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Riskante Arzneiwirkstoffe in Schlankheitsmitteln

Für Lebensmittelkontrolleure sind Produkte, die nicht im Supermarkt gekauft, sondern über das Internet bezogen werden, eine besondere Herausforderung. Dabei wimmelt es dort von dubiosen Angeboten und riskanten Arzneiwirkstoffen, die beispielsweise als Schlankheitsmittel zum Verbraucher gelangen.

Von Volker Mrasek | 20.03.2013
    Sie werden als Schlankheitskaffee oder -tee im Internet angepriesen und kosten gerne schon mal 50 oder sogar 100 Euro. Mehr als 70 solcher Produkte analysierten Lebensmittelchemiker aus dem Hessischen Landeslabor in den letzten beiden Jahren. Die aktuelle Bilanz, die sie jetzt vorlegen: 85 Prozent der angeblich natürlichen Schlankmacher enthielten nicht deklarierte Arzneiwirkstoffe.

    Für den Vorsitzenden des Regionalverbands Südwest in der Lebensmittelchemischen Gesellschaft, Stephan Walch, ist erschreckend,

    "dass abseits des kontrollierten und regulierten Marktes versucht wird, einen durchaus potenten Arzneistoff unter Umgehung der Zulassung als Lebensmittel unkontrolliert in den Markt zu bringen. Und damit auf der einen Seite sicherlich versucht wird, den beworbenen Produkten auch eine gewisse Wirksamkeit zu geben. Aber der Verbraucher das Risiko gar nicht abschätzen kann."

    Am häufigsten fand sich in den Schlankheitsmitteln aus dem Internet Sibutramin. Das ist ein Appetitzügler, der in Medikamenten gegen Fettleibigkeit zum Einsatz kam. Seit über drei Jahren aber ruht die Zulassung für Präparate, die Sibutramin enthalten. Auf Beschluss der Europäischen Arzneimittelagentur und wegen zu riskanter Nebenwirkungen, so Pharmazeut und Lebensmittelchemiker Walch:

    "Herz-Rhythmus-Störungen, aber auch bis zum Herzversagen in besonders schweren Fällen."

    Einige der untersuchten Schlankheitsmittel enthielten dabei sogar deutlich mehr Sibutramin als die früher zugelassenen Medikamente. Um so riskanter ist ihre Einnahme.

    In jedem fünften Schlankheitskaffee oder -tee fanden die Analytiker Phenolphthalein, einen weiteren kritischen Arzneiwirkstoff. Vor Jahrzehnten war er einmal als Abführmittel in Gebrauch. Heute steht Phenolphthalein im Verdacht, krebserregend zu sein. Außerdem weiß man, dass der Stoff allergische Reaktionen und Hautirritationen auslösen kann, so Walch:

    "Dadurch, dass er so alt ist, vermutet man ihn natürlich nicht mehr. Und dadurch ist natürlich auch bei der Überwachung erst 'mal nach diesen Stoffen überhaupt nicht gesucht worden."

    Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe beleuchtet den Internethandel mit Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln in einem speziellen Forschungsprojekt. Zuletzt wollten die Experten wissen, wer eigentlich hinter den vielen unerwünschten E-Mails steckt, in denen Mittel zur Gewichtsreduzierung beworben werden.

    Über 120 solcher sogenannten Spamnachrichten schauten sich Sigrid Löbell-Behrends und ihre Kollegen genauer an. Sie prüften, mit welchen Seiten im Internet die E-Mails verlinkt waren. Auf die Lebensmittelchemikerin machten die Spamnachrichten den Eindruck, als kämen sie alle von verschiedenen Absendern:

    "Was dann das Erstaunliche war, dass sich davon fast alle auf drei bis vier Adressen konzentriert hatten. Das waren letztendlich weniger als 'ne Handvoll Shops, die von der Aufmachung her sich nicht mehr unterschieden haben, die genau das gleiche Angebot hatten. Wo man dann, wenn man das genauer angeguckt hat, gesehen hat, dass alles den gleichen Ursprung hat."

    Diese Internetshops änderten immer wieder ihr Impressum. Mal hieß es, ihr Sitz sei in der Schweiz. Wochen später war es angeblich England, später auf einmal Spanien. Von wo die Firmen wirklich operieren, lässt sich nur vermuten. Sigrid Löbell-Behrends kann sich vorstellen,

    "dass es aus dem asiatischen Raum kommt. Und das Sibutramin wird ja dort noch hergestellt. Also könnte ich mir vorstellen, dass es aus dem Raum kommt."

    Nach Schlankheitskaffee und -tee tauchen neuerdings auch Fruchtsäfte zum Abnehmen im Internet auf, wie Dirk Lachenmeier sagt, auch er Mitarbeiter im staatlichen Untersuchungsamt in Karlsruhe:

    "Die Säfte, die sind uns jetzt erst ganz neu bekannt geworden. Da fokussieren wir uns jetzt demnächst drauf."

    Auch bei diesen Getränken rechnet der Lebensmittelchemiker wieder mit undeklarierten Arzneiwirkstoffen:

    "Mit Sicherheit. Was soll sonst bei einem Orangensaft das Abnehmen bewirken?"

    Kontrollieren und einschränken lässt sich der Internethandel mit solchen Produkten nur schwer. Pharmazeut Stephan Walch appelliert deshalb an den Verbraucher:

    "Man kann sicherlich immer wieder warnen, aber es muss eigentlich jedem mit klarem Menschenverstand klar sein, dass es kein Arzneimittel oder kein Lebensmittel gibt, mit dem man ohne Zutun Gewicht verliert. Gewichtsreduktion funktioniert nur mit Disziplin, Umstellung der Ernährung und mehr Sport."