Heuer: Endlich hat die Republik wieder eine spannende an- und aufregende Debatte, die nämlich über die von Franz Müntefering geübte Kapitalismuskritik. Viel Stoff ist das zum lebhaften Diskutieren, von sozialer Ungerechtigkeit über Listen mit inkriminierten Unternehmen bis hin zu Heuschrecken. Auch das darf man offenbar wieder in Deutschland, Menschen mit Tiernamen benennen. Keine Frage, es ist viel los in den Gazetten, an den Stammtischen, in den Polittalkshows und bei den Wahlkämpfern in Nordrhein-Westfalen. Aber was kommt am Ende dabei heraus? Wir fragen Andreas Dörner, Politik- und Kommunikationswissenschaftler an der Uni Marburg, Autor eines vielbeachteten Buches mit dem sprechenden Titel "Politainment". Herr Professor Dörner, ist die Kapitalismusdebatte eine Form von "Politainment", also unterhaltende Politik?
Dörner: Ja, ich glaube schon, dass man das unter diesem Ticket abhandeln kann, weil es schon zu überraschenden Medieneffekten führt. Wenn man also vor den Tagesthemen sitzt und plötzlich sich in einer Debatte mit Ulli Wickert über Karl Marx und seiner Aktualität verstrickt sieht, wenn man lustige Schaubilder eingeblendet sieht, wo also Heuschrecken mit dem üblichen Kapitalismushut, den man eigentlich aus Karikaturen aus den zwanziger, dreißiger Jahren kennt, vorgesetzt bekommt, dann hat das zumindest schon einen Originalitäts- und Überraschungseffekt. Von daher würde ich sagen, dieser Rückgriff in die ideologische Mottenkiste ist zumindest eine gute Finte, um von anderen sachpolitischen Debatten abzulenken. Ich würde aber auch sagen, dass diese Metaphorik, die da nun bemüht wird, wo man ein bisschen die großen ideologischen Auseinandersetzungen früherer Zeiten erahnt, auch durchaus problematische Effekte zeitigt, wenn man etwa daran denkt, dass diese Vergleiche mit der Tierwelt doch arg unterkomplex sind und sehr drastische Maßnahmen nahe legen, was macht man mit Heuschreckenschwärmen, doch sicherlich nicht das, was man gemeinhin unter Wirtschaftspolitik versteht. Und es ist auch noch das Problem, dass es mit gewissen Glaubwürdigkeitsverlusten verbunden sein kann, wenn man aus so einem Meinungsmarketing heraus bestimmte Stimmungen aufgreifen will und dabei in arge Diskrepanzen zu dem gerät, was man ansonsten politisch vertritt. Dann kann es sein, dass, wie jetzt in den Umfragen deutlich wird, die Bürger zwar dieser Kritik spontan und unmittelbar zustimmen, auf der anderen Seite aber das nicht dazu führt, dass sie nun plötzlich SPD wählen, weil sie das nicht für ein glaubwürdiges Projekt halten.
Heuer: Dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen nützt es also nichts?
Dörner: Der Versuch ist klar. Man hat gesehen, um hier noch eine Mehrheit zu organisieren, wird es voraussichtlich nicht reichen. Was versucht man also? Die relativ geringen alten Stammwähler, die jetzt auch noch weggeschmolzen sind, noch mal zu mobilisieren, zu aktivieren. Ich glaube aber, dass das kein nachhaltiger Effekt sein wird. Sie haben immerhin noch zwei Wochen bis zu den Wahlen in NRW. Wahlentscheidungen fallen heutzutage immer kurzfristiger. Wenn dann die nächsten Nachrichten aus den Konjunkturvorhersagen oder vom Arbeitsmarkt kommen, dann wird diese lustige Metapher doch relativ schnell verpuffen.
Heuer: Sie haben gesagt, es handele sich bei der Kapitalismuskritik des SPD-Chefs um eine Finte. Nun fordern die ersten Sozialdemokraten konkrete Konsequenzen aus dieser Kritik. Sie wollen die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen bei Unternehmensverkäufen wieder rückgängig machen. Böse Falle für Franz Müntefering, oder?
Dörner: Ja, das ist ja genau das Problem. Auf der einen Seite wird eben diskutiert, und man kann im Augenblick mit Blick auf Großbritannien ja sehen, wie sozusagen eine alte sozialdemokratische Partei durch moderne Politik durchaus nachhaltig Erfolge in der Wirtschaft haben kann. Wenn man jetzt tatsächlich wieder auf die alten ideologischen Grabenkämpfe zurückkommt, dann gerät man in Zugzwang, weil es tatsächlich, wie wir wissen, in der SPD tatsächlich noch so etwas wie eine Linke gibt, auch wenn sie teilweise sozusagen schon ins Exil gegangen ist, und dann gibt es eben diese Diskrepanz zwischen symbolischer Politik und Sachpolitik, und ich glaube, das lässt sich auf Dauer von der SPD nicht ausbalancieren. Also man wird dann zurückrudern müssen. Man hofft ,dass sozusagen diese kurzfristige Diskussion vielleicht die Wahlen in NRW noch rausreißt, aber ich glaube nicht an diesen Effekt.
Heuer: Die Union, um auf die andere Seite des politischen Spektrums zu schauen, hält sich bemerkenswert zurück in der Kapitalismusdebatte. Dafür zettelt sie aber gleichzeitig eine EU-kritische Debatte an. Auch das trifft die Stimmungslage der Bürger und führt absehbar zu gar nichts. Ist das eine gelungene Inszenierung?
Dörner: Na ja, also ich denke, auf der einen Seite ist es für die Union, wenn man sich gerade die Situation in NRW anschaut, wo man mit Jürgen Rüttgers eine vergleichsweise blasse Figur an der Spitze stehen hat, geradezu ein kategorischer Imperativ, sich möglichst nicht zu bewegen, damit man auch auf nichts festgenagelt werden kann. Das einzige, was man da wirklich machen kann, ist, sich auf bestimmte populäre Klischees zu beziehen, das ist die Bürokratismuskritik oder die Fremdbestimmungskritik an der EU. Das ist aber auch, glaube ich, insgesamt kein Thema, also die EU-Politik, obwohl sie ja realpolitisch so relevant ist, mit dem man Wähler mobilisieren kann. Ich glaube fast, dass die andere Strategie, die Sie angesprochen haben, also sozusagen die Mikadopolitik, bloß nichts bewegen, bloß nichts antasten, in der Tat die erfolgreichere ist, weil bei der derzeitigen schlechten ökonomischen Lage man nur nichts machen muss, damit der schwarze Peter dann immer wieder bei der Regierung landet, und das ist in Nordrhein-Westfalen genauso wie in der Bundespolitik.
Heuer: Ein Kommentator nennt das, was wir im Augenblick beobachten können, das Prinzip des eskalierenden Geschwätzes. Guter Ausdruck, Herr Dörner?
Dörner: Ja, eskalierendes Geschwätz, ich finde es einerseits richtig, weil es sozusagen an den Sachthemen vorbeiführt, und was wir eigentlich brauchen, wäre ja eine gute Sachpolitik, die tatsächlich innovative Wege aus dieser Misere aufzeigt. Das eskalierende Geschwätz ist insofern auch ein guter Begriff, weil hier diese Inflationierungsgefahr mit aufscheint, die da mit drinsteckt. Also wenn man sozusagen immer größere Kaliber auffährt wie jetzt zum Beispiel Antikapitalismus, so ein Ding, was man eigentlich gar nicht mehr kannte in der politischen Debatte, wenn man also immer deftigere Kost auffährt, dann nutzt sich das immer stärker ab, und das ist eben dieser Inflationierungseffekt, den ich meinte, dass die Bürger irgendwann dann tatsächlich sich nur noch abwenden, weil sie glauben, die Politiker reden und reden und reden und machen letztendlich gar nichts mehr.
Heuer: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Dörner: Ja, ich glaube schon, dass man das unter diesem Ticket abhandeln kann, weil es schon zu überraschenden Medieneffekten führt. Wenn man also vor den Tagesthemen sitzt und plötzlich sich in einer Debatte mit Ulli Wickert über Karl Marx und seiner Aktualität verstrickt sieht, wenn man lustige Schaubilder eingeblendet sieht, wo also Heuschrecken mit dem üblichen Kapitalismushut, den man eigentlich aus Karikaturen aus den zwanziger, dreißiger Jahren kennt, vorgesetzt bekommt, dann hat das zumindest schon einen Originalitäts- und Überraschungseffekt. Von daher würde ich sagen, dieser Rückgriff in die ideologische Mottenkiste ist zumindest eine gute Finte, um von anderen sachpolitischen Debatten abzulenken. Ich würde aber auch sagen, dass diese Metaphorik, die da nun bemüht wird, wo man ein bisschen die großen ideologischen Auseinandersetzungen früherer Zeiten erahnt, auch durchaus problematische Effekte zeitigt, wenn man etwa daran denkt, dass diese Vergleiche mit der Tierwelt doch arg unterkomplex sind und sehr drastische Maßnahmen nahe legen, was macht man mit Heuschreckenschwärmen, doch sicherlich nicht das, was man gemeinhin unter Wirtschaftspolitik versteht. Und es ist auch noch das Problem, dass es mit gewissen Glaubwürdigkeitsverlusten verbunden sein kann, wenn man aus so einem Meinungsmarketing heraus bestimmte Stimmungen aufgreifen will und dabei in arge Diskrepanzen zu dem gerät, was man ansonsten politisch vertritt. Dann kann es sein, dass, wie jetzt in den Umfragen deutlich wird, die Bürger zwar dieser Kritik spontan und unmittelbar zustimmen, auf der anderen Seite aber das nicht dazu führt, dass sie nun plötzlich SPD wählen, weil sie das nicht für ein glaubwürdiges Projekt halten.
Heuer: Dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen nützt es also nichts?
Dörner: Der Versuch ist klar. Man hat gesehen, um hier noch eine Mehrheit zu organisieren, wird es voraussichtlich nicht reichen. Was versucht man also? Die relativ geringen alten Stammwähler, die jetzt auch noch weggeschmolzen sind, noch mal zu mobilisieren, zu aktivieren. Ich glaube aber, dass das kein nachhaltiger Effekt sein wird. Sie haben immerhin noch zwei Wochen bis zu den Wahlen in NRW. Wahlentscheidungen fallen heutzutage immer kurzfristiger. Wenn dann die nächsten Nachrichten aus den Konjunkturvorhersagen oder vom Arbeitsmarkt kommen, dann wird diese lustige Metapher doch relativ schnell verpuffen.
Heuer: Sie haben gesagt, es handele sich bei der Kapitalismuskritik des SPD-Chefs um eine Finte. Nun fordern die ersten Sozialdemokraten konkrete Konsequenzen aus dieser Kritik. Sie wollen die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen bei Unternehmensverkäufen wieder rückgängig machen. Böse Falle für Franz Müntefering, oder?
Dörner: Ja, das ist ja genau das Problem. Auf der einen Seite wird eben diskutiert, und man kann im Augenblick mit Blick auf Großbritannien ja sehen, wie sozusagen eine alte sozialdemokratische Partei durch moderne Politik durchaus nachhaltig Erfolge in der Wirtschaft haben kann. Wenn man jetzt tatsächlich wieder auf die alten ideologischen Grabenkämpfe zurückkommt, dann gerät man in Zugzwang, weil es tatsächlich, wie wir wissen, in der SPD tatsächlich noch so etwas wie eine Linke gibt, auch wenn sie teilweise sozusagen schon ins Exil gegangen ist, und dann gibt es eben diese Diskrepanz zwischen symbolischer Politik und Sachpolitik, und ich glaube, das lässt sich auf Dauer von der SPD nicht ausbalancieren. Also man wird dann zurückrudern müssen. Man hofft ,dass sozusagen diese kurzfristige Diskussion vielleicht die Wahlen in NRW noch rausreißt, aber ich glaube nicht an diesen Effekt.
Heuer: Die Union, um auf die andere Seite des politischen Spektrums zu schauen, hält sich bemerkenswert zurück in der Kapitalismusdebatte. Dafür zettelt sie aber gleichzeitig eine EU-kritische Debatte an. Auch das trifft die Stimmungslage der Bürger und führt absehbar zu gar nichts. Ist das eine gelungene Inszenierung?
Dörner: Na ja, also ich denke, auf der einen Seite ist es für die Union, wenn man sich gerade die Situation in NRW anschaut, wo man mit Jürgen Rüttgers eine vergleichsweise blasse Figur an der Spitze stehen hat, geradezu ein kategorischer Imperativ, sich möglichst nicht zu bewegen, damit man auch auf nichts festgenagelt werden kann. Das einzige, was man da wirklich machen kann, ist, sich auf bestimmte populäre Klischees zu beziehen, das ist die Bürokratismuskritik oder die Fremdbestimmungskritik an der EU. Das ist aber auch, glaube ich, insgesamt kein Thema, also die EU-Politik, obwohl sie ja realpolitisch so relevant ist, mit dem man Wähler mobilisieren kann. Ich glaube fast, dass die andere Strategie, die Sie angesprochen haben, also sozusagen die Mikadopolitik, bloß nichts bewegen, bloß nichts antasten, in der Tat die erfolgreichere ist, weil bei der derzeitigen schlechten ökonomischen Lage man nur nichts machen muss, damit der schwarze Peter dann immer wieder bei der Regierung landet, und das ist in Nordrhein-Westfalen genauso wie in der Bundespolitik.
Heuer: Ein Kommentator nennt das, was wir im Augenblick beobachten können, das Prinzip des eskalierenden Geschwätzes. Guter Ausdruck, Herr Dörner?
Dörner: Ja, eskalierendes Geschwätz, ich finde es einerseits richtig, weil es sozusagen an den Sachthemen vorbeiführt, und was wir eigentlich brauchen, wäre ja eine gute Sachpolitik, die tatsächlich innovative Wege aus dieser Misere aufzeigt. Das eskalierende Geschwätz ist insofern auch ein guter Begriff, weil hier diese Inflationierungsgefahr mit aufscheint, die da mit drinsteckt. Also wenn man sozusagen immer größere Kaliber auffährt wie jetzt zum Beispiel Antikapitalismus, so ein Ding, was man eigentlich gar nicht mehr kannte in der politischen Debatte, wenn man also immer deftigere Kost auffährt, dann nutzt sich das immer stärker ab, und das ist eben dieser Inflationierungseffekt, den ich meinte, dass die Bürger irgendwann dann tatsächlich sich nur noch abwenden, weil sie glauben, die Politiker reden und reden und reden und machen letztendlich gar nichts mehr.
Heuer: Ich danke Ihnen für das Gespräch.