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Rubel im freien Fall
"Russlands Wirtschaftsdaten sind katastrophal"

Mit der enormen Inflation und dem fallenden Rubel habe Russland ein riesiges Problem, erklärte Osteuropa-Experte Mathias Brüggmann im DLF. Die Wirtschaft sei zu stark von den internationalen Rohstoffpreisen abhängig. Außer "Kalaschnikow und Kaviar" gebe es eigentlich nichts, was im Westen nachgefragt werde.

Mathias Brüggmann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.12.2014
    Passanten am Dienstag in Moskau: Der russische Rubel ist auf ein Rekordtief gefallen.
    Die russische Wirtschaft sollte Russlands Präsident Putin besorgen, meinen Beobachter. (AFP PHOTO / KIRILL KUDRYAVTSEV)
    Christoph Heinemann: Wenn die Europäische Zentralbank den Leitzins verändert, dann reden wir in der Regel über halbe oder Viertel Prozentpunkte. Das gilt dann schon als starkes Signal. Gemessen daran hat die russische Zentralbank jetzt ein Erdbeben ausgelöst; sie hat den Leitzins von 10,5 auf 17 Prozent angehoben. Begründung: der schwache Rubel. Sinn der Übung ist: Die russische Zentralbank versucht, den abwärts rollenden Rubel aufzuhalten.
    Am Telefon ist jetzt Mathias Brüggmann. Er ist internationaler Korrespondent und Osteuropafachmann der Zeitung "Handelsblatt". Guten Tag.
    Mathias Brüggmann: Ja! Guten Tag.
    Heinemann: Herr Brüggmann, kann man von einer Panikreaktion der Zentralbank sprechen?
    Brüggmann: Das ist es ganz sicher. Die nächste reguläre Sitzung war ja fürs erste Quartal vorgesehen. Jetzt hat es eine überraschende Nachtsitzung gegeben, wo dieser Leitzins drastisch erhöht wurde. Aber man muss ja auch sehen, was auf dem Spiel steht. Wladimir Putin ist beliebt in seinem Volk, weil er nach den chaotischen Jelzin-Jahren dem Land Stabilität gebracht hat. Deshalb haben sie ihn zweimal wiedergewählt. Diese Stabilität steht für die Russen jetzt auf dem Spiel. Die Russen sind ein genauso, was Inflation und Währungsverfall angeht, gebranntes Volk wie das deutsche.
    Heinemann: Das heißt, es stehen durchaus politische Sorgen hinter dieser Erhöhung?
    Brüggmann: Ja. Putin muss jetzt - und die Zentralbankpräsidentin, Gouverneurin ist ja eine enge Vertraute von ihm, war vorher seine Wirtschaftsberaterin, bevor er sie zur Notenbankgouverneurin gemacht hat. Er wird über sie jetzt versuchen, den Rubel irgendwie zu stabilisieren. Aber der Preis ist natürlich hoch, weil die Zentralbank kann nicht alles gleichzeitig machen. Wenn sich Frau Nabiullina heute Nacht hinstellt und sagt, damit würde man jetzt den Rubel stabilisieren, die Menschen können wieder Sparguthaben in Rubeln bunkern, und gleichzeitig wolle man die Importsubstituierung vorantreiben, dann passt das natürlich alles nicht zusammen. Natürlich ist es jetzt attraktiv, bei 17 Prozent Leitzins vielleicht 15 Prozent auf dem Sparbuch zu haben. Nur bei einer Währung, die in diesem Jahr schon über 50 Prozent eingeknickt ist, ist das natürlich schon nicht mehr attraktiv. Und bei 17 Prozent Leitzinsen, sprich, an die 20 Prozent für ein mittelständisches Unternehmen, sind Kredite nicht mehr möglich und damit ist auch die Importsubstituierung durch den Aufbau einheimischer Industrien nicht mehr möglich.
    "Russland wirtschaftliche Rahmendaten sind katastrophal"
    Heinemann: Das heißt, Sie rechnen damit, dass für Anleger die zehn Prozent Inflation abschreckender sind, als die 17 Prozent Leitzins sie anlocken könnte?
    Brüggmann: Sie haben die Inflation von über zehn Prozent aufs Jahr gerechnet. Sie haben vor einem Jahr aber auch in Rubel dann den richtig wegknickenden Valutakurs. Sie bekommen am Ende, wenn Sie dann im Sommer ins Ausland reisen wollen, weniger Euro, als wenn Sie jetzt alle Ihre Rubel-Ersparnisse in Euro umrubeln sozusagen.
    Heinemann: Herr Brüggmann, warum genau ist der Rubel so schwach?
    Brüggmann: Der Rubel ist aus ganz vielen Gründen so schwach. Das erste ist natürlich der wirklich wegbrechende Ölpreis, 45 Prozent in diesem Jahr schon, und der Kollege aus Moskau sagte ja auch schon, der Ölminister aus den Vereinigten Arabischen Emiraten spricht bereits von 40 Dollar Ölpreis und hat auch noch dazu gesagt, selbst dann würde die OPEC nicht intervenieren. Das heißt, der Ölpreis wird absehbar noch weiter runtergehen, vor allen Dingen, weil die Wachstumsraten in China oftmals ja nur auf dem Papier so gut sind, wie sie dargestellt werden in der Realität. Somit ist die Nachfrage nach Öl schlechter. Dazu kommt eine massive politische Verunsicherung durch die Sanktionen, durch die Konfrontation mit dem Westen, durch Verfahren, die in Russland stattfinden, dass Oligarchen inhaftiert worden sind, dass sie enteignet werden. Dieses trägt dazu bei, dass die Kapitalflucht in diesem Jahr sich mindestens verdoppeln wird. Die wirtschaftlichen Rahmendaten Russlands sind katastrophal!
    Heinemann: In der Reihenfolge würden Sie sagen, erst der Ölpreis und dann die Sanktionen, was die Schuld für den schwachen Rubel betrifft?
    Brüggmann: Ganz sicher. Sie brauchen sich nur beide Kurven mal nebeneinander oder übereinanderzulegen. Da gibt es natürlich eine ganz direkte Korrelation. Aber das würde dann ja auch für alle gelten, auch für die Norweger. Für die Golf-Staaten gilt es nicht, weil die an den Dollar gekoppelt sind, aber alle Ölwährungen geben ja im Moment nach, auch weil sie überbewertet waren in letzter Zeit. Aber in Russland kommt strafverschärfend hinzu die Konfrontation mit dem Westen, die ausbleibenden Investitionen und die massive Kapitalflucht und Verunsicherung von Investoren.
    Heinemann: Und eine Zinserhöhung kann einen solchen schwachen Ölpreis dauerhaft zumindest nicht auffangen?
    Brüggmann: Ich glaube, dass sich Russland auf Dauer einen Leitzins in dieser Höhe überhaupt nicht leisten kann. Die russische Wirtschaft ist ja jetzt schon außerhalb des Rohstoffsektors nicht konkurrenzfähig, und selbst da darf man Fragezeichen noch mal anbringen, für den Rohstoffsektor. Wie soll denn ein Unternehmen, was ohnehin schon nur schwer mit Produkten auf dem Weltmarkt konkurrieren kann, dann noch konkurrieren mit Unternehmen, die in der Euro-Zone faktisch sich zu Nulltarifen refinanzieren können, und sie gleichzeitig dann selber 20 Prozent bezahlen müssen.
    "Die Auslandsverschuldung ist erheblich"
    Heinemann: Aber Russland verfügt ja über ein stattliches Devisenpolster. Die Staatsfinanzen sind solide und die Verschuldung sehr, sehr gering.
    Brüggmann: Die Auslandsverschuldung des Staates ist gering. Die Auslandsverschuldung von Unternehmen und des Bankensektors ist erheblich. Auch die Privatverschuldung in Russland ist erheblich. Konsumentenkredite werden immer stärker jetzt unter Druck geraten, vor allen Dingen in ausländischen Währungen, Hypothekenkredite für Wohnungs- und Häuserkäufe. Das ist alles richtig, dass Russland relativ stabile Finanzen hat. Nur wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Zentralbank seit Jahresbeginn bereits 100 Milliarden ihrer 500 Milliarden Währungsreserven verbrannt hat, um den Rubel zu stabilisieren. Passiert ist das Gegenteil!
    Heinemann: Aber, Herr Brüggmann, Sie haben es eben schon mal angedeutet. Noch mal genau gefragt: Welche Auswirkungen hat ein hoher Leitzins für die russische Wirtschaft, für das produzierende Gewerbe?
    Brüggmann: Der Leitzins bedeutet ja das, was die Banken für das Geld bezahlen müssen. 17 Prozent, das heißt: Wenn Sie ein mittelständisches Unternehmen sind, bekommen Sie von der Bank dann nur noch zu Risikoaufschlägen Geld. Bisher haben mir schon Unternehmen gesagt, als der Leitzins noch bei unter zehn Prozent war, sie müssten schon 16 Prozent bezahlen, und wüssten nicht, wie sie damit eigentlich noch wirtschaftlich arbeiten sollen. Bei 17 Prozent Leitzins heißt das, deutlich über 20 Prozent für ein mittelständisches Unternehmen. Das holen Sie auf dem Markt nicht raus. Gucken Sie sich auch die deutschen Investoren in Russland an, Volkswagen als Beispiel, bisher sehr, sehr gut gelaufen. Die Russen sind ja Autonarren. Aber bei 50 Prozent etwa Importbedarf an Autoteilen können Sie das nicht refinanzieren.
    Heinemann: Wir haben ja eben die Nationalbankpräsidentin gehört und Ähnliches hatte ja Präsident Putin kürzlich gesagt, Russland sei durchaus in der Lage, Importgüter, Autos, Maschinen, die Waren, die eingeführt werden, selbst herzustellen. Trauen Sie das der russischen Wirtschaft zu?
    Brüggmann: Was ich ihr zutraue ist vielleicht gar nicht so wichtig. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, dass der Chef der Sberbank - das ist das größte Geldinstitut im gesamten Osten Europas - neulich gesagt hat, dass Russland Hunderte von Milliarden Dollar bisher damit verbrannt hat, Importsubstituierung zu betreiben. Erreicht worden ist so gut wie nichts.
    Heinemann: Also gilt das Diktum von Helmut Schmidt: Obervolta mit Atomraketen.
    Brüggmann: So schlimm würde ich es natürlich niemals sagen. Aber die Russen haben natürlich ein ganz, ganz großes Problem. Herr Putin hat ihnen seit dem Jahr 2000 versprochen, die Wirtschaft zu diversifizieren, sie unabhängiger zu machen von den Rohstoff-Konjunkturpreisen. Was wir heute sehen ist ein fatales Kollabieren seiner Politik.
    "Außer Kalaschnikow und Kaviar gibt es eigentlich nichts, was im Westen nachgefragt wird"
    Heinemann: Wieso sind russische Waren zu schlecht für den Weltmarkt?
    Brüggmann: Außer Kalaschnikow und Kaviar gibt es eigentlich nichts, was im Westen nachgefragt wird. Es gibt ein paar Industrieprodukte, die in Indien oder so absetzbar sind, aber die Wahrheit ist doch, dass der russische Maschinenbau, der russische Automobilbau überhaupt nicht konkurrenzfähig ist. Es gibt ja auch kein russisches Auto mehr, was hergestellt wird. Selbst der große Hersteller Lada ist ja mittlerweile in Händen von Renault und Nissan.
    Heinemann: Wobei Kalaschnikow und Kaviar sehr erfolgreich sind, international gesehen - leider, müsste man vielleicht in einem Fall mindestens hinzufügen. - Der Internationale Währungsfonds schätzt, Sie haben das auch eben schon mal gesagt, dass in diesem Jahr rund 150 Milliarden Dollar aus Russland abgezogen sind. Präsident Putin hat jetzt eine Amnestie für Kapitalflüchtlinge in Aussicht gestellt. Was bedeutet ein solcher Kapitalabfluss für eine Wirtschaft, für einen Geldkreislauf auch?
    Brüggmann: Ja das ist natürlich verheerend, vor allen Dingen, weil es der lebende Misstrauensbeweis gegenüber Herrn Putin ist in Form der Brieftasche. Die großen Unternehmer vertrauen ihrem Land und ihrem Präsidenten nicht mehr. Sie fühlen sich sicherer im Ausland, obwohl es ihnen ja bis heute schon dort eigentlich verboten ist, Kapital anzuhäufen. Aber natürlich haben die jüngsten Fälle von Oligarchen, die inhaftiert wurden, die dann während ihres Hausarrests um ihre Unternehmensbeteiligung gebracht wurden, nicht dazu beigetragen, diesem Werben Putins wirklich nachzugeben.
    Heinemann: Wenn man das alles zusammenfasst, dann steht Russland wirtschaftlich einigermaßen mit dem Rücken an der Wand. Jetzt die Frage zu Ihrer Beobachtung als langjähriger Russland-Korrespondent: Macht das eine Regierung oder könnte das einen Wladimir Putin verhandlungsbereiter machen?
    Brüggmann: Ich glaube, er wird erst mal bocken, auf internationaler Bühne bocken. Was er jetzt zuhause machen wird, wenn diese Maßnahmen nicht fruchten, die jetzt heute Nacht eingeleitet worden sind, da wird es jetzt wahrscheinlich relativ schnell eine Regierungsumbildung geben, um den Schuldigen zu finden, um sich aus der Schusslinie zu nehmen. Der Ministerpräsident Medwedew ist ja ohnehin nicht besonders beliebt. Man wird da jetzt versuchen, erst mal zu taktieren und zu tricksen und sich über die langen Weihnachts- und Neujahrsfeierlichkeiten Russlands hinüberzuretten, die ja bis 15. Januar gehen. Da will man Zeit gewinnen. Und ansonsten wird er sehen, ob sich irgendwas stabilisieren lässt. Wenn nicht, dann hat er ein Problem auf internationaler Bühne.
    Heinemann: Aus Ihrer Sicht, wie lange geht das aus Putins Betrachtungsweise noch gut?
    Brüggmann: Ich glaube, wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass Putins Regentschaft schnell endet. Aber wenn sie anfängt, wirklich massiv zu bröckeln, dann wird es sehr schnell gehen.
    Heinemann: Mathias Brüggmann, internationaler Korrespondent und Osteuropafachmann der Zeitung "Handelsblatt". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Brüggmann: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.