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Rohingya
Die Ungewollten in Myanmar

In der kommenden Woche beginnt das Verfahren gegen Maynmar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dem Land wird Völkermord an den muslimischen Rohingya vorgeworfen. Vor Ort findet das Vorgehen der Armee jedoch Beifall in der Bevölkerung - und in vielen buddhistischen Gemeinden.

Von Holger Senzel | 07.12.2019
Die Rohingyas flüchten weiterhin aus Myanmar (29.9.2017).
Drei Gerichtsverfahren wurden bereits gegen Myanmar wegen der gewaltsamen Vertreibung der Rohingya eröffnet (AFP / Fred Dufour)
Ein Lied über die Hoffnung. Ein Lied über Aung San Suu Kyie. Für ihre Landsleute ist sie immer noch eine Heldin. Mutter Suu. Wo sie hinkommt, empfängt frenetischer Beifall die Staatsrätin Myanmars.
Außerhalb Myanmars gilt sie bestenfalls als tragische Figur. Dabei hat ihr Glanz lange bis weit in den Westen gestrahlt: Friedensnobelpreisträgerin, Kämpferin für Demokratie, Freiheitsikone. Eine mutige Frau, die von den Militärs unter Hausarrest gestellt wurde während der Diktatur.
Und mit denselben Generälen macht sie nun gemeinsame Sache, verteidigt deren Verbrechen gegen die muslimische Rohingya-Minderheit, schweigt, rechtfertigt, beschwichtigt. Radhika Coomaraswamy, UN-Ermittlerin zu den Vorgängen im Rakhine-Staat, bringt es auf den Punkt:
"Wir sind tief enttäuscht, dass Aung San Suu Kyi ihre Position nicht genutzt hat oder ihre moralische Autorität, die Aktionen im Rakhine-Staat zu verurteilen oder aufzuhalten."
Es ist viel darüber gerätselt worden, warum Aung San Suu Kyie die Armee nicht gestoppt hat beim brutalen Einsatz gegen die Rohingya. Womöglich hielt sie das für politischen Selbstmord, denn die Militärs sind nach wie vor mächtig in Myanmar, besetzen politische Schlüsselpositionen.
Interesse am Schicksal der Rohingya gering
Ihre Popularität würde Aung San Suu Kyi nichts nützen. Sie wäre schnell dahin bei einem Engagement für die ungeliebte muslimische Minderheit. Womöglich interessiert die birmesische Nationalistin Aung San Suu Kyi das Schicksal der Rohingya aber auch genauso wenig, wie die Mehrheit ihrer Landsleute.
Die De-Facto-Regierungschefin ist sich der internationalen Kritik sehr wohl bewusst – und es lässt sie nicht kalt. Es ist ihr wichtig, dass die junge, fragile Demokratie international respektiert wird. Deshalb betont sie immer wieder, dass ihre Regierung keine Menschenrechtsverletzungen dulde. Aber – und dieses aber wird sie auch kommende Woche in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof ins Feld führen: So schlimm, wie es dargestellt werde, sei das doch alles gar nicht gewesen.
Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi spricht am 19. September 2017 in Myanmars Hauptstadt Naypyitaw über die Lage der Rohingya-Minderheit.
Aung San Suu Kyi setzt sich nicht klar für die Rohingya ein (picture alliance / Aung Shine Oo)
"Ich verstehe, dass viele unserer Freunde in der ganzen Welt beunruhigt sind über die Berichte von niedergebrannten Dörfern und Massenfluchten. Wir sind ebenfalls beunruhigt und wollen herausfinden, was die wahren Probleme sind. Es gab Vorwürfe und Gegenvorwürfe. Und wir müssen ihnen allen zuhören, bevor wir weitere Schritte unternehmen. Ich denke, es ist wenig bekannt, dass die große Mehrheit der Muslime im Rakhine-Staat sich dem Exodus nicht angeschlossen haben. Über die Hälfte aller muslimischen Dörfer sind unversehrt. Genauso, wie sie vor den Angriffen waren."
Anders klang das in der anderen Hälfte der muslimischen Dörfer, die nicht unversehrt sind: Schwarzer, benzingesättigter Rauch verdunkelte den Himmel über den Regenwäldern im Rakhine-Staat, der ärmsten der birmesischen Provinzen im Norden des Landes.
Die Armee sprach anfangs von einem Polizeieinsatz gegen muslimische Terroristen. Geflüchtete Rohingya erzählten von Schüssen in den Rücken, Plünderungen, Vergewaltigungen. Und zwischen den Fronten versuchten Journalisten herauszufinden, was wirklich geschah – wie dieser BBC-Reporter:
"Die Leute, die uns begegneten, trugen Macheten und sie wollten nicht mit uns reden. Wir haben aber selbst beobachtet, wie sie diese Häuser in Brand gesetzt haben, mit der Hilfe der Polizei. Das hier war ein muslimisches Dorf. Die Regierung hat behauptet, dass muslimische Extremisten das Feuer gelegt haben. Was wir hier gesehen haben, erzählt eine andere Geschichte, eine Geschichte von ethnischer Säuberung. Die Muslime sollen aus diesem Teil Myanmars hinausgedrängt werden."
Buddhistische Mönche befeuerten Gewaltexzesse
Es waren fromme Männer in karmesinroten Roben, die den Hass gegen die muslimische Minderheit schürten. Die schon seit Jahren immer wieder zu Pogromen aufrufen und zuweilen mit Knüppeln in der Hand voranschreiten bei Gewaltexzessen gegen die Rohingya. Die das westliche Bild vom friedlichen, toleranten, gelassenen Buddhismus widerlegten. Geifernde, nationalistische Mönche wie der Abt Ashim Parmauka.
"Die Muslime wollen uns Buddhisten ausrotten. Das ist das Problem. Sie benutzen die Macht der Medien, um die Welt davon zu überzeugen, dass sie Opfer sind. Aber das sind sie nicht. Sie töten. Ein Buddhist, der einen anderen Menschen tötet, nimmt Schuld auf sich. Der Islam lehrt, dass es nicht nur erlaubt ist, Ungläubige zu töten, sondern heilige Pflicht."
Ein buddhistischer Mönch hält seine Hand hoch, auf der Handfläche steht geschrieben: Rohingya No.
Ein buddhistischer Mönch der Arakanese demonstriert gegen die Rohingya (picture alliance / Narong Sangnak)
Die Armee agiert nicht isoliert: Das brutale Vorgehen gegen die Rohingya findet den Beifall der Bevölkerungsmehrheit im Rakhine-Staat. Und ebenso die Unterstützung vieler buddhistischer Gemeinden. Für den Abt Ahim Parmauka in seinem Kloster am Rande Ranguns ist das keine ethnische Säuberung oder gar Völkermord, sondern Selbstverteidigung.
"Wenn ich als Gast merke, dass ich nicht willkommen bin, dann dränge ich mich doch nicht auf."
Die sogenannten Gäste leben seit fast zweihundert Jahren in Myanmar. Seit die britischen Kolonialherren sie als billige Arbeitskräfte ins Land holten. Seitdem werden die Rohingya ausgegrenzt und diskriminiert.
Über 800.000 von ihnen sind vor Terror und Gewalt nach Bangladesh geflohen. Die Regierung in Napidaw hat ihnen vor zwei Jahren die Rückkehr versprochen: Die humanitäre Katastrophe war fatal für das internationale Renommee Myanmars. Das war wohl auch eher ein PR-Gag, denn tatsächlich vegetieren fast alle Rohingyas lieber in den Elendslagern in Bangladesh, als zurückzukehren in Hass und Gewalt.
Der Vorwurf lautet: Völkermord
Völkermord lautet der Vorwurf vor dem Internationalen Gerichtshof. Aung San Kyie will in Den Haag – Zitat – "das nationale Interesse Myanmars verteidigen". Es ist wohl eher für die Beobachter daheim gedacht, die sich in Wagenburgmentalität gegen die internationalen Vorwürfe eingeigelt haben, sich verfolgt und ungerecht behandelt fühlen.
Denn leugnen lässt sich kaum mehr, was die UN-Ermittler in mehr als einjähriger Recherche zusammengetragen haben. 440 Seiten harte Fakten, keine Mutmaßungen oder Schlussfolgerungen und absolut eindeutig, ist Marzuki Darksman, Vorsitzender der UN-Kommission überzeugt:
"Unser Bericht charakterisiert die Ereignisse im Rakhine-Staat als humanitäre Katastrophe, die vorhersehbar war und geplant. Eine Katastrophe, die ernsthafte Folgen haben wird für viele Generationen, wenn nicht für immer. Der Bericht beschreibt Säuberungsaktionen im nördlichen Rakhine-Staat, gekennzeichnet durch Massaker in großem Stil, Morde an Zivilisten, Frauen, Kindern und Alten. Massenvergewaltigungen, Brandschatzungen und Plünderungen. Die Schätzungen von 10.000 ermordeten Rohingya sind konservativ."