Zurheide: "Das waren Chaostage," Dieses Urteil stammt nicht aus journalistischer Feder, es stammt von Wolfgang Clement. Der Mann ist immerhin noch Minister für Wirtschaft und Arbeit und stellvertretender Parteivorsitzender in der SPD. Allerdings, sein Amt wird er zur Verfügung stellen. Wir haben gerade gehört, da wird dann neu gewählt werden. Allerdings, wie kommt das alles bei der Basis an? Darüber wollen wir jetzt reden. Ich begrüße ganz herzlich Karsten Rudolph, den stellvertretenden Vorsitzenden des größten Landesverbandes, der nordrhein-westfälischen SPD. Herr Rudolph, zunächst einmal, an der NRW-Basis, da gibt es Ärger, da werden Parteibücher zurückgegeben. Mit welcher Begründung?
Rudolph: Ja, die Begründung ist, dass in vielen Teilen der Partei große Unruhe deshalb herrscht, weil man sich darüber wundert, mit welcher Unprofessionalität dieses beschämende Ereignis vonstatten gegangen ist. Es liegt sicherlich auch daran, dass natürlich Franz Müntefering aus Nordrhein-Westfalen kommt, hier Landesvorsitzender war, hier auch Minister war und hier seine Basis hatte.
Zurheide: Und dann gibt es heftigen Unmut über diejenigen, die auf der einen Seite gegen Müntefering gestimmt haben und jetzt möglicherweise aufsteigen. Was wird da gesagt?
Rudolph: Die Beobachtung der einfachen Mitglieder, die sich jetzt da empören, zeigt noch mal, dass es zwei Sichten auf diesen ganzen Fall gibt. Es gibt offensichtlich eine sehr starke Binnensicht von Parteivorstandsmitgliedern, die versuchen, zu erklären, was da passiert ist. Und es gibt eine Sicht von Menschen, die nicht jeden Tag in der Partei sind und nicht in den Gremien sitzen, und die uns einfach fragen: Habt Ihr nicht im Auge, dass es dabei nicht nur um Personen geht, sondern auch um die Stärke und um die Politik unserer Partei, die in schwierigen Koalitionsverhandlungen ist? Also, wer nicht Anhängsel einer großen Koalition, sondern Schrittmacher einen großen Koalition sein will, der darf nicht solche Personalspielchen machen.
Zurheide: Das alles wird in Nordrhein-Westfalen ja noch überlagert durch eine personelle Geschichte, die ja auch eine persönliche, eine familiäre ist: Der Landesvorsitzende heißt Jochen Dieckmann und seine Frau steigt jetzt auf in dieses Gremium, obwohl sie auch gegen Müntefering gestimmt hat. Das sorgt für Ärger?
Rudolph: Ja klar. Es gibt natürlich Unmut über Vorstandsmitglieder auch aus Nordrhein-Westfalen, von denen man vorher nicht genau wusste, wie sie sich verhalten. Und die allgemeine Erwartung in Nordrhein-Westfalen war natürlich, dass man den Parteichef, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, in einer solch schwierigen Situation, wenn auf gleicher Augenhöhe mit Frau Merkel verhandelt werden soll, einfach unterstützt. Und dann die Vorlieben für die ein oder andere Person bei der Frage des Generalsekretärsposten zurückstellt. Nicht, um jetzt, dass seine angeblich autoritäre Führung noch mal zu bestätigen, sondern um die Interessen der Gesamtpartei und der Politik im Auge zu behalten.
Zurheide: Wie sieht das denn überhaupt im Moment aus? Diejenigen, die gegen Müntefering optiert oder gegen seinen Generalsekretär optiert haben, führen ja immer an, dass die Partei gestärkt werden muss. Im Moment ist sie doch eher geschwächt worden in diesem ganzen Spiel, oder?
Rudolph: Ja, das ist mein Eindruck. Dahinter steckt sicherlich ein strategischer Konflikt und eine unterschiedliche Einschätzung. Ich glaube, es ist falsch, zu meinen, man könne die große Koalition so als Spielball betrachten, das hinnehmen und nebenherlaufen lassen und dann eigentlich den roten Stern der SPD glühen lassen mit Diskussionen in der Partei. Richtig ist, glaube ich, dass die große Koalition, wenn man sie verabredet, für vier Jahre unser Standbein ist, und dass man dann natürlich Diskussionen braucht, sich öffnen muss, Zukunftsfragen auch kontrovers diskutieren darf. Aber ich glaube, bei manchen fehlt es an der Einsicht, die darin besteht: Erfolge sozialdemokratischer Politik führen, wenn man in einer Koalition ist - gerade in einer großen Koalition -, die Menschen unterscheiden nämlich da nicht die Partei, die einerseits das macht und andererseits dann in einer großen Koalition was anderes macht.
Zurheide: Auf der anderen Seite stehen Sie genau in der Gefahr, dass das natürlich jetzt bei den Koalitionsverhandlungen passiert. Ich will nur ein Stichwort herausgreifen: die Mehrwertsteuererhöhung. In welcher Form, wissen wir nicht, aber dass sie kommen wird, scheint wohl angesichts der Finanzlage klar zu sein. Im Wahlkampf haben Sie das Gegenteil gesagt. Da haben Sie noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten? Es gibt Kritik.
Rudolph: Ja klar. Ich meine, die Verhandlungsposition der SPD, um es mal gelinde zu sagen, ist nicht gestärkt worden durch das, was wir da erlebt haben in den letzten Tagen. Das gilt nicht nur für die Frage der Mehrwertsteuer, es gilt auch für andere Punkte. Es gibt darüber hinaus aber natürlich einen ganz klaren, sachlichen Zielkonflikt. Und der besteht eben darin, dass wir einerseits sehen: Staatliche Aufgaben sind strukturell unterfinanziert in diesem Land und deswegen muss der Staat viel zu viele Schulden machen, einerseits. Andererseits, wenn man dieses Defizit durch höhere Steuern - welche auch immer - wegbekommen will, stößt man in eine konjunkturelle Lage, die im Grunde genommen keine weiteren Steuererhöhungen - zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls - ermöglichen. Das ist der Zielkonflikt. Und man kann, glaube ich, nur darauf antworten mit einer klugen Politik der gezielten Erhöhung von Steuern, einerseits. Und das geht nur, glaube ich, wenn man gleichzeitig versucht, auch gezielte Investitionen der öffentlichen Hände in koordinierter Form zustande zu bringen.
Zurheide: Und auf der anderen Seite das Stichwort "soziale Gerechtigkeit". Gerade Sie in Nordrhein-Westfalen haben immer gesagt: Wir sind so etwas wie das soziale Gewissen der Partei. Und die Wählerinnen und Wähler vor allen Dingen im Ruhrgebiet, die noch immer bei Ihnen stehen, die verlangen so was. Wo sehen Sie denn diesen Anspruch verwirklicht?
Rudolph: Gut, das sind, glaube ich, zwei Dinge, auf die geachtet werden müssen. Das eine ist sicherlich der Schutz vor Risiken, vor Arbeitslosigkeit, vor Krankheit, wo wir darauf achten. Und da finde ich es gut, dass der Franz Müntefering als Arbeitsminister und Minister für soziale Sicherheit darauf achtet. Und da muss er auch wirklich stark genug sein, um das in der Koalition durchzusetzen. Das Zweite ist aber, glaube ich - und das wird nicht immer so deutlich erkannt -, dass in der deutschen Gesellschaft zu wenig soziale Mobilität nach oben besteht. Alles ist ziemlich stark verkrustet. Soziale Gerechtigkeit heißt auch, dass wir da Grenzen wegpacken, dass wir Wege eröffnen für Menschen, dass die, die fleißig sind, die gut gelernt haben, auch wieder eine Perspektive haben und beruflich, sozial vorankommen.
Zurheide: Aber Pisa sagt doch da gerade, dass Sie da grandios gescheitert sind.
Rudolph: Ja, das sagt vor allen Dingen, dass nur bestimmte Gruppen vorankommen. Das bestätigt ja meine These, dass zu wenig Aufstiegsmobilität und zu wenig Chancengleichheit besteht in diesem Land. Und deswegen muss sich gerade in der Bildungs- und Wissenschafts- und Forschungspolitik was tun, damit nicht nur die wenigen aufsteigen können, denen es schon bei der Geburt mitgegeben wurde, sozial vererbt wurde. Sondern wir müssen stärker darauf achten, dass die gefördert werden, die es eben nicht vom Elternhaus mitbekommen haben. Und das muss eine Querschnittsaufgabe sein, quer durch alle Politikfelder. Vom Kindergarten an, die Schule ist manchmal schon zu spät.
Rudolph: Ja, die Begründung ist, dass in vielen Teilen der Partei große Unruhe deshalb herrscht, weil man sich darüber wundert, mit welcher Unprofessionalität dieses beschämende Ereignis vonstatten gegangen ist. Es liegt sicherlich auch daran, dass natürlich Franz Müntefering aus Nordrhein-Westfalen kommt, hier Landesvorsitzender war, hier auch Minister war und hier seine Basis hatte.
Zurheide: Und dann gibt es heftigen Unmut über diejenigen, die auf der einen Seite gegen Müntefering gestimmt haben und jetzt möglicherweise aufsteigen. Was wird da gesagt?
Rudolph: Die Beobachtung der einfachen Mitglieder, die sich jetzt da empören, zeigt noch mal, dass es zwei Sichten auf diesen ganzen Fall gibt. Es gibt offensichtlich eine sehr starke Binnensicht von Parteivorstandsmitgliedern, die versuchen, zu erklären, was da passiert ist. Und es gibt eine Sicht von Menschen, die nicht jeden Tag in der Partei sind und nicht in den Gremien sitzen, und die uns einfach fragen: Habt Ihr nicht im Auge, dass es dabei nicht nur um Personen geht, sondern auch um die Stärke und um die Politik unserer Partei, die in schwierigen Koalitionsverhandlungen ist? Also, wer nicht Anhängsel einer großen Koalition, sondern Schrittmacher einen großen Koalition sein will, der darf nicht solche Personalspielchen machen.
Zurheide: Das alles wird in Nordrhein-Westfalen ja noch überlagert durch eine personelle Geschichte, die ja auch eine persönliche, eine familiäre ist: Der Landesvorsitzende heißt Jochen Dieckmann und seine Frau steigt jetzt auf in dieses Gremium, obwohl sie auch gegen Müntefering gestimmt hat. Das sorgt für Ärger?
Rudolph: Ja klar. Es gibt natürlich Unmut über Vorstandsmitglieder auch aus Nordrhein-Westfalen, von denen man vorher nicht genau wusste, wie sie sich verhalten. Und die allgemeine Erwartung in Nordrhein-Westfalen war natürlich, dass man den Parteichef, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, in einer solch schwierigen Situation, wenn auf gleicher Augenhöhe mit Frau Merkel verhandelt werden soll, einfach unterstützt. Und dann die Vorlieben für die ein oder andere Person bei der Frage des Generalsekretärsposten zurückstellt. Nicht, um jetzt, dass seine angeblich autoritäre Führung noch mal zu bestätigen, sondern um die Interessen der Gesamtpartei und der Politik im Auge zu behalten.
Zurheide: Wie sieht das denn überhaupt im Moment aus? Diejenigen, die gegen Müntefering optiert oder gegen seinen Generalsekretär optiert haben, führen ja immer an, dass die Partei gestärkt werden muss. Im Moment ist sie doch eher geschwächt worden in diesem ganzen Spiel, oder?
Rudolph: Ja, das ist mein Eindruck. Dahinter steckt sicherlich ein strategischer Konflikt und eine unterschiedliche Einschätzung. Ich glaube, es ist falsch, zu meinen, man könne die große Koalition so als Spielball betrachten, das hinnehmen und nebenherlaufen lassen und dann eigentlich den roten Stern der SPD glühen lassen mit Diskussionen in der Partei. Richtig ist, glaube ich, dass die große Koalition, wenn man sie verabredet, für vier Jahre unser Standbein ist, und dass man dann natürlich Diskussionen braucht, sich öffnen muss, Zukunftsfragen auch kontrovers diskutieren darf. Aber ich glaube, bei manchen fehlt es an der Einsicht, die darin besteht: Erfolge sozialdemokratischer Politik führen, wenn man in einer Koalition ist - gerade in einer großen Koalition -, die Menschen unterscheiden nämlich da nicht die Partei, die einerseits das macht und andererseits dann in einer großen Koalition was anderes macht.
Zurheide: Auf der anderen Seite stehen Sie genau in der Gefahr, dass das natürlich jetzt bei den Koalitionsverhandlungen passiert. Ich will nur ein Stichwort herausgreifen: die Mehrwertsteuererhöhung. In welcher Form, wissen wir nicht, aber dass sie kommen wird, scheint wohl angesichts der Finanzlage klar zu sein. Im Wahlkampf haben Sie das Gegenteil gesagt. Da haben Sie noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten? Es gibt Kritik.
Rudolph: Ja klar. Ich meine, die Verhandlungsposition der SPD, um es mal gelinde zu sagen, ist nicht gestärkt worden durch das, was wir da erlebt haben in den letzten Tagen. Das gilt nicht nur für die Frage der Mehrwertsteuer, es gilt auch für andere Punkte. Es gibt darüber hinaus aber natürlich einen ganz klaren, sachlichen Zielkonflikt. Und der besteht eben darin, dass wir einerseits sehen: Staatliche Aufgaben sind strukturell unterfinanziert in diesem Land und deswegen muss der Staat viel zu viele Schulden machen, einerseits. Andererseits, wenn man dieses Defizit durch höhere Steuern - welche auch immer - wegbekommen will, stößt man in eine konjunkturelle Lage, die im Grunde genommen keine weiteren Steuererhöhungen - zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls - ermöglichen. Das ist der Zielkonflikt. Und man kann, glaube ich, nur darauf antworten mit einer klugen Politik der gezielten Erhöhung von Steuern, einerseits. Und das geht nur, glaube ich, wenn man gleichzeitig versucht, auch gezielte Investitionen der öffentlichen Hände in koordinierter Form zustande zu bringen.
Zurheide: Und auf der anderen Seite das Stichwort "soziale Gerechtigkeit". Gerade Sie in Nordrhein-Westfalen haben immer gesagt: Wir sind so etwas wie das soziale Gewissen der Partei. Und die Wählerinnen und Wähler vor allen Dingen im Ruhrgebiet, die noch immer bei Ihnen stehen, die verlangen so was. Wo sehen Sie denn diesen Anspruch verwirklicht?
Rudolph: Gut, das sind, glaube ich, zwei Dinge, auf die geachtet werden müssen. Das eine ist sicherlich der Schutz vor Risiken, vor Arbeitslosigkeit, vor Krankheit, wo wir darauf achten. Und da finde ich es gut, dass der Franz Müntefering als Arbeitsminister und Minister für soziale Sicherheit darauf achtet. Und da muss er auch wirklich stark genug sein, um das in der Koalition durchzusetzen. Das Zweite ist aber, glaube ich - und das wird nicht immer so deutlich erkannt -, dass in der deutschen Gesellschaft zu wenig soziale Mobilität nach oben besteht. Alles ist ziemlich stark verkrustet. Soziale Gerechtigkeit heißt auch, dass wir da Grenzen wegpacken, dass wir Wege eröffnen für Menschen, dass die, die fleißig sind, die gut gelernt haben, auch wieder eine Perspektive haben und beruflich, sozial vorankommen.
Zurheide: Aber Pisa sagt doch da gerade, dass Sie da grandios gescheitert sind.
Rudolph: Ja, das sagt vor allen Dingen, dass nur bestimmte Gruppen vorankommen. Das bestätigt ja meine These, dass zu wenig Aufstiegsmobilität und zu wenig Chancengleichheit besteht in diesem Land. Und deswegen muss sich gerade in der Bildungs- und Wissenschafts- und Forschungspolitik was tun, damit nicht nur die wenigen aufsteigen können, denen es schon bei der Geburt mitgegeben wurde, sozial vererbt wurde. Sondern wir müssen stärker darauf achten, dass die gefördert werden, die es eben nicht vom Elternhaus mitbekommen haben. Und das muss eine Querschnittsaufgabe sein, quer durch alle Politikfelder. Vom Kindergarten an, die Schule ist manchmal schon zu spät.