Donnerstag, 18. April 2024

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Rücktritt von Horst Seehofer
"Das ist kein ehrenvoller Abschied"

Horst Seehofer habe den richtigen Zeitpunkt für einen Rücktritt verpasst, so der Politikberater Michael Spreng im Dlf. Die CSU hätte ihn aus seinem Amt treiben müssen. Den Posten als Innenminister werde Seehofer wohl auch verlieren, weil er keine Rückendeckung mehr in der Partei habe.

Michael Spreng im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 13.11.2018
    12.11.2018, Sachsen, Bautzen: Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister, besichtigt das neue Fahndungs- und Kompetenzzentrum der Polizei.
    Horst Seehofer sei starrsinnig und habe den angemessenen Zeitpunkt für einen Rücktritt verpasst, so Spreng (picture-alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    Jörg Münchenberg: Am Ende hat Horst Seehofer wohl eine Pirouette zu viel auf dem politischen Parkett gedreht. Der Rücktritt vom Rücktritt beim Streit mit der CDU über die Flüchtlingspolitik, das Hin und Her in der Causa Maaßen, wobei er den Verfassungsschutzpräsidenten dann doch in den politischen Ruhestand verabschieden musste, oder auch der wachsende Druck, dass der Innenminister auch als selbsterklärter Erfahrungsjurist mit seinem Amt schlicht überfordert sein könnte. Die CSU will den Neuanfang und Seehofer nicht länger im Weg stehen, zumindest nicht als Parteichef. So hat er es jetzt zugesagt. - Am Telefon nun der Politikberater Michael Spreng. Herr Spreng, einen schönen guten Morgen!
    Michael Spreng: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Herr Spreng, würden Sie sagen, das ist ein ehrenvoller Abschied von Horst Seehofer? Oder ist er nur ein Vertriebener auf Druck der eigenen Partei?
    Spreng: Nein, das ist kein ehrenvoller Abschied. Den Zeitpunkt hat er verpasst, im Gegensatz zu Frau Merkel mit dem CDU-Vorsitz. Horst Seehofer musste von der CSU aus dem Amt getrieben werden und jetzt ist es ja auch nur ein Teilrückzug. Er will ja Innenminister bleiben. Das heißt, dieser quälende Prozess geht weiter.
    "Horst Seehofer hat keinerlei Rückendeckung mehr in der CSU"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite hat das ja auch die Bundeskanzlerin vorgemacht. Auch sie tritt nur als Parteichefin zurück und bleibt Bundeskanzlerin.
    Spreng: Ja, aber es ist eine andere Situation. Frau Merkel hat für ihre Tätigkeit als Kanzlerin ja die Rückendeckung der CDU nach wie vor, während Horst Seehofer hat keinerlei Rückendeckung mehr in der CSU. Er würde künftig, wenn er bliebe, gewissermaßen ein politisch frei schwebender Innenminister sein, ohne Rückhalt und ohne Kraft. Das ist noch der Unterschied zu Frau Merkel, denn da hat die CDU sich ja darauf verständigt, dass sie Kanzlerin bleiben soll.
    Münchenberg: Manche Beobachter sagen, Horst Seehofer wäre längst eine traurige Gestalt in der politischen Landschaft in Berlin. Würden Sie auch so weit gehen?
    Spreng: Es gibt ja auch einige, die sprechen von einer tragischen Gestalt. Aber auch das stimmt nicht, denn es ist ja selbstverschuldet. – Ja, es ist wirklich bedauerlich. Ich kenne auch Horst Seehofer schon 30 Jahre lang und habe ihn früher immer sehr geschätzt und kann auch nicht nachvollziehen, was in den letzten Jahren und insbesondere in diesem Jahr mit ihm passiert ist. Das ist eine Form von Realitätsverlust und Starrsinn, die ich mir nicht habe vorstellen können.
    Münchenberg: Warum fällt es Politikern so schwer, die Notbremse letztlich zu ziehen, wenn sie eigentlich klaren Auges sehen müssten, dass ihnen der Rückhalt fehlt?
    Spreng: Mangelnde Einsicht, glaube ich. Das ist ja das, was ich mit Realitätsverlust meinte. Sie erkennen nicht, in welcher Situation sie sind, und sie erkennen es insbesondere nicht, wenn sie diese Situation selbst verschuldet haben. Sie sehen sich von fremden Mächten umzingelt, von bösen Parteifreunden, von den bösen Medien, und suchen überall die Schuld, nur nicht bei sich selbst. Auch Horst Seehofer hat ja die Medien schon verantwortlich gemacht und die illoyalen Parteifreunde. Es tritt dann eine Wahrnehmung ein, die sich nicht mehr mit der Realität deckt, und das ist bedauerlich. Mir tut das für die betreffende Person leid.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite: Macht es sich nicht auch die CSU ein bisschen sehr einfach, wenn sie jetzt Horst Seehofer zum Sündenbock abstempelt und sagt, er ist zum Beispiel Schuld für die verlorenen Landtagswahlen in Bayern?
    Spreng: So ist halt brutale Machtpolitik, die natürlich auch in der CSU herrscht. Sie können nicht alle, die an dieser Wahlniederlage schuld sind, zu Schuldigen erklären. Dann bliebe ja keiner mehr übrig. Dann müssten ja auch Söder, Dobrindt, Blume und so weiter gehen. Also wird einer ausgeguckt, und das ist Horst Seehofer. Natürlich ist er nicht der allein Schuldige. Die ganze Partei hat ihn in diesen verhängnisvollen Konfrontationskurs mit Frau Merkel in diesem Jahr getrieben.
    "So ist halt brutale Machtpolitik"
    Münchenberg: Gerade Markus Söder, der ja der erste war, der die AfD rechts überholen wollte im Landtagswahlkampf.
    Spreng: Ja und der von Asyltourismus sprach. Aber Dobrindt auch. Beide haben Horst Seehofer auf den Baum getrieben, und als er oben saß, entdeckten sie plötzlich die bayerische Landespolitik und wollten nichts mehr damit zu tun haben. Das ist natürlich unredlich, aber so ist Politik. Es muss Überlebende geben, es soll ja weiterregiert werden, sonst gibt es überhaupt keine Führungspersönlichkeiten mehr in der CSU. Deswegen muss jetzt Horst Seehofer die Last alleine tragen.
    Münchenberg: Nun hat er gesagt, ja, als Parteichef trete ich zurück, aber Innenminister will ich noch bleiben. Ist er da überhaupt noch Herr des Verfahrens, oder wird er nicht letztlich auch dieses Amt bald verlieren?
    Spreng: In dem Fall glaube ich, er wird es auch verlieren. Die Frage ist nur, wie quälend und wie lange wird dieser Prozess sein. Denn wenn er nicht mehr CSU-Vorsitzender ist, hat er ja in seinem Amt als Innenminister noch weniger Autorität als bisher. Er hat keine Durchsetzungskraft. Er hat keinen Rückhalt. Insofern hoffe ich oder glaube ich, dass die CSU ihn entweder dann selbst aus dem Kabinett zurückziehen wird – die können ja ihre Minister selbst bestellen -, oder Frau Merkel muss dann der Großen Koalition einen letzten Dienst erweisen und Horst Seehofer feuern, was sie dann kann, wenn er kein Parteichef mehr ist. Aber das sind jetzt Zukunftsspekulationen. Es ist aber aus meiner Sicht ausgeschlossen, dass er mit diesem Hintergrund noch mal ein erfolgreicher Innenminister wird.
    Münchenberg: Nun sagen Kritiker ja auch, er sei mit dem Amt selbst überfordert gewesen: Acht Staatssekretäre, 1.500 Mitarbeiter, dazu auch die Mammutaufgabe Bekämpfung der Wohnungsnot. War er letztlich auch am falschen Ort? Hat er das falsche Ministerium gehabt, obwohl er sich ja selber gerne als Erfahrungsjurist bezeichnet hat?
    Spreng: Ich glaube, wenn er nicht diese Konfrontation um diesen sogenannten Masterplan gesucht hätte, wenn er nicht in dieser Sprache mit Frau Merkel umgegangen wäre, wenn er im Fall Maaßen den Verfassungsschutzpräsidenten rechtzeitig gemaßregelt hätte und nicht das hätte laufen lassen – er hätte ja in seinem Amt durchaus erfolgreicher sein können. Allerdings – insofern haben Sie recht – ich habe bis heute noch nichts gehört, dass er sich zum Beispiel um das dringende Thema Wohnungsbau gekümmert hat, was ja inzwischen zurecht zu den zentralen innenpolitischen Themen wird.
    Münchenberg: Seehofer geht jetzt, zumindest als Parteivorsitzender. Inwieweit wird das die Arbeit der Großen Koalition vielleicht sogar befrieden oder erleichtern?
    Spreng: Sie wird nicht befriedet, solange er Innenminister ist, denn er ist dann nach wie vor - es gibt ja in der Politik den Begriff der "loose Cannon", der losgerissenen Kanone, die unkontrolliert übers Deck rollt. Er ist dann eine "loose Cannon". Er ist unberechenbar und ist jederzeit in der Lage, die Große Koalition, die ja ohnehin sehr fragil ist und im nächsten Jahr auch vom Zerbrechen bedroht sein wird, erneut in eine Krise zu stürzen. Insofern wäre es auch für die Große Koalition, auch für die SPD und die CDU wichtig, dass da Ruhe einkehrt und die berühmte Sacharbeit endlich anfängt oder nach außen dargestellt werden kann, und dafür ist Seehofer ein Hochrisiko.
    "Ich glaube, dass Markus Söder seine Lektion gelernt hat"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite: Mit dem potenziell neuen CSU-Parteichef Markus Söder säße dann ja auch ein Neuling in Berlin mit am Tisch, und mit dem wird es ja bestimmt auch nicht leichter.
    Spreng: Ja. Aber ich glaube, dass Markus Söder seine Lektion gelernt hat. Er hat ja dann auch im Landtagswahlkampf noch umgeschwenkt auf Landespolitik. Ich glaube, er wird sich nicht so verkämpfen, wie Horst Seehofer das gemacht hat, sondern wird bundespolitisch erst mal zurückhaltend sein. Er muss sich ja als Ministerpräsident konsolidieren. Er muss diese neue Koalition mit den Freien Wählern ans Laufen bringen. Da sehe ich zumindest vorerst nicht so eine Gefahr für die Große Koalition wie durch Horst Seehofer.
    Münchenberg: Herr Spreng, die CSU will ja selbsterklärt jetzt den Neuanfang. Bekommt sie den tatsächlich jetzt mit Markus Söder, dem ja gerade auch Horst Seehofer immer wieder letztlich die Fähigkeit für dieses Amt abgesprochen hat?
    Spreng: Ja, gut. Das muss ja nicht stimmen, was Horst Seehofer alles erklärt. Markus Söder hat durchaus die Chance, ein erfolgreicher Ministerpräsident zu werden jetzt in dieser Koalition. Die Freien Wähler sind ihm ja auch durchaus geneigt. Er kann ein erfolgreicher Ministerpräsident und Parteivorsitzender werden. Das ist noch offen und insofern hat er alle Chancen noch.
    Münchenberg: Aber ist es nicht trotzdem erstaunlich? Da hat jemand krachend letztlich die Landtagswahlen verloren und gilt jetzt plötzlich als der neue Heilsbringer in der CSU?
    Spreng: Heilsbringer ist er natürlich nicht. Aber die CSU muss ja jetzt auch erst mal zur Ruhe kommen. Die müssen sich sammeln und auch einen Neustart versuchen, denn das kann ja so nicht bleiben, dass sie bei den Wählern mangelhaft erfolgreich sind wie jetzt bei der Landtagswahl. Da ist er völlig eigentlich mit ausgelastet und er ist der einzige, der übrig geblieben ist. Er hat sich die Position des Ministerpräsidenten erkämpft. Jetzt fällt ihm auch der Parteivorsitz zu. Er hat eine Rolle wie Franz-Josef Strauß oder Edmund Stoiber. Das ist eine große Bürde, aber auch eine große Chance für ihn.
    Münchenberg: Herr Spreng, letzte Frage. Sie haben vorhin von der "loose Cannon" gesprochen in Sachen Horst Seehofer, dem jetzt auch die Parteimacht im Rücken in Berlin fehlt. Wie lang geben Sie dieser Großen Koalition?
    Spreng: Das hängt jetzt, glaube ich, dann weniger von Horst Seehofer oder der CSU ab, sondern nach wie vor ist das größte Risiko für die Große Koalition die Lage in der SPD. Die SPD ist nach wie vor unberechenbar, ob sie diese Koalition platzen lässt, ob die Anhänger von Kevin Kühnert, dem Kurs raus aus der Großen Koalition, im Laufe des Jahres die Überhand bekommen. Wir werden spätestens nach der Europawahl sehen, ob die SPD die Nerven behält oder nicht. Aber ich glaube, für die Große Koalition ist das eigentlich große Risiko die Angst der SPD vor dem Tod in der Großen Koalition und dass sie aus diesem Grund dann lieber Selbstmord begeht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.