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Roma
Bildung als Schlüssel zum Erfolg

Lediglich ein Drittel der Roma-Kinder in Rumänien macht nach Schätzungen von NGOs einen Schulabschluss. Die Mehrheit bleibt chancenlos, denn die Kinder leben in Armutsvierteln. Hier gilt: Hausarbeit statt Schularbeit. Aktuell wird in Brüssel beim dritten Roma-Gipfel erneut über die Problematik debattiert.

Von Annett Müller | 04.04.2014
    Wenn Andreea zum Schulunterricht geht, putzt sie sich heraus: hüftlange Zöpfe, knöchellanger Rock, weiße Bluse. Andreea ist mit ihren 26 Jahren wohl die mit Abstand älteste Schülerin in Buzau. Bislang hat die junge Frau keinen Abschluss - die Eltern haben sie nach der vierten Klasse von der Schule genommen. Ihre Begründung damals: das sei mit den strikten Traditionen ihrer Roma-Gemeinschaft nicht vereinbar:
    "Meine Eltern meinen, eine Frau gehöre an den Herd. Für sie ist Schule Zeitverschwendung und Risiko. Womöglich lernt man dort, die Traditionen infrage zu stellen oder verliebt sich in einen rumänischen Jungen und verlässt die eigene Roma-Gemeinschaft. Das wäre eine riesige Schande für sie."
    Andreea verdient ihr Geld als Schneiderin, doch sie träumt von einer -Karriere als Lehrerin. Den dafür notwendigen Schulabschluss holt sie im zweiten Bildungsweg nach. Eine pragmatische Entscheidung und eine tollkühne zugleich. Ihre Eltern, die hin und wieder im Ausland jobben, wissen nicht, dass sie die Schule besucht. Sie würden sich verraten und hintergangen fühlen. Auch deshalb will Andreea ihren richtigen Namen nicht nennen:
    "Meine Gemeinschaft meint, dass man als Roma sowieso keine Prestigeberufe wie Lehrer oder Mediziner ergreifen kann. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass man mit Bildung eine gute Position erreicht. Sie haben sich damit abgefunden, die Außenseiter der Gesellschaft zu sein."
    Lediglich ein Drittel der Roma-Kinder in Rumänien macht nach Schätzungen von NGOs einen Schulabschluss. Die große Mehrheit bleibt chancenlos, denn die Kinder leben in Armutsvierteln, wo sie zuhause mit anpacken müssen, statt die Schulbank zu drücken. Seit Jahren versucht die Bukarester Regierung, die verarmten Gemeinschaften vom Gegenteil zu überzeugen.
    Mit Hilfe von EU-Geldern wurden Schulvermittler ausgebildet, die selbst Roma sind und die in ihren Vierteln dafür sorgen sollen, dass die Kinder zum Unterricht kommen. Doch von 1000 Vermittler-Stellen ist nicht einmal die Hälfte besetzt. Aus Geldnot – heißt es bei Stadtverwaltungen und Kreisräten. Für Gheorghe Sarau, der als Roma-Experte im Bildungsministerium arbeitet, sind das Ausflüchte:
    "Die Verwaltungen weigern sich, die Vermittler anzustellen. Erst kürzlich hörte ich von einem Bürgermeister, er habe diese dreckigen Zigeuner satt. Wenn ein Ortsvorsteher so denkt - und viele denken so - dann wird es in diesen Orten nie einen Schulvermittler geben."
    Bildung als Patentrezept, um der Armut zu entkommen? In seinem Roma-Viertel in Buzau predigt der 35-jährige Vasile Stanel das unablässig. Männer in Jogginghosen, Frauen in warmen Bademänteln umringen ihn neugierig und knabbern Sonnenblumenkerne. Mittendrin füllt Stanel einer gleichaltrigen Frau geduldig die Schulanmeldung ihres Kindes aus. Sie wäre hilflos ohne ihn - sie kann weder lesen noch schreiben. Mit 50 Euro Sozialhilfe im Monat muss sie ihr Leben bestreiten.
    Ihre ganze Hoffnung setzt sie auf ihre Tochter, die mit einem Schulabschluss eines Tages eine gute Arbeit finden soll.
    Die Realität ist bislang oft eine andere, denn eine ganze Gesellschaft müsste beginnen, umzudenken. Roma gelten in Rumänien gemeinhin als unzuverlässig und träge. Damit haben sie es trotz Schulabschluss auf dem Arbeitsmarkt schwer. Sie bekommen in der Regel Hilfsjobs zugewiesen, die sonst keiner machen will. Hinzu kommt: In Rumänien entscheidet nicht unbedingt der Schulabschluss über die Zukunftsaussichten:
    "Meine Lieblingsbeispiele sind, dass jemand durch Bildung und Fleiß in unserem Viertel Notar oder Berater geworden ist. Doch in der ganzen rumänischen Gesellschaft gibt es zig Leute, die mit krummen Geschäften zu schnellem Reichtum gelangt sind, sie fahren BMWs. Das haben sie ohne Schule geschafft. Da eifert man doch lieber denen nach."
    Die junge Roma-Frau Andreea lässt sich von den Rückschlägen, die der Schulvermittler erzählt, nicht beirren. Sie will beweisen, dass es auch anders geht.
    "Ich habe in der Abendschule jetzt die achte Klasse erreicht. Nun folgt das Gymnasium. Da weht ein anderer Wind. Wie ich das vor meinen Eltern verheimliche, weiß ich nicht. Aber ich hoffe, ich habe die Kraft weiterzukämpfen."
    Wird sie sich outen, ihren Eltern vom Schulabschluss erzählen, wenn sie tatsächlich Lehrerin wird? Sie wäre ein gutes Beispiel, dass sich Bildung auszahlen kann. Andreea schüttelt den Kopf: So viel Mut habe sie nicht. Sie will ihren Eltern lieber sagen, dass sie die richtigen Beziehungen für die Stelle hatte.