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Roman
Spurlos verschwunden

Der neue Roman "Ich bin's" von Christa Schmidt erzählt packend die Geschichte von Victor und Annusch: Kurz bevor die beiden zusammenziehen wollen, verschwindet Annusch und hinterlässt nur das Bild eines Enthaupteten.

Von Jan Koneffke | 17.03.2014
    Eine Lesebrille liegt auf einem Bücherstapel.
    Kraftvolle Sprache von Christa Schmidt. (picture alliance / dpa / Ismo Pekkarinen)
    Es ist nicht nur die packende Erzählweise, die Christa Schmidts Roman "Ich bin’s" auszeichnet. Streckenweise scheint es sich um einen Krimi zu handeln, dann wieder um einen Road Movie, schließlich um ein Psychogramm des unglücklichen Helden, Victor Kampnagel, dem Fotografen, dessen Objekte Herzschrittmacher oder stillgelegte Industriegelände sind.
    Der Bilderjäger befindet sich mal wieder auf der Jagd, diesmal aber nach Annusch, einer Malerin, mit der er gerade zusammenziehen wollte. Doch ehe der eingefleischte Single diese für ihn ungewohnte Erfahrung machen kann, verschwindet Annusch spurlos und hinterlässt in ihrem Atelier nur das Bildnis eines Enthaupteten.
    Wenn Walter Benjamin von den vollgestopften bürgerlichen Wohnungen meinte, sie schienen Orte eines verborgenen Verbrechens zu sein, so gilt das auch für die modernen Wohnungen in Christa Schmidts Roman – mit dem Unterschied, dass sie eher leer, höchstens zweckmäßig eingerichtet sind, oder verspielt, wie bei der Künstlerin Annusch.
    "Ja, es gibt zwei Arten von Wohnungen in dem Buch, es gibt die überladene Ladenwohnung von Annusch, die sehr fantasievoll ist in ihrem Chaos, und dann gibt es das Gegenteil, die Wohnungen der Männer auf der einen Seite, die so leer sind – und beim Schreiben, als ich mir die Wohnungen vorstellte von Lutz und Victor, war mein erstes Gefühl, als ich diesen Innenraum, der ja auch ein Raum ist, betrat, ja, hier wohnt ein Mörder, hier wohnt ein Verbrecher, also gerade durch die Leere, durch die Spurenlosigkeit ist dieses Gefühl aufgetaucht, und Annusch hat eben beide Seiten, diese chaotische, aber äußerst lebendige Ladenwohnung, und dann dieses ganz nüchtern, sachlich organisierte Atelier, in dem dann der Enthauptete ist."
    Schriftstellerische Präzision
    Es ist auch nicht nur die Präzision, mit der Christa Schmidt in ihrem Buch Räume und Innenräume, die Außenwelt des Victor Kampnagel und seine Innenwelt beschreibt, die, wie man am Ende wissen wird, in Wahrheit die Innenwelt der verschwundenen Annusch ist. Die schriftstellerische Präzision, die nie bemüht daherkommt und immer ins Geschehen integriert bleibt, kann sich auf eine Waffe beziehen oder auf die Psychologie von Pferden. Aber auch aktuelle Diskurse sind der Autorin wichtig, ob es sich um die philosophischen Welterklärungen des polnischen Ex-Dissidenten Manowski, Annuschs früherem Geliebten, handelt oder um Wissenschafts- und Techniksprachen im Allgemeinen, wie sie sich schon in den Kapitelüberschriften spiegeln, die beispielsweise "Hyperfokale Distanz", "Systemstörung" oder "Ordnung der Dinge" lauten. Auch sie sind der äußeren und inneren Handlung keineswegs äußerlich, haben aber einen ganz eigenwilligen Charakter. Sie zeigen nämlich, dass sich die Figuren gleichzeitig in und außerhalb dieser Fachsprachen und Gedankensysteme bewegen.
    Es ist aber nicht nur die zunehmende Verzweiflung des vergeblich nach seiner Geliebten suchenden Victors, die den Leser fesselt. Denn Christa Schmidts Romanpersonal ist vielfältig, und in der Figur des breit berlinisch sprechenden Lutz, wird der Wahnsinn Victors immer wieder geerdet. Und das auf die schönste humorvolle Art.
    "Ja, Lutz hat beim Schreiben einfach auch eine Menge Spaß gemacht, ich habe mich immer auf die Lutz-Szenen gefreut, es war eine Erholung und gleichzeitig auch so etwas wie Bodenhaftung und der Humor von ihm – Humor zeigt sich ja eigentlich nur, wenn einem wirklich was an den Pelz geht und das ist ja auch immer wieder der Fall, Victor geht was an den Pelz und auch Lutz geht wirklich was an den Pelz, ja, und dieser Humor, mit dem das dann bewältigt wird, hat auch beim Schreiben ganz viel Spaß gemacht."
    Es ist aber wiederum nicht nur der bodenverhaftete Lutz, dieser Berliner Sancho Pansa, der Victor, den Don Quichotte der Liebe, zuerst nach Polen begleitet, wo sie vergeblich nach Annusch suchen, aber auch sonst aus manchem Schlamassel hilft.
    Kraftvolle Sprache
    Es ist auch nicht nur die heutige, kraftvolle Sprache eines Romans, dessen Konstruktion aus 58 knappen, die Spannung der Handlung steigernden Kapiteln besteht, unmittelbarer Bestandteil einer Geschichte ist, deren wahrer und viel umfassenderer Gehalt sich erst am Schluss offenbart; oder der äußerst präzise Umgang mit Motiven, die unaufdringlich in nahezu musikalischer Verfahrensweise von Reprise und Variation das Textgeschehen durchziehen.
    Wem die Geschichte der verschwundenen Geliebten als literarischer Topos erscheint, dessen Wiese bereits zu oft abgegrast wurde, als dass sie noch etwas hergeben könnte, dem sei versichert, dass diese Geschichte dem Topos tatsächlich eine neue Seite abgewinnt.
    "Ja, das wirklich Spannende daran ist, dass man später merkt, dass die Einzige, die wirklich präsent ist, die Verschwundene ist, und sich das Abwesendsein auf etwas ganz Anderes bezieht, und der Suchende eigentlich der Abwesende ist."
    Es geht in Christa Schmidts um die Verlustangst - aber auch um das Spiel mit ihr; um die Einsamkeit - aber vor allem um die Vergegenwärtigung des anderen. Wer das letzte Kapitel von "Ich bin’s" gelesen hat, weiß, dass ihm der Erzähler abhandengekommen ist, der sich nun als Erzählerin erweist. Und dass er in Wahrheit zwei Romane gelesen hat: den des Suchenden, und den der Gesuchten.
    Christa Schmidt: "Ich bin’s", Roman, Hanani Verlag, Berlin 2013. 157 Seiten.