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Rückkehr in die Ungewissheit

Die Bundesregierung hat ein Rücknahmeabkommen mit der kosovarischen Regierung für die noch in Deutschland lebenden Kriegsflüchtlinge abgeschlossen. Für sie gilt nun: Wer nicht freiwillig geht, wird abgeschoben.

Von Dirk Auer | 29.12.2010
    Es war am 20. Mai um drei Uhr morgens als die Polizei im nordrheinwestfälischen Heek an die Wohnungstür klopfte. Eine halbe Stunde hatten Jaksaman Abazi, seine Frau und 17-jährige Tochter, um das Nötigste zusammenzupacken. Sieben Monate später sitzen sie in einem kleinen, spärlich möblierten Zimmer. Es ist kalt, durch die Fenster pfeift ein eisiger Wind.

    "Nach 20 Jahren kommst Du irgendwo, schieben dich einfach ab. Nach Kosovo. In eine Gebiet, wo Du 20 Jahre nicht warst. Und Du hast keine Haus, du hast gar nichts, nicht mal einen Cent."

    Mit ein paar Plastiktaschen in der Hand standen die Abazis damals am Flughafen von Prishtina. Vor 20 Jahren waren sie von dort geflohen, aber als serbisch sprechende Roma sehen sie nun keine Perspektive mehr für sich im albanisch dominierten Kosovo. Noch in derselben Nacht schmuggelt sich die Familie in einer waghalsigen Aktion über die Grenze nach Südserbien. Zwei Monate fand die Familie dort Unterschlupf bei Verwandten, dann standen sie wieder auf der Straße:

    "Familie wollte uns nicht haben. Die haben kein Geld, die haben selber nichts. Wenn Dich sogar eigene Verwandtschaft abstößt nach 20 Jahren. Du bist selbst für eigene Verwandtschaft ein Fremder. Weil wir haben auch ein Stück von deutsche Kultur hierhin gebracht, was die Leute damit nicht klarkommen. Geht da, wo ihr gekommen seid. So hieß das."

    Die letzten Wertgegenstände wurden verkauft: Der Schmuck, alte Erbstücke der Familie.

    "Wir haben einfach Fahrkarte genommen, standen wir in Belgrad. Wo sollen wir hin, war die Frage. Dann haben wir nur gesagt, einfach weiter. Orientierungslos. Fahrkarte bis nach Subotica."

    Dort endlich: Ein eigenes Zimmer, für 80 Euro im Monat. Bezahlt werden konnte das bislang nur mit einer einmaligen Spende aus Deutschland. Ansonsten leben die Abazis von Wasser und Brot. Es gibt weder Arbeit noch Sozialhilfe.

    "Wir haben nichts. Nach 20 Jahren. Fünf Monate sind wir nicht zum Arzt gegangen. Weil wir keine gültigen Dokumente haben. Hier interessiert sowieso keinen was, ob Du krepierst oder nicht. Ich finde einfach keine Worte mehr. Ich habe keine Hoffnung. Und man sagt, mit Hoffnung lebt man."

    Resignation und Depression - das sind häufige Reaktionen auf eine Abschiebung, wie auch eine Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef herausgefunden hat, die im vergangenen Sommer großes Aufsehen erregte. Über 60 Familien wurden interviewt, die aus Deutschland in das Kosovo abgeschoben wurden. Das erschütternde Ergebnis: Die Armut der Rückkehrerfamilien ist noch größer als im Rest der Bevölkerung. Und vor allem für die in Deutschland geborenen Kinder ist die Abschiebung ein oft traumatisches Erlebnis. Johannes Wedenig von Unicef/Kosovo:

    "Sie fühlen sich wie im Exil, sie fühlen sich nicht wie zu Hause. Ihr Zuhause ist Deutschland, ist ganz klar. Es ist erschütternd zu sehen, wie sie sich einkapseln, sie leben dann mit ihrer Familie in ärmlichen Bedingungen und wollen nicht einmal hinausgehen, mit den anderen spielen, wollen gar nicht zur Schule gehen."

    Auch deshalb, weil viele der in Deutschland Aufgewachsenen die albanische Sprache nicht verstehen. Oft müssen sie auch zum Lebensunterhalt der Familie beitragen - durch Müllsammeln oder durch die Arbeit als Tagelöhner. Unicef plant nun eine Folgestudie, um der Frage nachzugehen, wie viele der interviewten Familien etwa nach einem Jahr überhaupt noch im Kosovo sind? Der Verdacht:

    "Die die hier abgeschoben werden, werden schauen, dass sie irgendwie das Geld zusammenbringen und dann werden sie wieder nach Deutschland oder sonst wohin emigrieren - und damit ein wesentlich größeres Problem-Potential darstellen als sie dargestellt hätten, wenn man sie integriert oder ihnen die Möglichkeit zur Integration gegeben hätte."

    Auch Familie Abazi will natürlich wieder zurück nach Deutschland. Von Subotica sind es nur wenigen Kilometer zur ungarischen Grenze. Aber selbst dorthin ist der Familie die Einreise verwehrt. Fünf Jahre ist die Sperrfrist nach einer Abschiebung für den gesamten Schengenraum.

    "Wahrscheinlich läuft es für uns Roma immer wieder was falsch. Wieso kann man nicht in irgendein Land leben, wo man schon gelebt hat 20 Jahre. Wieso wird diese Möglichkeit nicht gegeben? Wieso trennen die? Ist das Europa? Soll so Europa gebaut werden?"