Bettina Klein: In Mainz beginnt heute, was es in Deutschland offenbar so noch nicht gegeben hat, vielleicht auch nicht zu geben brauchte: eine erste nationale Impfkonferenz. Experten und Politiker werden sich einige Tage zusammensetzen, um über Strategien beim Impfschutz zu beraten. Bei mir im Studio ist jetzt Professor Rainhard Burger. Er ist Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin und er wird auch in Mainz dabei sein. Schönen guten Morgen, Herr Professor Burger, und danke für den Besuch im Studio. Vielleicht zunächst mal die Frage: Wozu brauchen wir eine solche Impfkonferenz?
Rainhard Burger: Die Impfkonferenz soll praktisch die verschiedenen Stellen in Deutschland zusammenbringen, an einen Tisch bringen, die mit der Umsetzung des Impfprogramms in Deutschland befasst sind, die hier Verantwortung tragen, vom öffentlichen Gesundheitsdienst über Kinderärzte bis zu den Behörden.
Klein: Weshalb ist da bessere Abstimmung nötig? Woran hakt es bisher?
Burger: Eine gewisse Impfmüdigkeit oder fehlende Konsequenz des Impfens besteht in Deutschland - das zeigt zum Beispiel der derzeitige Masernausbruch, wie er in Hamburg gerade stattfindet -, also die konsequente Durchführung der empfohlenen Impfungen, auch die Zweitimpfungen. Hier ist Nachholbedarf, und zwar dringender Nachholbedarf.
Klein: Inwiefern?
Burger: Ein Impferfolg wird nur erreicht, wenn die Impfungen wirklich sachgerecht vorgenommen werden, also insbesondere die zweite, die so genannte Booster-Impfung. Die ist erforderlich, damit der Impfschutz wirklich eintritt, und hier liegt Deutschland verglichen mit anderen Ländern hinter den Empfehlungen, wie sie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation erwartet, und entsprechend kommt es immer wieder zu Erkrankungen.
Klein: Inwiefern wird diese Impfung hier nicht sachgerecht ausgeführt?
Burger: Es wird nur eine von zwei Impfungen durchgeführt, und ohne diese Zweitimpfung ist eben der Schutz nicht vorhanden oder sind viele Kinder nicht geimpft und es kann immer wieder zu Importen, also eingeschleppten Infektionen kommen.
Klein: Woran liegt das? Sind die Eltern darüber nicht informiert, oder weigern sich die Kinder, dann zur zweiten Impfung zu gehen? Was ist die Ursache?
Burger: Es ist ein Problem der Eltern, nicht der Kinder. Die Eltern nehmen letztlich die Verantwortung, die sie für ihre Kinder haben, hier nicht sorgfältig genug wahr. Viele der Erkrankungen sind letztlich in zwar seltenen Fällen, aber doch sehr folgenschwer bis hin zu Todesfällen. Insofern muss man hier wirklich auch an die Eltern appellieren - das ist mit ein Sinn dieser Konferenz -, konsequenter zu impfen.
Klein: Besteht denn Ihrer Meinung nach die Notwendigkeit, das stärker zu regulieren? Ich will jetzt nicht von einer Pflicht sprechen, aber in anderen Bereichen haben wir das ja auch.
Burger: Impfpflicht wäre sicher der falsche Weg, aber es sollten die Zielgruppen, die Eltern zum Beispiel bei den Kinderarztbesuchen, gezielter, effektiver angesprochen werden, erinnern, dass hier Impfungen ausstehen. Hier ist klar Nachholbedarf und das ist mit eine Erwartung an diese Konferenz in Mainz heute.
Klein: Jetzt haben wir über die Masern-Epidemie gesprochen, die an einigen Stellen Deutschlands ausgebrochen ist. Wie ist das im Bezug Schutz vor anderen Krankheiten? Ein ähnliches Bild?
Burger: Masern ist ein besonders schlechtes Beispiel. Bei anderen Erkrankungen ist das deutlich besser. Bei anderen Impfungen für Kinder, da ist die Situation nicht so schlimm. Bei Masern tritt es halt wirklich sehr deutlich zu Tage.
Klein: Das heißt, es gibt im Prinzip Mangel an Impfschutz mit Bezug auf diese eine Krankheit. Da würde ich jetzt mal sagen, das ist zwar schlimm und es muss auch etwas verändert werden, aber daraus abzuleiten, allgemeine Impfmüdigkeit besteht, das habe ich jetzt noch nicht verstanden.
Burger: Masern ist ja nur eine von elf oder zwölf Impfungen, die empfohlen werden. Diese Tendenz, die zweiten oder dritten Impfungen nicht mehr vorzunehmen, das ist schon eine generelle Haltung bis hin zu bewusster Ablehnung von Impfungen, wo also Eltern oder auch sogar Kinderärzte, anthroposophisch eingestellte Kinderärzte, Impfungen nicht durchführen mit der Begründung, der Körper müsste sich mit der natürlichen Infektion auseinandersetzen. Dabei wird doch übersehen, dass halt die Folgen dieser Kinderkrankheiten zum Teil sehr schwer sind, wie gesagt bis hin zu Todesfällen.
Klein: Lassen Sie denn die Argumente der Impfkritiker, sage ich jetzt mal, die ihren Kindern also nicht allzu viele unnötige oder vermutet unnötige Impfungen zumuten wollen, gar nicht gelten?
Burger: Bei einer mit gewissem Abstand rationalen Betrachtung kann ich diese Argumente nicht nachvollziehen. Ich empfinde es im Gegenteil als Pflicht aus der Verantwortung der Eltern, die Impfung den Kindern nicht vorzuenthalten.
Klein: Gibt es eigentlich, was das Impfverhalten angeht, Unterschiede zwischen Ost und West in Deutschland?
Burger: Ja, es gibt deutliche Unterschiede. In den neuen Bundesländern ist die Impfrate deutlich höher für fast alle Impfungen als im Westen.
Klein: Worauf führen Sie das zurück?
Burger: Das war in Zeiten der DDR quasi strikter geregelt, mit einer Art Impfpflicht, und diese Verhaltensweisen sind offenbar doch so eingeprägt in das Gesundheitsverhalten, sodass hier eine bessere Impfrate erzielt wird.
Klein: Können Sie noch mal abschließend ein Beispiel nennen, was Sie sich als ein konkretes Ergebnis dieser Konferenz wünschen, das dazu führt, an diesen Stellen, die Sie gerade genannt haben, ein vielleicht verantwortungsbewussteres Verhalten zu erzeugen?
Burger: Ein Ziel wäre, dass allen noch mal bewusst wird, dass man die Kontakte zwischen Eltern und öffentlichem Gesundheitsdienst, Kinderärzten, Hausärzten, dass man hier die Gelegenheiten für Hinweise an die Eltern bewusster nutzt und irgendwie kontrolliert im Sinne von Erinnerungen, hier steht ein Impftermin aus, denken sie daran, dass sie in den nächsten Monaten ihr Kind impfen.
Klein: Professor Rainhard Burger, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, zur heute beginnenden Impfkonferenz in Mainz, der ersten nationalen dieser Art. Danke Ihnen für das Gespräch und den Besuch im Studio.
Rainhard Burger: Die Impfkonferenz soll praktisch die verschiedenen Stellen in Deutschland zusammenbringen, an einen Tisch bringen, die mit der Umsetzung des Impfprogramms in Deutschland befasst sind, die hier Verantwortung tragen, vom öffentlichen Gesundheitsdienst über Kinderärzte bis zu den Behörden.
Klein: Weshalb ist da bessere Abstimmung nötig? Woran hakt es bisher?
Burger: Eine gewisse Impfmüdigkeit oder fehlende Konsequenz des Impfens besteht in Deutschland - das zeigt zum Beispiel der derzeitige Masernausbruch, wie er in Hamburg gerade stattfindet -, also die konsequente Durchführung der empfohlenen Impfungen, auch die Zweitimpfungen. Hier ist Nachholbedarf, und zwar dringender Nachholbedarf.
Klein: Inwiefern?
Burger: Ein Impferfolg wird nur erreicht, wenn die Impfungen wirklich sachgerecht vorgenommen werden, also insbesondere die zweite, die so genannte Booster-Impfung. Die ist erforderlich, damit der Impfschutz wirklich eintritt, und hier liegt Deutschland verglichen mit anderen Ländern hinter den Empfehlungen, wie sie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation erwartet, und entsprechend kommt es immer wieder zu Erkrankungen.
Klein: Inwiefern wird diese Impfung hier nicht sachgerecht ausgeführt?
Burger: Es wird nur eine von zwei Impfungen durchgeführt, und ohne diese Zweitimpfung ist eben der Schutz nicht vorhanden oder sind viele Kinder nicht geimpft und es kann immer wieder zu Importen, also eingeschleppten Infektionen kommen.
Klein: Woran liegt das? Sind die Eltern darüber nicht informiert, oder weigern sich die Kinder, dann zur zweiten Impfung zu gehen? Was ist die Ursache?
Burger: Es ist ein Problem der Eltern, nicht der Kinder. Die Eltern nehmen letztlich die Verantwortung, die sie für ihre Kinder haben, hier nicht sorgfältig genug wahr. Viele der Erkrankungen sind letztlich in zwar seltenen Fällen, aber doch sehr folgenschwer bis hin zu Todesfällen. Insofern muss man hier wirklich auch an die Eltern appellieren - das ist mit ein Sinn dieser Konferenz -, konsequenter zu impfen.
Klein: Besteht denn Ihrer Meinung nach die Notwendigkeit, das stärker zu regulieren? Ich will jetzt nicht von einer Pflicht sprechen, aber in anderen Bereichen haben wir das ja auch.
Burger: Impfpflicht wäre sicher der falsche Weg, aber es sollten die Zielgruppen, die Eltern zum Beispiel bei den Kinderarztbesuchen, gezielter, effektiver angesprochen werden, erinnern, dass hier Impfungen ausstehen. Hier ist klar Nachholbedarf und das ist mit eine Erwartung an diese Konferenz in Mainz heute.
Klein: Jetzt haben wir über die Masern-Epidemie gesprochen, die an einigen Stellen Deutschlands ausgebrochen ist. Wie ist das im Bezug Schutz vor anderen Krankheiten? Ein ähnliches Bild?
Burger: Masern ist ein besonders schlechtes Beispiel. Bei anderen Erkrankungen ist das deutlich besser. Bei anderen Impfungen für Kinder, da ist die Situation nicht so schlimm. Bei Masern tritt es halt wirklich sehr deutlich zu Tage.
Klein: Das heißt, es gibt im Prinzip Mangel an Impfschutz mit Bezug auf diese eine Krankheit. Da würde ich jetzt mal sagen, das ist zwar schlimm und es muss auch etwas verändert werden, aber daraus abzuleiten, allgemeine Impfmüdigkeit besteht, das habe ich jetzt noch nicht verstanden.
Burger: Masern ist ja nur eine von elf oder zwölf Impfungen, die empfohlen werden. Diese Tendenz, die zweiten oder dritten Impfungen nicht mehr vorzunehmen, das ist schon eine generelle Haltung bis hin zu bewusster Ablehnung von Impfungen, wo also Eltern oder auch sogar Kinderärzte, anthroposophisch eingestellte Kinderärzte, Impfungen nicht durchführen mit der Begründung, der Körper müsste sich mit der natürlichen Infektion auseinandersetzen. Dabei wird doch übersehen, dass halt die Folgen dieser Kinderkrankheiten zum Teil sehr schwer sind, wie gesagt bis hin zu Todesfällen.
Klein: Lassen Sie denn die Argumente der Impfkritiker, sage ich jetzt mal, die ihren Kindern also nicht allzu viele unnötige oder vermutet unnötige Impfungen zumuten wollen, gar nicht gelten?
Burger: Bei einer mit gewissem Abstand rationalen Betrachtung kann ich diese Argumente nicht nachvollziehen. Ich empfinde es im Gegenteil als Pflicht aus der Verantwortung der Eltern, die Impfung den Kindern nicht vorzuenthalten.
Klein: Gibt es eigentlich, was das Impfverhalten angeht, Unterschiede zwischen Ost und West in Deutschland?
Burger: Ja, es gibt deutliche Unterschiede. In den neuen Bundesländern ist die Impfrate deutlich höher für fast alle Impfungen als im Westen.
Klein: Worauf führen Sie das zurück?
Burger: Das war in Zeiten der DDR quasi strikter geregelt, mit einer Art Impfpflicht, und diese Verhaltensweisen sind offenbar doch so eingeprägt in das Gesundheitsverhalten, sodass hier eine bessere Impfrate erzielt wird.
Klein: Können Sie noch mal abschließend ein Beispiel nennen, was Sie sich als ein konkretes Ergebnis dieser Konferenz wünschen, das dazu führt, an diesen Stellen, die Sie gerade genannt haben, ein vielleicht verantwortungsbewussteres Verhalten zu erzeugen?
Burger: Ein Ziel wäre, dass allen noch mal bewusst wird, dass man die Kontakte zwischen Eltern und öffentlichem Gesundheitsdienst, Kinderärzten, Hausärzten, dass man hier die Gelegenheiten für Hinweise an die Eltern bewusster nutzt und irgendwie kontrolliert im Sinne von Erinnerungen, hier steht ein Impftermin aus, denken sie daran, dass sie in den nächsten Monaten ihr Kind impfen.
Klein: Professor Rainhard Burger, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, zur heute beginnenden Impfkonferenz in Mainz, der ersten nationalen dieser Art. Danke Ihnen für das Gespräch und den Besuch im Studio.