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Rücktritt Lafontaines und Rücktritt der EU-Kommission

Adler: Das fehlende Mannschaftsspiel im Kabinett Schröder war der Grund für den Rücktritt von Oskar Lafontaine am Donnerstag. Hingeworfen hat er aber auch den Parteivorsitz. Ich habe vor dieser Sendung die SPD-Arbeitsministerin von Brandenburg, Regine Hildebrandt, gefragt, ob sie versteht, warum Lafontaine nicht nur das Kabinett verlassen, sondern auch die Partei im Stich gelassen hat?

    Hildebrandt: Wenn er der Meinung ist, daß das Mannschaftsspiel nicht funktioniert, dann bezieht sich das natürlich nicht nur aufs Kabinett, sondern es bezieht sich dann auch auf den Umgang zwischen den maßgeblichen Köpfen innerhalb der SPD. Zu den maßgeblichen Köpfen innerhalb der SPD gehört natürlich auch Gerhard Schröder, der Kanzler. Es wäre meines Erachtens undenkbar gewesen, weil er merkt, er schafft nicht das, was er will, es läßt sich offensichtlich nicht gemeinschaftlich durchsetzen, wenn er dieses Amt aufgibt und alles andere weitermacht: beispielsweise ein Bundestagsmandat oder beispielsweise den Parteivorsitz. Ich glaube, er hatte die Überzeugung, daß es bei der Konstellation, wie sie jetzt entstanden ist, am günstigsten ist, wenn er sich zurückzieht und andere Leute mit der Chance eines besseren Mannschaftsspieles, mit der Chance einer Zuständigkeit auch des Kanzlers für die ganze Partei diese Weichen so zu stellen. Ich halte das eigentlich für folgerichtig, wenn überhaupt. Ich hätte mir gewünscht, er hätte nicht aufgegeben.

    Adler: Frau Hildebrandt, Lafontaine ist bislang ja nicht als jemand aufgefallen, der Konflikten aus dem Wege geht. Denken wir zum Beispiel an den Mannheimer Parteitag und auch an den Umgang mit dem damaligen Vorsitzenden Scharping. Kannten Sie bisher diese Seite von Lafontaine, daß er Konflikte in bezug auf seine eigene Person so schlecht aushält?

    Hildebrandt: Ich glaube, Sie tun ihm Unrecht. Er ist in der Lage, Konflikte auszuhalten, und er hat ja schon etliches ausgehalten in den letzten Monaten, denken Sie nur an die Diskreditierung als gefährlichsten Mann für die Demokratie, RAF oder ähnliches. Solche Dinger sind ja nicht so leicht zu verkraften. Ich glaube, das hält er alles aus, wenn er der Meinung ist, was er macht ist richtig und führt zu dem Ergebnis, was wir uns alle vorgestellt haben, das allerdings in schweren Situationen mit voler Unterstützung all derer, mit denen er zusammenarbeitet. Ich glaube, es sind zwei Dinge die zusammenkommen: die enorme persönliche Belastung für ihn und der Gedanke, diese enorme persönliche Belastung führt gar nicht optimal in die Richtung und zu dem Ziel, das er erreichen könnte, und dann der Gedanke, für das, was dort herauskommt, ist die Belastung eigentlich viel zu viel. Der möglicherweise dritte Aspekt ist in der jetzigen Konstellation sein Zurückziehen für die Entwicklung der Gesamtsituation auch in seinem Sinne besser. Das war kompliziert, aber ich meine es wirklich. Er wollte nicht einfach türmen, weil er sich beleidigt fühlte. Das war es überhaupt nicht, sondern er hängt an der Sache. Er setzt sich für die Sache ein, aber er hat gemerkt, daß er in der Art nicht weiterkommt, und hofft jetzt, daß in der neuen Konstellation die gleichen Ziele verfolgt werden, wenigstens andeutungsweise. Dafür stehen wir ja auch, die Partei, und natürlich auch die Sozialdemokraten, die insbesondere in der lafontainschen Interpretation sich wiedergefunden haben.

    Adler: Frau Hildebrandt, würden Sie sagen, daß sich die Partei Lafontaine gegenüber als undankbar erwiesen hat?

    Hildebrandt: Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie denn darauf?

    Adler: Er hat immerhin Bundeskanzler Schröder zu seinem großen Wahlerfolg geführt.

    Hildebrandt: Ja, natürlich, das hat er. Wir, als sein Parteivolk, wenn Sie so wollen, waren kolossal betroffen. Das Wissen darüber ist schon vorhanden, daß er diese Leistung vollbracht hat, und auch das Wissen darüber, was er für ein toller Mann war und wie maßgeblich er die Partei beeinflußt hat, nicht bloß wenn es um die soziale Gerechtigkeit geht, die man ihm immer so ein bißchen andichtet, und für die Innovation ist Schröder zuständig, sondern als Parteierneuerer, als Programmatiker in den letzten Jahrzehnten, kann man schon sagen, hat er seine Verdienste. Das wissen auch alle. Die Frage ist jetzt bloß und die ist entscheidend: Wenn er um der Partei Willen der Meinung ist, es ist besser er zieht sich zurück, dann kann man das als jemand, der zu dieser Partei gehört und möchte, daß wir Erfolg haben, und möchte, daß wir vorwärts kommen, akzeptieren. Man kann es nur respektieren.

    Adler: Heißt dies dann aber auch programmatisch, daß ein anderer Kurs als der, den Lafontaine eingeschlagen hat, gefahren werden muß?

    Hildebrandt: Nein, eben gerade nicht. Ich sage es noch einmal: Lafontaine war der Meinung, daß in der Konstellation, in der er sich befunden hat, dieser sein Kurs nicht mit angemessener Art und Weise umgesetzt wurde, weil zum Teil quergeschossen wurde und weil es auch so war, daß Oskar Lafontaine für etwas anderes stand als der Kanzler in der Öffentlichkeit. Ich habe mit Gerhard Schröder Wahlkampf gemacht. Ich bin der festen Überzeugung, daß er nicht nur für die Innovation, sondern für die soziale Gerechtigkeit steht. Dafür hatte er jetzt bloß immer Oskar Lafontaine; nun hat er ihn nicht mehr. Jetzt muß Gerhard Schröder dafür weiterstehen, denn die SPD verändert sich nicht. Auch der Parteivorstand verändert sich nicht, und die Linken in der Partei verändern sich schon gar nicht. Dafür haben wir eine Programmatik und dafür haben wir ein Regierungsprogramm und dafür haben wir Koalitionsvereinbarungen, die festklopfen was wir wollen, was unsere Politik ist und wofür wir auch Wahlkampf gemacht haben.

    Adler: Frau Hildebrandt, im Osten sind Landtagswahlen, Kommunalwahlen in diesem Jahr, in Brandenburg und Thüringen, in Sachsen und auch in Berlin, nur um den Osten zu nennen. Wie schwer hat der Rücktritt von Oskar Lafontaine der Partei geschadet? Muß sie jetzt neu anfangen, Punkte zu sammeln?

    Hildebrandt: Ich fand es erstaunlich, wie wenig negative Reaktionen gekommen waren in dem Sinne, er drückt sich, er verläßt das Schiff oder so. Es ist wohl deutlich geworden, mit welcher unwahrscheinlichen Anspannung er unterwegs war, gearbeitet hat, sich eingesetzt hat und was er alles geschafft hat. Von daher nimmt man ihm auch ab, daß er verantwortlich diese Entscheidung getroffen hat. Das heißt also, die Kritik daran, daß Lafontaine weg ist und damit die Partei nicht mehr akzeptiert werden kann, hält sich sehr in Grenzen. Nun wird man abwarten müssen, insbesondere wie die Politik sich weiterentwickelt. Das ist, denke ich, viel wichtiger als Oskar Lafontaine ja oder nein. Sie wissen, daß oftmals im Osten sogar gesagt worden ist, Oskar Lafontaine hat nicht das richtige Verhältnis zum Osten gehabt. Er hat darunter sehr gelitten, aber ich meine, das spielt bei einer solchen Beurteilung der Situation im Osten auch eine Rolle, daß Oskar Lafontaine nun nicht der Zukunftsträger für den Osten gewesen ist.

    Adler: Also ist es für den Osten vielleicht sogar gar nicht schlecht, daß er zurückgetreten ist?

    Hildebrandt: Nein, nein, nun wollen wir mal nicht von einem Extrem ins andere fallen. Sie waren der Meinung es könnte schaden; nützen tut das auch nicht. Ich sage bloß, der Schaden, den man vielleicht vermuten könnte, wird sich sicher in Grenzen halten. Es war für mich gleich beruhigend, nachdem alle frohlockt haben und gesagt haben, nun wird wohl alles wieder zurückgezogen, von Ökosteuer über die andere Steuerreform, die 630-Mark-Jobs und was sonst noch so ist, davon kann nicht die Rede sein. Es ist durch Gerhard Schröder und seine Leute deutlich gemacht worden, das bleibt und das wird auch so weitergehen.

    Adler: Das war Regine Hildebrandt, SPD-Arbeitsministerin in Brandenburg. Am Telefon hat der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, mitgehört. Guten Morgen Herr Struck!

    Struck: Guten Morgen Frau Adler.

    Adler: Regine Hildebrandt hat es gesagt: Jetzt kommt es darauf an, wie die Bundespolitik reagiert. Fangen wir mit dem an, was am offensichtlichsten war an Reaktionen in den vergangenen Tagen. Das war der Dax und damit verbunden ja wohl die offensichtliche Hoffnung der Wirtschaft, daß nun eine andere Richtung als unter Lafontaine eingeschlagen wird. Hat sich die Wirtschaft zu früh gefreut?

    Struck: Ich will das nicht kommentieren. Ich finde es nur einen eigenartigen Vorgang, wie manche führende Vertreter der Industrie sich geäußert haben. Es war ja die Häme und die Schadenfreude und das Sektkorkenknallen kaum zu überhören. Die Wirtschaft hat so getan, als habe sie ein Ziel erreicht, indem Oskar Lafontaine zurückgetreten ist. Diese Herren sollen sich sehr zurückhalten. Was den Dax angeht oder den Wert des Euro so denke ich, ist es aus meiner Sicht eine überzogene Reaktion. Das wird sich alles wieder normal einpendeln.

    Adler: Wird es eine andere Wirtschaftspolitik geben, eine sogenannte wirtschaftsfreundlichere Politik?

    Struck: Wir haben doch bisher keine wirtschaftsfeindliche Politik gemacht. Das ist ja nun absolut absurd. Das was wir hier im deutschen Bundestag beschlossen haben, haben Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine und ich und viele andere meiner Fraktion ja gemeinsam beschlossen und dann auch im Bundestag abgestimmt. Offenbar war es so, daß die Wirtschaft glaubte, mit Oskar Lafontaine könne sie überhaupt nicht reden, was ich für falsch halte. Zuständig für die Wirtschaft ist im übrigen auch der Werner Müller, der jetzt das Amt von Oskar Lafontaine jedenfalls kommissarisch übernimmt. Wir stehen nach wie vor - das hat Regine Hildebrandt völlig zurecht gesagt - für Innovation und Gerechtigkeit. Beide Themen sind bisher von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine gemeinsam vertreten worden.

    Adler: Es sei nicht der Kurs gewesen, sondern der Umgang miteinander, der Lafontaine zu seinem Rücktritt bewogen habe. Was können, was müssen Regierung, Fraktion und Partei jetzt daraus lernen?

    Struck: Wir müssen lernen, daß wir besser - da finde ich hat Oskar Lafontaine schon Recht - zusammenspielen müssen. Ich will das jetzt nur einmal für meine Fraktion sagen. Das fängt auch bei der SPD-Bundestagsfraktion an. Völlig absurd sind Forderungen von Mitgliedern meiner Fraktion nach Rücktritt von Bodo Hombach. Es ist abenteuerlicher Unsinn. Wir müssen uns jetzt auf die Aufgaben konzentrieren, die vor uns stehen. Das sind, nachdem die Gesetze, von denen Regine Hildebrandt gerade gesprochen hat, am kommenden Freitag durch den Bundesrat gegangen sind, dann die weiteren Maßnahmen wie Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts. Darüber haben wir gestern in der Fraktion entschieden. Und dann kommen die Vorbereitungen für die Unternehmenssteuerreform, für den Bundeshaushalt _99, für ein Familienentlastungsgesetz. Das sind Aufgaben, die auf den neuen Finanzminister Hans Eichel zukommen, die er aber natürlich auch mit uns zusammen, also mit der Fraktion, und nicht nur alleine als Bundesfinanzminister zu klären hat.

    Adler: Herr Struck, und nicht nur die Bewältigung der schwierigen innenpolitischen Situation, sondern, wie die Ereignisse der vergangenen Nacht gezeigt haben, auch die Bewältigung der schwierigen europapolitischen Situation nach dem Rücktritt der EU-Kommission. Nun müssen die Regierungen neue Kommissare ernennen. Kann Monika Wulf-Mathies, die mitbelastet wurde, aber ihre Bereitschaft erklärt hat, noch einmal für das Amt zur Verfügung zu stehen, kann die SPD-Politikerin damit rechnen, noch einmal nominiert zu werden?

    Struck: Ich will mich jetzt überhaupt noch nicht zu diesen aktuellen Ereignissen, was weitere Personalentscheidungen angeht, die ja von der Bundesregierung getroffen werden müssen, äußern. Ich finde es nur konsequent, daß die gesamte Kommission zurückgetreten ist. Offenbar ist dieser Bericht der fünf Weisen, der wohl vorgelegt wird, ja doch so, daß einige Mitglieder der Kommission erhebliches Fehlverhalten gezeigt haben. Wir müssen auch einfach berücksichtigen, daß ja am 13. Juni Europawahlen sind und daß dann auch wieder eine neue Kommission, ein neuer Präsident zu wählen sein werden, wo es dann auch Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlamentes gibt. Ich will allerdings ganz deutlich zur Person von Monika Wulf-Mathies sagen: Nach den Unterlagen die ich kenne, kann man ihr keine Vorwürfe machen. Deshalb sehe ich auch keinen Grund, warum man sie jetzt zur Disposition stellen sollte.

    Adler: Herr Struck, letzte Frage: Wer versteht sich nach Lafontaines Rücktritt als das parteilinke und basisdemokratische Korrektiv zu Schröder?

    Struck: Ich glaube, daß die Partei insgesamt zusammen mit Gerhard Schröder auch weiterhin eine linke Politik machen wird. Es gibt für mich keine Person, die man jetzt als Gegenspieler für Gerhard Schröder aufbauen sollte, sondern im Gegenteil: wir sollten alle mit ihm zusammenarbeiten. Ich für mich persönlich sehe eine besondere Aufgabe darin, mit Gerhard Schröder sehr eng zusammenzusarbeiten für die Bundestagsfraktion.

    Adler: Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, war das. Vielen Dank nach Bonn.