Donnerstag, 28. März 2024

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Röttgen (CDU) zu Krim-Konflikt
"Eine rechtswidrige Machtausdehnung Russlands"

Der Angriff auf ukrainische Marineschiffe vor der Krim sei der Versuch Russlands, seine Macht auf das Asowsche Meer auszudehnen, sagte der CDU-Politiker Norbert Röttgen im Dlf. Dieses Verhalten könne nicht folgenlos bleiben. Neue Sanktionen würden derzeit nicht diskutiert, seien aber denkbar.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christiane Kaess | 27.11.2018
    Norbert Röttgen bei einer Rede im Deutschen Bundestag
    Laut Norbert Röttgen könnten neue Sanktionen gegenüber Russland diskutiert werden (imago)
    Christiane Kaess: Eine neue Phase der Aggression gegen die Ukraine – so nennt der ukrainische Staatschef Poroschenko den jüngsten Vorfall. Die Ukraine beschuldigt Russland, am Sonntag drei ihrer Marineschiffe an der Straße von Kertsch, einer strategisch wichtigen Meerenge zwischen der Krim und Russland, beschossen und dann beschlagnahmt zu haben. Moskau spricht dagegen von einer Provokation der Ukraine. International ist man besorgt, in der EU, in den USA und in der NATO.
    Darüber kann ich jetzt sprechen mit Norbert Röttgen von der CDU. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen!
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Wie groß ist Ihre Sorge vor einer neuen Eskalation?
    Röttgen: Es ist zunächst mal meine Sorge, die sich darauf bezieht, dass wir hier ein neues rechtswidriges Verhalten Russlands haben, eine Politik, die klar darauf abzielt, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nun territorial auf das angrenzende Binnenmeer, das Asowsche Meer auszudehnen, und dass dies jetzt auch konfliktreich und unter Einsatz von Gewalt durchgesetzt wird und das natürlich intensiviert die Konfliktlage zwischen Russland und der Ukraine jetzt auch in einer militärischen Weise. Und das ist für die Ukraine nicht gut, aber es kann sich auch aus dieser Zuspitzung des Konfliktes natürlich immer weiter zuspitzen. Wir sind in einer insgesamt nervösen Welt und Zeitlage und das macht dann auch die darüber hinausgehende Gefahr aus dieser Zuspitzung aus.
    Kaess: Herr Röttgen, Sie sagen, ein rechtswidriges Verhalten Russlands. Wir hören uns mal an, was Alexander Neu, der Obmann der Linken im Verteidigungsausschuss, bei uns gestern im Programm dazu gesagt hat.
    O-Ton Alexander Neu: "Nein, es ist kein Zwischenfall, der von gestern auf heute passiert ist, sondern es hat sich seit Wochen, seit Monaten angekündigt – vor dem Hintergrund, dass bereits im Frühjahr die ukrainische Seite einen russischen Fischkutter und ein russisches Tankschiff festgehalten und festgesetzt hat, und das über lange, lange Zeit. Ich weiß gar nicht, ob die mittlerweile überhaupt wieder freigelassen worden sind. Daraufhin haben die Russen ihrerseits dann die Grenzinspektionen intensiviert. Das hat sich über den Sommer hinweg immer weiter zugespitzt und ist kulminiert in dem, was letzte Nacht passiert ist."
    Kaess: Soweit Alexander Neu. – Herr Röttgen, hat die Ukraine die Lage eskalieren lassen?
    Röttgen: Nein! Das steht, glaube ich, fest, dass das nicht der Fall ist. Und es steht auch fest, dass schon wegen der militärischen Dominanz, die auf Seiten von Russland liegt, die Ukraine überhaupt kein militärisches Eskalationspotenzial hat. Es steht auch fest, dass der Bau der Brücke …
    "Es liegt eine rechtswidrige Machtausdehnung Russlands vor"
    Kaess: Herr Neu hat ja gerade so einen Vorfall genannt, den man als Provokation einordnen könnte.
    Röttgen: Ja. Dieser eine Vorfall, zu dem ich nichts sagen kann, spricht aber nicht für die Situation, die dort besteht, mit der wir uns ja auch im Auswärtigen Ausschuss vor zwei Monaten, vor einigen Wochen jedenfalls beschäftigt haben. Dass hier eine rechtswidrige Machtausdehnung Russlands vorliegt, ist, glaube ich, nicht bestreitbar.
    Kaess: Das heißt, Herr Röttgen, für Sie ist auch die Schuldfrage geklärt? Russland ist der Aggressor?
    Röttgen: Wir haben immer eine Neigung zu sagen, ja, es können doch irgendwie beide Seiten vielleicht auch ein bisschen…Ich habe gestern mich sehr bemüht um diesen Sachverhalt und die Bewertung. Es hat noch keiner ein rechtswidriges Verhalten der Ukraine vorgebracht. Das liegt auch nicht vor. Der Sachverhalt spricht ja auch für sich, dass ein relativ kleines ukrainisches Boot abgedrängt wird und dann bewusst gerammt wird von einem viel größeren russischen Schiff, obwohl dieses ukrainische Schiff sich keine Rechtsverletzung hat zu Schulden kommen lassen. Der Bau der Brücke über die Meeresenge, über die Straße von Kertsch durch Russland ist eine klare Verletzung des Rechts sowie der ukrainischen Souveränität und so weiter. – Der Sachverhalt ist sehr klar. Es ist eine russische Machtausdehnung und Aggression, die sich jetzt weiter zugespitzt hat.
    Kaess: Russland sieht das natürlich anders, denn in Russland oder in Moskau von der Regierung sagt man, die Ukraine hat russische Hoheitsgewässer verletzt, weil die Krim für Moskau Teil Russlands ist. Auf der anderen Seite steht diese Position, die Sie gerade beschrieben haben, der Ukraine und auch der Vereinten Nationen: Die Krim ist immer noch Teil der Ukraine und dieser westliche Teil der Meerenge von Kertsch, der ist ukrainisches Hoheitsgebiet. Aber wie soll das denn jetzt weitergehen mit diesem Konflikt im Schwarzen Meer? Das ist ja vorprogrammiert, dass da wieder Zusammenstöße passieren werden.
    Röttgen: Ich glaube, das ist auch das Wirken der internationalen Staatengemeinschaft. Ich habe mitbekommen, dass die Bundeskanzlerin mit beiden Staatschefs, Poroschenko und Putin, gestern telefoniert hat. Unser Bestreben ist zu deeskalieren, diesen Konflikt nun in diplomatische/politische Bahnen zu lenken. Das wird auch geschehen. Der UN-Sicherheitsrat hat sich damit beschäftigt. Es ist jetzt eine Internationalisierung dieses Konfliktes erreicht, auch im politisch-diplomatischen Sinne, was gut ist.
    Was man auch wieder anmerken muss: Dieser Machtanspruch Russlands, der Bau der Brücke, das Behindern und Verhindern ukrainischer Schiffe, die zum ukrainischen Hafen durchkommen, das findet ja seit Monaten statt. Und die internationale Gemeinschaft hat wiederum von diesem reinen rechtswidrigen Verhalten gar keine Notiz genommen. Das heißt, die internationale Gemeinschaft nimmt immer nur dann Notiz und erst dann Notiz, wenn es wirklich militärisch kracht. Auch das sollte mal eine der Lehren sein, dass wir vorher uns mit solchen Konflikten beschäftigen. Jetzt, glaube ich, findet das statt, und das ist gut.
    "Müssen uns mit Geduld dafür einsetzen, dass das Recht gilt"
    Kaess: Und was soll das bewirken? Denn Fakt ist ja, wie Sie es gerade gesagt haben: Russland kontrolliert diese Meerenge und gewährt dann den ukrainischen Schiffen mal Durchfahrt, mal auch nicht, mal werden sie wieder tagelang aufgehalten werden. Muss man nicht sagen, in der Realität ist es so, dass Russland in der Region mittlerweile sowohl seine eigenen Grenzen schafft und auch sein eigenes Recht durchsetzt?
    Röttgen: Das will Russland jedenfalls, sein eigenes Recht, die Krim annektieren und dann auch beanspruchen, dass es dann um die Krim, wie rechtswidrig beansprucht wird, eine Zwölf-Meilen-Zone gibt. Das Asowsche Meer ist ein gemeinsames geteiltes Meer von Ukraine und Russland. Man beansprucht es ganz für sich und man will den ukrainischen Hafen, der eine Lebensader für die Ukraine ist, abschneiden. Darum, weil das so ist, ist das nicht nur ein bilateraler Konflikt, sondern es ist die politische Ordnungsfrage, die im Konflikt mit der Ukraine für Europa ausgefochten wird: Gilt jetzt das Recht des Stärkeren, oder gelingt es uns, die Herrschaft des Rechts durchzusetzen? Darum plädiere ich dafür, dieser Teil des Konfliktes sollte in die Normandie-Gespräche mit aufgenommen werden, und die Position, die die EU hat und andere haben, ist, wir müssen arbeiten, uns mit Geduld einsetzen dafür, dass das Recht gilt, und nicht, dass derjenige das Recht bestimmt, der das größere Militär hat.
    Kaess: Die Normandie-Gespräche, die ja bisher auch nicht so viel bewirken konnten. Und wenn Sie sich jetzt so viel davon versprechen, dass die internationale Gemeinschaft da jetzt aufmerksam geworden ist, welche Konsequenzen müsste das denn jetzt haben? Schärfere Sanktionen?
    Röttgen: Ich glaube, dass man über alles nachdenken muss.
    Kaess: Was heißt "alles"?
    Röttgen: Alles Zivile, Diplomatische und Politische und nichts Militärisches, um das auszuschließen. Aber wir haben hier den klaren Fall einer schweren Machtusurpation, Machtausdehnung Russlands auf das Territorialgewässer, und das kann nicht akzeptiert werden.
    Kaess: Aber, Herr Röttgen, da drehen wir uns jetzt im Kreis. Ich habe es ja gesagt: Was muss denn passieren, damit Russland das auch merkt, dass das nicht akzeptiert wird?
    Röttgen: Es fängt damit an, dass es ausgesprochen wird. Bislang ist das – und der Kollege Neu hat ja eben das Gegenteil sogar behauptet. Ich glaube, wir müssen erst mal beginnen, dass zum Beispiel die Europäische Union und die Staatengemeinschaft diese Machtausdehnung ausspricht, anspricht und als völkerrechts- und rechtswidrig verurteilt.
    Kaess: Darauf, glauben Sie, wird Russland reagieren und das dann auch nicht mehr tun in Zukunft?
    Röttgen: Das glaube ich damit nicht. Aber ich kann Ihnen jetzt auch keine Lösung präsentieren, die in einem Monat gilt. Aber ich kann Ihnen nur präsentieren, dass jetzt immerhin die Situation so ist, dass wir in die internationale Diplomatie diesen Aspekt des Konfliktes aufnehmen können, weil Aufmerksamkeit da ist, und das müssen wir dann auch tun. Der ganze Konflikt dauert ja schon seit Jahren. Wir haben wahrscheinlich auch Jahre des Konfliktes vor uns. Aber deshalb dürfen wir nicht kapitulieren, sondern müssen auf dem Recht bestehen und es in die diplomatischen internationalen Foren und Gesprächsformate überführen. Das ist das, was wir tun müssen.
    "Meiner Meinung nach darf das Thema nicht vom Tisch"
    Kaess: Das ist klar geworden. – Ich habe Sie konkret gefragt nach schärferen Sanktionen. Ist das eine Option?
    Röttgen: Das wird jetzt noch nicht diskutiert. Aber ich würde es auch nicht generell vom Tisch nehmen. Es ist jetzt im Moment nicht in der Diskussion. Es muss auch völlige Klarheit über den Sachverhalt in allen Einzelheiten geben. Aber meine Meinung ist, dass ein solches Verhalten, das einwirkt auf einen anderen Staat oder die Souveränität eines anderen Staates verletzt, nicht folgenlos sein kann, und ich bin auch der Auffassung, dass wir nicht sagen können, einmal Sanktionen und dann keine weiteren Sanktionen. Meiner Meinung nach darf das Thema nicht vom Tisch, sondern es ist eines unserer ganz wenigen Instrumente.
    Kaess: Jetzt hat Bundeskanzlerin Merkel mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert und Putin hat sie gebeten, auf die Ukraine einzuwirken, damit keine weiteren Provokationen, so wie die russische Seite das nennt, mehr stattfinden. Was kann Angela Merkel ausrichten?
    Röttgen: Ich glaube, dass es richtig ist, dass die Bundeskanzlerin mit beiden Seiten gesprochen hat. Nach meiner Einschätzung liegt keine Provokation der Ukraine vor. Wenn sie im internationalen Gewässer fährt, ist das keine Provokation. Und ich glaube, die Bundeskanzlerin kann, weil Deutschland beteiligt ist an dem Normandie-Format, mit dafür sorgen, dass dieses Thema in dieses Format mit aufgenommen wird, und ich nehme an, dass die Bundeskanzlerin auch die Position vertreten hat, bin ganz sicher sogar, die die Europäische Union insgesamt in diesem Konflikt einnimmt und Deutschland ja immer mit führend geprägt hat. Das heißt: Rückkehr zum Recht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.