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Rogowski

Münchenberg: Herr Rogowski, eines der Top-Themen - sage ich mal - in dieser Woche war ja die Diskussion um die Reform der Sozialhilfe. Darüber wird seit Wochen heftig gestritten. Die einen fordern eine Änderung nach amerikanischem Vorbild; ein striktes Leistungsprinzip soll eingeführt werden. Andere verweisen darauf, dass die Sozialämter ja eigentlich schon genug Sanktionsmaßnahmen haben, um gegen Arbeitsunwillige vorzugehen. Aber selbst innerhalb der SPD wurden ja jetzt Stimmen laut, die gesagt haben, wir müssen fördern und fordern, wenngleich der Kanzler inzwischen wieder gesagt hat, man muss die bestehende Gesetzgebung nicht verändern. Zunächst einmal: Ist es Ihrer Auffassung nach ein Auftakt nur für den Wahlkampf, oder steckt da doch ein bisschen mehr dahinter?

Jörg Münchenberg |
    Rogowski: Also, die Diskussion hat ja schon eine gewisse Geschichte. Wir sind uns alle im klaren darüber, dass die Sozialbeiträge so nicht weitergehen können und dass die demografische Entwicklung einerseits und der medizinische Fortschritt andererseits zwangsläufig dazu führen werden, dass die Beiträge ins Astronomische wachsen, wenn nicht irgend etwas geschieht. Dass in der aktuellen Diskussion bereits möglicherweise etwas Wahlkampf mitspielt, das möchte ich nicht ausschließen, aber abgesehen von diesem Gewitter sind sich wohl alle im Klaren darüber, dass etwas passieren muss. Und ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass genügt, alles im Rahmen bestehender Gesetze zu verbessern. Ein ganz kritischer Punkt ist zum Beispiel die Beweislast. Es ist heute so, dass das Arbeitsamt im Zweifel dem jeweiligen Arbeitslosen nachweisen muss, dass er bestimmte Dinge nicht getan hat, die er eigentlich hätte tun sollen und die vereinbart waren. Es bedarf einer Beweislastumkehr, und das lässt sich nur gesetzlich regeln. Derjenige, der vorgeschlagene Arbeitsmaßnahmen nicht annimmt, muss selbst begründen, warum er das nicht tut und muss den Nachweis führen - oder anders herum den Nachweis führen, dass er sich bemüht hat.

    Münchenberg: Die Koalition will da ja aber schon etwas tun mit dem sogenannten 'Job-Aktiv-Gesetz'. Da geht es vor allen Dingen darum, dass Jobs passgenauer angeboten werden. Dieses Gesetz soll ja jetzt im Herbst auf den Weg gebracht werden. Das also reicht Ihrer Meinung nicht aus?

    Rogowski: Das reicht nicht aus, denn gerade im Rahmen dieses Job-Aktiv-Gesetzes ist nicht vorgesehen, dass die Beweislast umgekehrt würde. Ich glaube dennoch, dass manches dieses Job-Aktiv-Gesetzes in die richtige Richtung führt. Es ist sicherlich gut, dass die Arbeitslosen intensiver betreut werden - und damit kommen wir auch in Richtung dieser amerikanischen Überlegungen, die jetzt momentan in der Diskussion sind.

    Münchenberg: Die Union geht ja noch einen kleinen Schritt weiter und sagt - CSU-Sozialexperte Seehofer hat das diese Woche jetzt auch gesagt und hat gefordert, man müsste Arbeitsunwilligen dann am Ende nur noch ein Minimum zum Überleben geben von staatlicher Seite her. Und er hat auch gesagt, wenn man das so drastisch verschärfen würde, dann könnten ja vielleicht auch rund 400.000 neue Jobs entstehen. Geht Ihnen das zu weit, dieser Ansatz, oder sagen Sie, genau in die Richtung müssten wir eigentlich gehen?

    Rogowski: Nein, das geht mir nicht zu weit. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass, wenn angebotene Tätigkeiten nicht angenommen werden, dass dann die Kürzungsmechanismen viel stärker greifen müssen, und dass am Schluss, wenn jemand wirklich sich weigert, angebotene Arbeit anzunehmen, er auch nur wirklich nur noch das erhält, was zum Lebensminimum notwendig ist, und nicht eine Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, die in die Nähe einer niederwertigen aktiven Tätigkeit kommt. Der Lohnabstand zwischen aktiven Tätigkeiten und Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe ist heute wesentlich zu gering.

    Münchenberg: Wenn man das ändert, gerade diesen Niedriglohnsektor, und mehr staatliche Zuschüsse gibt - es gibt ja verschiedene Modelle, gerade ausprobiert - da wird immer wieder als Argument gebracht, das könnte den Arbeitsmarkt spürbar entlasten. Sehen Sie das auch so?

    Rogowski: Also, ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass Modelle, wie beispielsweise ein Kombilohnmodell, bei welchem Unterstützungszahlungen gewährt werden zu dem möglicherweise sehr niedrigen Lohn, den jemand für eine niederwertige Tätigkeit erhält, dass das tatsächlich zu wesentlichen Reduzierungen der Arbeitslosigkeit führen kann. Wir haben ja insgesamt in Deutschland ungefähr 1,5 Millionen unbesetzte Stellen. Davon sind sicherlich viele qualifizierte Stellen, die nicht ohne weiteres aus dem Markt der Arbeitslosen bedient werden können, aber auch sehr viele Einfachtätigkeiten, die nicht besetzt werden können, weil einfach die Arbeitslosen sagen: 'Das ist mir nicht attraktiv genug, zu den Bedingungen in Arbeit zu gehen'. Und dann würde ein solches Kombilohnmodell, wo entweder nur weniger der erhaltenen staatlichen Unterstützung auf den empfangenen Lohn angerechnet wird oder wo der Staat noch etwas dazu legt zu dem, was jemand durch Erwerbstätigkeit bekommt, sicherlich helfen.

    Münchenberg: Auf der anderen Seite - ich hab's vorhin schon kurz angesprochen: Es gibt ja derzeit Modelle, wo das eben ausprobiert wird - einerseits vom Bundesarbeitsministerium aus, andererseits in den süddeutschen Länder. Dort aber haben sich nach den bisherigen Erfahrungen nur sehr wenig Leute für diese Modelle beworben. Wird da nicht vielleicht eine Erwartung aufgebaut, die sich letztlich denn gar nicht erfüllen wird, gerade was eben auch die Entlastung des Arbeitsmarktes betrifft im Bereich Niedriglohnsektor?

    Rogowski: Ja, ich glaube, da muss man die Umstände näher untersuchen, unter denen diese Modelle laufen, und was parallel dazu diejenigen, die möglicherweise in solche Modelle hineingehen sollten, in Anspruch nehmen können. Solange die über Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe und möglicherweise noch etwas Schwarzarbeit besser dran sind, als wenn sie sich in solche Modelle hineinbegeben, werden sie das nicht akzeptieren oder annehmen.. Deshalb sind die Modellversuche, die da momentan laufen, möglicherweise nicht repräsentativ.

    Münchenberg: Stichwort 'Lohnnebenkosten': Sie haben es vorhin schon mal kurz angesprochen. Die spielen für den Arbeitsmarkt eine entscheidende Rolle. Die Bundesregierung hatte sich ja das Ziel gesetzt, bis 2002 die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken. Da sind sich alle einig, dass das nicht gelingen wird. Was wird das denn Ihrer Einschätzung nach für den Standort Deutschland einerseits und den Arbeitsmarkt auf der anderen Seite bedeuten?

    Rogowski: Wenn man den Standort Deutschland in bezug auf seine Vor- und Nachteile analysiert, dann gibt es natürlich auch eine ganze Reihe Vorteile. Aber ein beachtlicher Nachteil ist die Höhe der Sozial-, der Lohnnebenkosten. Die sind im internationalen Vergleich extrem hoch. Das ist ein wesentlicher Nachteil. Und abgesehen von dem Nachteil, den wir momentan haben, bahnt sich hier eine weitere sehr dynamische Entwicklung an. Das heißt, die Beiträge werden weiter wachsen; wir erleben es gerade bei den Krankenversicherungsbeiträgen. Es ist also unumgänglich, dass hier unbedingt gravierende Einschnitte erfolgen . . .

    Münchenberg: . . . zum Beispiel?

    Rogowski: Im Prinzip muss es dahingehen, dass der Einzelne und die Unternehmen auch von Abgaben entlastet werden und dafür das Ausmaß an Selbstverantwortlichkeit und Eigenvorsorge gesteigert wird. Und ich sage, zum Beispiel, Krankenversicherung, Grundversicherung - staatlich, Zusatzleistungen, Wahlleistungen - privat.

    Münchenberg: Nun hat ja Wirtschaftsminister Müller auch einen Vorschlag gemacht und gesagt, man könnte ja den Arbeitgeberanteil den Versicherten selber geben, damit die eine private Vorsorge mit aufbauen. Halten Sie das für einen richtungsweisenden Ansatz?

    Rogowski: Das halte ich aus zwei Gründen für einen richtigen Ansatz: Erstens wird für den Einzelnen transparenter, was eigentlich da an Kosten entsteht oder an Geld fließt. Und zum Zweiten ist es möglicherweise der Einstieg in eine Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge auf einem bestimmten Niveau.

    Münchenberg: Stichwort 'ruhige Hand'. Sie haben gerade mehr Reformen angemahnt, beispielsweise bei der Krankenversicherung. Auf der anderen Seite wissen wir alle: Jetzt steht der Bundestagswahlkampf kurz bevor. Da ist es ja sehr unwahrscheinlich, dass jetzt die Bundesregierung noch irgendwelche Grausamkeiten sozialpolitisch an den Tag legen wird. Eigentlich muss man sich doch darauf einstellen, dass bis zur Bundestagswahl nichts passieren wird.

    Rogowski: Ja, leider befürchte ich das auch, und ich habe schon manchmal gesagt, wenn die ruhige Hand eine lasche Hand ist, dann ist das sicherlich nicht im Dienst unserer Volkswirtschaft und der wirtschaftlichen Entwicklung. Und die wirtschaftliche Entwicklung ist ja durchaus so, dass sie Anlass zur Sorge bietet. Und ob nun die Konjunktur weiterhin schwach bleibt oder sich eine Wende - wie manche auch vermuten - schon wieder abzeichnet, sei mal dahingestellt, aber unser Wirtschaftswachstum ist vom Grundsatz her einfach zu schwach, um die Arbeitslosigkeit nennenswert zu senken. Wir haben ja in Deutschland das Phänomen, dass wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern ein sehr hohes Wachstum benötigen, damit sich das überhaupt in einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit auswirkt. Das hängt zusammen mit unseren relativ rigiden Arbeitsmarktregelungen und dem Themenkreis, über den wir gerade schon gesprochen haben - Sozialversicherungsbelastungen, und mit der Arbeitsrechtssprechung. Also, zurück zu Ihrer Frage: Ich befürchte, dass der Wahlkampf schon begonnen hat und dass wir in den nächsten 15 Monaten nicht mehr allzu viel erleben werden an politischer Bewegung.

    Münchenberg: Wird denn der BDI versuchen, mehr Druck auf die Regierung auszuüben, damit sich eben vielleicht doch noch was tut?

    Rogowski: Ja, das tun wir heftig und immer wieder und machen uns damit nicht nur beliebt. Wir sind tatsächlich der Meinung, dass beispielsweise auf dem Sektor Arbeitsmarktregulierung und auf dem Sektor Sozialversicherung wesentlich mehr geschehen müsste. Wir sind auch der Meinung, dass die Steuerreform zwar von der Grundrichtung her stimmt, aber nach wie vor erheblicher Handlungsbedarf besteht. Die Steuerbelastung ist immer noch zu hoch, die Ungleichbehandlung zwischen Kapitalgesellschaft und Personalgesellschaft ist eklatant, und das Steuerrecht ist nicht einfacher, sondern noch komplizierter geworden.

    Münchenberg: Nun hat der Finanzminister ja aber in den letzten Wochen etwas nachgelegt. Er hat zum Beispiel dieses Förderprogramm 'Stadtaufbau Ost' verlängert, es gab Nachbesserungen bei der Unternehmenssteuerreform für den Mittelstand, und die allgemeinen Abschreibungstabellen wurden erst mal rausgeschoben zeitlich. Also, unterm Strich kommen ja doch ein paar Milliarden für die Wirtschaft zusammen an Entlastung. Reicht es nicht aus in der gegenwärtigen Konjunkturflaute?

    Rogowski: Also, die Konjunkturflaute zeigt ja, dass es nicht ausreicht. Nun muss man fairerweise sagen, nationale Politik kann alleine eine Wirtschaftsflaute nur begrenzt beeinflussen, das hängt ja mit weltwirtschaftlichen Entwicklungen zusammen. Das, was der Finanzminister nachgebessert oder nachgelegt hat, ist zu begrüßen, wenn es auch sehr begrenzt ist. Da geht es zunächst nicht um die Aussetzung der allgemeinen Abschreibungsbedingungen, sondern die sogenannten Branchentabellen werden nicht eingeführt. Das bringt ein wenig, aber es nimmt nicht die Belastungen, die aus der Neufassung der allgemeinen Abschreibungstabellen resultieren und aus den sonstigen Verschlechterungen der Abschreibungsbedingungen, insbesondere der degressiven Abschreibung. Er hat einen Nachteil, den die Personengesellschaften beim Verkauf von Kapitalbeteiligungen haben, nämlich der Steuerpflicht zu unterliegen. Diesen einen großen Nachteil für Personengesellschaften hat er jetzt aufgehoben durch die Möglichkeit zur Bildung einer Rücklage, allerdings nur begrenzt auf zwei Jahre und nur unter der Maßgabe, dass das Geld wieder in Beteiligungen angelegt wird. Warum nicht auch in Maschinen? Diese Dinge zusammengenommen sind sicherlich zu begrüßen. Sie reichen nicht aus und sie reichen vor allem natürlich nicht aus, um der Konjunktur eine Wende zu geben.

    Münchenberg: Aber auf der anderen Seite unterstützt ja auch gerade der BDI oder die Wirtschaft den Sparkurs des Finanzministers. Begibt man sich da nicht auch ein bisschen in einen Widerspruch, auf der einen Seite immer mehr zu fordern an Entlastung, was sehr viel Geld kostet, und auf der anderen Seite aber auch zu sagen: 'Wir müssen konsolidieren, wir müssen sparen'?

    Rogowski: Das wird uns vorgeworfen. Allerdings muss man ja die Frage stellen, wie und wo wird gespart? Ich bin zum Beispiel jemand, der die Meinung vertritt, die Steuerreformschritte gehören vorgezogen. Es hat keinen Sinn, heute einen Beschluss zu fassen, der erst in drei Jahren seine Wirksamkeit hat und vor allem heute schon Belastungen auslöst, die erst in späteren Jahren wieder zurückkommen in Form von Entlastungen. Und das ist bei unserer heutigen Steuerreform der Fall. Nun kann man mir entgegenhalten, dass das Vorziehen der Steuerreform natürlich zu einer zusätzlichen Verschuldung führt, allerdings nur zu einer zeitlich sehr begrenzten, denn die Steuerreform sollte ja sowieso durchgeführt werden und wird auch durchgeführt werden. Dem steht auf der anderen Seite aber entgegen, dass natürlich ein Vorziehen einer solchen Steuerreform psychologisch tatsächlich wesentlich mehr bedeutet als so Kleinmaßnahmen, über die wir gerade vorhin gesprochen haben, und dass das Vorziehen der Steuerreform tatsächlich auch stärkere Wirtschaftsentwicklung auslösen kann und damit zum Teil Steuereinnahmen steigen können und ein Teil dessen, was der Staat ausgeben muss, auf diese Weise durch erhöhte Steuereinnahmen wieder zurückkommt.

    Münchenberg: Sollten jetzt die Steuereinnahmen spürbar zurückgehen aufgrund der gegenwärtigen Konjunkturschwäche - würden Sie dann dem Finanzminister empfehlen, den Sparkurs zumindest zeitweise nicht aufzugeben, aber ein Stück davon abzuweichen?

    Rogowski: Nein, ich würde dem Finanzminister empfehlen, bei seinem Sparkurs zu bleiben . . .

    Münchenberg: . . . egal, wie hoch die Steuereinnahmen sind? . . .

    Rogowski: . . . egal, wie hoch die Steuereinnahmen sind. Wir müssen unseren Sparkurs fortsetzen. Was aber der Finanzminister tun muss, ist, nicht auf der investiven Seite sparen; und unsere investiven Ausgaben - Staatsausgaben - gehen seit Jahren kontinuierlich zurück. Er muss auf der konsumtiven Seite sparen. Dann sind wir wieder bei Themen wie Sozialversicherung und Abgaben, die gesenkt werden müssen, dringend gesenkt werden müssen. Also, Sparkurs ja, aber auf der konsumtiven Seite und nicht auf der investiven Seite.

    Münchenberg: Herr Rogowski, wir haben ja vorhin schon ein bisschen über die Konjunkturentwicklung gesprochen. Alle Institute haben ja ihre Prognosen nach unten revidiert, inzwischen die Bundesregierung auch. Nun aber gab es ja diese Woche einen kleinen Hoffnungsschimmer. Der ifo-Geschäftsklima-Index, der ja auch ein bisschen die Stimmung in der Wirtschaft wiedergibt, hat zum erstenmal seit Januar wieder nach oben gezeigt. War das für Sie ein kleines Hoffnungssignal, dass man sagen kann, vielleicht wird es in der zweiten Jahreshälfte besser, oder ist es noch ein bisschen zu früh für eine Bewertung?

    Rogowski: Genau genommen ist es natürlich noch zu früh für eine Bewertung. Das ist ein Monatswert, und dieser Monatswert - Klimaindex genannt - der teilt sich auch noch auf in die wirtschaftliche Lage und in die Erwartungen in bezug auf die Zukunft. Und die wirtschaftliche Lage ist sogar noch mal leicht schlechter geworden. Die Erwartungen in bezug auf die Zukunft sind für Westdeutschland leicht besser geworden, in bezug auf die östlichen Bundesländer sogar auch schlechter geworden. Auf der anderen Seite ist es immerhin ein Merkmal, dass - wie Sie selbst schon sagten - seit Januar erstmals ein leichter Hoffnungsschimmer am Horizont erscheint. Aber man muss sicherlich die nächsten zwei, drei Monate abwarten, ob sich daraus ein Trend entwickelt oder ob das ein Einmalfall war.

    Münchenberg: Mit welchem Wachstum rechnen Sie - übers Jahr gesehen?

    Rogowski: In der Größenordnung zwischen 1 und 1,5 Prozent, aber näher bei 1 als bei 1,5 vermutlich.

    Münchenberg: Viele Unternehmen bauen ja ihre Belegschaften derzeit ab oder schicken die Beschäftigten in den Vorruhestand aufgrund der gegenwärtigen Konjunkturflaute. Ist das nicht manchmal auch ein bisschen eine Überreaktion auf die angespannte Wirtschaftslage, denn beim nächsten Wirtschaftshoch werden ja diese ganzen Fachkräfte wieder fehlen. Dann wird man wieder händeringend nach diesen Leuten suchen?

    Rogowski: Also, mir ist nicht bekannt, dass im Moment in nennenswertem Umfang Fachkräfte abgebaut werden. Es werden sicherlich da und dort Kapazitäten abgebaut, aber selbst in den gebeutelten Informations- und Kommunikationsunternehmen nimmt die Zahl der Beschäftigten noch zu in der Summe. Ich habe vorhin auch schon mal erwähnt, wir haben in der Größenordnung von 1,5 Millionen Arbeitsplätze, die wir nicht besetzen können. Ich bin also der Meinung: Was momentan passiert, das sind höchstens auf der Ebene von einfachen Tätigkeiten und von gewerblichen Tätigkeiten zum Teil Korrekturen.

    Münchenberg: Könnten Sie sich denn vorstellen, dass sich dieser Beschäftigungsabbau in Deutschland noch erheblich steigern könnte, falls die Konjunktur nicht wieder an Schwung gewinnt?

    Rogowski: Das kann ich mir vorstellen, aber das erhoffe ich mir nicht. Im Moment gibt es keine Anzeichen, die befürchten lassen, dass wir einer Rezession entgegengehen. Wir haben es sicherlich zu tun mit einer ausgeprägten Schwäche der Konjunktur, und wir müssen uns wohl darauf einrichten, dass sich das erst wieder ändert nach oben, wenn auch in den Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Entwicklung wieder deutlich nach oben geht. Dafür gibt es ein paar Anzeichen; es gibt auch einige negative Anzeichen. Also, im Moment bewegen wir uns in einer sehr unsicheren Phase, aber ich glaube nicht, dass wir einer Rezession entgegengehen. Wenn wir der entgegengehen würden, sind Korrekturmaßnahmen auch bei den Beschäftigten unvermeidlich.

    Münchenberg: Nächstes Jahr stehen sehr wichtige Tarifverhandlungen an. Auf der anderen Seite würde ich auch sagen, im Augenblick ist das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gewerkschaft nicht das beste - Stichwort Überstundenabbau; die Gewerkschaften fordern hier mehr. Wird denn die Wirtschaft hier den Gewerkschaften ein Stück weit wenigstens entgegenkommen, denn die drohen, notfalls an der Lohnschraube zu drehen. Dies steht ja auf jeden Fall jetzt schon im Raum.

    Rogowski: Also, ich kann nur hoffen, dass die wirtschaftliche Vernunft der Gewerkschaften etwas nachhaltiger ist als es manchen Äußerungen zu entnehmen ist. Wenn wir die Arbeitslosigkeit tatsächlich reduzieren wollen, dann müssen wir bei der Lohnentwicklung uns an der Produktivität, am Produktivitätsfortschritt orientieren. Und die Frage ist natürlich, wie hoch wird dieser Produktivitätsfortschritt sein im nächsten Jahr; nicht: wie hoch war er, sondern wie hoch wird er sein, wenn es um die Tarifrunden geht. Und da bin ich doch der Meinung, dass wir uns auf relativ bescheidene Wachstumsraten der Produktivität einstellen müssen. Die Problematik, die wir in Deutschland haben in bezug auf die Tarifpolitik, liegt vom Grundsatz her darin, dass unsere Lohnentwicklung viel zu starr ist und viel zu wenig ausgerichtet an der Ertragsentwicklung der Unternehmen. Wir bräuchten wesentlich höhere Anteile, die sich in Abhängigkeit von der Ertragsentwicklung eines Unternehmens entwickeln. Und das kann dazu führen, dass es in guten Zeiten höhere Löhne gibt, höhere Vergütungen gibt, und in schlechteren Zeiten eben dann auch geringere.

    Münchenberg: Morgen beginnen in Wolfsburg die neuen Verhandlungen über das Modell 5.000 x 5.000. Also, es war ja geplant ursprünglich mal, 5.000 Menschen einzustellen und ihnen einen Bruttolohn von 5.000 Mark zu bezahlen. Das Modell ist ja - zumindest vorläufig - am Widerstand der IG Metall gescheitert. Ist denn Ihrer Meinung nach das ein sinnvolles Instrument, ein sinnvolles Projekt, das es in Deutschland noch viel öfter geben müsste?

    Rogowski: Also, vom Grundsatz her bin ich zunächst einmal der Meinung: Wir brauchen noch viel mehr Öffnungsmöglichkeiten, um auf betrieblicher Ebene mit den zuständigen Gremien, insbesondere mit den Betriebsräten, zu Vereinbarungen zu kommen, was zu der jeweiligen Situation des Unternehmens passt . . .

    Münchenberg: . . . aber Abschaffung der Flächentarifverträge - soweit wollen Sie nicht gehen?

    Rogowski: Ich will keine Abschaffung der Flächentarifverträge. Ich glaube, das hat aber auch noch niemand gesagt, auch nicht mein Vorgänger hat den Abbau der Flächentarifverträge gefordert. Wir haben nur immer gesagt: Es muss Wettbewerb geben können zu den vorhandenen Flächentarifverträgen, und das heißt, es müssen auch betriebliche Regelungen möglich sein. Und im übrigen bin ich der Meinung, dass dieses Modell VW ein höchst interessantes Modell ist. Es wäre tieftraurig, wenn die Gewerkschaften sich diesem Modell verwehren. Es wäre nämlich ein Beweis dafür, dass sie sich dafür nicht interessieren, was mit Arbeitslosen geschieht.

    Münchenberg: Nun gibt es ja innerhalb der Bundesregierung Überlegungen, auch gesetzlich festzulegen den Zwang zur Tariftreue; das würde ja vor allem in der Baubranche helfen. Was halten Sie von einem solchen Ansatz?

    Rogowski: Den halte ich für falsch. Es darf ja nicht so sein, dass Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, in eine Tarifentlohnung hineingezwungen werden. Außerdem: Wenn öffentliche Aufträge davon abhängig gemacht werden, dass sich Unternehmen an örtliche Tarifverträge halten, dann bin ich der Meinung, ist das möglicherweise sogar verfassungswidrig bzw. verstößt gegen europäische Gesetze und könnte ja auch dazu führen, dass bestimmte Marktteilnehmer, zum Beispiel auch solche aus dem Ausland, von öffentlichen Aufträgen völlig ausgeschlossen werden. Also, ich halte davon sehr wenig.

    Münchenberg: Herr Rogowski, lassen Sie uns noch einmal ganz kurz auf ein ganz anderes Thema zu sprechen kommen - auf den Skandal um den Cholesterinsenker Lipobay. Bayer hatte das Medikament vom Markt nehmen müssen, nachdem Patienten, die dieses Medikament auch genutzt haben, gestorben sind. Nun laufen auch mehrere Klagen gegen das Unternehmen. Ganz grundsätzlich: Müssen sich auch deutsche Unternehmen im Zuge der Globalisierung mehr auf solche Gefahren, auf solche Risiken einfach auch einstellen? Ist das vielleicht so eine Folge der Globalisierung?

    Rogowski: Ich weiß nicht, ob das eine Folge der Globalisierung ist. Natürlich, wenn es um Amerika geht - und in dem Fall geht es um Amerika -, dann ist man sehr schnell der Gefahr von Prozessen ausgesetzt. Ich kann bislang nicht erkennen, dass Bayer Dinge getan hätte, die nicht in Ordnung waren. Die ganzen Hinweise, die gegeben wurden, waren deutlich - welche Risiken bestehen. Sie wurden zum Teil missachtet von Ärzten, und insofern hat sich für Bayer eine Situation ergeben, in der sie handeln mussten. Das wird immer mal wieder passieren. Das kann auf nationaler Ebene passieren, das kann auf internationaler Ebene passieren.

    Münchenberg: Nächstes Jahr tritt ja ein ganz wichtiges Element der Steuerreform in Kraft, dass Unternehmen ihre an Kapitalgesellschaften steuerfrei veräußern können. Ein Ansatz war ja dabei, auch die 'Deutschland AG', also diese gegenseitige Verflechtung, aufzubrechen. Rechnen Sie denn hierzulande mit grundlegenden Veränderungen?

    Rogowski: Also, man kann sich ja darüber streiten, in welchem Umfang es die so genannte 'Deutschland AG' tatsächlich gibt. Es gibt natürlich ein vielfältiges Beteiligungs-Portefeuille traditionell, von Banken zum Beispiel an Industrieunternehmen, und da wird es bestimmt zu Umschichtungen kommen. Darüber sind wir uns - glaube ich - alle im Klaren. Ich glaube nicht, dass das irgendwelche dramatischen Umschichtungen sein werden, aber Schritt für Schritt werden sich die Unternehmen mehr fokussieren, vermute ich mal.

    Münchenberg: Ich meine, auch die niedrigen Aktienkurse sind ja jetzt schon eine Möglichkeit, recht billig in den Markt zu kommen.

    Rogowski: Die niedrigen Aktienkurse sind einerseits eine Möglichkeit, recht billig in den Markt zu kommen. Auf der anderen Seite sind sie natürlich auch möglicherweise ein Handicap für diejenigen, die die Beteiligungen heute halten, diese Beteiligungen kurzfristig zu veräußern.

    Münchenberg: Herr Rogowski, Ihr Vorgänger im Amt, Hans-Olaf Henkel, hat sich ja profiliert durch gelegentlich doch recht scharfe Töne und durch den Hang zur Polarisierung. Wie würden Sie denn Ihren eigenen Amtsstil charakterisieren?

    Rogowski: Grundsätzlich müssen das natürlich erst mal andere tun, meinen Amtsstil zu begutachten. In meinen Positionen bin ich in der Sache nicht sehr unterschiedlich zu Herrn Henkel, soweit ich das selbst beurteilen kann. Ich bin vielleicht in der Artikulation dessen, was ich anstrebe, etwas konzilianter.