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Rücker: Lage im Kosovo ist unhaltbar

Der UNO-Sonderbeauftragte für das Kosovo, Joachim Rücker, hat eine baldige Entscheidung des Sicherheitsrates über den künftigen Status der serbischen Provinz angemahnt. Ohne Klarheit in der Status-Frage komme das Kosovo auch ökonomisch nicht voran, sagte Rücker. Derzeit sei die Lage zwar stabil, aber die Menschen brauchten eine Perspektive. Rücker äußerte sich zuversichtlich, dass der Sicherheitsrat sich auf eine Resolution verständigen werde.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Heute stimmt der Bundestag über eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo ab innerhalb der internationalen Streitkräfte KFOR. Die Verlängerung des Mandates gilt als sicher, unproblematisch ist dieser Einsatz, denn es ist in der letzten Zeit ruhig geblieben im Kosovo. Allerdings könnte sich das ändern, denn die Statusverhandlungen über eine Unabhängigkeit, die die Kosovo-Albaner sich wünschen und die Serben ablehnen, belasten die Situation vor Ort. Seit März liegt der Plan für eine schrittweise Unabhängigkeit beim UN-Sicherheitsrat, aber Russland, traditionell Verbündeter von Serbien, droht, dagegen sein Veto einzulegen. Daran ändert auch ein neuer von der USA und Europa verfasster Entwurf für eine UNO-Resolution nichts.

    Am Telefon ist jetzt Joachim Rücker, UN-Sonderbeauftragter für den Kosovo und Leiter der UNMIK, der dortigen Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen. Guten Morgen.

    Joachim Rücker: Guten Morgen, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Rücker, sehen Sie auch, dass die ruhige Lage im Kosovo umschlagen könnte, und ist die Geduld der Bevölkerung dort am Ende?

    Rücker: Die Geduld ist schon strapaziert, das ist keine Frage. Wenn Sie zurückdenken, dann liegt ja der Beginn dieses Statusprozesses, selbst im engeren Sinne, im Jahr 2005, als der damalige Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, der Status quo ist nicht haltbar. Dann wurde der Sonderbeauftragte Martti Ahtisaari eingesetzt, der frühere finnische Staatspräsident, der nach weit über einem Jahr Verhandlungen einen sehr ausgewogenen Vorschlag jetzt dem Sicherheitsrat vorgelegt hat, der nach Auffassung des UN-Generalsekretärs alle Elemente einer fairen und nachhaltigen Lösung enthält. Und da wartet man hier natürlich schon drauf, dass jetzt auch der Sicherheitsrat entscheidet. Das ist keine Frage.

    Kaess: Die Nicht-Regierungsorganisation "International Crysis Group" spricht von einem fragilen Sommer, den man erleben werde. Was heißt das?

    Rücker: Wir haben stabile Verhältnisse, aber es ist natürlich schon Druck im Kessel. Die Leute brauchen eine Perspektive. Es ist nichts schlimmer als die Unsicherheit. Ich glaube, das ist überall so. Und deshalb sind wir schon sehr daran interessiert, dass der Sicherheitsrat eine baldige Entscheidung trifft.

    Kaess: Was heißt denn konkret "Druck im Kessel"?

    Rücker: Ja, wir sind an einem Punkt, wo wir politisch nicht mehr richtig weiterkommen, etwa in der Implementierung der berühmten Standards, in der Implementierung unseres Mandats. Denken Sie etwa an Dinge wie die Flüchtlingsrückkehr, wo wir auch ökonomisch nicht mehr weiterkommen im Kosovo. Und die ökonomische Entwicklung ist nicht so gut, ohne dass wir Klarheit in der Statusfrage haben.

    Kaess: Heißt das auch ganz konkret, dass Unruhen ausbrechen könnten?

    Rücker: So weit will ich jetzt nicht gehen. Natürlich gibt es immer Entwicklungen, die Extremisten begünstigen. Aber das will ich jetzt gar nicht an die Wand malen. Die politische und wirtschaftliche Lage ist nicht haltbar.

    Kaess: Es sind jetzt im Moment mehr als 15.000 KFOR-Soldaten vor Ort, das größte Truppenkontingent ist das deutsche. Dazu kommen Tausende Mitarbeiter von internationalen Organisationen. Hängt die Stabilität in der Region immer noch von ihnen ab?

    Rücker: Das ist ein wichtiges Element für ein sicheres Umfeld, ohne Frage.

    Kaess: Aber was heißt das für die Zukunft? Welche Aussichten hat der Kosovo, wenn diese Strukturen nicht mehr vorhanden sind?

    Rücker: Das ist im Ahtisaari-Plan ja ziemlich klar beschrieben, da wird davon ausgegangen, dass es eben auch nach dem Status eine internationale zivile Präsenz gibt unter Leitung der EU, und es wird eben auch eine internationale militärische Präsenz geben. Die wird am Anfang so ähnlich aussehen, davon kann man ausgehen, wie KFOR jetzt. Und dann wird das überprüft. Im Ahtisaari-Plan steht nach zwei Jahren.

    Kaess: Und auf lange Sicht gesehen, kann der Kosovo ohne diese ganzen Strukturen alleine selbstständig überleben?

    Rücker: Nun, der Kosovo hat ja wie viele andere auch hier die europäische Perspektive. Die Europäische Union hat in ihrem Gipfel von Thessaloniki dem Balkan und eben gerade auch dem westlichen Balkan im früheren Jugoslawien die europäische Perspektive gegeben. Und der Kosovo wird die Möglichkeit haben, in einigen Jahren dann der Europäischen Union anzugehören, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Und ich denke, das ist die Perspektive, das ist die Vision.

    Kaess: Sie haben schon kurz die wirtschaftliche Entwicklung angesprochen. Was bedeutet die momentane Ungewissheit in diesem Bereich?

    Rücker: Das bedeutet, dass man bei relativ niedrigen Sozialprodukt pro Kopf und hoher Arbeitslosigkeit auf der Stelle tritt. So hat zum Beispiel die CCK in Belgrad, das ist eine Behörde, die sozusagen sich für das Kosovo zuständig erachtet, die hat gesagt, das sei eine der wichtigsten Erfolge gewesen im Jahr 2006, dass man Schlüsselprivatisierungen im Kosovo verhindert habe, die ihrerseits wieder wirtschaftliche Entwicklung bewirkt hätten. Ich sage das nur deshalb, dass man sieht, man tritt einfach auf der Stelle ohne Status.

    Kaess: Wie riskant wäre denn eine Unabhängigkeit für die serbische Minderheit im Kosovo?

    Rücker: Nun, der Ahtisaari-Plan hat ganz klare Bestimmungen darüber, dass die Minderheiten im Kosovo nicht nur geschützt sind - das ist eine Selbstverständlichkeit -, sondern dass sie auch die vollen politischen und wirtschaftlichen Perspektiven haben. Das ist eine sehr gute Basis. Der UN-Generalsekretär hat nicht umsonst gesagt, der Ahtisaari-Plan hat alle Elemente für eine faire und nachhaltige Lösung, gerade im Hinblick auf die Rechte und den Schutz der Minderheit.

    Kaess: Und glaubt die serbische Minderheit im Kosovo auch daran?

    Rücker: Das sehen wir zunehmend, dass man sich öffnet dem Ahtisaari-Plan und dass man sich den Realitäten öffnet. Die offizielle Position ist oft so, dass man sagt, man möchte das nicht, aber wenn sie mit den Menschen hier reden, dann ist denen vor allem wichtig, dass sie eine politische Klarheit haben, dass sie Arbeitsplätze haben, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Gang kommt.

    Kaess: Nun hängen die Statusverhandlungen fest. Die USA und die EU sind sich auch nach wie vor nicht einig, wie sie mit der Position Russlands umgehen sollen. Wäre denn eine einseitige Anerkennung eines unabhängigen Kosovo, so wie US-Präsident Bush sie schon einmal angekündigt hat, wäre die sinnvoll?

    Rücker: Darüber will ich nicht spekulieren, denn ich denke, wir haben weiterhin volles Vertrauen, dass der Sicherheitsrat eine Resolution zu Kosovo verabschieden wird, die dann die Grundlage bietet für die zukünftige Entwicklung.

    Kaess: Was macht Sie da optimistisch?

    Rücker: Das ist ein von den UN geführter Prozess von A bis Z, der hat 1999 angefangen. Und ich habe volles Vertrauen, dass die UN diesen Prozess auch zu einem guten Ende bringen werden.

    Kaess: Russland fordert auf der anderen Seite, dass Serben und Albaner noch mal zusammen eine Lösung finden. Wie realistisch ist das denn?

    Rücker: Darüber will ich jetzt auch nicht spekulieren. Wir wissen, dass in der Statusfrage die Meinungen weit auseinander gehen, und in vielen anderen Dingen hat man ja im Ahtisaari-Paket durchaus Überlappungen der gegenseitigen Standpunkte gefunden.

    Kaess: Nun gibt es verschiedene Ratgeber, unter anderem will nun auch der französische Außenminister Bernard Kouchner, ehemals UN-Gouverneur, in den Kosovo reisen und will die Regierung vor Ort um weitere Geduld bitten. Wie reagiert man denn in Priština auf solche Ratschläge?

    Rücker: Ja, das Wort Geduld hat man nun sehr viel gehört in den letzten Jahren, in den letzen Monaten, und ich denke, man hat auch Geduld gezeigt. Das ist auch unsere Aufgabe hier als UNMIK, weiterhin am Erwartungs-Management mitzuwirken und um Geduld zu bitten, aber natürlich ist die Erwartung hier schon so, dass jetzt es zu einer Lösung kommen sollte.

    Kaess: Macht der Westen eventuell Hoffnung auf eine Unabhängigkeit, die eventuell nie kommen wird? Besteht diese Möglichkeit?

    Rücker: Also ich denke, dass alle engagiert sind, alle engagiert sind, sowohl in der Kontaktgruppe als auch im Sicherheitsrat selbst, um wirklich eine Lösung zu kriegen. Ich würde keiner Partei den guten Willen absprechen, zu einer guten Lösung zu kommen.

    Kaess: Joachim Rücker, UN-Sonderbeauftragter für den Kosovo und Leiter der UNMIK, der dortigen Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen. Vielen Dank.

    Rücker: Gerne, ciao.