Katastrophe werden kann.

    Spengler: Professor Renn, ich muss noch mal auf Ihre Eingangsbemerkung von Bertrand Russell zu sprechen kommen, den Sie zitiert haben. Die habe ich, glaube ich, nicht ganz verstanden. Ist damit gemeint, dass wir Menschen Angst haben vor etwas, was uns nicht bekannt ist, jedenfalls mehr Angst als vor Sachen, die wir genauer einschätzen können?

    Renn: Genau. Es ist so: Dieses Zitat zeigt, wenn wir auch Untersuchungen mit Menschen machen, worüber haben sie Angst, was sozusagen als Bedrohung wahrgenommen wird, dann stellen wir immer wieder fest, was sie gar nicht wissen, das macht mich nicht heiß, wie man so schön sagt. Aber wenn sie den Eindruck haben, es könnte auch noch alles viel schlimmer werden, das ist eigentlich das, was sehr viel stärker Angst auslösend ist, und das hat ja auch seinen Sinn. Wenn Sie in der Evolution zurückgehen und sagen, wie sind wir mit Gefahren damals umgegangen, dann hat uns die Natur quasi mit drei Strategien ausgestattet: entweder zu fliehen, zu kämpfen oder totstellen. Das setzt aber voraus, dass man die Situation relativ eindeutig zuordnen kann. Wenn der Tiger vor mir steht, dann weiß ich, ich habe jetzt keine Zeit, lange Berechnungen zu machen, ob der Tiger nun hungrig ist oder nicht, sondern entweder bin ich sofort weg, oder mit dem Tiger nehme ich es auf, oder aber ich stelle mich tot in der Hoffnung, der Tiger merkt es nicht. Das muss sozusagen in einer Zehntelsekunde gehen. Aus dieser evolutiven Grundhaltung heraus sind wir besonders, ich sage mal, besorgt, oder es macht uns auch nervös, wenn wir die Gefahren nicht 100 Prozent richtig einschätzen können. Wir wissen, da ist eine Gefahr, aber wir haben einfach die Unsicherheit.

    Denken Sie an ein zweites Beispiel: Wenn es abends ist und es ist kein Licht und Sie laufen über die Straße, haben die meisten Menschen mehr Angst als über Tag, obwohl die Kriminalität so ist, dass tagsüber sehr viel mehr passiert als in der Nacht. Aber es ist halt so: in dem Moment, wo ich das nicht richtig wahrnehmen kann, nicht richtig sehen kann, fühle ich mich einfach bedrohter.

    Spengler: Um mal auf die Schweinegrippe zu sprechen zu kommen. Ist das also gut, Alarm zu schlagen und erst mal vom Schlimmsten auszugehen, solange man so wenig Informationen hat, wie wir sie haben, oder ist das hysterisch?

    Renn: Hysterisch würde ich es nicht nennen. Es ist dann hysterisch und es gibt natürlich übertriebene Reaktionen, dass Menschen in Deutschland jetzt sagen, ich schicke meine Kinder nicht zur Schule, oder aber - ich habe eben noch eine Meldung gehört -, dass jemand gesagt hat, alle Flughäfen schließen, alle Autofahrer sollten nicht mehr Auto fahren. Das sind dann übertriebene Reaktionen, die einfach in keinem Verhältnis mehr stehen zu der eigentlichen Bedrohung. Das heißt, es gibt natürlich hysterische Reaktionen darauf, weil eben diese Unsicherheit so zu einer ängstlichen Reaktion führt, dass man weit über das Maß hinausgeht, was sinnvoll ist.

    Aber dass man Vorsorgemaßnahmen trifft, also beispielsweise an den Flughäfen sagt, die Flugzeuge, die aus Mexiko oder teilweise aus den USA jetzt einfliegen, da machen wir im gewissen Sinne einen Check, ob die Leute Fieber haben oder etwas anderes, das ist durchaus sinnvoll, denn ich will ja verhindern, dass der Virus sich ausbreitet, und wir wissen halt, anders als bei der Vogelgrippe, dass dieser Schweinegrippen-Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Das ist natürlich zunächst mal immer was Problematisches, weil in einer hoch mobilen Gesellschaft ist es nicht auszuschließen, ja es ist fast selbstverständlich, dass wir in Kontakt kommen mit Menschen, die eben erkrankt sind, und dass es sich dann weltweit ausbreitet. Da muss man natürlich sehen, dass man zumindest die Möglichkeiten, die man hat, mit relativ geringen Mitteln eine Ausbreitung zu verhindern, dann auch wirklich vorsorglich einsetzt.

    Spengler: Professor Renn, wie finden Sie denn die Medienberichterstattung, Boulevard-Schlagzeilen wie "Todesvirus - kommt er schon bald bei uns?", "Seuchenangst"?

    Renn: Es ist so: Ich meine, wir haben das Problem natürlich, dass die Medien gerne Dinge auch ein bisschen aufbauschen, um letztlich Aufmerksamkeit zu erlangen. Das gilt vor allem für die Überschriften. Die Überschriften müssen etwas signalisieren und wer nur die Überschriften liest, kann natürlich daraus den Schluss ziehen, "Aha, ich bin bedroht, wenn ich jetzt nur zur Arbeit gehe". Das ist natürlich ein Problem.

    Gleichzeitig haben die Medien natürlich sicherlich auch in dieser Situation die Aufgabe, die Menschen auf diese Gefahr hinzuweisen und bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, die jetzt gar nicht viel kosten, dass man, wenn man beispielsweise mit Menschen zusammen kommt, von denen man weiß, dass sie aus den Ländern kommen, ein bisschen Abstand hält. All diese Dinge sind ja durchaus nicht falsch. Aber es ist schon so, dass es eine sehr feine Linie gibt zwischen - ich sage mal - einer Sensationsform von Übertragung von Nachrichten, wo ich sagen würde, das schürt sozusagen die Hysterie und baut noch auf dieser Unsicherheitsangst auf, und einer Berichterstattung, die deutlich macht, ja, das ist eine Bedrohung, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es so ausgeht wie bei der Vogelgrippe oder ähnlich ausgeht - ganz wird es nicht so sein -, ist durchaus hoch. Also irgendwo die Kirche im Dorf lassen, das ist einfacher gesagt als getan.

    Spengler: Sie sind ja nun Risikoforscher. Das Risiko, an einer normalen Grippe zu sterben, ist ja deutlich höher als an der Schweinegrippe. Man redet von 5.000 bis 50000 Grippetoten in Deutschland pro Jahr. Trotzdem sorgen sich die Menschen vor allem wegen der Schweinegrippe. Woran liegt es, dass das gefühlte Risiko - so will ich das mal nennen - möglicherweise sich unterscheidet vom tatsächlichen Risiko?

    Renn: Das ist im Wesentlichen: Wenn sie eine Krankheit haben, bei der ich sage mal ein Großteil der Menschen, wenn sie erkrankt sind, sterben, das hat für uns natürlich diese Ausdrucksweise der Unausweichlichkeit. Wissen Sie, bei der Grippe ist es so, bei der normalen Grippe erkranken ich sage mal 100.000 Menschen und 4000 bis 5000 im Schnitt, in schlimmen Jahren auch mal bis zu 12.000 sterben daran. Das heißt, 90 Prozent derjenigen, die es kriegen, oder 95 Prozent werden diese Grippe überleben. Von daher hat man so ein bisschen den Eindruck, ich gehöre sicherlich zu den 95 Prozent, nicht zu den 5 Prozent. Da es aber sehr viele bekommen, ist die fünf Prozent mal die große Summe dann doch eine erklägliche Anzahl. Und in der Regel - das soll jetzt gar nicht zynisch gemeint sein - sind es dann häufig die Schwächeren, die davon betroffen sind.

    Hier bei der Schweinegrippe weiß man noch nicht genau, wie hoch der Prozentsatz ist. Bei der Vogelgrippe war er sehr hoch. Das heißt also: Derjenige, der erkrankt, kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, sogar fast Sicherheit sagen, das ist jetzt quasi mein Todesurteil. Diese Form, dass ich weiß, wenn ich es kriege, ist es wirklich eine ganz ernsthafte Lebensbedrohung, das hat natürlich eine ganz andere Kraft als wenn ich den Eindruck habe, es haben zwar Millionen, aber 95 bis 98 Prozent werden das ohne Probleme überleben.

    Spengler: Der Risikoforscher Professor Ortwin Renn. Danke für das Gespräch, Herr Renn.

    Renn: Ihnen auch vielen Dank, Herr Spengler.