Röstel: Ich denke, es ist sehr normal, wenn wenige Tage vor einer Bundesdelegiertenkonferenz die entscheidenden Themen - wie Atomausstieg und Strukturdiskussion - auch öffentlich noch einmal richtig hochkochen. Das zeigt ja auch, dass wir eine sehr lebendige Partei sind. Und dass in einer demokratischen Partei – wie Bündnis 90/Die Grünen – diskutiert wird, auch offen diskutiert wird, auch offen Streitpunkte ausgetragen werden, das finde ich nicht nachteilig. Die Entscheidung fällt letztendlich auf der Delegiertenkonferenz selbst, und sie liegt in der Verantwortung jedes und jeder einzelnen Delegierten.
DLF: Doch der Eindruck der Selbstzerfleischung bleibt. Wie würden Sie den Zustand der Partei im Moment beschreiben?
Röstel: Es ist sicherlich so, dass wir in den letzten zwei Jahren, auch wenn man auf die Wahlergebnisse auf Landes- oder kommunalpolitischer Ebene schaut, nicht nur von Erfolgen reden kann - um das freundlich auszudrücken -. Wir sind wirklich gehalten, in dieser Situation der Regierungsbeteiligung nach vorne zu kommen, unsere Positionen in der Öffentlichkeit auch deutlicher zu machen; und dazu bedarf es natürlich auch struktureller Voraussetzung. All das wird auf der Bundesdelegiertenkonferenz auch zur Diskussion stehen.
DLF: Sie haben nun vor einer Woche erklärt, nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen. Ein Signal an Ihre Partei sollte es sein. Ist dieses Signal angekommen?
Röstel: Wenn man die Medienresonanz und auch die vielen E-Mails und anderes anschaut, dann würde ich das mit einem glatten und auch strahlenden 'Ja' beantworten. Ich finde, es war eine richtige Entscheidung, dies auch vor der Bundesdelegiertenkonferenz deutlich zu machen, dass ich – unabhängig vom Ausgang etwa einer Strukturdiskussion – nicht wieder für das Amt der Sprecherin zur Verfügung stehen werde. Neben Herrn Trittin bin ich ja die einzige, die zwei Amtsperioden lang an der Spitze dieser Partei fungiert hat, was schon alle in unserer Partei auch nachdenklich stimmen sollte.
DLF: Ihnen wird aber der Vorwurf gemacht, Sie wollten damit Druck ausüben.
Röstel: Nein, überhaupt nicht Druck ausüben. Also diesen Druck habe ich als Parteisprecherin ausgeübt und habe dafür geworben, habe ja selber diese Strukturreform deutlich mit vorangebracht. Und ich hoffe endlich, dass wir nach nunmehr fast zehnjähriger Diskussion um dieses brisante und hochinteressante Thema – wie Grüne Strukturreform – endlich auch zu einer Entscheidung kommen. Es interessiert in der Öffentlichkeit weiß Gott niemanden. Die Leute erwarten von uns eine professionelle Politik, da haben sie auch ein Recht darauf. Und wir selber sollten endlich Schluss machen damit, uns selbst Fußangeln anzulegen. Wir stehen in einem harten politischen Wettbewerb mit den anderen demokratischen Parteien. Das ist so, als würden die anderen losrennen – nur wir Grünen, wir legen uns selber ständig wieder Fußangeln und kommen deshalb auch schwerer vorwärts. Wir machen es uns selbst schwer.
DLF: Sie sprechen eines dieser zentralen Themen nächste Woche in Karlsruhe an: Die teilweise Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat streben Sie an. Sehen Sie dafür noch Chancen?
Röstel: Ich sehe dafür selbstverständlich Chancen, und ich hoffe, dass es uns gelingen wird, in einer offenen Diskussion auch eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten, die ja notwendig ist – es ist ja eine Satzungsänderung – auch zu erringen; dass man hier die Argumente auch noch einmal offen austauschen kann. Ich meine, wir haben bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz dieses Thema schon mal gehabt, haben infolge dessen dann eine Kommission gebildet, wo Landesvertreterinnen ja dabei gewesen sind, Basisvertreterinnen dabei gewesen sind. Die haben uns diesen Strukturvorschlag gemacht. Der Bundesvorstand hat das also aufgegriffen. Wir haben einen Länderrat gehabt im Herbst, der mit einer ganz großen Mehrheit diesen Positionen gefolgt ist. Und es gibt überhaupt keinen Grund, dahinter wieder zurückzufallen. Also, eine solch' späte Rache Helmut Kohls haben wir überhaupt nicht verdient.
DLF: Warum ist das so wichtig? Wäre nicht eine bessere Finanzausstattung für den Bundesvorstand wichtiger?
Röstel: Wir reden im Moment nicht über eine bessere Finanzausstattung. Auch das Thema 'Haushalt' wird ja auf der Bundesdelegiertenkonferenz nicht nur diskutiert werden, sondern ist im Moment noch ein strittiges Thema. Da geht es aber noch nicht einmal um ein Mehr, sondern da geht es trotz Streichungen, trotz Erhöhung der Mitgliedsbeiträge, trotz, dass wir Solifonds und Ökofonds zunächst auf Eis legen um Status-Quo-Erhalt. Natürlich sind die zurückliegenden Wahleinbußen finanziell nicht an uns vorbeigegangen, das ist überhaupt keine Frage. Aber es ist richtig: Es ist nicht nur eine Frage der Strukturhindernisse, die wir haben, sondern es ist natürlich auch eine Frage mangelnder Finanzausstattung. Wenn man sich mal anschaut, dass ich als Parteivorsitzende oder –sprecherin, wie das ja bei uns heißt, mit einem Referenten und einer halben Sekretärin, ohne jedes inhaltliche Referat – mit Ausnahme des Frauenbereiches – Politik mache, machen muss, dann spricht das schon eine deutliche Sprache. Und es ist ja auch nicht verwunderlich, dass wir innerhalb der zwei Jahrzehnte grüner Politik an der Bundesspitze unglaublich viele Leute einen Durchgang gehabt haben oder eben auch verschlissen worden sind.
DLF: Warum können Sie da nichts daran verändern? Die Landesverbände sind doch durchaus reich?
Röstel: Ja, auch das ist punktuell sehr unterschiedlich. Auch da ist die Situation im Hinblick auf die zurückliegenden Wahleinbußen nicht mehr ganz so rosig. Wir haben durchaus reiche Ortsverbände, die aber auch ein bisschen auf ihrem Säckel sitzen, weil sie das für ihre eigenen Initiativen brauchen. Also, uns wäre schon geholfen, wenn wir den Mitgliedsbeitrag erhöhen könnten und wenn - wir zahlen ja monatlich ein Prozent vom Netto, natürlich nach eigener Festlegung, da schnüffelt niemand hinterher - wenn dieses eine Prozent auch wirklich von jedem und jeder in unserer Partei eingehalten würde.
DLF: 'Kampf den informellen Strukturen' – so das Ziel von Karlsruhe. Der heimliche Parteichef will sich sogar selbst abschaffen, sagt er jedenfalls. Nach Ihren eigenen Erfahrungen, Frau Röstel: Glauben Sie daran?
Röstel: Ich glaube, dass Joschka Fischer nach wie vor eine große Rolle, auch in der Repräsentanz für unsere Partei, spielen wird und auch spielen muss. Er ist ein hervorgehobener Grüner Politiker, und ich glaube, einer der ganz wenigen großen Generalisten in der deutschen Politik. Und darauf bin ich auch stolz, und daran möchte ich auch nichts ändern. Was ich aber möchte, ist – und da ist diese Strukturreform ein wirklich wichtiger Schritt –, ich möchte, dass sich unsere formellen und informellen Machtstrukturen mehr annähern. Es ist ja richtig, und da verstehe ich auch all diejenigen in unseren Reihen, die das Thema 'Machtbegrenzung', welches ein grünes Thema zu recht ist, hier sehr nachdenklich angesichts dieser CDU-Affäre, dieses Korruptionsskandals – das steht ja eigentlich als Grundfrage im Raum – auf die Tagesordnung setzen. Diesem Ziel der Machtbegrenzung - dem müssen wir auch folgen; das steht für uns Grüne auch nach wie vor als wichtiges politisches Ziel. Aber wir müssen die Instrumente prüfen, ob sie geeignet sind. Und es hat sich aus meiner – auch ganz persönlichen – Sicht doch gezeigt, dass diese kategorische Trennung von Amt und Mandat diesem Ziel der Machtbegrenzung nicht gedient hat. Der Bundesvorstand leidet ja nun weiß Gott an nicht zu viel Macht, sondern eher an zu wenig Macht. Und es ist doch auch absurd zu glauben, dass wir mit diesem Kompromiss - nur 50-Prozent-Öffnung heißt doch, dass von den angestrebten sechs Personen im Bundesvorstand in Zukunft drei Mandatsträgerinnen sein können -, Gefahr laufen würden, ein System Kohl bildet sich heraus. Also das ist doch absurd. Da spielt eine Form von Misstrauen auch gegenüber Mandatsträgerinnen mit, die ich für völlig ungerechtfertigt halte. Was wir brauchen, ist kein Misstrauen; was wir brauchen, ist eine Vertrauenskultur in unseren eigenen Reihen. Und worauf ich Wert lege ist, dass wir neben diesem Vertrauen in Führungspersönlichkeiten unserer Partei die Kontrollmechanismen beleben. Das belebt doch eine Demokratie, das belebt doch eine demokratische Partei. Und da finde ich, wenn ich mir den Finanzbereich unserer Partei anschaue: Das funktioniert hervorragend. Wir haben als einzige Partei die Institution eines Bundesfinanzrates. Ich kann als Bundesvorstand beispielsweise meinen Haushalt überhaupt nicht alleine irgendwie - an der Partei vorbeischummelnd - beschließen, sondern wir haben einen Bundesfinanzrat. Der ist ein Gremium, dort sind Basisvertreter, dort sind die Landesschatzmeisterinnen drin – und die genehmigen die Arbeiten an unserem Haushalt. Insofern sind das transparente und auch Kontrollstrukturen, die wir haben.
DLF: Aber auch Sie haben Ihren politischen Patriarchen – wie Sie sagten –, Joschka Fischer. Lassen sich diese Strukturen wirklich aufknacken, dieses funktionierende System schnell verändern?
Röstel: Wie schnell das gehen wird, das wird die Zukunft zeigen und hängt sicherlich auch von den Personen ab, die in Zukunft dieses Amt begleiten werden. Aber ich würde da gerne Joschka Fischer beim Wort nehmen wollen, der ja schon oft gesagt hat, er wäre froh, wenn er auf das Amt des Außenministers sich beschränken kann in Zukunft. Und zu diesem Frohsinn sollten wir wirklich beitragen.
DLF: Wir sprachen schon von dem heftigen Flügelschlagen. Die jüngsten Integrationsbemühungen sind kräftig schief gegangen, flügelübergreifende Geschlossenheitsappelle scheiterten. Ihnen wird inzwischen sogar Führungsmangel vorgeworfen. War der 'offene Brief' an die Basis eine glückliche Entscheidung?
Röstel: Es ist eine Form, die der Meinungsbildung vor einer Bundesdelegiertenkonferenz hilft. Und es ist ja eine völlig legitime Form. Es ist ja auch so, dass weitere Briefe, weitere Meinungen jetzt auch kundgetan werden. Und das finde ich eine richtige und auch eine gute Möglichkeit, Meinungen eben auszutauschen. Dass das jetzt kommt, zu diesem Zeitpunkt, muss niemanden verwundern. Wir hatten vorher Wahlen in Schleswig-Holstein, und ich bin heilfroh, dass diese Meinungsdiskussion erst jetzt im Hinblick auf die Bundesdelegiertenkonferenz so 'angekocht' wird. Vor Schleswig-Holstein wäre das ein Schuss ins Knie gewesen – so nach dem Motto: 'Grüne Nabelschau, die Grünen beschäftigen sich mit sich selbst'. Aber im Moment müssen wir uns mit uns selbst beschäftigen, weil wir wettbewerbsfähig sein müssen in diesen sehr harten politischen Auseinandersetzungen, denen wir uns als Grüne ja stellen müssen.
DLF: Und daraus ist dann auch gleich die Personaldebatte geworden. Zwei Kandidaten sind früh gestartet. Vielleicht zu früh?
Röstel: Ach, das würde ich nicht sagen. Es ist natürlich immer nicht unbedingt förderlich, auch für diejenigen selbst ja nicht gefahrlos, wenn Strukturen zu schnell mit Köpfen verbunden werden. Aber es muss sich auch da niemand was vormachen; es bleibt natürlich nicht aus. Und ich finde, dass sowohl Frau Künast als auch Herr Kuhn, die ihren Hut hier in den Ring geworfen haben, genau so wie Frau Radtke hochgeeignete Persönlichkeiten sind, unsere Partei in Zukunft zu führen und auch zu repräsentieren nach außen.
DLF: 'Alles kein Thema' sagt der Bundesumweltminister, wollte sogar dieses ganze Thema schon von der Tagesordnung absetzen. Viel wichtiger sei der Ausstieg aus der Atomenergie. Deshalb unterstütze er auch nicht Ihren Appell. Jürgen Trittin unterschrieb nicht den Brief des Bundesvorstandes. Er meldete sich jetzt mit einem eigenen 'offenen Brief' zu Wort. Hat er Unrecht?
Röstel: Ich sage es noch mal: Ich finde diesen Meinungsaustausch vor einer Bundesdelegiertenkonferenz richtig und notwendig. Er findet ja nicht unter einer Glasglocke statt, sondern eben auch in großer und lebendiger Offenheit. Und gerade Jürgen Trittin als mein vormaliger Kollege als Sprecher weiß selber, woran diese Bundesebene krankt – aus ganz eigener Erfahrung. Und er hat mit mir zusammen ja immer sehr viel weitgehendere Strukturen auch vorgeschlagen, auch zum Thema 'Doppelspitze', die er ja ähnlich kritisch sieht etwa wie ich – zum Thema Finanzausstattung. Wir haben es bisher nicht geschafft, das umzusetzen. Und ich glaube, auch die Zielrichtung dieser hälftigen Aufhebung der kategorischen Trennung von Amt und Mandat entspricht seinen wirklichen politischen Zielen. Ich kann ihn natürlich schon ein bisschen verstehen, wenn er im Hinblick auf den Atomausstieg – was ja nicht einfach zu händeln ist für uns - die Bundesdelegiertenkonferenz nicht überfrachten will. Aber ich glaube, ein Ausweichen von Auseinandersetzungen hilft niemandem weiter, sondern ich stehe für eine Klärung, für eine Offenheit und Transparenz in dieser Diskussion. Und ich bin auch guten Mutes, dass man das schaffen kann.
DLF: Welche Rolle spielt da Jürgen Trittin – auch in Karlsruhe? Hat er Angst um seine Zukunft, denn die Atomdebatte kann ja durchaus negativ ausgehen?
Röstel: Angst ist nie ein guter Antriebsfaktor, aber wir als Bundesvorstand haben in beiden Diskussionen - aus meiner Sicht - eine sehr starke Führungsposition übernommen, ganz anders als die Kritik, die in den letzten Tagen da zu hören war. Wenn ich die Situation etwa zum Atomausstieg zum Ende des Jahres mir noch einmal vor Augen führe, wie festgefahren das gewesen ist, der Bundesvorstand initiativ geworden ist, einen Kompromiss gefunden hat, ein Gesamtpaket entwickelt hat – bestehend aus all dem, was man unter dem Stichwort 'Energiewende', also Förderung erneuerbarer Energie und Energieeinsparung zusammenfasst – alles das, was jetzt wunderbar auf den Weg gebracht worden ist und über das viel zu wenig gesprochen wird - über den zweiten Punkt 'Atomgesetznovelle' mit der Erhöhung der Deckungsvorsorge, die Fragen zur Wiederaufarbeitung, die Fragen der Lagerung etc. bis hin eben zu der immer noch mit den Energieversorgungsunternehmen strittigen Frage der Laufzeiten, respektive der notwendigen Übergangsfristen. Hier haben wir ein Kompromisspapier vorgelegt, was auch Verhandlungsgrundlage, Verhandlungslinie der Bündnisgrünen Kabinettskollegen ist. Und ich finde, dass das eine sehr gute Leistung gewesen ist. Und auf dieser Bundesdelegiertenkonferenz wird diese Position ja zunächst auch noch mal zur Entscheidung stehen. Und wir haben als Bundesvorstand hier wirklich eine Führungsrolle übernommen, nämlich diese Position erst einmal zu übermitteln, denn zwischen dem bisher in Oppositionszeiten anvisierten Sofortausstieg und den maximalen Laufzeiten – Gesamtlaufzeiten wohlgemerkt – von jetzt 30 Jahren besteht schon eine Differenz, die mit grüner Messlatte nur schwer messbar ist. Und ich glaube, für diese Position – lassen Sie mich das abschließend noch sagen – gibt es inzwischen eine große Mehrheit. Ich traue mir zu, für diese Position des Bundesvorstandes eine große Mehrheit auf der Bundesdelegiertenkonferenz auch zu bekommen.
DLF: Erkennbar wendet sich aber die Stimmung – gerade bei den Unterstützern – in der Frage der Kernenergie gegen Ihre Partei, gegen die Bündnisgrünen. Verbände wenden sich ab, Bürgerinitiativen mobilisieren Protest gegen die Bundesregierung. Wie lange kann die Partei das noch durchhalten? Brauchen Sie nicht vielleicht in dieser Legislaturperiode doch noch die Abschaltung eines Atomkraftwerkes?
Röstel: Dem widerspricht ja niemand, und ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelingt, dieses oder jenes Atomkraftwerk in dieser Legislatur noch vom Netz zu nehmen. Realistisch ist dies allerdings nur im Konsens möglich. Und da sind wir in den Endverhandlungen in einem nicht einfachen Stadium angekommen. Wir haben als Bündnis 90/Die Grünen, aber auch in Gemeinsamkeit und in hoher Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner, unser Interesse an einer Konsenslösung immer kundgetan. Und ich finde, das, was wir als Verhandlungslinie des Bundesvorstandes – inzwischen ja auch Verhandlungslinie der rot-grünen Regierung – hier vorgelegt haben, das, was wir dann als weiteren Flexibilisierungsschritt – nämlich im Hinblick auf einen Mengenpool – dort auch als Angebot unterbreitet haben, und das hat ja wirklich Charme für beide Seiten, liegt im Interesse der Stromerzeuger genau so wie in unserem – diesen Konsens zum Erfolg zu bringen, diesem haben wir uns gestellt. Und es ist jetzt auf der Betreiberseite, diesen Konsens auch ihrerseits einen Erfolg werden zu lassen. Und manchmal kommen mir diese Verhandlungen so vor wie 'zwei Schritt vor – einen zurück'. Im Moment ist das natürlich keine einfache Situation. Es ist für unsere Partei natürlich schwierig; das ist wie ein Poker, wo die eine Seite schon ein paar Karten auf dem Tisch hat und die andere hält sich bedeckt. Ich kann an unsere Partei, aber auch an uns als rot-grüne Regierung, an dieser Stelle nur appellieren, hier die Nerven zu bewahren in diesem Poker, dranzubleiben – Geschlossenheit, das ist glaube ich das Stärkste, was wir in diesen Verhandlungen zeigen können, und mit einer nüchternen Klarheit der Atomenergie auch zu verdeutlichen, dass diese Ausstiegsverhandlungen keine Hängepartie werden. Und wenn es nicht im Konsens geht – da steht der Kanzler ja in einem deutlichen Wort, auch vor der Öffentlichkeit –, dann wird es ein Ausstiegsgesetz im Dissens geben . . .
DLF: . . . das soll es schon in diesem Monat geben, denn bis Ende Februar sollten die Verhandlungen eigentlich abgeschlossen sein. Die Gespräche ziehen sich hin. Tappen Sie da nicht so langsam in die Dissens-Konsens-Falle?
Röstel: Es ist eine schwierige Situation. Aber ich halte nicht so viel davon, an dieser Stelle dann flatterig zu werden und wegen einer oder zwei Wochen dort zu Fehlern zu neigen, oder zu einer Situation, wo uns der 'Schwarze Peter' zugeschoben werden kann. Die zukünftigen oder die Nachfolgegenerationen werden diese so wichtige Regierungskoalition, diesen so wichtigen grünen Bündnispartner, der dieses Projekt der Energiewende ja vorantreibt – die werden uns nicht daran messen, ob wir den Ausstieg in 25, in 29 oder in 30 Jahren machen, oder ob wir hier oder da einen Fehler gemacht haben, sondern die werden uns daran messen: Gelingt es – oder setzen Bündnis 90/Die Grünen, setzt die rot-grüne Regierung den Ausstieg aus einer Risikotechnologie in den Sand. Das dürfen wir uns nicht leisten, denke ich. Und es muss sich doch niemand was vormachen. Wir kämpfen seit zwei Jahrzehnten um den Atomausstieg, und es ist meine ganz ehrliche Überzeugung: Wir waren diesem Ziel noch nie so nahe wie heute.
DLF: Aber was passiert, wenn im Sommer wieder Atommülltransporte rollen und der Ausstieg noch nicht festgezurrt ist?
Röstel: Dann sieht es sicher nicht so gut aus für die rot-grüne Regierung, aber es sieht noch viel schlechter aus für die Kraftwerksbetreiber selbst. Sie müssen sich mal die Stimmung vorstellen, was dann passiert, denn die Mehrheit in der Bevölkerung – nicht nur in Initiativen organisiert, sondern alle, das zeigen alle Umfragen – die will den Ausstieg aus dieser Risikotechnologie, weil es unverantwortlich ist. Und die Unfälle - in Japan, in Sellafield etwa – die geben auch wirklich keinen Grund zur Entwarnung, bis hin zu den ungeklärten Fragen einer – in Anführungszeichen – 'sicheren Endlagerung'. Insofern glaube ich auch, dass es den Interessen der Kraftwerksbetreiber selbst sehr nahe kommt, mit uns einen Ausstieg im Konsens hinzubekommen. Das ist ja der Charme auch unseres Angebotes. Wir könnten uns das einfach machen, nach allen rechtlichen Gutachten, die uns zur Verfügung stehen, hier einen Ausstieg im Dissens durchzudrücken. Das hat für uns Probleme, aber das hat natürlich auch Probleme für die Betreiberseite. Und die tun gut daran, endlich diese Verhandlungen nicht länger als ein Spielchen zu nutzen, sondern auch wirklich um ein ernsthaftes Ergebnis zu ringen und endlich dies auch zu beenden. Es wäre sehr schade für beide Seiten, wenn ein solches, aus meiner Sicht ja hochmodernes Politikmodell - nämlich aus gegengesetzten Interessenlagen sich so weit anzunähern, dass man die Einzelinteressen überbrückt und zu einem gemeinsam formulierten Gemeinwohlinteresse kommt -, wenn ein solch modernes und fortschrittliches Politikmodell des Dialoges und des Kompromisses aus Starrsinn einzelner in den Sand gesetzt wird. Ich glaube, das wäre auch für die Öffentlichkeit ein schlechtes Zeichen und würde der Industrie insgesamt einen Bärendienst erweisen.
DLF: Welche Empfehlung geben Sie dem Parteitag in Karlsruhe? Soll er ein Ultimatum stellen?
Röstel: Ich halte nichts von selbst gesetzten öffentlichen Ultimaten. Es versteht sich von selbst, dass diese Verhandlungen nicht endlos weitergehen, und wir werden – und sind ja auch in dieser letzten Verhandlungsphase auch mitten drin – da nicht endlos an Details weiterfeilen, die ich alle für eine Kompromissfindung für möglich halte, wenn in der entscheidenden Frage der Laufzeitbegrenzung hier seitens der Atomenergiebetreiber bisher ein Block kommt.
DLF: Altkanzler Kohl sammelt wieder Spenden für seine Partei - die nächste Runde einer Affäre, von der die Bündnisgrünen eigentlich bisher gar nicht so richtig profitieren konnten. Warum eigentlich nicht? Warum hat man so wenig aus Ihrem Lager gehört zu diesem Thema?
Röstel: Dass Sie wenig gehört haben, das stimmt nicht. Aber ich möchte zunächst sagen, dass mir das Wort 'profitieren' nicht gefällt. Diese Affäre, dieser Spendenskandal ist ja erst die Spitze des Eisberges. Die entscheidende Frage für mich ist noch eine ganz andere, die noch nicht geklärt ist: Sind wir eine Art Bananenrepublik gewesen, in der politische Entscheidungen käuflich gewesen sind? Die wird der Untersuchungsausschuss, die werden die Gerichte, die wird die Staatsanwaltschaft hoffentlich noch ermitteln. Aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Hier darf es nicht sein wie damals bei der Flickaffäre, dass dann irgendwann Gras darüber wächst. Ich glaube, dann wäre unsere Demokratie wirklich gefährdet. Hier muss es eine restlose Aufklärung geben, hier muss es auch Konsequenzen geben. Insofern werden wir sowohl im Untersuchungsausschuss als auch als Partei an einem solchen Aufklärungsprozess, aber auch an einer Diskussion um Konsequenzen aus diesem Skandal einer großen Volkspartei, weiter mitwirken. Und wir werden ja auch auf der Bundesdelegiertenkonferenz die erste Partei sein, die das als 'die wichtige zentrale Auftaktdiskussion' behandeln wird. Wir werden uns dieser Diskussion stellen, Konsequenzen ziehen – und das bezieht sich jetzt nicht nur auf Änderungen möglicherweise im Parteiengesetz, sondern vor allem auch auf die Frage der demokratischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, also plebiszitäre Elemente auch auf Bundesebene, die Einflussnahme auf Wahllisten möglicherweise. Das alles sind Möglichkeiten, um unsere Demokratie wieder zu beleben. Aber wir brauchen natürlich auch neue Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Es sollte – nicht wie das im Moment der Fall ist – Gesetze für 'die da oben' geben und die da unten, die Bürgerinnen und Bürger, zu denen ich mich ja auch zähle, die werden anders behandelt. Dieses Gefühl darf nicht aufkommen, sonst kann sich in Zukunft jeder Straftäter und jeder kleine Steuersünder auf den Kanzler der Einheit oder auf seine Nachfahren in Hessen berufen. Wie will man dann junge Leute noch von der Wahrhaftigkeit, von der Werteorientierung unseres Systems, unserer Demokratie, überzeugen, wenn Leute in der Spitze nicht gleichermaßen gehalten sind, die Gesetze – allen voran das Grundgesetz – zu achten?
DLF: Ohne den Parteispendenskandal wäre Rot-Grün in Schleswig-Holstein abgewählt worden...
Röstel: ...ach, da bin ich mir nicht so sicher. Ich will ja zugeben – augenzwinkernd auch –, dass wir natürlich mit einer härteren Opposition es schwerer gehabt hätten. Aber ich bin sehr überzeugt davon – und das sage ich im Brustton der Überzeugung –, dass wir spätestens seit Herbst letzten Jahres den Umschwung der Zustimmung zu Rot-Grün auf Bundesebene aus eigener Kraft geschafft haben. Und da haben die Grünen einen ganz, ganz erheblichen Anteil daran. Wenn ich mir die Haushaltspolitik angucke: Wir haben schon in der letzten Legislatur für eine Nachhaltigkeit in der Haushaltspolitik geworben. Das heißt im Klartext: Abbau der Schulden, Schluss zu machen mit einer Verschuldenspolitik auf den Schultern der jüngeren Generation. Wenn jetzt 'Eichel' darauf steht, dann steckt aber Metzger, dann steckt grüne Haushaltspolitik drin. Oder schauen Sie sich den Steuerbereich an: Das, was jetzt bis 2005 an Steuerdaten in diesem großen Steuerreformpaket, also Einkommensteuer- und Unternehmenssteuerreform auf der Tagesordnung steht – 2005 kommen wir zu Steuersätzen, das haben wir Grüne schon vor zwei Jahren beschlossen. Das zeigt doch, welche Rolle wir gespielt haben. Oder unserer ganz eigener Sektor – Energiepolitik. Wir haben vor zwei Wochen das Stromeinspeisegesetz beschlossen im Bundestag in der Dritten Lesung, mit einer rot-grünen Mehrheit. Und hier waren wir Grünen die Antreiber, die Motoren. Und das ist das weltweit modernste Gesetz, was es in diesem Sektor gibt. Hier trifft unsere ökologische Orientierung mit unserer ökonomischen Orientierung, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen mit modernen Zukunftstechnologien, eins zu eins zusammen.
DLF: Aber warum vermittelt sich grünes Profil in der Bundesregierung so wenig als Erfolg? Die SPD ist doch diejenige Partei, die sich die Erfolge auf die Fahnen schreiben kann.
Röstel: Also zum einen ist es so, dass – und die Umfragen belegen das ja – dass es so einen ganz leisen Umbruch inzwischen auch auf Bundesebene gibt, aber es ist richtig: Wir Grünen sind gehalten, auch stärker unsere Erfolge zu vermitteln. 'Tue Gutes und rede darüber' – das gilt vor allem auch für uns Grüne. Es redet niemand so kritisch und so problematisch über Grüne, wie wir Grünen selbst. Wenn wir uns selber nicht vertrauen, unseren Erfolgen nicht vertrauen, dann müssen wir uns auch wirklich nicht wundern, wenn uns Bürgerinnen und Bürger nicht vertrauen.
DLF: Doch der Eindruck der Selbstzerfleischung bleibt. Wie würden Sie den Zustand der Partei im Moment beschreiben?
Röstel: Es ist sicherlich so, dass wir in den letzten zwei Jahren, auch wenn man auf die Wahlergebnisse auf Landes- oder kommunalpolitischer Ebene schaut, nicht nur von Erfolgen reden kann - um das freundlich auszudrücken -. Wir sind wirklich gehalten, in dieser Situation der Regierungsbeteiligung nach vorne zu kommen, unsere Positionen in der Öffentlichkeit auch deutlicher zu machen; und dazu bedarf es natürlich auch struktureller Voraussetzung. All das wird auf der Bundesdelegiertenkonferenz auch zur Diskussion stehen.
DLF: Sie haben nun vor einer Woche erklärt, nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen. Ein Signal an Ihre Partei sollte es sein. Ist dieses Signal angekommen?
Röstel: Wenn man die Medienresonanz und auch die vielen E-Mails und anderes anschaut, dann würde ich das mit einem glatten und auch strahlenden 'Ja' beantworten. Ich finde, es war eine richtige Entscheidung, dies auch vor der Bundesdelegiertenkonferenz deutlich zu machen, dass ich – unabhängig vom Ausgang etwa einer Strukturdiskussion – nicht wieder für das Amt der Sprecherin zur Verfügung stehen werde. Neben Herrn Trittin bin ich ja die einzige, die zwei Amtsperioden lang an der Spitze dieser Partei fungiert hat, was schon alle in unserer Partei auch nachdenklich stimmen sollte.
DLF: Ihnen wird aber der Vorwurf gemacht, Sie wollten damit Druck ausüben.
Röstel: Nein, überhaupt nicht Druck ausüben. Also diesen Druck habe ich als Parteisprecherin ausgeübt und habe dafür geworben, habe ja selber diese Strukturreform deutlich mit vorangebracht. Und ich hoffe endlich, dass wir nach nunmehr fast zehnjähriger Diskussion um dieses brisante und hochinteressante Thema – wie Grüne Strukturreform – endlich auch zu einer Entscheidung kommen. Es interessiert in der Öffentlichkeit weiß Gott niemanden. Die Leute erwarten von uns eine professionelle Politik, da haben sie auch ein Recht darauf. Und wir selber sollten endlich Schluss machen damit, uns selbst Fußangeln anzulegen. Wir stehen in einem harten politischen Wettbewerb mit den anderen demokratischen Parteien. Das ist so, als würden die anderen losrennen – nur wir Grünen, wir legen uns selber ständig wieder Fußangeln und kommen deshalb auch schwerer vorwärts. Wir machen es uns selbst schwer.
DLF: Sie sprechen eines dieser zentralen Themen nächste Woche in Karlsruhe an: Die teilweise Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat streben Sie an. Sehen Sie dafür noch Chancen?
Röstel: Ich sehe dafür selbstverständlich Chancen, und ich hoffe, dass es uns gelingen wird, in einer offenen Diskussion auch eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten, die ja notwendig ist – es ist ja eine Satzungsänderung – auch zu erringen; dass man hier die Argumente auch noch einmal offen austauschen kann. Ich meine, wir haben bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz dieses Thema schon mal gehabt, haben infolge dessen dann eine Kommission gebildet, wo Landesvertreterinnen ja dabei gewesen sind, Basisvertreterinnen dabei gewesen sind. Die haben uns diesen Strukturvorschlag gemacht. Der Bundesvorstand hat das also aufgegriffen. Wir haben einen Länderrat gehabt im Herbst, der mit einer ganz großen Mehrheit diesen Positionen gefolgt ist. Und es gibt überhaupt keinen Grund, dahinter wieder zurückzufallen. Also, eine solch' späte Rache Helmut Kohls haben wir überhaupt nicht verdient.
DLF: Warum ist das so wichtig? Wäre nicht eine bessere Finanzausstattung für den Bundesvorstand wichtiger?
Röstel: Wir reden im Moment nicht über eine bessere Finanzausstattung. Auch das Thema 'Haushalt' wird ja auf der Bundesdelegiertenkonferenz nicht nur diskutiert werden, sondern ist im Moment noch ein strittiges Thema. Da geht es aber noch nicht einmal um ein Mehr, sondern da geht es trotz Streichungen, trotz Erhöhung der Mitgliedsbeiträge, trotz, dass wir Solifonds und Ökofonds zunächst auf Eis legen um Status-Quo-Erhalt. Natürlich sind die zurückliegenden Wahleinbußen finanziell nicht an uns vorbeigegangen, das ist überhaupt keine Frage. Aber es ist richtig: Es ist nicht nur eine Frage der Strukturhindernisse, die wir haben, sondern es ist natürlich auch eine Frage mangelnder Finanzausstattung. Wenn man sich mal anschaut, dass ich als Parteivorsitzende oder –sprecherin, wie das ja bei uns heißt, mit einem Referenten und einer halben Sekretärin, ohne jedes inhaltliche Referat – mit Ausnahme des Frauenbereiches – Politik mache, machen muss, dann spricht das schon eine deutliche Sprache. Und es ist ja auch nicht verwunderlich, dass wir innerhalb der zwei Jahrzehnte grüner Politik an der Bundesspitze unglaublich viele Leute einen Durchgang gehabt haben oder eben auch verschlissen worden sind.
DLF: Warum können Sie da nichts daran verändern? Die Landesverbände sind doch durchaus reich?
Röstel: Ja, auch das ist punktuell sehr unterschiedlich. Auch da ist die Situation im Hinblick auf die zurückliegenden Wahleinbußen nicht mehr ganz so rosig. Wir haben durchaus reiche Ortsverbände, die aber auch ein bisschen auf ihrem Säckel sitzen, weil sie das für ihre eigenen Initiativen brauchen. Also, uns wäre schon geholfen, wenn wir den Mitgliedsbeitrag erhöhen könnten und wenn - wir zahlen ja monatlich ein Prozent vom Netto, natürlich nach eigener Festlegung, da schnüffelt niemand hinterher - wenn dieses eine Prozent auch wirklich von jedem und jeder in unserer Partei eingehalten würde.
DLF: 'Kampf den informellen Strukturen' – so das Ziel von Karlsruhe. Der heimliche Parteichef will sich sogar selbst abschaffen, sagt er jedenfalls. Nach Ihren eigenen Erfahrungen, Frau Röstel: Glauben Sie daran?
Röstel: Ich glaube, dass Joschka Fischer nach wie vor eine große Rolle, auch in der Repräsentanz für unsere Partei, spielen wird und auch spielen muss. Er ist ein hervorgehobener Grüner Politiker, und ich glaube, einer der ganz wenigen großen Generalisten in der deutschen Politik. Und darauf bin ich auch stolz, und daran möchte ich auch nichts ändern. Was ich aber möchte, ist – und da ist diese Strukturreform ein wirklich wichtiger Schritt –, ich möchte, dass sich unsere formellen und informellen Machtstrukturen mehr annähern. Es ist ja richtig, und da verstehe ich auch all diejenigen in unseren Reihen, die das Thema 'Machtbegrenzung', welches ein grünes Thema zu recht ist, hier sehr nachdenklich angesichts dieser CDU-Affäre, dieses Korruptionsskandals – das steht ja eigentlich als Grundfrage im Raum – auf die Tagesordnung setzen. Diesem Ziel der Machtbegrenzung - dem müssen wir auch folgen; das steht für uns Grüne auch nach wie vor als wichtiges politisches Ziel. Aber wir müssen die Instrumente prüfen, ob sie geeignet sind. Und es hat sich aus meiner – auch ganz persönlichen – Sicht doch gezeigt, dass diese kategorische Trennung von Amt und Mandat diesem Ziel der Machtbegrenzung nicht gedient hat. Der Bundesvorstand leidet ja nun weiß Gott an nicht zu viel Macht, sondern eher an zu wenig Macht. Und es ist doch auch absurd zu glauben, dass wir mit diesem Kompromiss - nur 50-Prozent-Öffnung heißt doch, dass von den angestrebten sechs Personen im Bundesvorstand in Zukunft drei Mandatsträgerinnen sein können -, Gefahr laufen würden, ein System Kohl bildet sich heraus. Also das ist doch absurd. Da spielt eine Form von Misstrauen auch gegenüber Mandatsträgerinnen mit, die ich für völlig ungerechtfertigt halte. Was wir brauchen, ist kein Misstrauen; was wir brauchen, ist eine Vertrauenskultur in unseren eigenen Reihen. Und worauf ich Wert lege ist, dass wir neben diesem Vertrauen in Führungspersönlichkeiten unserer Partei die Kontrollmechanismen beleben. Das belebt doch eine Demokratie, das belebt doch eine demokratische Partei. Und da finde ich, wenn ich mir den Finanzbereich unserer Partei anschaue: Das funktioniert hervorragend. Wir haben als einzige Partei die Institution eines Bundesfinanzrates. Ich kann als Bundesvorstand beispielsweise meinen Haushalt überhaupt nicht alleine irgendwie - an der Partei vorbeischummelnd - beschließen, sondern wir haben einen Bundesfinanzrat. Der ist ein Gremium, dort sind Basisvertreter, dort sind die Landesschatzmeisterinnen drin – und die genehmigen die Arbeiten an unserem Haushalt. Insofern sind das transparente und auch Kontrollstrukturen, die wir haben.
DLF: Aber auch Sie haben Ihren politischen Patriarchen – wie Sie sagten –, Joschka Fischer. Lassen sich diese Strukturen wirklich aufknacken, dieses funktionierende System schnell verändern?
Röstel: Wie schnell das gehen wird, das wird die Zukunft zeigen und hängt sicherlich auch von den Personen ab, die in Zukunft dieses Amt begleiten werden. Aber ich würde da gerne Joschka Fischer beim Wort nehmen wollen, der ja schon oft gesagt hat, er wäre froh, wenn er auf das Amt des Außenministers sich beschränken kann in Zukunft. Und zu diesem Frohsinn sollten wir wirklich beitragen.
DLF: Wir sprachen schon von dem heftigen Flügelschlagen. Die jüngsten Integrationsbemühungen sind kräftig schief gegangen, flügelübergreifende Geschlossenheitsappelle scheiterten. Ihnen wird inzwischen sogar Führungsmangel vorgeworfen. War der 'offene Brief' an die Basis eine glückliche Entscheidung?
Röstel: Es ist eine Form, die der Meinungsbildung vor einer Bundesdelegiertenkonferenz hilft. Und es ist ja eine völlig legitime Form. Es ist ja auch so, dass weitere Briefe, weitere Meinungen jetzt auch kundgetan werden. Und das finde ich eine richtige und auch eine gute Möglichkeit, Meinungen eben auszutauschen. Dass das jetzt kommt, zu diesem Zeitpunkt, muss niemanden verwundern. Wir hatten vorher Wahlen in Schleswig-Holstein, und ich bin heilfroh, dass diese Meinungsdiskussion erst jetzt im Hinblick auf die Bundesdelegiertenkonferenz so 'angekocht' wird. Vor Schleswig-Holstein wäre das ein Schuss ins Knie gewesen – so nach dem Motto: 'Grüne Nabelschau, die Grünen beschäftigen sich mit sich selbst'. Aber im Moment müssen wir uns mit uns selbst beschäftigen, weil wir wettbewerbsfähig sein müssen in diesen sehr harten politischen Auseinandersetzungen, denen wir uns als Grüne ja stellen müssen.
DLF: Und daraus ist dann auch gleich die Personaldebatte geworden. Zwei Kandidaten sind früh gestartet. Vielleicht zu früh?
Röstel: Ach, das würde ich nicht sagen. Es ist natürlich immer nicht unbedingt förderlich, auch für diejenigen selbst ja nicht gefahrlos, wenn Strukturen zu schnell mit Köpfen verbunden werden. Aber es muss sich auch da niemand was vormachen; es bleibt natürlich nicht aus. Und ich finde, dass sowohl Frau Künast als auch Herr Kuhn, die ihren Hut hier in den Ring geworfen haben, genau so wie Frau Radtke hochgeeignete Persönlichkeiten sind, unsere Partei in Zukunft zu führen und auch zu repräsentieren nach außen.
DLF: 'Alles kein Thema' sagt der Bundesumweltminister, wollte sogar dieses ganze Thema schon von der Tagesordnung absetzen. Viel wichtiger sei der Ausstieg aus der Atomenergie. Deshalb unterstütze er auch nicht Ihren Appell. Jürgen Trittin unterschrieb nicht den Brief des Bundesvorstandes. Er meldete sich jetzt mit einem eigenen 'offenen Brief' zu Wort. Hat er Unrecht?
Röstel: Ich sage es noch mal: Ich finde diesen Meinungsaustausch vor einer Bundesdelegiertenkonferenz richtig und notwendig. Er findet ja nicht unter einer Glasglocke statt, sondern eben auch in großer und lebendiger Offenheit. Und gerade Jürgen Trittin als mein vormaliger Kollege als Sprecher weiß selber, woran diese Bundesebene krankt – aus ganz eigener Erfahrung. Und er hat mit mir zusammen ja immer sehr viel weitgehendere Strukturen auch vorgeschlagen, auch zum Thema 'Doppelspitze', die er ja ähnlich kritisch sieht etwa wie ich – zum Thema Finanzausstattung. Wir haben es bisher nicht geschafft, das umzusetzen. Und ich glaube, auch die Zielrichtung dieser hälftigen Aufhebung der kategorischen Trennung von Amt und Mandat entspricht seinen wirklichen politischen Zielen. Ich kann ihn natürlich schon ein bisschen verstehen, wenn er im Hinblick auf den Atomausstieg – was ja nicht einfach zu händeln ist für uns - die Bundesdelegiertenkonferenz nicht überfrachten will. Aber ich glaube, ein Ausweichen von Auseinandersetzungen hilft niemandem weiter, sondern ich stehe für eine Klärung, für eine Offenheit und Transparenz in dieser Diskussion. Und ich bin auch guten Mutes, dass man das schaffen kann.
DLF: Welche Rolle spielt da Jürgen Trittin – auch in Karlsruhe? Hat er Angst um seine Zukunft, denn die Atomdebatte kann ja durchaus negativ ausgehen?
Röstel: Angst ist nie ein guter Antriebsfaktor, aber wir als Bundesvorstand haben in beiden Diskussionen - aus meiner Sicht - eine sehr starke Führungsposition übernommen, ganz anders als die Kritik, die in den letzten Tagen da zu hören war. Wenn ich die Situation etwa zum Atomausstieg zum Ende des Jahres mir noch einmal vor Augen führe, wie festgefahren das gewesen ist, der Bundesvorstand initiativ geworden ist, einen Kompromiss gefunden hat, ein Gesamtpaket entwickelt hat – bestehend aus all dem, was man unter dem Stichwort 'Energiewende', also Förderung erneuerbarer Energie und Energieeinsparung zusammenfasst – alles das, was jetzt wunderbar auf den Weg gebracht worden ist und über das viel zu wenig gesprochen wird - über den zweiten Punkt 'Atomgesetznovelle' mit der Erhöhung der Deckungsvorsorge, die Fragen zur Wiederaufarbeitung, die Fragen der Lagerung etc. bis hin eben zu der immer noch mit den Energieversorgungsunternehmen strittigen Frage der Laufzeiten, respektive der notwendigen Übergangsfristen. Hier haben wir ein Kompromisspapier vorgelegt, was auch Verhandlungsgrundlage, Verhandlungslinie der Bündnisgrünen Kabinettskollegen ist. Und ich finde, dass das eine sehr gute Leistung gewesen ist. Und auf dieser Bundesdelegiertenkonferenz wird diese Position ja zunächst auch noch mal zur Entscheidung stehen. Und wir haben als Bundesvorstand hier wirklich eine Führungsrolle übernommen, nämlich diese Position erst einmal zu übermitteln, denn zwischen dem bisher in Oppositionszeiten anvisierten Sofortausstieg und den maximalen Laufzeiten – Gesamtlaufzeiten wohlgemerkt – von jetzt 30 Jahren besteht schon eine Differenz, die mit grüner Messlatte nur schwer messbar ist. Und ich glaube, für diese Position – lassen Sie mich das abschließend noch sagen – gibt es inzwischen eine große Mehrheit. Ich traue mir zu, für diese Position des Bundesvorstandes eine große Mehrheit auf der Bundesdelegiertenkonferenz auch zu bekommen.
DLF: Erkennbar wendet sich aber die Stimmung – gerade bei den Unterstützern – in der Frage der Kernenergie gegen Ihre Partei, gegen die Bündnisgrünen. Verbände wenden sich ab, Bürgerinitiativen mobilisieren Protest gegen die Bundesregierung. Wie lange kann die Partei das noch durchhalten? Brauchen Sie nicht vielleicht in dieser Legislaturperiode doch noch die Abschaltung eines Atomkraftwerkes?
Röstel: Dem widerspricht ja niemand, und ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelingt, dieses oder jenes Atomkraftwerk in dieser Legislatur noch vom Netz zu nehmen. Realistisch ist dies allerdings nur im Konsens möglich. Und da sind wir in den Endverhandlungen in einem nicht einfachen Stadium angekommen. Wir haben als Bündnis 90/Die Grünen, aber auch in Gemeinsamkeit und in hoher Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner, unser Interesse an einer Konsenslösung immer kundgetan. Und ich finde, das, was wir als Verhandlungslinie des Bundesvorstandes – inzwischen ja auch Verhandlungslinie der rot-grünen Regierung – hier vorgelegt haben, das, was wir dann als weiteren Flexibilisierungsschritt – nämlich im Hinblick auf einen Mengenpool – dort auch als Angebot unterbreitet haben, und das hat ja wirklich Charme für beide Seiten, liegt im Interesse der Stromerzeuger genau so wie in unserem – diesen Konsens zum Erfolg zu bringen, diesem haben wir uns gestellt. Und es ist jetzt auf der Betreiberseite, diesen Konsens auch ihrerseits einen Erfolg werden zu lassen. Und manchmal kommen mir diese Verhandlungen so vor wie 'zwei Schritt vor – einen zurück'. Im Moment ist das natürlich keine einfache Situation. Es ist für unsere Partei natürlich schwierig; das ist wie ein Poker, wo die eine Seite schon ein paar Karten auf dem Tisch hat und die andere hält sich bedeckt. Ich kann an unsere Partei, aber auch an uns als rot-grüne Regierung, an dieser Stelle nur appellieren, hier die Nerven zu bewahren in diesem Poker, dranzubleiben – Geschlossenheit, das ist glaube ich das Stärkste, was wir in diesen Verhandlungen zeigen können, und mit einer nüchternen Klarheit der Atomenergie auch zu verdeutlichen, dass diese Ausstiegsverhandlungen keine Hängepartie werden. Und wenn es nicht im Konsens geht – da steht der Kanzler ja in einem deutlichen Wort, auch vor der Öffentlichkeit –, dann wird es ein Ausstiegsgesetz im Dissens geben . . .
DLF: . . . das soll es schon in diesem Monat geben, denn bis Ende Februar sollten die Verhandlungen eigentlich abgeschlossen sein. Die Gespräche ziehen sich hin. Tappen Sie da nicht so langsam in die Dissens-Konsens-Falle?
Röstel: Es ist eine schwierige Situation. Aber ich halte nicht so viel davon, an dieser Stelle dann flatterig zu werden und wegen einer oder zwei Wochen dort zu Fehlern zu neigen, oder zu einer Situation, wo uns der 'Schwarze Peter' zugeschoben werden kann. Die zukünftigen oder die Nachfolgegenerationen werden diese so wichtige Regierungskoalition, diesen so wichtigen grünen Bündnispartner, der dieses Projekt der Energiewende ja vorantreibt – die werden uns nicht daran messen, ob wir den Ausstieg in 25, in 29 oder in 30 Jahren machen, oder ob wir hier oder da einen Fehler gemacht haben, sondern die werden uns daran messen: Gelingt es – oder setzen Bündnis 90/Die Grünen, setzt die rot-grüne Regierung den Ausstieg aus einer Risikotechnologie in den Sand. Das dürfen wir uns nicht leisten, denke ich. Und es muss sich doch niemand was vormachen. Wir kämpfen seit zwei Jahrzehnten um den Atomausstieg, und es ist meine ganz ehrliche Überzeugung: Wir waren diesem Ziel noch nie so nahe wie heute.
DLF: Aber was passiert, wenn im Sommer wieder Atommülltransporte rollen und der Ausstieg noch nicht festgezurrt ist?
Röstel: Dann sieht es sicher nicht so gut aus für die rot-grüne Regierung, aber es sieht noch viel schlechter aus für die Kraftwerksbetreiber selbst. Sie müssen sich mal die Stimmung vorstellen, was dann passiert, denn die Mehrheit in der Bevölkerung – nicht nur in Initiativen organisiert, sondern alle, das zeigen alle Umfragen – die will den Ausstieg aus dieser Risikotechnologie, weil es unverantwortlich ist. Und die Unfälle - in Japan, in Sellafield etwa – die geben auch wirklich keinen Grund zur Entwarnung, bis hin zu den ungeklärten Fragen einer – in Anführungszeichen – 'sicheren Endlagerung'. Insofern glaube ich auch, dass es den Interessen der Kraftwerksbetreiber selbst sehr nahe kommt, mit uns einen Ausstieg im Konsens hinzubekommen. Das ist ja der Charme auch unseres Angebotes. Wir könnten uns das einfach machen, nach allen rechtlichen Gutachten, die uns zur Verfügung stehen, hier einen Ausstieg im Dissens durchzudrücken. Das hat für uns Probleme, aber das hat natürlich auch Probleme für die Betreiberseite. Und die tun gut daran, endlich diese Verhandlungen nicht länger als ein Spielchen zu nutzen, sondern auch wirklich um ein ernsthaftes Ergebnis zu ringen und endlich dies auch zu beenden. Es wäre sehr schade für beide Seiten, wenn ein solches, aus meiner Sicht ja hochmodernes Politikmodell - nämlich aus gegengesetzten Interessenlagen sich so weit anzunähern, dass man die Einzelinteressen überbrückt und zu einem gemeinsam formulierten Gemeinwohlinteresse kommt -, wenn ein solch modernes und fortschrittliches Politikmodell des Dialoges und des Kompromisses aus Starrsinn einzelner in den Sand gesetzt wird. Ich glaube, das wäre auch für die Öffentlichkeit ein schlechtes Zeichen und würde der Industrie insgesamt einen Bärendienst erweisen.
DLF: Welche Empfehlung geben Sie dem Parteitag in Karlsruhe? Soll er ein Ultimatum stellen?
Röstel: Ich halte nichts von selbst gesetzten öffentlichen Ultimaten. Es versteht sich von selbst, dass diese Verhandlungen nicht endlos weitergehen, und wir werden – und sind ja auch in dieser letzten Verhandlungsphase auch mitten drin – da nicht endlos an Details weiterfeilen, die ich alle für eine Kompromissfindung für möglich halte, wenn in der entscheidenden Frage der Laufzeitbegrenzung hier seitens der Atomenergiebetreiber bisher ein Block kommt.
DLF: Altkanzler Kohl sammelt wieder Spenden für seine Partei - die nächste Runde einer Affäre, von der die Bündnisgrünen eigentlich bisher gar nicht so richtig profitieren konnten. Warum eigentlich nicht? Warum hat man so wenig aus Ihrem Lager gehört zu diesem Thema?
Röstel: Dass Sie wenig gehört haben, das stimmt nicht. Aber ich möchte zunächst sagen, dass mir das Wort 'profitieren' nicht gefällt. Diese Affäre, dieser Spendenskandal ist ja erst die Spitze des Eisberges. Die entscheidende Frage für mich ist noch eine ganz andere, die noch nicht geklärt ist: Sind wir eine Art Bananenrepublik gewesen, in der politische Entscheidungen käuflich gewesen sind? Die wird der Untersuchungsausschuss, die werden die Gerichte, die wird die Staatsanwaltschaft hoffentlich noch ermitteln. Aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Hier darf es nicht sein wie damals bei der Flickaffäre, dass dann irgendwann Gras darüber wächst. Ich glaube, dann wäre unsere Demokratie wirklich gefährdet. Hier muss es eine restlose Aufklärung geben, hier muss es auch Konsequenzen geben. Insofern werden wir sowohl im Untersuchungsausschuss als auch als Partei an einem solchen Aufklärungsprozess, aber auch an einer Diskussion um Konsequenzen aus diesem Skandal einer großen Volkspartei, weiter mitwirken. Und wir werden ja auch auf der Bundesdelegiertenkonferenz die erste Partei sein, die das als 'die wichtige zentrale Auftaktdiskussion' behandeln wird. Wir werden uns dieser Diskussion stellen, Konsequenzen ziehen – und das bezieht sich jetzt nicht nur auf Änderungen möglicherweise im Parteiengesetz, sondern vor allem auch auf die Frage der demokratischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, also plebiszitäre Elemente auch auf Bundesebene, die Einflussnahme auf Wahllisten möglicherweise. Das alles sind Möglichkeiten, um unsere Demokratie wieder zu beleben. Aber wir brauchen natürlich auch neue Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Es sollte – nicht wie das im Moment der Fall ist – Gesetze für 'die da oben' geben und die da unten, die Bürgerinnen und Bürger, zu denen ich mich ja auch zähle, die werden anders behandelt. Dieses Gefühl darf nicht aufkommen, sonst kann sich in Zukunft jeder Straftäter und jeder kleine Steuersünder auf den Kanzler der Einheit oder auf seine Nachfahren in Hessen berufen. Wie will man dann junge Leute noch von der Wahrhaftigkeit, von der Werteorientierung unseres Systems, unserer Demokratie, überzeugen, wenn Leute in der Spitze nicht gleichermaßen gehalten sind, die Gesetze – allen voran das Grundgesetz – zu achten?
DLF: Ohne den Parteispendenskandal wäre Rot-Grün in Schleswig-Holstein abgewählt worden...
Röstel: ...ach, da bin ich mir nicht so sicher. Ich will ja zugeben – augenzwinkernd auch –, dass wir natürlich mit einer härteren Opposition es schwerer gehabt hätten. Aber ich bin sehr überzeugt davon – und das sage ich im Brustton der Überzeugung –, dass wir spätestens seit Herbst letzten Jahres den Umschwung der Zustimmung zu Rot-Grün auf Bundesebene aus eigener Kraft geschafft haben. Und da haben die Grünen einen ganz, ganz erheblichen Anteil daran. Wenn ich mir die Haushaltspolitik angucke: Wir haben schon in der letzten Legislatur für eine Nachhaltigkeit in der Haushaltspolitik geworben. Das heißt im Klartext: Abbau der Schulden, Schluss zu machen mit einer Verschuldenspolitik auf den Schultern der jüngeren Generation. Wenn jetzt 'Eichel' darauf steht, dann steckt aber Metzger, dann steckt grüne Haushaltspolitik drin. Oder schauen Sie sich den Steuerbereich an: Das, was jetzt bis 2005 an Steuerdaten in diesem großen Steuerreformpaket, also Einkommensteuer- und Unternehmenssteuerreform auf der Tagesordnung steht – 2005 kommen wir zu Steuersätzen, das haben wir Grüne schon vor zwei Jahren beschlossen. Das zeigt doch, welche Rolle wir gespielt haben. Oder unserer ganz eigener Sektor – Energiepolitik. Wir haben vor zwei Wochen das Stromeinspeisegesetz beschlossen im Bundestag in der Dritten Lesung, mit einer rot-grünen Mehrheit. Und hier waren wir Grünen die Antreiber, die Motoren. Und das ist das weltweit modernste Gesetz, was es in diesem Sektor gibt. Hier trifft unsere ökologische Orientierung mit unserer ökonomischen Orientierung, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen mit modernen Zukunftstechnologien, eins zu eins zusammen.
DLF: Aber warum vermittelt sich grünes Profil in der Bundesregierung so wenig als Erfolg? Die SPD ist doch diejenige Partei, die sich die Erfolge auf die Fahnen schreiben kann.
Röstel: Also zum einen ist es so, dass – und die Umfragen belegen das ja – dass es so einen ganz leisen Umbruch inzwischen auch auf Bundesebene gibt, aber es ist richtig: Wir Grünen sind gehalten, auch stärker unsere Erfolge zu vermitteln. 'Tue Gutes und rede darüber' – das gilt vor allem auch für uns Grüne. Es redet niemand so kritisch und so problematisch über Grüne, wie wir Grünen selbst. Wenn wir uns selber nicht vertrauen, unseren Erfolgen nicht vertrauen, dann müssen wir uns auch wirklich nicht wundern, wenn uns Bürgerinnen und Bürger nicht vertrauen.