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Roboterdaumen als Fingerersatz

Robotik. - Handprothesen gibt es schon länger, die Funktionen einzelner Finger ließen sich bisher aber nicht ersetzen. Eine süddeutsche Firma präsentiert nun eine Art Finger-Roboter, der diese Marktlücke füllen könnte.

Von Frank Grotelüschen |
    Ein wenig unheimlich wirkt sie schon – die künstliche Hand, die Stefan Schulz gerade vor sich auf den Tisch gelegt hat. Recht zierlich und glänzend schwarz, fast wie eine Hand in einem eleganten Lederhandschuh. Dann beugt sich Schulz vor und betätigt einen kleinen Schalter.

    Die Hand schließt sich, ballt sich zur Faust, öffnet sich wieder – ganz von allein, buchstäblich wie von Geisterhand. Doch dahinter steckt ausgefeilte Robotertechnik, entwickelt von der jungen Karlsruher Firma Vincent Systems, deren Geschäftsführer Stefan Schulz ist. Handprothesen, deren Finger sich durch Elektromotoren bewegen lassen, gibt es schon seit 50 Jahren, sagt er. Doch diese frühen Modelle hatten einen Nachteil: Ihre Finger ließen sich immer nur alle gleichzeitig öffnen und schließen. Das reichte nur für einfachste Greiffunktionen. Anders bei den Handprothesen der jüngsten Generation. Die nämlich sind inspiriert durch die neusten Erkenntnisse bei der Entwicklung von Roboterhänden.

    "Die modernen Prothesen können mittlerweile einzelne Finger bewegen. Auch bekannt unter dem Namen 'bionische Hände', weil sie der Natur ähnlicher sind. Moderne Prothesen können den Daumen hineinklappen, herausklappen, sich in Opposition zu den einzelnen Langfingern stellen."

    Bis vor Kurzem waren die Elektromotoren für die Fingergelenke relativ groß. Dadurch wirkten die bionischen Hände ziemlich klobig.

    "Mittlerweile gelingt es, die Funktion so klein zu gestalten, dass die Form einer kleinen Frauenhand entspricht. Was sie noch können ist, dass die Prothesen immer mehr in der Lage sind, Gegenstände zu umschließen, so wie die menschliche Hand das auch tut."

    Dass der Griff nicht zu fest gerät, dafür sollen spezielle Sensoren sorgen. Sie messen die Kraft, mit der die Kunsthand zugreift, und geben per Vibrationssignal eine Rückmeldung an den Träger – eine Art haptisches Feedback. Gesteuert wird die Prothese, indem ihr Träger bestimmte Muskeln etwa am Unterarm anspannt. Dort nehmen Elektroden die Muskelströme ab und geben sie kabellos an die Prothese weiter. Die neusten Modelle sind sogar lernfähig.

    "Nicht die Prothese gibt vor, welche Steuerbefehle erforderlich sind, sondern der Patient benutzt seine Muskulatur, so wie er denkt, dass das zum Beispiel der Zeigefinger ist. Und die Prothese lernt genau dieses Griffmuster – selbstlernende Handprothesen."

    Doch was, wenn nicht die ganze Hand fehlt, sondern nur einzelne Finger? Dafür gab es bisher im Wesentlichen nur passive Prothesen, in der Regel aus Silikon. Die sehen zwar täuschend echt aus, sagt Schulz. Aber weil sie keine Elektromotoren haben, bringen sie keine eigene Kraft auf, sondern müssen durch gesunde Nachbarfinger mitgebogen bzw. gestreckt werden. Schulz und sein Team haben nun einen Roboterfinger entwickelt, der Gelenke aus Elektromotoren besitzt und damit selbst Kraft aufbringt.

    "Mit diesem aktiven Finger ist es nun möglich, die Greiffunktion der Hand wirklich zurückzugeben."

    Gesteuert wird die Fingerprothese in der Regel über Stromsignale von der noch vorhandenen Handmuskulatur. Der Bedarf für seinen aktiven Roboterfinger jedenfalls sei vorhanden, sagt Schulz. Schließlich gebe es fünf- bis zehnmal so viele Menschen, denen einzelne Finger fehlen wie Patienten, denen die komplette Hand amputiert wurde.