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Roth will Strafantrag gegen Möllemann wegen Volksverhetzung stellen

Ensminger: Aufruhr in der Partei, Forderungen früherer FDP-Politiker, den früheren Grünen und jetzt FDP-Abgeordneten Jamal Karsli wieder von der Partei auszuschließen, und auch der NRW-Landesvorsitzende der FDP, Jürgen Möllemann, der die Aufnahme Karslis in seine Partei nach wie vor verteidigt, muss sich jetzt viel Kritik gefallen lassen. In einem Fernsehinterview hatte er dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Friedmann, Intoleranz und Gehässigkeit vorgeworfen, und mit seiner Art sei er mitverantwortlich für den Zulauf der Antisemiten, weshalb Bundeskanzler Gerhard Schröder jetzt forderte, die FDP solle sich von Möllemann distanzieren. Die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, kündigte gar an, Strafantrag wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Verleumdung gegen Möllemann zu stellen. Claudia Roth ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.

    Roth: Schönen guten Morgen, Frau Ensminger.

    Ensminger: Frau Roth, vom Fall Karsli zum Fall Möllemann, oder wie ist der Strafantrag zu verstehen?

    Roth: In der Tat, es ist der Fall Möllemann. Es geht nicht um den Fall Karsli. Es geht nicht um die Tatsache, dass sich Möllemann und auch Karsli nicht von den wirklich antisemitischen Äußerungen distanziert haben, die Karsli zum Beispiel in dem rechtsextremen Blatt "Junge Freiheit" gemacht hat, sondern es geht genau um das, was sie gerade zitiert haben, was Jürgen Möllemann in mehreren Fernsehinterviews gesagt hat, nämlich, dass für den wachsenden Antisemitismus in Deutschland die Juden selber, der Jude Michael Friedmann verantwortlich ist und Antisemitismus bekämpft werden muss. Ich muss Ihnen sagen: Das ist ein so ungeheuerlicher Vorgang, den ich in der Bundesrepublik Deutschland von einem Politiker einer liberalen, einer demokratischen Partei nie für möglich gehalten hätte. Das ist nicht mehr nur augenzwinkernder Antisemitismus. Das ist nicht mehr nur das Buhlen um Zustimmung in Wahlkampfzeiten für Stimmen, zum Beispiel aus der Gruppe der Moslems in unserem Land. Was auch ziemlich schlimm ist so zu unterstellen: als wollten Moslems in der Bundesrepublik Deutschland antisemitische Äußerungen, um dann eine Partei wählen zu können. Das ist ein Ausmaß an politischer Verkommenheit, da meine ich, da muss sich wirklich jeder Demokrat dagegen verwehren.

    Ensminger: Die Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen, Kerstin Müller, hat jetzt die FDP-Führung aufgefordert, Möllemann zum Rücktritt zu bewegen. Würden Sie sich dem denn anschließen?

    Roth: Ich muss Ihnen sagen, ich finde es ist allerhöchste Zeit, dass die FDP-Führung jetzt reagiert. Es kann doch nicht sein, dass man eine solche Aussage im Raum stehen lässt. Ich fühle mich davon extrem betroffen. Ich fühle mich angegriffen, denn ich weiß, dass eine solche Aussage natürlich nicht nur auf einen Bodensatz von antisemitischen Ressentiments in unserem Land trifft, sondern dass sie ihn aktiv schürt. Und das ist nicht nur ein Problem der FDP. Das ist ein Problem und wird zu einer Gefahr für die politische Kultur in unserem Land. Das wird zu einer Gefahr für die Demokratie in unserem Land. Deswegen meine ich: Es ist allerhöchste Zeit, dass die FDP-Spitze reagiert und nicht sagt: Es geht nur um den Fall Karsli, sondern es geht in der Tat um den Fall Möllemann.

    Ensminger: Der Druck auf Möllemann ist inzwischen aber schon sehr groß, also wird ja doch reagiert.

    Roth: Ich weiß nicht, wo der Druck ist. Ich muss Ihnen sagen, es gibt einen Beschluss der FDP vom letzten Parteitag. Gut. So ein Beschluss ist wichtig. Nur, wenn dann wenige Tage danach von Möllemann sogar noch draufgesetzt wird, und mit einer solchen Aussage geht es ja überhaupt nicht mehr um die Diskussion über das, was im Nahen Osten passiert. Es geht nicht um die Diskussion über das Regierungshandeln der Regierung Scharon. Worum es übrigens auch dann gehen müsste - und das hat Herr Möllemann wieder nicht getan -, sich mit den völlig unzulässigen Selbstmordtaten und den Attentaten auseinanderzusetzen. Darum geht es nicht, sondern er macht eine innenpolitische Aussage, die in den Auswirkungen Angst in unserem Land erzeugt, Angst von deutschen Juden, die ein Bild vor Augen haben, von dem ich dachte, dass es lange, lange und aus sehr gutem Grund und aus historischer Verantwortung überwunden sei.

    Ensminger: Das heißt, Sie glauben nicht, dass es Möllemann auch tatsächlich darum geht, Kritik an Scharon, also der israelischen Regierung zu üben, sondern es ist tatsächlich, wie Sie sagen, weit davon entfernt?

    Roth: Moment: Es ist auch richtig, Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung zu üben.

    Ensminger: Das ist Möllemanns Argumentation.

    Roth: Richtig. Aber es ist aus meiner Sicht falsch, wenn man nur außerordentlich einseitig diese Kritik übt und wenn man ausblendet, dass es in diesem Konflikt im Nahen Osten zwei Seiten gibt, dass beide Seiten Täter und dass beide Seiten Opfer sind. Möllemann hat gestern wieder nur einseitig für das Drama im Nahen Osten die israelische Regierung verantwortlich gemacht. Das geht nicht. Das ist etwas, was ich falsch finde und was schon in den vergangenen Wochen Ressentiments erzeugt hat. Aber jetzt hat er ja etwas ganz anderes gemacht: Er verbindet die richtige Debatte der Auseinandersetzung, über das was im Nahen Osten passiert und die Möglichkeiten, dort positiv einzugreifen, mit einer innenpolitischen Auseinandersetzung. Michael Friedmann ist kein Israeli. Michael Friedmann ist deutscher Jude. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Deutschen Juden. Und es ist sozusagen das Bild, das vermittelt wird - "Der Jude" ist an allem Schuld -, und das ist unerträglich.

    Ensminger: Frau Roth, warum stellen ausgerechnet Sie die Strafanzeige?

    Roth: Weil ich selber mich gestern in einem Ausmaß von diese Aussage betroffen gefühlt habe, weil mein ganzes politisches Leben, auch meine Erziehung - übrigens in einem sehr liberalen Elternhaus -, geprägt war, dass es in unserem Land nicht mehr Antisemitismus geben darf und dass man sich gegen jede Form von antisemitischen Tendenzen wehren muss. Ich bin entsetzt, wenn in Berlin in den Schulen diskutiert oder darüber gesprochen wird, dass jüdische Kinder den Davidstern unter ihrem Pulli tragen wollen, weil es sonst gefährlich sein könnte. Da bin ich entsetzt. Ich will nicht in so einem Deutschland leben und auch nicht, dass das, was Möllemann seit Wochen tut und was er noch einmal sozusagen bestätigt hat, bzw. wo er noch einmal eine Nummer draufgegangen ist, zu einer Art Normalität wird und dass irgendjemand behauptet, das sei in einer Demokratie Deutschland eine Form von demokratischer Auseinandersetzung und von kontroverser Debatte. Das ist es nicht. Antisemitische Äußerungen und das Schüren von Antisemitismus hat nichts, aber auch gar nichts mit Meinungsfreiheit in unserem Land zu tun. Deswegen habe ich gesagt, ich werde Strafantrag stellen, weil es üble Nachrede und Verleumdung gegen eine Person des politischen Lebens ist, und ich meine, man muss Grenzen setzten und auch denjenigen, die sich von solchen Äußerungen bedroht fühlen, die sich in ihrem eigenen Land allein gelassen fühlen, deutlich machen, dass sie nicht alleine sind, und dass eine solcher Satz auch diejenigen betrifft, die nicht jüdisch sind.

    Ensminger: Aber Frau Roth, es ist Wahlkampf. Die FDP käme nach einer Umfrage, wenn Sonntag Wahlen wären, auf 12 Prozent, die Grünen auf 6. Da kommt der Wirbel um die FDP doch sehr gelegen, oder?

    Roth: Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es mir als Parteivorsitzende vom Bündnis 90 gelegen kommt, dass Möllemann einen solchen Satz macht, quasi als Steilvorlage für eine Wahlkampfauseinandersetzung. Das wäre doch völlig zynische und unverantwortliche Politik. Ich habe immer gesagt: Gerade in Wahlkampfzeiten braucht es verantwortliche Politik, braucht es verantwortlichen Umgang mit sensiblen Themen. Und natürlich ist das ein hochsensibles Thema, vielleicht eines der schwierigsten in unserem Land, wenn wir sagen, dass wir die historische Verantwortung Ernst nehmen. Aber, wer macht denn bitte schön Wahlkampf? Wenn Möllemann nun nicht einmal unterschwellig, sondern ganz offen im Interview im Deutschlandfunk sagt, dass er gerne 800.000 wahlberechtigte Moslems für die FDP gewinnen will, dann ist er doch derjenige, der ein außenpolitisches Thema innenpolitisch versucht zu funktionalisieren, um Wählerklientel anzusprechen. Noch einmal: Es ist eine Unverschämtheit, den Moslems in unserem Land sozusagen zu unterstellen oder zu glauben, sie mit Antisemitismus einfangen zu können. Das ist das Problem, dass es offensichtlich keine Grenze mehr gibt, sondern dass Möllemann - das muss man sagen - rechtspopulistisch versucht, in diesen Wahlkampfzeiten für die FDP zu punkten. Unerträglich.

    Ensminger: Vielen Dank. Soweit Claudia Roth, Vorsitzende vom Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio