Meurer: War das gestern in der Tat ein desaströser Tag für die deutsch Industrie?
Rogowski: Ja, ich glaube, wir müssen es schon so empfinden. Das war rabenschwarz, dieser Tag. Ich hoffe nur, dass es nicht dabei bleibt, weil für das Image Deutschlands als Innovationsstandort ist es nicht gut.
Meurer: Der BDI hat ja gestern schon gesagt und dazu geraten, man soll doch nachverhandeln, jetzt gibt es ja noch einmal eine Frist von zwei Monaten. Rechnen Sie damit, dass es in diesen zwei Monaten, also bis Ostern, doch noch zu einer Einigung kommt?
Rogowski: Schwer abzuschätzen, aber ich würde es mir wünschen. Denn, ich glaube, wir sind ja soweit vorangeschritten, da sind ja hunderte von Millionen ausgegeben worden für die Entwicklung dieses Projektes, da völlig neu zu beginnen, nachdem man sozusagen auf halber Strecke ist, das wäre meines Erachtens ein Irrsinn. Ich glaube, es müssen beide Seiten versuchen, hier noch zu einem sinnvollen Kompromiss zu kommen, das heißt, die Einen werden etwas mehr rauslegen müssen an Haftungsbereitschaft und der Staat darf nicht davon ausgehen, dass es eine Vollkaskohaftung gibt. Bei so riskanten großen Projekten, da kann es Verzögerungen geben, wenn das auch nicht schön ist.
Meurer: Nur der Passus, dass es in Zukunft, wenn es zu Betriebsausfällen kommt, keine Haftungsobergrenze gibt, der stand schon im Vertrag drin, der ja anerkanntermaßen sehr günstig war für Toll Collect. Erwarten Sie da von Stolpe wirklich, dass er in diesem Punkt nachgibt?
Rogowski: Wissen Sie, ich bin ja selbst mit Großprojekten groß geworden. Und Sie können keine Haftung eingehen, die überhaupt keine Obergrenze kennt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es in den ersten Verträgen überhaupt keine Grenzen gab, sonst hätte man wahrscheinlich jetzt auch gar nicht weiter verhandelt, denn dann ist Vertrag gleich Vertrag und dann hätte der Staat ja einen riesen Schadensersatzanspruch, das kann ich mir also nicht vorstellen. Es gibt mit Sicherheit irgendwelche Grenzen und das ist auch richtig und sinnvoll, dass es Grenzen gibt, weil das kann selbst nicht das größte oder die größten Unternehmen können das nicht durchhalten, dass so ein Projekt möglicherweise endlos Haftungen auslöst.
Meurer: Ist es doch mangelnder Mut, mangelndes Zutrauen der Konzerne, die selbst nicht an ihr System glauben?
Rogowski: Das kann ich nicht abschätzen, aber das kann ich mir andererseits auch nicht vorstellen, man hat ja mit GPS schon einiges gemacht und es ist mit Sicherheit kein technisches absolutes Wunderwerk. Natürlich ist es ein schwieriges Projekt über ein satellitengestütztes System die Erfassung einwandfrei durchzuführen, aber das ist mit Sicherheit technisch lösbar. Und wenn es technisch lösbar ist, dann ist es das beste System, das es auf der Welt gibt, mit Abstand.
Meurer: An die technische Lösbarkeit glaubt im Moment so recht niemand. Wie konnte, Herr Rogowski, es passieren, dass zwei solchen Top-Konzernen wie Daimler-Chrysler und Telekom, dass es zu einer solchen Selbstüberschätzung gekommen ist?
Rogowski: Ich glaube gar nicht, dass es Selbstüberschätzung ist, ich glaube vielmehr, dass zu viele Köche den Brei verderben. Hier haben sehr viele Stellen mit unterschiedlichsten Interessen an einem Projekt gearbeitet und sozusagen den Strick in unterschiedliche Richtungen gezogen. Das ist meine Vermutung.
Meurer: Haben die zwei Konzerne gegeneinander gearbeitet?
Rogowski: Offensichtlich haben sie nicht ordentlich miteinander gearbeitet, lange Zeit.
Meurer: Verstehen Sie, warum die beiden Konzernchefs, Schrempp und Ricke, sich nicht persönlich eingeschaltet oder stärker eingeschaltet haben?
Rogowski: Ich bin sicher, dass die eingeschaltet sind und eingeschaltet waren im Hintergrund, absolut sicher bin ich da. Man muss ja so etwas nicht in der Öffentlichkeit austragen. Entscheidend ist, dass jetzt hinter den Kulissen weitergearbeitet wird, sowohl auf Seiten der Konzerne als auch in Verbindung mit dem Ministerium. Es muss noch mal alles versucht werden, ich bin überzeugt davon, in einem oder anderthalb Jahren redet kein Mensch mehr über dieses Projekt und jeder sagt, es ist doch was Tolles entstanden.
Meurer: Was hielten Sie von einem Dreiertreffen im Kanzleramt, der Bundeskanzler mit den beiden Konzernlenkern?
Rogowski: Ich könnte mir vorstellen, dass das zu irgendeinem Zeitpunkt auch passieren wird. Meines Erachtens sollte das der Fall sein.
Meurer: Wie ist es trotzdem möglich, Sie sagen, das System ist so kompliziert nicht, die beiden Konzerne hätten nicht ausreichend miteinander gearbeitet, aber ein solches Projekt, wie kann es zu einem solchen Versagen kommen?
Rogowski: Wissen Sie, ich war nicht Teil dieses Projektes. Ich weiß nur, wie schwierig solche Projekte in der Projektorganisation sind, vor allem dann, wenn mehrere Partner daran beteiligt sind. Da muss es gehakt haben, mindestens in der Anfangsphase, nicht in der jüngsten Vergangenheit, aber in der Anfangsphase.
Meurer: Aus Sicht der Industrie, wir erinnern uns, erst der Transrapid, der gescheitert ist, jetzt die Lkw-Maut, ist das nur Zufall, dass jetzt schon zum zweiten Mal ein solches industrielles Großprojekt scheitert?
Rogowski: Na ja, es ist sicherlich nicht alles toll in Deutschland, aber es ist auch nicht alles Toll Collect, wir machen immer noch viele gute Dinge und Deutschland ist nicht umsonst Exportweltmeister. Das hängt viel mit Innovation zusammen, dass bei solchen Großprojekten auch einmal etwas schief geht, das kann durchaus passieren. Übrigens beim Transrapid ist ja technisch nichts schief gegangen. Es geht nur darum, dass es bisher nicht möglich war und da sehe ich eine große Verantwortung des Bundes, dieses Projekt auch bei uns in Deutschland auf die Schiene zu bringen.
Meurer: Sie glauben nicht, dass der Ruf der deutschen Industrie ramponiert ist weltweit?
Rogowski: Er hat bestimmt einen Dämpfer bekommen, aber das wird vergehen.
Meurer: Nun war ja die Lkw-Maut sozusagen das erste große Beispiel für die Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft. Die Lkw-Maut sollte als staatliche Aufgabe von der Wirtschaft gemeistert werden, eingehoben werden. Ist dieses Modell der Public Privat Partnership gescheitert?
Rogowski: Das glaube ich nicht, dass das gescheitert ist. Es gibt schon etliche Public Privat Partnership Projekte und es wird weitere geben, sie wird es vor allem im Straßenbau geben, in der Infrastruktur, sage ich mal insgesamt. Nein, deshalb ist das nicht gescheitert, aber es tut trotzdem weh.
Meurer: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei ähnlichen Verträgen, zum Beispiel dem Bau einer privaten Autobahn die Verträge so wasserdicht geschrieben werden sollen, dass man sich eben doch nicht einigen kann.
Rogowski: Ja, die Gefahr ist nicht völlig von der Hand zu weisen, aber es gibt ja nun Musterverträge für solche Vorgänge, an die sollte man sich halten, dann wird man es auch nicht überziehen.
Meurer: Der Tag nach der Lkw-Maut Entscheidung, darüber sprach ich mit Michael Rogowski, mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Herr Rogowski, besten Dank und auf Wiederhören.
Rogowski: Herr Meurer, Ihnen auch einen guten Tag noch.