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Gräueltaten gegen Rohingya
Amnesty beschuldigt Myanmars Militär

Folter, Massaker, brennende Dörfer - in einer vorläufigen Anklageschrift fordert Amnesty International führende Militärs Myanmars vor Gericht und verlangt eine UN-Untersuchung. Bei den Verbrechen gegen die Ethnie der Rohingya handle es sich nicht um Gräueltaten einzelner Menschen.

Von Kai Clement | 27.06.2018
    Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch.
    Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch. (Ed JONES / AFP)
    Auf 191 Seiten hat Amnesty International eine vorläufige Anklageschrift gegen das Militär Myanmars zusammengetragen. Folter, Massaker, Vergewaltigung, brennende Dörfer - dafür, so fordert Amnesty, gehörten 13 Militärs inklusive des obersten Chefs vor Gericht. In einem kleineren Teil untersucht Amnesty auch die Verbrechen der anderen Seite - also der Rohingya-Rebellengruppe ARSA. Darunter Morde an Regierungsinformanten oder Angriffe auf Hindu-Orte.
    Matthew Wells hat vor Ort Augenzeugenberichte zusammengetragen - insgesamt sind es rund 400.
    "Das waren nicht einzelne verbrecherische Einheiten"
    "Ich habe mit kleinen Kindern gesprochen, die in Bangladesch mit Schussverletzungen eintrafen. Oft Wunden, die die Woche oder zehn Tage der Flucht nach Bangladesch unbehandelt geblieben waren. Fotos der Wunden haben wir Rechtsmedizinern geschickt - vielfach sprachen die für von hinten abgefeuerte Waffen."
    Schüsse auf fliehende Menschen - das seien keine außer Kontrolle geratenen Soldaten, sagt Matthew Wells. Das habe System gehabt.
    "In zig Dörfern, so haben Rohingya und andere Gruppen berichtet, hat das Militär erst den Ort umstellt. Sie haben dann auf Männer, Frauen und Kinder geschossen, die wegrennen wollten. Und dann wurde jedes Rohingya-Gebäude niedergebrannt - oft noch mit den Menschen darin. Diese Muster von Verbrechen in einem großen Gebiet zeigt: Das waren nicht einzelne verbrecherische Einheiten oder Soldaten."
    Amnesty nutzt Satellitenaufnahmen, um in einem Vorher/Nachher-Abgleich die Zerstörungen zu zeigen.
    Amnesty sieht emeinsamen Plan von Militär und Grenzpolizei
    Jonathan Loeb war ebenfalls vor Ort und hat vor allem mutmaßliche Folteropfer der Grenzpolizei getroffen.
    "Wir haben rund zwei Dutzend Menschen befragt, die gefoltert oder misshandelt wurden. Darunter brutale Prügel, Verbrennungen, simuliertes Ertrinken."
    Über all das habe Amnesty detailliert die Zivilregierung und die Militärs Mynamars informiert - mehr als eine Eingangsbestätigung habe es bislang aber nicht gegeben.
    Militär und Grenzpolizei seien koordiniert und mit einem gemeinsamen Plan gegen die muslimische Rohingya-Minderheit vorgegangen, erklärt Matthew Wells. Zudem habe das Militär besonders umstrittene Einheiten, nämlich die Infanterie-Divisionen 33 und 99, in die Region geschickt.
    Armeechef auf der Liste der Beschuldigten
    Nicht möglich, dass der oberste Armeechef von alledem nichts wusste - vor allem angesichts einer straffen Kommando-Struktur und einem System täglicher Berichte, so sieht es Amnesty International und setzt deshalb auch den Armeechef sowie dessen Stellvertreter auf die Liste der Beschuldigten.
    "Trotz dieser Kontrolle haben General Min Aung Hlaing und seine Mitarbeiter die Greueltaten nicht beendet. Auch nicht nach übereinstimmenden Berichten. Auch hat er die Verantwortlichen meist nicht bestraft. Stattdessen hat er während der Krise auf seiner eigenen Facebook Seite aufstachelnde Texte gegen die Rohingya veröffentlicht."
    Ein Feldkommandeur habe kurz vor einem Massaker mit der vollständigen Vernichtung des Ortes gedroht.
    "Wenn irgendwas passiert, wenn die Rohingya-Rebellengruppe aktiv wird, dann schießen wir auf euch alle."
    Amnesty verlangt eine UN-Untersuchung, die auch vor einem Strafgericht Bestand hätte. Und die Organisation fordert den Sicherheitsrat dazu auf, die Vertreibung von etwa drei Viertel der Rohingya-Bevölkerung an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen - eine Maßnahme, auf die sich der Sicherheitsrat allerdings selbst in der jahrelangen Syrien-Krise trotz Drängens des UN-Generalsekretärs nicht einigen konnte.