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Rühe: Afghanische Regierung gewinnt an Gewicht

Wolfgang Koczian: Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Volker Rühe, ist von einer Reise nach Afghanistan und in den Kaukasus zurückgekehrt, und ihn begrüße ich nun am Telefon in Hamburg. Guten Morgen Herr Rühe.

Moderation: Wolfgang Koczian |
    Volker Rühe: Guten Morgen.

    Koczian: War das nun eine jener Reisen, die die bereits gehegten Befürchtungen oder Hoffnungen bestätigen, oder gab es doch einen bemerkenswerten Erkenntnisgewinn?

    Rühe: Es war ja eine Reise in Begleitung des Außenministers zusammen mit Ludger Volmer von den Grünen und Rudolf Bindig von den Sozialdemokraten. Denn das sind - was den Einsatz vor allem in Afghanistan angeht - ja Dinge, die das Parlament sehr intensiv betreffen. Was die deutschen Soldaten angeht, haben sie ein äußerst positives Bild. Die machen das ganz hervorragend. Aber Afghanistan steht vor einem schwierigen Jahr, und ein Schlüssel sind die Wahlen im Herbst. Es kommt alles darauf an, dass der politische Prozess vorangetrieben wird, damit die Rahmenbedingungen auch weiterhin für den Einsatz der Soldaten stimmen.

    Koczian: Afghanistan, das meint in der Regel die Stationen Kabul und Kundus und künftig eine dritte. In der Hauptstadt scheint man zu einem geregelten Leben gefunden zu haben; auch in Kundus läuft es offenbar gut. Aber rechtfertigt das, von Afghanistan zu sprechen? Endet das Gewaltmonopol der Regierung auch nach den Wahlen nicht doch an den Grenzen der Hauptstadt?

    Rühe: Nein, das kann man so nicht sagen. Afghanistan war nie ein Zentralstaat und wird es auch nie sein. Noch hat natürlich die Regierung in Kabul nicht die Stärke, die sie eigentlich haben müsste. Das braucht auch noch Zeit, aber die Regierung gewinnt an Gewicht. Mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft wird dieser Prozess auch erfolgreich verlaufen können, bei allen Gefährdungen. Jetzt kommt es darauf an, dass es in diesem riesigen Lande, im schwierigsten Gelände, darum geht, Millionen von Wahlberechtigten zu registrieren. Das sind jetzt erst knapp zwei Millionen von zehn Millionen Wahlberechtigten, die man hat registrieren können. Dann könnten auch unter guten Sicherheitsbedingungen - und dafür muss die internationale Gemeinschaft noch einen Beitrag leisten - im Herbst die Präsidentschaftswahlen und die Parlamentswahlen durchgeführt werden. Der politische Prozess steht jetzt im Vordergrund, und auf der afghanischen Seite muss natürlich endlich ernst gemacht werden mit einer Demobilisierung der Truppen.

    Koczian: Aber in Kundus bleibt es doch bei der abartigen Situation, dass vom Schutz durch die ausländische und auch deutsche Präsenz das Drogengeschäft profitiert. Muss man das in Kauf nehmen?

    Rühe: Das finde ich eine falsche Verbindung. Dieses Drogengeschäft überall in Afghanistan wird nicht geschützt von unseren Soldaten. Die haben nicht den Auftrag dieses zu bekämpfen; das ist Sache der Polizei. Das Entscheidende muss sein, ökonomische Alternativen zu finden. Wenn man sieht, dass die Bauern selbst nur bis zu fünf Prozent profitieren an den tatsächlichen Finanzen im Zusammenhang mit diesem Drogenhandel, dann muss es Wege geben zu ökonomischen Alternativen zu kommen, wenn man gleichzeitig auch härter die Labors bekämpft und die Händler bekämpft. Aber so zu tun, als ob das unter dem Schutz der Soldaten geschieht, das ist falsch. Es ist nur nicht der Auftrag der Soldaten dieses zu bekämpfen. Das ist Sache der Polizei und der entscheidende Punkt ist eine ökonomische Alternative für die armen Bauern zu finden, die am geringsten profitieren und diejenigen klar zu bekämpfen, die enorm profitieren an dem Handel.

    Koczian: Sind denn die Taliban noch eine Gefahr? Wie steht es mit dem Einfluss von Osama Bin Laden?

    Rühe: In Teilen des Landes sind sie sicher noch eine Gefahr, vor allem im Osten und im Süden. Niemand weiß, wo Osama Bin Laden ist, ob in Pakistan oder noch im afghanischen Teil dieses Gebietes. Es gibt ja weiterhin auch die militärische Bekämpfung der Taliban, aber daran beteiligen sich ja nicht die deutschen Soldaten. Die deutschen Soldaten schaffen Stabilität durch ihre Aufbauleistungen in der Region. Gerade in Kundus ist es besonders eindrucksvoll, mit wie viel Einfühlungsvermögen die Menschen vor Ort, die deutschen Soldaten dort arbeiten, wie viel Vertrauen sie sich auch erworben haben. Hier zeigt sich eben auch, dass man Stabilität nicht nur durch Waffen erreichen kann, etwas, was die deutschen Soldaten auch bei anderen internationalen Einsätzen sehr eindrucksvoll demonstriert haben.

    Koczian: Noch zum Kaukasus, er bildet eine Krisenregion, ihre Bedeutung für die Rohstoffversorgung ist unbestritten. Kann man dort für Konfliktminimierung sorgen, oder sollte man doch nach Alternativen Ausschau halten, um Abhängigkeit zu vermeiden?

    Rühe: Wir können versuchen dort zu helfen, einen Friedensprozess voranzubringen. Da geht es vor allen Dingen um den ungelösten Konflikt. Die entscheidenden Beiträge müssen aus der Armee kommen, von Armenien und Aserbaidschan, aber die Region schaut nach Europa und möchte sich auch aus anderen Abhängigkeiten in der Region befreien. Das ist strategisch sehr richtig. Es wird sich entscheiden, ob der Demokratisierungsprozess dort erfolgreich sein wird. Da gibt es viel Vertrauen in Richtung Deutschland. Es ist eine Region in allen drei Ländern, wo gerade eine stärkere deutsche Rolle äußerst willkommen ist. Jetzt zeigt sich eben, dass es noch viel Spielraum für unsere Außenpolitik gibt, die wir nutzen müssen. Nachdem wir den Ost-/Westkonflikt überwunden haben, wird einfach auch erwartet, dass wir uns in einer solchen Region stärker engagieren. Ich glaube wir können hilfreich sein; das haben die Gespräche auch gezeigt.

    Koczian: Das Datum legt es nahe - auch wenn es nichts mit Ihrer Reise zu tun hat - auf die Volksabstimmung auf Zypern einzugehen. Welches Szenario haben wir zu erwarten?

    Rühe: Man muss befürchten, dass die Griechen auf der Insel den Friedensplan und den Wiedervereinigungsplan ablehnen, die Türken im Norden ihm zustimmen, und das ist eine ganz schwierige Situation. Es ist eine Niederlage für Europa, dass ausgerechnet die Inselgriechen, die dann auch noch dafür belohnt werden, dass sie zum ersten Mai Mitglied der Europäischen Union werden, diesen Plan wahrscheinlich ablehnen werden. Das ist ein Versagen ihrer Führer, und man muss daraus auch Konsequenzen ziehen. Die Türken werden im Gegensatz zu ihrem alten Führer wahrscheinlich zustimmen; das zeigt doch welchen positiven Einfluss die türkische Seite genommen hat. Wir müssen daraus lernen. Es darf nie wieder jemand Mitglied der Europäischen Union werden, der nicht vorher seine Probleme gelöst hat mit Nachbarn oder in dieser Situation mit Zypern. Das Zweite ist, wenn die Türken auf der Insel diesem Plan zustimmen, es aber durch die Griechen verhindert wird, dass es zu einer Wiedervereinigung kommt, dann müssen wir uns überlegen, was wir tun können, um die Situation der Türken auf der Insel zu fördern. Eine sehr unerfreuliche Situation muss ich sagen. Ich bedaure sehr, dass man in dieser Weise von der griechischen Seite schlicht und einfach seiner Verantwortung nicht gerecht wird, obwohl die Europäische Union sie in wenigen Tagen aufnehmen wird.

    Koczian: Kurz zum Schluss, wenn ein solches absurdes Ergebnis zustande kommt, dass das "Nein" belohnt wird und das "Ja" folgenlos bleibt, ist dann von Seiten der Mannschaft Romano Prodi fahrlässig verhandelt worden?

    Rühe: Nein, das kann man nicht sagen. Vor zehn Jahren drohte Griechenland, die Öffnung der Europäischen Union für alle Staaten, Ost- und Mitteleuropas, zu blockieren, wenn nicht auch Zypern in diese Zehnerrunde mit aufgenommen wird. Das ist der Grund für die Situation, in der wir sind. Aber ich würde schon von einem Versagen der griechischen Politik sprechen, die nicht den notwendigen Einfluss genommen hat, nicht nur auf der Insel. Europa muss daraus wirklich Konsequenzen ziehen. Das ist eine Zumutung für Europa, dass der griechische Teil der Insel jetzt Mitglied wird, obwohl die Politiker dort nicht die notwendige Verantwortung gezeigt haben. Noch einmal, wir müssen dann überlegen, wenn es dazu kommt, was wir tun können, um die Lage der Türken auf der Insel zu verbessern.

    Koczian: Danke nach Hamburg.