Dienstag, 19. März 2024

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Robuste Bestäuber
Frankensteins Biene

Mit Verlusten müssen Imker rechnen am Ende des Winters. Die Varroa-Milbe schwächt die Brut, wenn der Mensch sich nicht kümmert, sterben ganze Honigbienenvölker. Auf der Suche nach robusteren Bestäubern will manch einer den Fortschritt im Labor beschleunigen. Darwin oder Gentech - welcher Weg ist der richtige?

Von Joachim Budde | 29.03.2020
Biene bestäubt eine Blüte
Bienen sind nicht nur Honig- und Wachslieferanten - ihr größter Nutzen liegt in ihrer für die Landwirtschaft unverzichtbaren Bestäubungsleistung (imago / Chromorange)
Es ist still im Hof von Friedel Mirbach. Der Imker stapelt hölzerne Kisten zu zwei mannshohen Türmen. Kisten für Honigbienen.
"Sie haben hier das Schild: ‚Bienenstand, bitte nicht stören‘, aber hier ist jetzt eher ewige Ruhe?"
"Hier ist jetzt ewige Ruhe, das heißt, das ist im Prinzip, was von einem Varroa-toten Volk übrigbleibt."
Holzrähmchen, wächserne Waben. Tote Bienen.
"Die typischen Zeichen für einen Varroa-Verlust, stehengebliebene Brut…" "Sie haben da jetzt eine handflächengroße Fläche, wo überall verschlossene Waben sind, dazwischen sind ganz viele offene, das ist untypisch, sagen Sie?" "Genau. Normalerweise würde das Brutnest gleichmäßig aussehen im vitalen Volk …"

Auf diesem Rähmchen hingegen ist das Leben der Bienen wie eingefroren: Arbeiterinnen stehen auf den Waben herum, auf dem Weg irgendwohin erstarrt. Einige Bienen sind mitten im Schlüpfen gestorben.
"Hier ist eine, die guckt noch so halb raus." "Die ziehen wir jetzt mal raus." "Sieht so gedrungen aus?" "Konnte sich nicht voll entwickeln, der klassische Fall von an Varroa gestorben."
Friedel Mirbach inspiziert die Honigbienenstöcke, die im Winter eingegangen sind. Weil sie schon eine Weile in der feuchten Kälte herumgestanden haben, haben die Waben zu schimmeln begonnen.
Friedel Mirbach inspiziert die Honigbienenstöcke, die im Winter eingegangen sind. (Joachim Budde/Dlf)
Milben saugen an den Bienenlarven
"Hier kann man mal eine Varroa sehen, liegt jetzt auf dem Rücken, man sieht die Fühler vorne, ein Spinnentier mit acht Beinen, mit der Lupe ist sie doch recht gut zu erkennen."
Für das bloße Auge aber ist sie nur ein bernsteinfarbener Punkt. Varroa-Milben krallen sich am Körper der Bienen fest. Mit Vorliebe verstecken sie sich aber in den Waben mit der Bienenbrut.
"Man muss sich vorstellen: Das ist im Prinzip eine Milbe, die im Vergleich so groß ist wie ein Kaninchen im Verhältnis zum Menschen, und saugt an dem sich entwickelnden Körper. Wenn es eine wäre, würde es vielleicht noch gehen - aber die Varroa, die in die Zelle eingedrungen ist, legt bis zu sechs Eier, und daraus schlüpfen sechs Varroen, die an den Larven saugen. Und das führt dazu, dass die Bienen sich nicht richtig entwickeln können."
"Größte Herausforderung für die Imkerei"
Mit der Pinzette kratzt Mirbach den Wachsdeckel von einer Wabe und zieht die Überreste einer Bienenpuppe heraus:
"Im Normalfall würde ein Volk, das gering erkrankt ist, diese Leichen selber beseitigen, aber in dem Fall ist es halt so, dass die so stark belastet waren, dass das Volk das nicht mehr geschafft hat und daran letztendlich auch zusammengebrochen ist."
Es ist Februar. Friedel Mirbach zieht eine erste Bilanz seiner Winterverluste: Vielleicht fünf von knapp 70 Völkern – Verluste dieser Größenordnung muss er einkalkulieren, selbst wenn es gut läuft.
"Wie groß ist das Varroa-Problem für die Imker?" "Das ist im Prinzip die größte Herausforderung für die Imkerei."
Das sehen Bienenexperten genauso. Die Biologin Dr. Claudia Garrido ist Spezialistin für Bienengesundheit:
"Die Varroamilbe ist nach wie vor das größte gesundheitliche Problem für Honigbienen."
Varroa kam vor 50 Jahren nach Deutschland. Ganz grob kann man sagen: Wenn Imker ihre Honigbienenvölker nicht beim Kampf gegen die Varroamilbe unterstützen, sind die Kolonien über kurz oder lang zum Tode verurteilt. Claudia Garrido:
"Das kommt immer drauf an, wenn vernünftig behandelt wird gegen die Varroamilbe, dann sind die normalen Winterverluste zwischen zehn und 15 Prozent."
Milbe bringt Krankheitserreger in die Bienenbrut
Eine Varroamilbe ernährt sich vom sogenannten Fettkörper der Biene. Ein Speicher wie der Höcker beim Kamel. Obendrein bringt die Milbe Krankheitserreger wie das Krüppelflügelvirus in die Bienenbrut, erläutert Garrido:
"Wenn sie dieses Virus trägt, hat sie eben auch verkrüppelte Flügel."
Es gibt zwar synthetische Milbenmittel: Aber erstens entwickeln die Milben Resistenzen dagegen. Und zweitens dürfen auf keinen Fall Reste davon in den Honig gelangen. Deshalb haben Bienenforscher Methoden mit den organischen Säuren Ameisensäure, Oxalsäure und Milchsäure entwickelt. Die werden erst nach der Honigernte eingesetzt. Garrido:
"Wir sind in der Imkerei in der wirklich privilegierten Situation, dass natürliche Substanzen besser wirken als synthetische. Wir haben zum Beispiel mit der Oxalsäure eine Substanz, die natürlicherweise im Honig vorkommt, von der Rückstandssituation dementsprechend kein Problem gibt, wenn sie richtig angewandt wird, und eine Wirksamkeit von über 90 Prozent erreichen kann."

Insgesamt geht es also den Honigbienen gar nicht so schlecht. Während wilde Bienen und Hummeln unter großem Druck stehen, steigt die Zahl der Honigbienenvölker in Deutschland seit 2009 stetig an. Etwas neidisch schauen manche Imker allerdings dahin, wo es offenbar auch ohne Milbenbekämpfung geht. Auf der Nordhalbkugel gibt es etwa ein Dutzend Orte mit resistenten Völkern. Zum Beispiel auf der Insel Gotland. Dorthin wurden Honigbienenvölker gebracht und sich selbst überlassen. Einige gingen ein, andere schafften es auf Dauer, allein mit Varroa zurechtzukommen, sagt Claudia Garrido:
"Das Hauptproblem war allerdings, dass sich auch diese Völker, wenn man sie dann in eine normale Imkerei gebracht hat, sich diese Resistenz in Anführungsstrichen verloren hat wieder. Es war also nichts, was sich über längere Zeit gehalten hat."
Dr. Claudia Garrido, Expertin für Bienengesundheit.
Dr. Claudia Garrido, Expertin für Bienengesundheit (Joachim Budde/Dlf)
Wie sähe die "perfekte" Honigbiene aus?
"Wir sind jetzt 40 Jahre mit mehr oder weniger Chemie an den Bienenvölkern am Arbeiten, wir müssten von diesem Einsatz – egal ob es natürliche Produkte sind oder tatsächlich synthetische Produkte sind – immer mehr davon wegkommen, damit die Bienenvölker sich damit selber wieder auseinandersetzen können", sagt Friedel Mirbach.
Der Imker aus Bornheim, wünscht sich eine natürlichere Varroamilbenbehandlung. Züchter arbeiten daran. Andere wollen den Fortschritt beschleunigen, mit Genwerkzeugen wie CRISPR/Cas, um am Ende vielleicht sogar eine perfekte Honigbiene zu erschaffen – eine Frankenbiene. Claudia Garrido:
"Für Imker wäre die perfekte Biene sanft, sodass sie eben nicht sticht, auch nicht schwärmt, weil ein Volk, das schwärmt, bringt keinen Honig. Für Landwirte ist ja hauptsächlich die Bestäubungsleistung interessant."
Dr. Ralph Büchler vom Bieneninstitut Kirchhain: "Der Umgang mit den Bienenvölkern beglückt die Menschen, die sie halten, da gehört ganz sicherlich Sanftmut dazu. Das heißt, sie stechen nicht alles tot, was in der Nähe auftaucht. Die perfekte Biene ist eine, die unter gegebenen Umweltverhältnissen kräftige Bienenvölker aufbaut, die in der Folge auch reichlich Honig und Pollen sammeln können und intensiv bestäuben können."
Dr. Gerhard Liebig, Biologe aus Bochum: "Das perfekte Bienenvolk wäre ein Bienenvolk, wo ich keine Varroabehandlung machen muss, obwohl Varroa drin sind."
Bienenforschung beim Chemieriesen Bayer
Irgendwo am Forschungsstandort von Bayer in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Bis Mitte 2019 hieß diese Firma noch Monsanto. Jim Masucci reicht mir einen weißen Schutzanzug:
"Bitte ziehen sie den an. Wir können zu einem Volk reingehen. Sie … sind ein bisschen bösartig, aber wir tragen ja den Anzug."
Bösartige Bienen?
"Die Räume sind eigentlich für Pflanzen entwickelt. Keine perfekten Bedingungen für Bienen, aber es funktioniert gut."
Jim Masucci öffnet die schwere Tür zu einem Klimaraum. Der Bereich am Eingang ist mit Rotlicht beleuchtet. Die Bienen sehen das als Schwarz, und sie halten sich davon fern. Wir gehen in einen der beiden großen Käfige aus weißer Gaze. Eine Gummizelle für Bienen.
"Hier haben wir Pollen, schauen Sie, da ist eine über und über bedeckt mit dem Blütenstaub. Und hier haben wir Flaschen mit Zuckerwasser. Hier unten können sie es heraussaugen."
Simulierte Jahreszeiten im Klimaraum
Draußen ist November. Hier drinnen ist Mai. Das ganze Jahr über. Im identischen Raum nebenan herrscht dauernd Winter. Dort warten die Bienen auf ihren Einsatz. Immer dann, wenn Jim Masucci und seine Kollegen Bienen für ihre Versuche benötigen, holen sie ein Bienenvolk hierher in den Frühling. Zum Beispiel, wenn sie testen wollen, wie giftig Pflanzenschutzmittel für die Bienen sind. Oder wie gut Gifte gegen die Varroamilbe wirken.
"Wenn wir zum Beispiel den Einfluss von Pflanzenschutzmitteln auf Bienen testen, schütteln wir sie von den Waben, nehmen sie mit ins Labor und ermitteln dann ihre Sterblichkeit über einen bestimmten Zeitraum. Für die Tests von Mitteln gegen Milben sammeln wir Varroa-Milben von den Bienen ab. Dann geben wir die Bienen zurück in den Stock."
Je länger wir neben dem Holzkasten mit den Bienen stehen, desto mehr weiß ich den Schutzanzug zu schätzen. Bienen fliegen mich an und stoßen ihre Köpfe gegen das Gitter vor meinem Gesicht. So aggressiv habe ich Bienen noch nicht erlebt. Das graue Fell, das mein Mikrofon vor Wind schützt, macht sie völlig verrückt.
"Wahrscheinlich stechen sie es. Es ist pelzig und schwarz, wie ein Tier, das sie angreift." "Ein Mini-Bär?" "So etwas, genau." "Das sind eine ganze Menge!" "Die Tierchen überleben gut da drin. Aber sie sind nicht die Glücklichsten. Sie wären viel lieber draußen, darum sind sie ein bisschen defensiver eingestellt."
US-Imker setzen auf synthetische Milbengifte
In Deutschland gelten Verluste bis zehn Prozent als normal. In den USA rechnet man damit, dass jedes Jahr 25 Prozent der Honigbienenvölker eingehen. Dort setzen Imker viel stärker auf synthetische Milbengifte – nicht zuletzt, weil organische Säuren, vor allem Ameisensäure in den USA schwieriger anzuwenden sind. Es wird zu heiß, sagt Jim Masucci:
"Wenn es wärmer als 25, 30 Grad wird, fängt Ameisensäure an, die Königin und die Brut zu töten und das Bienenvolk zu schädigen. Darum gibt es viele Imker die immer und immer wieder dieselben Milbengifte einsetzen. Und das ist ein Patentrezept für eine Katastrophe."

Weil inzwischen viele Varroa-Milben-Stämme resistent gegen die Akarizide sind, arbeiten Masucci und seine Kollegen an einer neuartigen Strategie – mit RNA-Interferenz. Dazu mischen sie dem Zuckersirup, mit dem sie die Bienen füttern, sogenannte doppelsträngige RNA bei.
"Damit verdünnen die Bienen das Futter für die Larven kurz bevor die sich verpuppen. Das ist genau die Zeit, in der die Milben sich in die Brutzellen schleichen, um sich zu vermehren. Sie verstecken sich im Futter, und da kommen sie damit in Kontakt."
Ein Imker spritzt Ameisensäure gegen die Varroamilbe
Der Einsatz von Ameisensäure gegen die Varroamilbe ist nur bei kühleren Temperaturen möglich (Wolf Sören Treusch)
Gen-Angriff auf das Immunsystem der Milbe
In den Milben kommt die Ribonukleinsäure RNA zwar vor, aber lediglich als einzelner Strang. Um ein Protein herzustellen, erzeugt die Zelle nach dem Bauplan auf dem Erbmolekül DNA ein passgenaues Gegenstück aus RNA – Buchstabe für Buchstabe. Der RNA-Strang übermittelt diese Information an die Zellmaschinerie, die dann das Protein herstellt.
Doppelsträngige RNA besitzen lediglich Viren. Und das ist der Trick: Jim Masucci und seine Kollegen nehmen Milben-RNA und bauen sie zu einem Doppelstrang zusammen. So gaukeln sie dem Immunsystem der Milbe vor, Erbinformation aus ihrem eigenen Genom komme von einem Virus. Das Immunsystem der Milbe greift an und schaltet das eigene Gen aus.

"Wir haben noch nicht veröffentlicht, welches Gen wir benutzen. Es ist aber eines, ohne das die Milbe nicht richtig funktionieren kann."
Ein ähnliches Protein gibt es zwar auch in der Biene, verrät Masucci, aber der große Vorteil von RNA-Interferenz ist, dass sie nur dort funktioniert, wo die Gensequenz wirklich exakt passt.
"Es ist keine Wunderwaffe, aber es wird ein weiteres Werkzeug sein. Wir müssen jetzt noch durch die Zulassung, werden also noch mehrere Jahre brauchen."
Eine Varroamilbe (kleiner, dunkler Punkt) auf einer Bienenlarve. 
Könnte man Varroamilben auf Selbstzerstörung umprogrammieren? (picture alliance / ZB - Patrick Pleul)
"Eine andere Möglichkeit wäre, resistente Bienen zu züchten, und noch schneller ginge es vielleicht mit Techniken wie der Genschere Crispr/Cas. Inwieweit setzt Bayer das ein, um eine widerstandsfähige Biene zu schaffen?"
"Das ist eine sehr gute Frage. Wir beschäftigen uns momentan nicht mit Zucht. Zucht ist kompliziert. Ich glaube aber, sie ist vielversprechend. Es gibt die Werkzeuge, richtig, Crispr – wenn es eine wirklich detaillierte genetische Karte gäbe, die es Züchtern erlaubt, effizienter auszuwählen, könnten wir große Fortschritte machen. Bislang können wir die erwünschten Eigenschaften nicht zuverlässig weitervererben. Es brächte viele frustrierte Kunden, wenn jemand sagen würde: ‚Schaut, ich habe es‘ – und zwei Generationen später verlieren die Königinnen die Eigenschaft schon wieder."
"Darwinian Beekeeping"
Der Kontrast könnte größer kaum sein: Gut eintausenddreihundert Kilometer nord-östlich, mitten im hügeligen Waldland bei Ithaca im US-Bundesstaat New York steht Thomas Seeley am Rande einer einsamen Straße. Es ist ein grauer kalter Nachmittag, Schnee liegt in der Luft.
Der Biologieprofessor von der Cornell University hat ein paar Schritte von der Straße entfernt eine Styroporkiste für eines seiner Bienenvölker auf einen Baumstumpf gestellt. Eine Spaziergängerin kommt vorbei und spricht Seeley an:
"Wissen Sie, dass es ein Bienenvolk in dem Baum da auf der anderen Straßenseite gibt?" "Hatte ich noch nicht bemerkt. Zeigen Sie es mir!" "Sehen Sie den schiefen Hickory-Baum dort? Sehen Sie das Loch? Jedes Mal, wenn ich vorbeigehe, höre ich die Bienen summen. Das Volk ist so nah an Ihrem Bienenstock dort, dass ich mich gefragt habe, ob sie Ihnen abgehauen sind." "Das ist gut möglich!" "Sehen Sie! Da fliegt eine!" "Jedes Bienenvolk bringt im Mai und Juni Schwärme hervor, jeder Schwarm hat etwa 15.000 Bienen mit einer Bienenkönigin." "Fliegen sie weg, weil sie zu viele sind?" "Genau. Weil es im Stock zu voll wird. Auf diese Weise vermehren sich Bienenvölker, und es ist möglich, dass der dort oben von dem hier unten abstammt. Normalerweise reisen sie weiter, aber bei Bienen weiß man nie."
Bienenstock wie eine Baumhöhle
Das Bienenvolk dort oben zehn Meter hoch im Baum ist deshalb so interessant, weil Thomas Seeley sich einiges von wilden Bienenvölkern für sein Volk hier unten abgeschaut hat. "Darwinian Beekeeping" hat er sein Konzept genannt, nach dem Gründer der Evolutionstheorie. Die Stöcke sollen den Kolonien in einer Baumhöhle so ähnlich wie möglich sein. Und das soll sie immun machen gegen die Varroa-Milbe. Seeley behandelt seine Bienen nicht gegen den Parasiten. Manche Völker sterben, andere schaffen es besser und pflanzen sich fort. Man versteht Seeleys Prinzip besser, wenn man die beiden Bienenvölker beiderseits der Straße miteinander vergleicht.


"Inwieweit ist dieser Bienenstock in der Styroporkiste näher an dem im Baum als herkömmliche Bienenvölker?" "Die Größe dieses Stocks ähnelt dem in dem Baum da viel mehr. Sein Volumen ist ungefähr 40 Liter, während normale Stöcke zwischen 85 und 120 Liter fassen. Der hier ist zudem näher am ‚Darwinian Beekeeping‘, weil er sehr gut isoliert ist. Die Wände bestehen aus vier Zentimeter dickem Styropor, das isoliert fünfmal besser als Holzbretter. Außerdem hat es einen dicken Deckel und einen kleinen Eingang."
Thomas Seeley sagt, die Bienen mögen es gern warm. "Ein weiterer Unterschied: Diese Kolonie durfte schwärmen."
Professor Thomas Seeley steht neben einem Bienenstockkasten aus Styropor 
Professor Thomas Seeley nennt sein Konzept zur Bienenhaltung "Darwinian Beekeeping" (Joachim Budde/Dlf)
Bienen sollen sich selbst organisieren
Die Liste der Voraussetzungen, die Thomas Seeley für sein "Darwinian Beekeeping" zusammengestellt hat, ist lang. Die Bienen sollten aus der Region stammen, damit sie an die Klima- und Umweltbedingungen angepasst sind. Die Völker sollen in großem Abstand zueinander stehen. Und:
"Beim ‚Darwinian Beekeeping‘ verändert der Imker das Nest nicht, sondern lässt die Bienen sich so organisieren, wie sie es für richtig halten." "Inwieweit denken Sie, ist Ihr Konzept für Berufsimker geeignet?" "Oh, vermutlich nicht besonders gut. Zumindest hier in den Vereinigten Staaten haben Berufsimker mindestens 300 Völker. Dafür gute Bienenstände zu finden, ist eine echte Herausforderung. Darum stellen sie viele Völker an einen Standort. Honigproduktion ist ein wesentlicher Teil kommerzieller Imkerei, darum große Völker, große Stöcke, große Honigräume, viel Brut – es gibt zahlreiche Aspekte, in denen die beiden nicht zusammenpassen. Das ist einfach die Realität."
Skepsis bei anderen Experten
Und was halten andere Bienenexperten von dem "Darwinian Beekeeping"?
Ralph Büchler leitet das Bieneninstitut in Kirchhain in Hessen: "Also ich bin ein Fan im Sinne von Verstehen, was in den Völkern natürlicherweise passiert. Und da hat gerade Tom Seeley wesentliche Impulse gegeben. Nicht alles von dem, was sie genannt haben, ist streng wissenschaftlich gesehen heute schon in seinem Effekt bewiesen. Gleichwohl das sind alles sehr gute Impulse, bei denen wir prüfen müssen: Was kann man davon hineinnehmen in ein bestimmtes Haltungskonzept?"
Claudia Garrido sieht Seeleys Ideen wesentlich kritischer: "Ich war regelrecht entsetzt, wie er seine Lösung anbietet. Mit einer Unbedachtheit, die ich von einem Wissenschaftler seines Formats nicht erwartet hätte. Und auch von einer praktischen Seite her. Wenn das nicht alle Imker in irgendeiner Form umsetzen können, dann ist es Spielerei - und in diesem Fall eine unverantwortliche Spielerei."
Das Bienengenom ist sequenziert, aber noch nicht entschlüsselt
An der Universität in Düsseldorf bei Martin Beye. Dass Beye heute Professor für evolutionäre Genetik ist, liegt an den Honigbienen:
"Ich hab die Bienenzucht von meinem Großvater gelernt, und seitdem faszinieren mich Bienen. Und deswegen habe ich auch Biologie studiert. Und wenn man sich die Bienen so anschaut, ist es ja sehr faszinierend, dass diese soziale Organisation, dass die von Generation zu Generation weitergegeben wird."
Das Genom der Honigbiene ist zwar sequenziert. Aber es wird noch lange dauern, bis die Funktion sämtlicher Gene bestimmt ist. Vor ein paar Jahren haben Martin Beye und seine Mitarbeiter das Gen identifiziert, das das Geschlecht bei Bienen bestimmt.
"Wir sind eine Universität, uns interessieren mehr die grundlegenden Fragen. Wie zum Beispiel das komplexe Sozialverhalten spezifiziert werden kann durch ein genetisches Programm. Wir sind also jetzt nicht daran interessiert, eine bessere Biene zu erzeugen, sondern wir sind dran, hier die Grundlagen dafür zu verstehen."
Experimente mit der Genschere Crispr/Cas 9
Methoden dazu hat Martin Beye entwickelt:
"Wir waren die Ersten, die hier die erste Arbeiterinnenmutation praktisch erzeugt haben. Ja, das sind wir ja tatsächlich."
Mithilfe der Genschere Crispr/Cas 9 kann er in Bienenarbeiterinnen einzelne Gene ausschalten und beobachtet dann, wie sich ihr Verhalten verändert. Martin Beye hat auch schon danach gesucht, welche Gene dahinterstecken, dass manche Honigbienen besser mit Varroa zurechtkommen als andere:
"Ja, wollen wir mal sagen, wir haben gesucht nach Markern, die sozusagen zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit wiedergeben, dass das ein Merkmal ist, was mit der Resistenz assoziiert ist."
Resistenz wird nicht an einem einzigen Gen hängen
Ein Grund, warum der Forscher mit der Suche aufgehört hat: Das Geld ist ihm ausgegangen.
"Wie groß, glauben Sie denn, ist der Bedarf oder auch nur der Wunsch nach einer Biene, die von sich aus mit Varroa klarkommt?" "Das wäre natürlich wünschenswert. Aber ich glaube nicht, dass wir das mit diesen modernen Methoden hinbekommen. Also mit CRISPR/Cas oder transgenen Bienen, weil wir einfach zu wenig wissen überhaupt, was die Resistenzmechanismen tatsächlich sind."
Darum dauere auch die Zucht mit herkömmlichen Methoden so lange. Zwei Dinge stehen Beye zufolge einer varroaresistenten Crispr-Biene im Weg:
"Das ist nicht so monokausal. Dass man das durch ein Gen festmachen kann, und dann werden alle Bienen resistent. Das wird nicht der Fall sein. Deswegen ist es ja so kompliziert, diese Züchtung, die dauert viele Jahre, sonst hätte man da im nächsten Jahr schon eine resistente Biene."
Von Varroa-Milben befallenes Bienenvolk: Milbe auf frisch geschlüpfter, deformierter Biene (Apis mellifera var carnica) neben toten Larven.
Milbe auf frisch geschlüpfter, deformierter Biene (Apis mellifera var carnica) neben toten Larven. (imago stock&people, imagebroker)
Mit klassischer Zuchtauswahl zur robusten Biene
Dr. Ralph Büchler vom Bieneninstitut in Kirchhain in Hessen forscht an neuen Strategien, mit denen Imker die Varroamilbe zurückdrängen können:
"Wir haben auch das Ziel für uns gesetzt, dass Winterverluste kleiner fünf Prozent sein sollten. Ich möchte Wege finden, wie wir möglichst naturnah und bienengerecht Bienenhaltung betreiben, aber auch mit wirtschaftlichem Interesse."
Außerdem versucht er, varroaresistente Bienen zu züchten:
"Wir nehmen Völker verschiedener Herkunft unter standardisierten Vergleichsbedingungen und beobachten über ein Jahr hinweg, wie gut die Milben sich in den Völkern vermehren, greifen dann bevorzugt auf Völker zurück, deren Befall so niedrig ist, dass sie vielleicht ein Jahr ganz ohne Behandlung überleben können, für die weitere Vermehrung."
Etwa 2000 Honigbienenvölker bei rund 150 privaten Züchtern sind in dem Programm. Deren Königinnen paaren die Forscher mit ausgewählten Drohnen aus Völkern, die ein besonderes Verhalten zeigen:
"Wir wissen, dass Bienen zum Teil in der Lage sind, gezielt zu erkennen, in welchen Brutzellen sich Varroamilben aufhalten. Und sinnvoll im Sinne der Resistenz ist, dass solche Zellen dann von den Bienen geöffnet und entweder vollständig entfernt werden oder aber auch wieder verschlossen, sodass die Brut sich weiterentwickeln kann, die Milbe aber in ihrem Vermehrungsverhalten in der Zelle dadurch gestört ist."
Deutliche Fortschritte - aber perfekte Resistenz nicht in Sicht
Ralph Büchler hat eine ganze Liste mit weiteren Anforderungen. Er sucht Bienenvölker, die leistungsfähig sind, sanftmütig und angepasst an Klima und Blütenangebot hierzulande:
"Also es geht um ein ganzes Spektrum von Merkmalen, und das macht die Auslese aufwendig und auch langwierig."
Seit etwa 20 Jahren läuft das Programm inzwischen.
"Und wie weit auf dem Weg sind sie zur varroaresistenten Biene?" "Wir sehen deutliche Fortschritte. Wir haben Linien dabei, die eine deutlich geringere Varroavermehrung und höhere Überlebenschancen aufweisen. Zugleich sind wir noch weit davon entfernt, dass mit solchen ausgelesenen Bienen Imkerei ohne weitere Rücksichtnahme auf das Varroaproblem durchgeführt werden könnte. Und um ehrlich zu sein: Ich bezweifle, dass das jemals kommen wird."
Imker werden ihren Honigbienen also immer helfen müssen.
Warnung vor genmanipuliertem Erbgut mit Patentschutz
Und die Crispr-Biene? Ralph Büchler warnt:
"Ich glaube, das ist bislang ein ziemliches Sandkasten-Wunschdenken. Wir haben es nicht mit Legosteinen zu tun, wo ich Gelb und Blau zusammensetze und hab dann das, was ich möchte. Es gibt sicherlich Ansätze in Amerika, in Japan und vermutlich auch in China, wo derartige Dinge verfolgt werden. Was in jedem Fall aber mitzubedenken ist: Wir wissen das ja nur zu gut aus GMO-Entwicklung im Pflanzenbausektor – derjenige, der so etwas entwickelt, möchte es vermarkten. Also die zwangsläufige Konsequenz wäre, sich ein bestimmtes Erbgut patentieren zu lassen. Und das ist für mich ein unglaublicher Gedanke, dass man auf die Idee kommen könnte, Erbgut von Honigbienen, die eine so zentrale Rolle in unserem gesamten Naturhaushalt und für den Schutz der Biodiversität spielen, privatisieren zu wollen."
Blick auf das gesamte Ökosystem nötig
Vielleicht es sogar zu kurz gedacht, sich bei den Forschungsansätzen nur auf die Honigbiene zu fokussieren – schließlich gibt es ja 800 bis 900 wilde Bienenarten, die genauso wichtig sind für die Bestäubung. Der Imker Friedel Mirbach:
"Varroa ist ja im Augenblick gar nicht mehr so das Thema. Jetzt sind ja Bienensterben und Wildbienen mehr ein Thema. Honigbienen haben ja eine Lobby. Die ganzen Wildbienen haben ja keine Lobby."
Auch Claudia Garrido plädiert dafür, stets das gesamte Ökosystem im Auge zu behalten:
"Die Frage ist, ist das die Lösung des Problems? Eine Honigbiene, die gegen Pestizide resistent wäre, würde Landwirten und auch Imkern jede Menge Probleme ersparen, aber das ökologische Probleme haben wir damit nicht gelöst."
Wenn Varroa-Milben Honigbienen mit Krankheitserregern infizieren, dann bedrohe das auch wildlebende Arten:
"Jetzt kommt es eben dazu, dass dieses Virus durch gemeinsamen Blütenbesuch auch auf andere Insekten übertragen wird. Gesichert ist es hauptsächlich bei Hummeln und bei Solitärbienen. Und da finde ich halt es ist unverantwortlich, nicht zu behandeln, weil wir dadurch eben ein viel größeres ökologisches Problem verursachen, eben durch die Übertragung von Honigbienenviren auch auf andere Insekten."

Das Bienenmuseum in Duisburg, Mitte Februar. Gerhard Liebig schaut sich eines der Honigbienenvölker an:

"Das ist jetzt das eine Volk. Oh, Wahnsinn!" "Warum Wahnsinn?" "Weil es so stark ist. Das ist ein gutes Volk. Der Imker, der das Volk betreut hat, ist so wohl ein guter Imker." "Um wie viele Völker kümmern Sie sich?" "Einige Hundert. 300, 400 zurzeit." "Wieviele sterben da über einen Winter?" "Also weniger als drei Prozent."
Die Bienenvölker sind auf ganz Nordrhein-Westfalen verteilt. Zusammen mit seiner Kollegin Pia Aumeier schult Gerhard Liebig dort Imker mit mehr und mit weniger Erfahrung. Die Biologen behandeln ihre Völker mit organischen Säuren gegen Varroa. Liebig hat seine Methode in einem Buch aufgeschrieben. Die ersten Milben hat er im Jahr 1982 gesehen; seit 2011 ist der Biologe im Ruhestand - aber an der Varroabekämpfung forscht er noch immer:
"In der Beziehung arbeite ich also nach wie vor zweigleisig, also ich überlege, denke nach, mache Versuche: Kann man das Varroa-Problem ohne Behandlung in den Griff kriegen? Und das zweite ist, wenn ich behandeln muss, wie behandele ich, ohne Stress für Honigbiene und für Bienenhalter zu produzieren? Mindestens bei diesem zweiten Ansatz bin ich auf einem sauguten Weg. Sagt man da, glaube ich, wenn man sich sehr stark loben will."
Dr. Gerhard Liebig am Bienenstand am Bienenmuseum in Duisburg. Er beschäftigt sich seit Ende der 70er mit der Varroamilbe und mit resistenten Honigbienen.
Dr. Gerhard Liebig am Bienenstand am Bienenmuseum in Duisburg (Joachim Budde/Dlf)
Große Unterschiede beim Varroa-Befall
Gerhard Liebig zählt, wie viele tote Milben jede Woche von ganz allein aus einer Kolonie fallen. Den natürlichen Milbenfall nennt man das. Zum einen will er rechtzeitig erkennen, wo er nachhelfen muss. Zum anderen sammelt er Daten für seine Forschung. Und dann zählt er die toten Milben nach der Varroa-Behandlung – als Maß dafür, wie viele insgesamt im Volk waren:
"Es gibt Völker, in denen sich die Varroamilbe gut vermehrt hat letztes Jahr zum Beispiel, und in anderen Völkern wo sie sich schlecht vermehrt hat. Also ich habe Befallsunterschiede von 200 Milben im Volk gehabt und 5000. Woran liegt das? Das ist jetzt ein Volk, wo ich den Verdacht habe, dass es vielleicht kranke Milben hat. Es gibt genügend Bienenwissenschaftler, die immer wieder betonen – ich gehöre nicht dazu –, dass die Varroamilbe eigentlich nicht als solche die Völker umbringt, sondern dadurch, dass sie Krankheiten überträgt; Viren überträgt. Und jetzt ist die Frage, ob diese Viren nicht auch die Milben krank machen könnten."
Kranke Milben könnten Schlüssel zur Lösung sein
Dann steckte hinter der vermeintlichen Varroaresistenz keine resistente Biene, sondern kranke Milben.
"Ich werde das demnächst noch ausarbeiten, ich bin auch schon dran, nur noch nicht ganz zufrieden. Das muss ja irgendwie ein bisschen stimmig sein. Und vor allen Dingen die vielen Wenn und Abers, die will ich auch erwähnen."
Und dann wäre die Lösung gar nicht bei den Bienen zu finden.
"Wenn sich diese Krankheit etabliert in der Milbenpopulation, dann erledigt sich das Problem quasi von selbst. Reine Hypothese."
Erste Ergebnisse schon bis Ende des Jahres?
Liebig macht dieses Jahr Versuche mit Völkern hier aus Duisburg und von anderen Standorten:
"Das will ich jetzt dieses Jahr mal ausprobieren, das ich von Völkern, wo ich vermuten kann, wir haben kranke Milbenpopulationen, dann teile ich dieses Volk in zehn Völker. Ohne jetzt fremde Milben dazu zu bringen. Und dann ein Volk, wo ich meine, die hat eine gesunde Milbenpopulation, dann, teilte ich dieses Volk in zehn Ableger, ohne die Milben zu mischen. Und dann gucke ich nach, ob die Nachkommen dasselbe zeigen, was die Muttervölker im Jahr vorher gezeigt haben."
Die Ergebnisse wird er publizieren und so Kollegen an den Bieneninstituten, die über Labore verfügen, anregen, sich die Sache genauer anzusehen:
"Am Ende des Jahres weiß ich mehr. Dürfen sie wieder vorbeikommen."