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"Rückfall in Denkmuster der 80er Jahre"

Der Sprecher der "Klima-Allianz", Jürgen Maier, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Kehrtwende in der Klimapolitik vorgeworfen. Anstatt in der Wirtschaftskrise verstärkt auf Erneuerbare Energien zu setzen und dort Arbeitsplätze zu schaffen, trete die Regierung auf die Bremse. Wer jetzt die Konjunkturkrise als Ausrede nehme, keine Investitionen in zukunftsfähige Technologien zu machen, der mache alles falsch, so Maier.

Jürgen Maier im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Angela Merkel: Ich bekenne mich zu dem Vorschlag, die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union bis zum Jahre 2020 um 20 Prozent zu senken. Wenn andere internationale Player auch dabei sind, werden wir auch 30 Prozent Senkung ins Auge nehmen. Wir werden in dieser Phase bis 2020 den Beweis erbringen müssen - und wir wollen das auch -, dass Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnt werden können und Strategien entwickelt werden können, die sowohl Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze möglich machen als auch einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt ermöglichen. Das ist die große Aufgabe, vor der wir stehen.

    Stefan Heinlein: Beifall im März 2007 für die Regierungserklärung der Klimakanzlerin. Lange schmückte sich Angela Merkel gerne mit diesem Titel. Doch unter dem Eindruck der drohenden Rezession scheint sich die Berliner Prioritätenliste zu verschieben. Kein Klimaschutz auf Kosten deutscher Arbeitsplätze, so das neue Kredo aus dem Kanzleramt. Auf dem heute beginnenden EU-Gipfel scheint die Bundesregierung entschlossen, im Bremserhäuschen zu sitzen. Berlin verlangt Ausnahmeregelungen und Sonderrechte für die heimische Industrie. Das Brüsseler Klimapaket droht damit, zum windelweichen Kompromisspapier zu schrumpfen. Parallel zum EU-Gipfel tagt derzeit in Posen die UN-Klimakonferenz, um neue Rezepte gegen die drohende Klimakatastrophe zu erörtern. Auch dort kommen die Verhandlungen nur schleppend voran. Und in Posen begrüße ich jetzt Jürgen Maier. Er ist Geschäftsführer des "Forum Umwelt und Entwicklung" und einer der Sprecher der Klimaallianz, ein Bündnis deutscher Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. Guten Morgen, Herr Maier!

    Jürgen Maier: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Maier, Sie haben die Kanzlerin gerade noch einmal gehört. Große Worte von der Kanzlerin. Ist Angela Merkel auf dem Weg, diesen großen Worten auch große Taten folgen zu lassen?

    Maier: Es sieht im Augenblick überhaupt nicht danach aus. Im Augenblick sehen wir eher einen Rückfall in Denkmuster der 80er Jahre. Sie erinnern sich vielleicht: auch damals hieß es immer, Rauchgasentschwefelung können wir uns nicht leisten, das gefährdet Arbeitsplätze. Wir haben inzwischen das Gegenteil gesehen. Wir haben in Deutschland durch Klimaschutz sehr viele Arbeitsplätze geschaffen, 250.000 alleine in den Erneuerbaren Energien. Das, was wir jetzt zurzeit aus dem Mund der Kanzlerin hören, ist wirklich ein finsterer Rückfall ins letzte Jahrhundert.

    Heinlein: Sind Sie enttäuscht von der Bundeskanzlerin? Haben Sie tatsächlich auf die Erfüllung der Ankündigungen gehofft?

    Maier: Natürlich sind wir, glaube ich, enttäuscht. Sehr viele Leute sind von ihr enttäuscht. Auch hier in Posen bei der UN-Klimakonferenz sind sehr viele internationale Teilnehmer sehr enttäuscht von dem, was wir in den letzten Wochen aus dem Kanzleramt sehen mussten. Die letzten Jahre haben ja durchaus gezeigt, dass man mit Klimaschutz auch ernst gemacht hat, und jetzt auf einen Schlag ist alles vergessen und vorbei. Das hat eigentlich in der Form niemand erwartet.

    Heinlein: Aber im März 2007, Herr Maier, zur Zeit der Regierungserklärung, war von der Wirtschaftskrise noch nichts zu sehen. Hat Angela Merkel als Bundeskanzlerin angesichts dieser globalen Rezession nicht die Pflicht, die Prioritäten anders zu setzen und die heimische Wirtschaft zu schützen?

    Maier: Das ist es ja gerade, dass man glaubt, mit diesen alten Rezepten überholte wirtschaftliche Strukturen retten zu müssen. Das ist ja in Deutschland etwas, was wir schon lange kennen: Kohlesubventionen seit 50 Jahren. Eine nicht rentable Branche wird seit 50 Jahren mit Staatsgeldern gefüttert, damit sie noch ein bisschen überleben kann, während wir gleichzeitig die Zukunftsindustrien zwar auch ein bisschen unterstützen, aber viel weniger unterstützen, und da kommt viel mehr dabei heraus.
    Die Wirtschaftskrise ist ein Argument, mit dem Strukturwandel schneller zu machen und gerade nicht auf die Bremse zu treten. Das ist ja genau das Perverse, was jetzt im Augenblick stattfindet. Wir haben im Grunde eine Situation, wo wir sehr viel schneller Klimaschutz machen müssten, sehr viel schneller neue Strukturen aufbauen müssten, und machen das genaue Gegenteil.

    Heinlein: Warum gelingt es, Herr Maier, der Industrie offenbar, die Themen Konjunktur und Klimaschutz gegeneinander auszuspielen und die Politik auf die eigene Seite zu ziehen?

    Maier: Die Stromkonzerne sind nach wie vor sehr gut vernetzt in den Parteien. Es gibt nach wie vor im Grunde Leute, die im Bundestag sitzen, um die Interessen bestimmter Firmen zu vertreten, bestimmter Stromkonzerne zu vertreten, und diese Netzwerke haben gerade bei den Stromkonzernen schon immer sehr gut funktioniert und jetzt funktionieren sie gerade wieder besonders gut. Wenn Sie in der Zeitung lesen müssen, dass Herr Großmann von RWE zurzeit kaum Zeit hat, sich um seinen eigenen Aufsichtsrat zu kümmern, weil er permanent damit beschäftigt ist, im Kanzleramt dafür zu sorgen, den Emissionshandel zu neutralisieren, dann sagt das ja schon alles.

    Heinlein: Und diese Lobbyarbeit hat also Erfolg?

    Maier: Die hat offensichtlich sehr großen Erfolg.

    Heinlein: Aber sind Arbeitsplätze und Investitionen tatsächlich nicht wichtiger als der Klimaschutz? Kann man sich dieser Logik verschließen?

    Maier: Die Arbeitsplätze, die der Klimaschutz geschaffen hat, sind viel mehr als die Arbeitsplätze, die man retten will durch irgendwelche Maßnahmen, die eben weniger Klimaschutz bedeuten. Wer jetzt die Wirtschaftskrise als Ausrede nimmt, keine Investitionen in zukunftsfähige Technologien zu machen, der macht alles falsch.

    Heinlein: Dennoch, Herr Maier, wenn in anderen Ländern wegen fehlender Umwelt- und Klimaauflagen billiger produziert werden kann, dann wandern Unternehmen ab. Das ist wirtschaftliche Logik. Und dies will die Bundesregierung nun verhindern. Deshalb die Kehrtwende, das neue Credo im Kanzleramt.

    Maier: Ich glaube, wenn sich das durchsetzt, dann wird Herr Obama in Kürze die Europäische Union überholen bei den zukunftsfähigen Branchen. Die japanische Stahlindustrie produziert effizienter als die deutsche, obwohl es dort bisher keinen Emissionshandel gibt. Die japanische Autoindustrie produziert effizientere Modelle als insbesondere die deutsche Automobilbranche, weil es dort offenbar der Politik durchaus gelungen ist, auch der Automobilbranche Vorgaben zu machen, die denen nicht gepasst haben. Bei uns hat die Automobilbranche es bisher immer geschafft, alle Vorgaben zu blockieren, und das Ergebnis sehen wir jetzt. Man ist nicht zukunftsfähig mit so etwas.

    Heinlein: Setzen Sie Ihre Hoffnungen also aktuell eher auf Obama als auf Merkel?

    Maier: Na ja, Obama ist natürlich noch gar nicht mal im Amt. Was der wirklich machen wird, das weiß wahrscheinlich er selber noch nicht, aber die Gefahr besteht schon. Wenn er die Chance wittert, die europäische Vorreiterrolle erst mal selber zu übernehmen, dann hat er im Augenblick alle Gelegenheit dazu, wenn sich das durchsetzt, was die Kanzlerin zurzeit betreibt. Da habe ich allerdings noch meine großen Zweifel. Ich glaube, die Kanzlerin hat komplett unterschätzt, wie sehr die Empörung auch in der deutschen Bevölkerung über das sich ausbreitet, was sie gerade macht.

    Heinlein: Wenn die Kehrtwende, vielleicht ein windelweiches Kompromisspapier in Brüssel auf diesem Gipfel verabschiedet werden wird, welche Auswirkungen hat das auf diesen UN-Klimagipfel in Posen, den Sie derzeit besuchen?

    Maier: Der Gipfel ist im Augenblick komplett gelähmt. Bisher hatten wir bei UN-Klimaverhandlungen immer eine europäische Vorreiterrolle und die Europäer haben die anderen mitgezogen. Im Augenblick passiert das nicht mehr.

    Heinlein: Ohne einen Erfolg in Brüssel wird auch Posen scheitern?

    Maier: Das kann man so sagen, ja.

    Heinlein: Also braucht der Klimaschutz deutsche und europäische Vorreiterrollen, damit sich international etwas bewegt?

    Maier: Er braucht überhaupt Vorreiterrollen. Das müssen nicht notwendigerweise die Deutschen und die Europäer sein, aber im Augenblick ist eben niemand anderes in Sicht. Im Augenblick dreht sich hier sozusagen alles im Kreis und alles starrt auf Brüssel und jeder ist ganz gespannt, was dort nun rauskommt. Aber offen gesagt, wenn in Brüssel Murks rauskommt, dann wird sich bei den UN-Klimaverhandlungen in den nächsten Monaten, glaube ich, auch nicht sehr viel bewegen.

    Heinlein: Von der UN-Klimakonferenz in Posen Jürgen Maier, einer der Sprecher der Klimaallianz. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Posen.