Montag, 13. Mai 2024

Archiv

Rückschritt für #metoo
Neue Regeln bei sexueller Belästigung an US-Hochschulen

Sexuelle Gewalt ist in den USA vielerorts zu finden – auch an den Hochschulen. US-Bildungsministerin Betsy deVos hat jetzt eine Regel erlassen, wonach Schulen und Universitäten bei sexuellem Fehlverhalten geschultes Personal einsetzen müssen. Kritiker befürchten, sie schützen hauptsächlich die Täter.

von Heike Braun | 02.06.2020
Abschlussfeier an einer US-Universität
An vielen US-Hochschulen gehören sexuellen Belästigungen zunehmend zum Alltag von Studentinnen (picture alliance / AP Images / The Star Tribune)
Auf dem Campus der renommierten Stony Brook University in New York, sind in Corona Zeiten nur wenige Studierende unterwegs. Einige gehen mit Mund–Nasenschutz und Einweghandschuhen zu ihren Forschungsprojekten. Was auffällt: sie sind streng nach Geschlechtern getrennt unterwegs. Niemand zwingt sie dazu. Aber durch die zunehmenden sexuellen Belästigungen an amerikanischen Hochschulen, herrscht überall eine Atmosphäre des Misstrauens, erzählt Mackenzie Beez. Schon nach einer Woche an der Universität war der Mathematikstudentin klar: sexuelle Belästigung bis hin zum Missbrauch wird auch an dieser renommierten Universität, die mehrere Nobelpreisträger hervorgebracht hat, geduldet, verschwiegen und runter gespielt.
"Ich bin ein einziges Mal auf einer Uni-Party gewesen. Ich wurde in meinem Leben noch nie so oft begrapscht. Sogar unter das T-Shirt. Einer hielt mich fest, ein anderer zog mein Shirt hoch. Das war demütigend. Ich bin damals einfach gegangen und habe es nicht angezeigt. Aber seitdem treffe ich mich mit Frauen, denen das Gleiche passiert ist."
Meschen sitzen in einem loftartigen Büro mit Planzen an ihren Arbeitsplätzen.
Zwei Jahre MeToo - Negative Spätfolgen
Angst vor Anschuldigungen, Benachteiligung von Frauen bei Bewerbungen: Die negativen Folgen der MeToo-Debatte am Arbeitsplatz überwiegen bislang, so das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie.
Prüfung durch gerichtlich geschulte Fachkräfte
Und die gibt nicht nur auf ihrem Campus. In diese aufgeladene Stimmung hinein, platzen die neuen Regelungen der Bildungsministerin Betsy DeVos. Sie ist bekennende Donald Trump-Anhängerin und Teil seines Kabinetts. So manchen Obama Erlass hat sie schon rückgängig gemacht. Auch den, wonach Opfer von sexuellem Missbrauch erst einmal nicht öffentlich aussagen müssen. Ab sofort gilt: Bei jeder formellen Beschwerde müssen gerichtlich geschulte Fachkräfte, die Anschuldigung prüfen. Jetzt bestehe die Gefahr , dass Opfer von sexuellem Missbrauch lieber schweigen, meint Jennifer Freyd , Professorin der Psychologie an der Universität Oregon

"Es ist die Pflicht von Institutionen, wie Universitäten, Colleges, High Schools, aber durchaus auch von Polizei und Kirche, alle Opfer sexueller Gewalt zu schützen. Aber das Gegenteil ist oft der Fall. Viele Institutionen scheuen zum Beispiel eine negative Berichterstattung. Sie spielen den sexuellen Übergriff runter, versuchen aus dem Opfer den Täter zu machen. Was die DeVos Regeln angeht, so bin ich im Großen und Ganzen sehr besorgt. Die Opfer sind ab jetzt gezwungen von Anfang an, den Tätern ins Gesicht zu schauen und öffentlich über die sexuellen Übergriffe zu erzählen. Man muss keine Psychologin sein, um zu wissen: eine solche öffentliche Aussage ist für viele, wie eine neue Vergewaltigung."
Chancen durch Untersuchungskommissionen
Trotzdem findet die Psychologin die neuen DeVos Regeln nicht durchgängig schlecht. Falls Untersuchungskommissionen tatsächlich unabhängig von der Institution sind und fair arbeiten, könnte das eine große Hilfe für das Opfer sein. Jennifer Freyd forscht schon seit Jahrzehnten über das Versagen von Universitäten, High Schools und Colleges. Sie hat kürzlich das "Center for institutional Courage" begründet, kurz "CIC". Die Idee dahinter: Institutionen, die für eine mutige und gerechte Prüfung von Anschuldigungen sind, sollen zukünftig im CIC zusammenarbeiten. Der Missbrauchs-Skandal in den amerikanischen Kirchen habe gezeigt, wie perfekt sich eine mächtige Institution wegducken kann. Die Opfer wurden alleine gelassen, noch schlimmer: sie wurden viel zu oft als Lügner bezeichnet. Genau das passiere jetzt wieder im amerikanischen Bildungssystem, sagt Jennifer Freyd.
"Es ist eine Katastrophe, was in den USA passiert. Ich hätte niemals erwartet, dass in Amerika die Opfer sexuellen Missbrauchs so vernachlässigt werden. Ich bin wirklich sehr besorgt, über das, was in unserem Land passiert."
Imageverlust amerikanischer Bildungseinrichtungen
Auch die Brüder Tim und Will Adams sind verstört. Sie sind seit Anfang des Jahres, für ein Auslandsstudium am City College in New York. Sie hatten sich auf die USA gefreut und können jetzt kaum noch erwarten, in ihrem eigenen Land zu Ende zu studieren. Nicht nur wegen Corona.
"Wir sind aus Australien in der Nähe von Sydney und für ein Jahr am College. Wir sind es überhaupt nicht gewöhnt, dass Jungs den Mädchen, statt "Guten Tag" zu sagen, unter den Rock fassen. Die Mädchen wehren sich auch gar nicht dagegen. Sie stehen auf und gehen weg."
Präsident Trump spricht am 27. April 2020 im Garten des Weißen Hauses zu Journalisten.
US-Medien und Trump - "Sind wir schon so abgestumpft?"
Es ist nicht das erste Mal, dass Donald Trump ein sexueller Übergriff vorgeworfen wird. Doch obwohl die Anklägerin diesmal eine bekannte Journalistin ist, bleibt das Medienecho in den USA verhalten.
Diese Seite des American Way of Life hätten sie weder erwartet noch kennenlernen brauchen, meinen Tim und Will. Der Sexualforscherin Jennifer Freyd ist sich sehr bewusst, dass amerikanischen Bildungseinrichtungen immer mehr an Ansehen verlieren. Auf die Frage was dagegen zu tun ist, hat sie eine einfache Antwort:
"Um Himmels Willen nicht mehr Donald Trump wählen. Lasst uns im November die Welt verändern, mit einem anderen Präsidenten an der Macht."