"Der Roman ist nicht autobiografisch. Er spielt zur gleichen Zeit, in der ich gelebt habe. Ich schreibe also über eine Zeit, die ich sehr genau kenne, aber sehr wenig kommt von meiner eigenen Biografie. Ja, ich habe eine Frau aus Virginia geheiratet, und ja, ich bin 1925 geboren. Ich habe im Krieg gedient, aber nicht im Zweiten Weltkrieg wie Bowman. Bowman ist nicht im Krieg gestorben, ich bin nicht im Krieg gestorben, das war es auch schon mit den Ähnlichkeiten."
Philip Bowman ist die Hauptfigur in einem komplexen Erzählwerk, dessen Handlung Ende der Vierzigerjahre beginnt, in den Achtzigerjahren endet und räumlich pendelt: zwischen den japanischen Gewässern und Manhattan, Washington und dem Hinterland am Hudson River sowie den Südstaaten. Dazu kommen London als Zentrum des Literaturbetriebes, Spanien und Paris als Sehnsuchtsorte und Fluchtpunkte erotischer Erfahrung.
Sexuelle Erfüllung ist auch das zentrale Thema des jungen Amerikaners Philip Bowman, der aus den letzten Etappen des Zweiten Weltkrieges im Pazifik auftaucht und einen Traumjob als Lektor bei einem jüdischen Verlag in New York ergattert. Er heiratet die ebenfalls traumhafte Südstaatenfrau Vivian, die aber in der Ostküsten-Metropole die Pferde, die Hunde und das Dienstpersonal vermisst. So wird die gescheiterte Ehe zum Auftakt in einem fortgesetzten Beziehungsreigen, dessen Gesetzmäßigkeiten der Autor erklärtermaßen in seinem ganzen Werk erforscht.
Die Liebe zwischen Mann und Frau führt den Leser auch in diesem Roman in subtil geschilderte Milieus der weißen Mittelschicht, kontrastiv erscheinen der rassistische Süden und das liberale New York, insbesondere der Literaturbetrieb der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Die Personalien sind jedoch weitgehend verschlüsselt und abstrahiert, sodass hier kein leicht eingängiger Szeneroman vorliegt. Es geht vielmehr um das zeitlose Thema der Liebe, meist aus der Sicht Bowmans, eine romantische Suche, der die amerikanische Frau nicht so recht entsprechen will. Dafür gibt es Erleuchtungen in Europa, wo Bowman mit seiner englischen Geliebten einen spanischen Tanz beobachtet:
Ihre Hände waren auf der Höhe ihres Gesichts, sie klatschte schnell und rhythmisch, ihre Stimme verzerrt, blind, mit geschlossenen Augen, ihre Arme bloß, silberne Kreolen an ihren Ohren, ihr langes schwarzes Haar. Das Lied war ihr Lied und gehörte der Vega, der weiten Ebene, den sonnendunklen Arbeitern, der schimmernden Hitze, sie ließ alle Verzweiflung des Lebens heraus, den Schmerz, die Verbrechen, das Klatschen war hart und unerbittlich…
Scheinbar mühelos wird die konzentrierte Choreografie dieses Tanzes in Sprache überführt, aber hinter dieser Eleganz steckt Ehrgeiz. Stilistische Virtualität ist Salters literarisches Markenzeichen, besonders beim Beschreiben, gerne kontrapunktiert mit einer satten Prise erotischen Vitalismus. Der Tanz war anregend, danach gehen Bowman und seine Geliebte ins Hotel:
Später im Zimmer begann er sie wild zu küssen, ihre Lippen, ihren Hals. Er schob die Träger von ihren Schultern. So konnte man niemanden nehmen. Sein altes, in Kette gelegtes Leben lag hinter ihm, es war verwandelt wie durch eine Offenbarung. Sie liebten sich, als wäre es ein Gewaltverbrechen, er hielt sie an der Taille, halb Frau, halb Vase, und gab dem Akt noch mehr Gewicht. Sie schrie wie ein Hund kurz vor dem Tod. Sie sackten zusammen, wie erschlagen.
Zuweilen überdreht Salter seine ästhetische Strategie, vielleicht gerade weil er ausgesprochen Wert auf Form und Sprachgefühl legt. Als Frotteur von Worten hat er sich einmal bezeichnet, jemand der das Wortmaterial in die Hand nimmt und bearbeitet, bis es die perfekte Passform hat. Der Text bietet in der Tat leuchtende Perlen literarischer Reflexion, und doch steht dem exaltierten Stilbewusstsein ein störender Mangel gegenüber - es fehlt dem Erzähler ein Moment der Zeitverbundenheit, ein ironischer oder selbstkritischer Augenblick der Vergegenwärtigung. Das erotische Thema wurde im Stil dieses Romans gerade von amerikanischen Autoren erfolgreich vitalisiert, überhöht und in klassische Zeitlosigkeit überführt. Heute wird, was in diesem Roman derart als existenzielle Dichte und konsequente literarische Modernität aufscheint, zu einer hermetischen Blase, in der sich der Schriftsteller Salter selbst historisiert. Interessant bleibt der Roman, wo Eros wirklich noch die Fäden zieht:
Also gut, berausch dich. Es war immer vom ersten Wort an, dem ersten Blick, der ersten Umarmung, dem ersten schicksalhaften Tanz. Es war da und wartete. Christine, ich kenne dich, dachte er. Sie lächelte ihn an.
Der Mann erkennt die Frau, das uralte Spiel - und am Ende nimmt Christine ihm das Häuschen ab. Das weiß der Erzähler natürlich schon jetzt, ebenso wie perfide sich Bowman am Ende rächen wird, was diese Passage hintersinnig funkeln lässt in ihrem falschen Glanz. Das ist nur eine von vielen Blumen des Bösen bei James Salter, und so ergibt sich in diesem Alterswerk - bei allem Hochglanz des Stils - doch eine interessante morbide Tiefe, oder eben Untiefe. Die Frage, ob es in seinem literarischen Reich von Mann und Frau einen versteckten Geschlechterkrieg gibt, beantwortet James Salter so:
"Nicht mehr als üblich!"
Und auf die Frage, was üblich ist, gibt der Altmeister diese Antwort:
"Nun ich denke, es köchelt dahin. Das ist ein Teil des Lebens. Krieg ist das falsche Wort dafür. Ein Krieg ist das nicht, es hat viele Gesichter. Sicher, es hat in den letzten fünfzig Jahren einen großen historischen Wandel gegeben, es ist nicht mehr die gleiche Welt, ich denke an die westliche Welt, unsere Welt. In der muslimischen und fernöstlichen Welt kenne ich mich nicht aus, aber bei uns hat es einen großen Wandel gegeben, das ist ja kein großes Geheimnis."
James Salter: „Alles was ist.“
Aus dem amerikanischen Englisch von Beatrice Howeg
Berlin Verlag, 368 Seiten, 22,99 Euro
Aus dem amerikanischen Englisch von Beatrice Howeg
Berlin Verlag, 368 Seiten, 22,99 Euro