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Rückkehr zum Diplom
"Weil ich das für das bessere System halte"

Als erster Chemie-Studiengang bietet die TU Freiberg wieder den Diplomabschluss an - zusätzlich zu Bachelor und Master. Mit diesem Schritt wolle die Hochschule die negativen Effekte der Bologna-Reform beseitigen, sagte Hans-Jörg Mögel, Studiendekan des Fachs, im Deutschlandfunk.

Hans-Jörg Mögel im Gespräch mit Manfred Götzke | 25.08.2015
    Studenten im Hörsaal
    Die modulare Prüfungsorganisation im Bachelor- und Master-Studiengang führe mitunter zu allzu unkomplexem Denken, sagte Hans-Jörg Mögel. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Manfred Götzke: Wer wie ich von sich sagen kann, "ich habe noch auf Diplom studiert", der hat seinen Abschluss entweder schon vor ein paar Jahren gemacht, ziemlich lange an der Hochschule rumgehangen oder er hat in Dresden studiert – die TU Dresden weigert sich auch 16 Jahre nach der Bologna-Reform, ihre Studiengänge vom Diplom auf Bachelor und Master umzustellen, und sie ist auch noch stolz darauf, schließlich sei der Dipl.-Ing. ein internationales Markenzeichen. Eine andere sächsische Hochschule, die TU in Freiberg, die hat dagegen wie alle anderen ihre Studiengänge Bologna-konform auf Bachelor und Master umgestellt, scheinen damit aber nicht zufrieden zu sein. Die Hochschule kehrt jetzt nämlich im Fach Chemie wieder zurück zum Diplom. Hans-Jörg Mögel ist Studiendekan im Fach Chemie – Herr Mögel, warum wollen Sie die Hochschulgeschichte zurückdrehen?
    Hans-Jörg Mögel: Wir wollen sie nicht zurückdrehen, wir wollen eigentlich die negativen Effekte, die auch damit verbunden waren, wollen wir beseitigen. Wir haben also nach wie vor das Bachelor-Master-System bei uns, und zusätzlich wollen wir oder haben wir jetzt einen Diplomstudiengang Chemie eingeführt. Dieser Diplom-Studiengang Chemie soll einige negative Effekte überwinden: Dazu zähle ich in erster Linie die mangelnde Komplexität des Denkens, was gefordert wird, sowohl in der Prüfungsvorbereitung als auch in der Prüfung, und außerdem die Angelegenheit, dass man also durch die Modularisierung als Student gezwungen ist, konsekutiv zu lernen – dann hat man eine Prüfung, dann kann man das abhaken, dann lernt man das nächste. Wenn man einen komplexen Zusammenhang betrachten will und wissenschaftlich untersuchen will, dann ist aber gefordert, dass man von verschiedenen Gesichtspunkten aus das Ganze betrachtet, und das ist genau das, was wir im Diplomstudiengang eigentlich wieder einführen wollen.
    Götzke: Werden also Bachelor- und Masterstudenten zum unkomplexen Denken erzogen?
    Mögel: In gewisser Weise durch die Prüfungsorganisation ja.
    Götzke: Welches Problem haben Sie denn noch mit Bachelor und Master? Die meisten Universitäten kommen ja mittlerweile ganz gut damit klar.
    Mögel: Ja, es gibt aber auch eine ganze Menge Diplomstudiengänge in anderen Fachrichtungen, aber die Chemie hat eine Besonderheit. Und zwar möchte ich da mal zitieren die Gesellschaft Deutscher Chemiker. Die hat eine Statistik gemacht in 2014, nach dieser Statistik beginnen 97 Prozent aller Bachelorabsolventen in Chemie ein Masterstudium und 87 Prozent der Masterabsolventen starten eine Promotion. Das bedeutet eigentlich, dass der Bachelor in Chemie nicht berufsqualifizierend ist und eigentlich auch nicht gebraucht wird, es wird auch nicht nachgefragt. Deshalb ist also die Organisationsform, die eingeführt worden ist durch Bachelor und Master, für die Chemie eigentlich sowieso nicht relevant.
    Götzke: Man könnte natürlich auch den Bachelor wie das alte Vordiplom denken und den Master wie das Diplom – wo ist das Problem?
    Mögel: Ja, das haben wir eigentlich auch so gemacht. Wir haben natürlich jetzt den auch so umstrukturiert, dass wir vier Semester haben bis zum Vordiplom und anschließend sechs Semester bis zum Diplom. Es werden dieselben Module angeboten, allerdings ist die Wahlfreiheit etwas eingeschränkt, da wir nicht eine frühe Spezialisierung wünschen, sondern wir möchten, dass die Studenten breit ausgebildet werden, also in allen Teilbereichen der Chemie bis zum Schluss. Und die Spezialisierung erfolgt eigentlich durch eine langfristige Einbindung der Studenten und frühzeitige Einbindung in die Forschungsgruppen, sodass wir also auch keinen Bruch haben nach dem Bachelor, sondern dass also der kontinuierliche Übergang eigentlich dann gegeben ist.
    "Es sind Modifizierungen, die die Prüfungsorganisation betreffen"
    Götzke: Sie werden ja ab dem Wintersemester parallel Bachelor-Master und das Diplom anbieten an der TU Freiberg. Werden Sie dann Studenten erster und zweiter Klasse ausbilden?
    Mögel: Nein, das werden wir nicht, weil die Lage eigentlich so ist, dass ein Student, der Bachelor bei uns beginnt zu studieren und dann anschließend seine Masterausbildung machen will, die Möglichkeit hat, dieselben Module zu belegen, wie die Studenten, die im Diplomstudiengang sind, nur die Studenten im Diplomstudiengang werden anderen Prüfungsmodalitäten unterzogen und die Studenten im Diplomstudiengang werden von vornherein zurückgeführt, dass sie zum Beispiel bis zum Schluss auch die technische und analytische Chemie in der Ausbildung haben. Ein Student im Bachelor-Master-System kann das selbst sich so organisieren, ist aber nicht dazu gezwungen.
    Götzke: Nun gibt es ja seit der Bologna-Reform einfach bestimmte Vorgaben, die Module zum Beispiel – wie haben Sie das trotzdem hinbekommen, das alte Diplom oder das erneuerte Diplom jetzt wieder einzuführen trotz all dieser Vorgaben?
    Mögel: Bis zum Vordiplom haben wir es geschafft, Komplexprüfungen einzuführen, insgesamt drei Komplexprüfungen, wo wir mehrere Module gemeinsam abprüfen, das ist also eine Möglichkeit, die gegeben ist. Nach dem Vordiplom haben wir die Module vergrößert.
    Götzke: Wenn ich mir das jetzt so im Ganzen anhören, klingt das ein bisschen so als drücken Sie den Stempel Diplom auf das auf, was wir jetzt im Bachelor-Master-System eigentlich schon seit Jahren machen, mit ein paar Modifizierungen.
    Mögel: Es sind Modifizierungen, die die Prüfungsorganisation betreffen und die die Studienorganisation betreffen. Insbesondere gibt es Prüfungsvorleistungen, die die Studenten absolvieren müssen, um zur Prüfung zugelassen zu werden. Das hat den Effekt, dass es auch wieder ein wiederholtes Lernen geben muss, das heißt, eine Festigung des Stoffes, und in den Prüfungen wird wirklich dann komplex gefragt. Wenn wir mal zum Beispiel uns anschauen, eine chemische Reaktion, wenn wir ins Gleichgewicht kommen, dann kann man danach fragen, wie kommt die chemische Reaktion ins Gleichgewicht, wie kann ich sie theoretisch behandeln mit einer statistischen Thermodynamik, wie kann ich experimentell eine Gleichgewichtskonstante bestimmen und so weiter, und das war bisher im konsekutiven Bachelorstudiengang nicht möglich, weil das in einzelne Module aufgetrennt war. Diese Komplexität wird wieder erreicht jetzt.
    Götzke: Viele Arbeitgeber waren ja zunächst skeptisch, was die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master angeht. Mittlerweile haben sich die meisten damit arrangiert. Bringen Sie mit Ihrem erneuten Diplom nicht wieder alles ein bisschen durcheinander?
    Mögel: Ich gehe davon aus, dass das, was Sie sagen, nicht unbedingt für die Chemie gilt. Wie gesagt, ich hatte vorhin schon zitiert, 97 Prozent der Bachelorabsolventen beginnen ein Masterstudium. In der Chemie ist nach wie vor gefragt, eigentlich sogar als berufsqualifizierender Abschluss, die Promotion.
    Götzke: Wie ist denn die Resonanz bei den Bewerbern?
    Mögel: Bei den Bewerbern – wir haben ja diesen Studiengang erst offiziell vor knapp zwei Monaten eingeführt und die Bewerbung, das dauert natürlich ein Weilchen, eh sich das rumspricht, und zurzeit ist es so, dass wir also ein Drittel der Einschreiber haben, die Diplom machen wollen und zwei Drittel, die den Bachelorstudiengang beginnen wollen, aber ich denke, dass sich das, also wenn sich das rumspricht, dass sich dort die bewährten Dinge, die also mit dem Diplom zu tun haben, dann entsprechend vielleicht auch durchsetzen werden.
    Götzke: Schätzen Sie, dass sich das jetzt noch weiter fortsetzen kann, die Rückkehr zum Diplom?
    Mögel: Ich hoffe!
    Götzke: Warum?
    Mögel: Weil ich das für das bessere System halte!
    Götzke: Sagt der Chemieprofessor Hans-Jörg Mögel von der TU Freiberg, die zum Wintersemester das Diplom wieder einführt im Fach Chemie, die erste Universität, die wieder auf den alten Abschluss setzt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.