Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

Rückzug Davutoglus
Berlin blickt sorgenvoll nach Ankara

Der Rückzug des türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu vom Vorsitz der Regierungspartei AKP wird in Berlin mit Besorgnis aufgenommen - zumal er damit auch den Posten des Ministerpräsidenten verliert. Eine noch stärker autoritär geführte Türkei wird befürchtet. Schon gestern gab es vor allem aus den Reihen der Union zahlreiche kritische Stimmen in Richtung Ankara.

Von Nadine Lindner | 05.05.2016
    Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu
    Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu (imago stock&people / IPON)
    "Der Rückzug von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verstärkt die Sorge, dass Präsident Erdogan die demokratische Türkei in einen stärker autoritär durch einen Präsidenten geführten Staat umbauen will."
    So reagierte am Nachmittag der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, auf die Meldungen aus der Türkei.
    "Viele in der Türkei beklagen wie wir in Europa zunehmende Unfreiheit für die Presse, zunehmender Druck auf Oppositionskräfte. Deswegen denke ich, dass es nicht nur um die Macht zwischen Präsident und Minsterpräsident geht, sondern es ist auch ein Kampf um die Richtung, die richtige Richtung der Türkei."
    Für die deutsche Politik heiße das:
    "Zunächst einmal gilt, natürlich weiterhin, dass auch mit einem neuen Ministerpräsidenten die getroffenen Vereinbarungen gelten. Aber dass wir nach wie vor die Dinge, die uns an der türkischen Innenpolitik stören, offen ansprechen, so wie das unter Partnern und Freunden auch richtig ist."
    Schon seit gestern gibt es vor allem aus den Reihen der CDU / CSU zahlreiche kritische Stimmen in Richtung Ankara. Auslöser: Am Mittwoch hatte die EU-Kommission empfohlen, die Visa-Freiheit für die Türkei umzusetzen. Diese lange geplante Regelung war im Zuge des EU-Türkei-Flüchtlings-Abkommens vorgezogen worden. 72 Punkte müssen dafür als Bedingungen erfüllt werden. Bislang sind noch fünf offen, dazu zählen der Datenschutz, Kampf gegen Korruption, sowie ein Stopp der Anwendung des Terrorismusbegriffs auf innenpolitische Gegner wie die Kurden.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich gestern Abend zuversichtlich. Sie sehe eine "realistische Chance", dass die Türkei auch noch die restlichen Bedingungen erfüllen werde. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger" hingegen, es könne mit der Visa-Freiheit zu einer Zunahme der irregulären Migration kommen, "insbesondere wegen der schwierigen Lage in den Kurdengebieten". Bosbach verwies auf den Unmut in der Unionsfraktion. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte in der gleichen Zeitung davor, dass mit der Visafreiheit der Konflikt mit den Kurden - Zitat - "importiert" würde. Der Koalitionspartner SPD dagegen verwies auf die Verbindlichkeit, die es zwischen den Verhandlungspartnern EU und Türkei geben müsse. Der Parteivize Ralf Stegner verteidigte die Entscheidung der EU-Kommission am Vormittag:
    "Wenn wir, die EU, eine Vereinbarung mit der Türkei schließt, dann erwarten auch, dass sich die Türkei daran hält. Dann gilt das umgekehrt für die Europäische Union natürlich auch."
    Die Grünen im Europaparlament verweisen auf die schlechte Menschenrechtslage in der Türkei. Die Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms sagte in der ARD:
    "Ich denke, dass Präsident Erdogan das nicht erarbeitet hat. Politisch vertritt er einen Weg in der Türkei, der wegführt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit."
    Das Zieldatum für die visafreie Einreise ist Ende Juni, zuvor müssten aber die EU-Staaten und das Europaparlament zustimmen.