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Rückholung von IS-Angehörigen stockt
Die Kinder sind die Leidtragenden

In dem syrischen Lager Al Hol werden immer noch mehrere hundert ausländische Staatsbürger festgehalten, unter ihnen viele Deutsche und Europäer. Sie sollen mit der Terrororganisation IS in Verbindung gestanden haben. Die Regierungen zögern, sie zurückzuholen. Besonders die Kinder leiden darunter.

Von Burkhard Birke |
Kinder und Frauen werden in das syrische Flüchtlingscamp Al-Hol gebracht.
Das Al Hol Lager in Syrien, hier sind Angehörige von IS-Kämpfern inhaftiert (picture alliance/Chris Huby / Le Pictorium/MAXPPP/dpa)
"Die ersten Berichte über die Verbreitung des Coronavirus in Nordostsyrien haben uns erreicht. Das Virus ist dort, aber es gibt keine Tests. Und aufgrund der tragischen Umstände, mit denen sich die Kurden wie auch alle ihre Gefangenen konfrontiert sehen, wird sich das Virus in der ganzen Region verbreiten, weil die Menschen entweder zu Hause bleiben und verhungern, oder rausgehen, um Essen für ihre Familien zu finden. Bleiben die Menschen in den Lagern, droht ihnen der Tod durch das Coronavirus. Es kann nur schlimmer werden."
Menschenrechtsanwalt Clive Stafford Smith von der Organisation Reprieve fürchtet eine Katastrophe. Selbst willige Länder wie Bosnien haben die Rückholung ihrer Staatsbürger wegen Corona eingestellt. In Lagern wie Al Hol leben mehr als 70.000 Menschen zusammengepfercht, Gefangene, die die Kurden bei ihrem Feldzug gegen den Islamischen Staat gemacht haben.
Schriftzug der Terormiliz Islamischer Staat am Stadttor von Tal Afar. Im August 2017 hatten irakische Truppen die Stadt von den IS-Kämpfern zurückerobert.
Thomae (FDP) zu IS-Rückkehrer - Bundesregierung hat "das Thema vor sich hergeschoben"Die Bundesregierung habe bislang kein Konzept, um IS-Kämpfer geordnet zurückzunehmen, sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Stephan Thomae, im Dlf. Es räche sich nun, dass man das Thema vor sich hergeschoben und den Kopf in den Sand gesteckt habe.
Rechtsanspruch auf Rückkehr in ihre Heimat
Unter den Insassen in den großen Lagern in Nordostsyrien befinden sich noch immer an die 1250 Europäer – zu zwei Dritteln Kinder. Das Bundesinnenministerium spricht von 250 deutschen Staatsbürgern, davon sind über 100 Erwachsene – mehr als die Hälfte Frauen – und 150 Kinder. Seit Monaten, wenn nicht Jahren laufen Bemühungen, auch vor deutschen Gerichten, diese Menschen zurückzuholen. Sie haben einen Rechtsanspruch auf Rückkehr in ihre Heimat. Wegen möglicher Aktivitäten für den Islamischen Staat, wegen Terror und Folter müssten sie sich dann in Deutschland verantworten, wobei die Beweisführung natürlich oft schwierig würde.
Man habe keine diplomatische Vertretung in Syrien, es sei nicht festzustellen, ob die in Syrien geborenen Kinder Deutsche seien, DNA-Tests seien kaum möglich, mit diesen Argumenten war die Rückführung bisher meist abgelehnt worden. Vor allem aber erkennt die Bundesregierung die kurdische Selbstverwaltung mit Rücksicht auf die Türkei nicht an. Über die Kurden müsste die Rückholung jedoch organisiert werden.
Pandemie als Vorwand
Die Bundesregierung hat auf gerichtlichen und auf Druck durch die Medien insgesamt sieben Kinder, meist Waisen, und eine Mutter zurückgeholt. Das war letzten August und November. Seither ist nichts geschehen. Dirk Schoenian vertritt eine Reihe der Betroffenen anwaltlich.
"Frankreich hat es vor wenigen Tagen wieder eindrucksvoll demonstriert: Ein erkranktes französisches Kind im Lager Al Hol ist innerhalb von wenigen Tagen, nachdem mehrere NGOs den Sachverhalt veröffentlicht hatten, zurückgeholt worden. Wenn ich es richtig sehe, innerhalb von drei Tagen. Also, dass das alles nicht möglich sei, ist schlicht nicht wahr und ist nur eine neue Variante, um sich dem Rechtsanspruch einerseits aber auch den gerichtlich festgestellten Ansprüchen zu entziehen."
Trotz Corona haben die Franzosen in diesem Fall agiert. Natürlich dient die Corona-Pandemie jetzt generell als Vorwand, ehemalige IS-Angehörige und ihre Kinder nicht zurückzuholen. Nach wie vor überwiegt die Skepsis, wird – nicht nur in Deutschland – befürchtet, dass man sich womöglich Terroristen ins Land holt.
"Das ist ein Guantanamo am Euphrat!"
Was freilich ist besser? Wenn diese Menschen zurückgeholt, im Zweifel gerichtlich belangt und im Fokus der Sicherheitsbehörden auch als Informanten über den IS genutzt werden? Oder sie eines Tages heimlich zurückkehren, oder – was jetzt am wahrscheinlichsten ist – in den Lagern dahinvegetieren, möglicherweise sterben? Menschenrechtsanwalt Clive Stafford Smith:
"Es ist traurig feststellen zu müssen, dass die europäischen Staaten ihrer Rückholpflicht nicht nachgekommen sind und diese Menschen in den Lagern feststecken. Das ist ein Guantanamo am Euphrat! Wir müssen aber bedenken, da werden Frauen und Kinder sich selbst und dem Tod überlassen. Und es macht mich traurig, wenn ausgerechnet US-Präsident Trump das Richtige tut, während ganz Europa sagt, wir sollten diese Menschen nicht nach Hause bringen."
Nicht nur die USA, auch das Kosovo, Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan haben ihre Bürger aus den Lagern geholt. Viele europäische Länder zögern: Deutschland, aber auch Belgien, Frankreich und Schweden zeigten sich bisher eher zurückhaltend. Das ist umso bedauerlicher, da die Gefahr wächst, dass die radikalen Kräfte in den Lagern die Corona-Krise jetzt für ihre Zwecke nutzen.
"Ein Unding, wie mit Menschenrechten umgegangen wird"
Ohnehin gibt es Berichte von Gewalt und Drohungen gegen Frauen, die sich vom IS abgewandt haben. Eine junge Deutsche, die seit Monaten mit ihren beiden Kindern in Al Hol darauf wartet, ihrer kranken, letzten Sommer zurückgeholten Tochter nach Deutschland zu folgen, hat nach Aussage ihrer Familie mittlerweile jede Hoffnung aufgegeben. Und das, obwohl Anwalt Dirk Schoenian die Regierung sogar zu einem Zwangsgeld von 10.000 Euro verurteilen ließ für den Fall, dass die Frau und ihre Kinder nicht bis 31. März zurückgeholt würden. Das Datum ist verstrichen, die Regierung hat Beschwerde eingelegt. Dirk Schoenian:
"Das Oberverwaltungsgericht hat darüber noch nicht entschieden und im Verlaufe dieses Beschwerdeverfahrens ist jetzt die Corona-Krise hinzugekommen. Wir werden sehen, wie das OVG damit umgeht. Ich beabsichtige nicht locker zu lassen. Ich finde es ein Unding, wie dort umgegangen wird mit Menschenrechten. Das kann man so nicht hinnehmen, was immer man sonst auch von der Situation halten mag."
Zumal die Hauptleidtragenden Kinder sind.