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Rohingya in Bangladesch
Der tägliche Kampf ums Überleben

Während seiner Bangladesch-Reise trifft Papst Franziskus auch Vertreter der Rohingya, die aus Myanmar vertrieben wurden. Obwohl Myanmar zugesichert hat, dass sie zurückkehren dürfen, empfinden viele Flüchtlinge ihre Lage als hoffnungslos: Die medizinische Versorgung ist schlecht und jedes dritte Kind ist unterernährt.

Von Jürgen Webermann | 01.12.2017
    Rund 60 Flüchtlinge, Rohingya aus Myanmar, warten in dem Dörfchen Sabrang unter einem provisorischen Unterstand, unter ihnen viele Kinder und Frauen, ein paar junge Männer. Diese junge Frau ist mit ihren Kindern geflohen nachdem ir Ehemann ermordet wurde. Üerprüfen können wir ihre Geschichte nicht. Webermann, Dezember 2017
    Eine aus Myanmar geflohene Rohingya mit ihrem Kind in Bangladesch: Sie sagt, ihr Mann sei bei der Flucht getötet worden (Deutschlandradio / Jürgen Webermann)
    Sie sind in der Nacht gekommen. Mit Booten, über den nahen Grenzfluss, der hier in Süd-Bangladesch ins Meer mündet. Rund 60 Flüchtlinge, Rohingya aus Myanmar, warten in dem Dörfchen Sabrang unter einem provisorischen Unterstand, unter ihnen viele Kinder und Frauen, ein paar junge Männer.
    "Wir haben unser letztes Geld zusammen gekratzt, um den Bootsmann bezahlen zu können. Wir mussten drei Tage lang auf der anderen Seite des Flusses warten, bis wir an der Reihe waren. Wir sind mit 300 Leuten aus unserem Dorf los gezogen. Die meisten sind noch drüben. Sie haben nicht genug Geld für das Boot zusammen bekommen."
    Erzählt Anwar, er ist 23 Jahre alt. Sein Dorf stand noch, als er ging. Es wurde nicht nieder gebrannt. Aber das Leben dort sei unerträglich geworden.
    "Weil wir noch nicht geflohen waren, verdächtigte die Armee uns, genügend Geld zum Leben dort zu haben. Also nahmen sie uns Geld ab. Sie drohten uns. Wir durften nicht aus dem Haus. Die Armee forderte uns auf, unseren ganzen Besitz dem Staat zu geben. Da habe ich Angst bekommen."
    Täglich kommen Hunderte Rohingya über den Grenzfluss
    Anwar zeigt ein Blatt Papier, auf dem die Namen seiner Familie stehen. Es ist das einzige offizielle Dokument, das er jemals erhalten habe. Weil sie nicht als Bürger Myanmars anerkannt werden, haben sie keine Ausweise. Nur dieses eine Stück Papier. Anwars Nachbar Zafar erzählt, dass die Polizei in Myanmar gar nicht erst versucht habe, die Flüchtenden zu stoppen.
    "Sie sagten nur: Verzieht Euch. Euer Land ist Bangladesch. Als ich ihnen erklärte, dass ich aber in Myanmar aufgewachsen sei und Myanmar deshalb mein Land sei, schlugen sie mich."
    Auch Zafar berichtet von Repressalien im Dorf, von Enteignungen und willkürlichen Verhaftungen.
    Helfer sind eingetroffen. Auf ihren T-Shirts stehen die Namen ihrer Organisationen. Ärzte ohne Grenzen, der Rote Halbmond, Mitarbeiter einer türkischen Organisation. Alle Flüchtlinge sollen unter anderem eine Cholera-Impfung erhalten. Drei Männer aus der Gegend verteilen Äpfel, Brote und etwas zu Trinken. Soldaten sorgen dafür, dass alles ruhig abläuft. Von Sabrang aus werden die 60 Rohingya in eines der Lager weiter ziehen, die sich immer weiter in die tropische Landschaft fressen. Laut der Internationalen Organisation für Migration kommen derzeit täglich Hunderte Rohingya über den Grenzfluss, manchmal seien es auch Tausende.
    In den Lagern geht es ums nackte Überleben. Eine Medizinerin der Organisation Save The Children untersucht in einer provisorischen Krankenstation ein dürres Kind, zwei Jahre ist es vielleicht alt. Auf der Haut haben sich Flecken gebildet.
    "Er kann noch essen. Das ist gut. Wir können ihm proteinhaltige Nahrung geben, eine Art Erdnussbutter. Ihm geht es schlecht, aber wir können ihn noch gerade rechtzeitig behandeln."
    Masern breiten sich aus
    Rachel Pounds ist Nothelferin, sie kennt solche Lager aus anderen Weltgegenden.
    "Aber das hier ist ein täglich neuer Kampf für uns, weil hier so viele Menschen leben. Und es kommen immer mehr. Und wir würden gerne alle versorgen. Wir haben jetzt fünf Ambulanzen, wir wollen neun bauen, aber wir brauchen eigentlich noch mehr."
    Allein 375.000 Kinder leben laut den Vereinten Nationen in den Lagern. Rachel sagt, mehr als jedes dritte Kind sei unterernährt. Krankheiten wie Masern breiten sich derzeit rasend schnell aus. Neben den Brunnen, die sie hier bauen, stehen Latrinen, es ist einfach nicht genug Platz da. Dazu, sagt Rachel, kommen die traumatischen Geschichten von Mord und Folter.
    "Fatema zum Beispiel steht vor ihrer Hütte am Hang. Ihren Mann hätten sie umgebracht. Sie muss drei Kinder durchbringen, der Jüngste, Habib, ist sechs Jahre alt. Sayadur, ein Handwerker, erzählt, Soldaten hätten seine Schwester im Haus eingesperrt und es angezündet. Seinen Bruder hätten sie erschossen."
    Sayadur hämmert gerade an einem Gerüst für eine Latrine. Er geht davon aus, dass das Lager erst einmal sein neues Zuhause bleiben wird. Vom Papst und dessen Besuch in der Region hat er noch nie etwas gehört. Sehr wohl aber davon, dass Bangladesch und Myanmar über eine Rücknahme der Flüchtlinge sprechen.
    "Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Folter daheim aufhört. Ich erlebe diese Schikanen jetzt seit 45 Jahren, seit meiner Kindheit. Ich würde nur zurück gehen, wenn das wirklich aufhört."
    Zafar, der Neuankömmling, würde am liebsten wieder umkehren, zurück ins Dorf, aus dem er gerade geflohen ist. Aber die Regierung in Myanmar sei böse, sagt der 23-jährige. Und fügt hinzu, dass er die Hoffnung, sein Heimatdorf jemals wieder sehen zu können, wohl irgendwann mit ins Grab nehmen wird.